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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z20aBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Dr. Martin Mahrer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 19/5. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2020, W276 2182731-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis ein „Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan“, stellte am 15. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen mit einer Bedrohung und Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründete.
2 Mit Bescheid vom 18. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Mit Beschluss vom 21. September 2020, E 2617/2020-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Soweit sich die Revision angesichts der Feststellungen des BVwG zur afghanischen „Staatsbürgerschaft“ des Revisionswerbers auf fehlende Rechtsprechung zur Frage der Unterscheidung zwischen Staatsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit für die Qualifikation als „Fremder“ iSd §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 stützt, ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 2 Abs. 1 Z 20a AsylG 2005 als Fremder gilt, „wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt“. Entscheidend für die Qualifikation als Fremder im Sinne des AsylG 2005 ist demnach allein das Nichtvorligen der österreichischen Staatsbürgerschaft. Die Revision bringt weder vor, dass der Revisionswerber österreichischer Staatsbürger sei, noch legt sie konkret dar, welche entscheidungswesentliche Feststellung das BVwG in diesem Zusammenhang unterlassen hätte.
9 Da der Verwaltungsgerichtshof für die Lösung bloß abstrakter Rechtsfragen nicht berufen ist (vgl. etwa VwGH 10.9.2020, Ra 2019/14/0614, mwN), kann mit der aufgeworfenen Rechtsfrage die Zulässigkeit der Revision nicht begründet werden.
10 Soweit die Revision geltend macht, es fehle Rechtsprechung zum Tatbestandsmerkmal „dringend“ im Sinne des § 9 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), ist sie etwa auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. November 2015, Ra 2015/21/0101, hinzuweisen, in dem sich der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf VwGH 22.12.2009, 2009/21/0348, mit der Auslegung der in § 9 Abs. 1 BFA-VG enthaltenen Wortfolge „dringend geboten“ bereits auseinandergesetzt hat. Demnach ist von einem inhaltlichen Gleichklang dieser Bestimmung mit Art. 8 Abs. 2 EMRK im Hinblick auf die darin enthaltene Wortfolge „in einer demokratischen Gesellschaft ... notwendig“ auszugehen. Dass das BVwG von dieser bestehenden Rechtsprechung abgewichen wäre, wird in der Zulässigkeitsbegründung nicht behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich.
11 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt zudem in ständiger Rechtsprechung, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0149, mwN). Dass die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichtes an einer solchen, vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leiden würde, zeigt die Revision nicht auf.
12 Soweit die Revision schließlich geltend macht, es fehle Rechtsprechung dazu, ob zum Entscheidungszeitpunkt absehbare Entwicklungen in die Entscheidung miteinzubeziehen seien, und dabei auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie abstellt, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Judikatur zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf eine drohende Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK auch für die aktuell aufgetretene COVID-19-Pandemie maßgeblich ist (vgl. etwa VwGH 2.10.2020, Ra 2020/20/0346; 21.8.2020, Ra 2020/18/0146; 3.7.2020, Ra 2020/14/0255). Mit dem bloßen Hinweis auf eine „erhöhte Rückkehrgefahr“ in ein „festgestelltermaßen medizinisch unterversorgtes Afghanistan“ legt die Revision nicht dar, dass eine reale Gefahr der Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK geschützten Rechte drohen könnte. Soweit die Revision diesbezüglich ausführt, der Sachverhalt werde „dahingehend zu ergänzen sein“, unterlässt sie die erforderliche Relevanzdarstellung in Bezug auf den damit geltend gemachten Verfahrensmangel, weshalb also bei dessen Vermeidung auf Basis welcher konkreten, vermissten Feststellungen in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können (vgl. VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0363). Schon deshalb hängt das Ergebnis der Revision nicht von der aufgeworfenen Rechtsfrage ab.
13 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 21. Dezember 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140532.L00Im RIS seit
02.02.2021Zuletzt aktualisiert am
02.02.2021