TE Vwgh Beschluss 2020/12/21 Ra 2020/14/0526

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Veröffentlicht am 21.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das am 2. Dezember 2019 mündlich verkündete und am 4. März 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W122 2198853-1/31E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 17. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 22. September 2020, E 1768/2020-8, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Das Zulässigkeitsvorbringen der vorliegenden Revision wendet sich gegen die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach für den Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den afghanischen Städten Mazar-e Sharif und Herat zumutbar sei. Die Behauptung einer sicheren innerstaatlichen Fluchtalternative in diesen beiden Städten „geistere“ seit einigen Jahren durch die Rechtsprechung des BVwG. Länderberichte und Reisewarnungen würden aber nicht zwischen diesen beiden Provinzen und dem Rest Afghanistans unterscheiden, weshalb ein über den Anlassfall hinausgehendes allgemeines öffentliches Interesse „an der Realität“ bestehe. Die Revision verweist in diesem Zusammenhang auf einen näher genannten Zeitungsartikel, der auf die Stadt Mazar-e Sharif Bezug nimmt. Zudem sei das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs insofern abgewichen, als es im Rahmen der im Sinn des Art. 8 EMRK vorgenommenen Güterabwägung ins Treffen geführt habe, dass die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Freundin „keine besonderen Merkmale der Abhängigkeit“ aufweise.

9        Soweit sich die Revision gegen das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative wendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass das BVwG seiner Beurteilung die Möglichkeit der Rückkehr des Revisionswerbers in seine Heimatprovinz Herat - wo auch seine Familie lebe - zu Grunde legt. Auf die darüber hinaus gemachten Ausführungen zur Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif muss daher nicht eingegangen werden. Mit dem Zulässigkeitsvorbringen wird nicht dargetan, dass die Beurteilung des BVwG, dem Revisionswerber drohe bei einer Rückkehr nach Herat keine reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung, unvertretbar erfolgt wäre.

10       Soweit sich die Revision gegen die Interessenabwägung wendet und auf eine Beziehung des Revisionswerbers hinweist, ist dem zu entgegnen, dass sich BVwG im Rahmen seiner Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK auch mit der vorgebrachten Beziehung auseinandergesetzt hat. Es kam jedoch zur Auffassung, dass diese Beziehung mangels besonderer Merkmale der Abhängigkeit nicht unter den Schutz des Art. 8 EMRK fällt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass familiäre Beziehungen unter Erwachsenen nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen. Bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften kann sich dies in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung, der Geburt gemeinsamer Kinder und wirtschaftlicher Abhängigkeit - äußern (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006; 11.9.2020, Ra 2020/18/0306; jeweils mwN). Ein Abweichen von den Leitlinien der Rechtsprechung vermag die Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung die Ausführungen des BVwG bloß pauschal als „skurril“ bezeichnet werden, nicht aufzuzeigen.

11       Schließlich ist nicht ersichtlich, weshalb infolge der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, der gegen das angefochtene Erkenntnis an ihn erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG vorlägen. Zudem wurde die in der Revision bloß allgemein angesprochene Frage der Rechtswirkungen der vom Verfassungsgerichtshof vorgenommenen Beschwerdeabtretung in der Rechtsprechung bereits geklärt (vgl. zum wortidenten Revisionsvorbringen desselben Rechtsvertreters etwa VwGH 6.8.2020, Ra 2020/20/0273, mwN).

12       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 21. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140526.L00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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