TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/21 Ra 2020/09/0056

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.12.2020
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz
64/05 Sonstiges besonderes Dienstrecht und Besoldungsrecht

Norm

BDG 1979 §123
RStDG §123
RStDG §57
RStDG §63 Abs2
RStDG §63 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Disziplinaranwalts für die Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichtes in 1030 Wien, Erdbergstraße 192-196, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 23. Juni 2020, Zl. DS/002/2019, betreffend Einleitung der Disziplinaruntersuchung nach dem RStDG (mitbeteiligte Partei: A B in C), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der im Jahr 1966 geborene Mitbeteiligte ist Richter des Bundesverwaltungsgerichtes (in der Folge: BVwG).

2        Mit Schreiben vom 24. September 2019 erstattete der Präsident des BVwG Disziplinaranzeige gegen den Mitbeteiligten wegen des Verdachts der Verletzung der allgemeinen richterlichen Pflichten nach § 57 RStDG, weil dieser in einem näher bezeichneten Verfahren, für welches eine gesetzlich verkürzte Entscheidungsfrist von drei Monaten bestehe, in einem Zeitraum von mehr als vier Jahren keine Verfahrensschritte gesetzt und auch die Berichtspflicht im Zusammenhang mit den 2014 bzw. 2015 anhängigen Verfahren nicht zu einer umgehenden Bearbeitung des Verfahrens geführt habe.

3        Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Bundesfinanzgericht (BFG - im Weiteren: Disziplinargericht) nach Anhörung des Mitbeteiligten und Einholung einer Stellungnahme des Revisionswerbers die Einleitung der Disziplinaruntersuchung gemäß § 123 Abs. 4 RStDG abgelehnt und das Verfahren eingestellt. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Disziplinargericht für nicht zulässig.

4        In der Begründung seiner Entscheidung stellte das Disziplinargericht im Wesentlichen zur Gesamtsituation der Arbeitsbelastung der Richterinnen und Richter des BVwG unter Zugrundelegung des Tätigkeitsberichtes für das Geschäftsjahr 2018 des BVwG und Heranziehung eines Evaluierungsergebnisses des damaligen Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz und den dazu angeführten statistischen Daten fest, dass betreffend Verfahren aus allen Fachbereichen in den Geschäftsjahren 2017 und 2018 nur mehr 47% der Verfahren innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen worden seien, während in den drei davorliegenden Geschäftsjahren dieser Wert noch bei rund 55% gelegen sei; im Fachbereich „Persönliche Rechte und Bildung“, deren Kammervorsitzender der Mitbeteiligte gewesen sei, habe die Verfahrensdauer in diesen beiden genannten Zeiträumen von 50% auf 59% verbessert werden können, wohingegen in anderen Fachbereichen (wie dem mengenmäßig dominanten Fachbereich „Fremdenwesen und Asyl“) ein gegenläufiger Trend vorherrsche. Die Personalressourcen des BVwG würden eine Erledigung der anhängig gemachten Beschwerden innerhalb der gesetzlichen Fristen nicht zulassen. Es bestehe für die Richterinnen und Richter dieses Gerichts ein permanentes Spannungsverhältnis zwischen möglichst effizienter Verfahrensführung, der Einhaltung gesetzlicher Fristen bei gleichzeitig größtmöglicher Reduzierung des Standes offener Verfahren bzw. dem Ziel eines geringstmöglichen Anwachsens dieser Verfahren. Seitens der monokratischen Justizverwaltung seien näher ausgeführte Unterstützungsmaßnahmen wie auch im Rahmen der kollegialen Justizverwaltung durch Umverteilungsmaßnahmen Schritte zum Abbau von Altakten gesetzt worden. Ohne ressourcenerweiternde Hilfestellung könne das BVwG den vorhandenen Arbeitsanfall nicht bewältigen.

5        Der Mitbeteiligte sei - so das Disziplinargericht weiter - zunächst seit 1. Juli 2008 am Asylgerichtshof und anschließend seit 1. Februar 2014 am BVwG als Richter tätig und habe bis zum 20. September 2019 die Funktion des Kammervorsitzenden der Kammer für persönliche Rechte und Bildung am BVwG ausgeübt; seine Dienstbeschreibung laute seit dem Kalenderjahr 2010 auf ausgezeichnet. Wie sich aus den vorgelegten Quartalsausweisen und den Angaben des Mitbeteiligten ergebe, judiziere er bzw. habe er im BVwG Asylrecht, Disziplinarrecht für das Heer und Zivil, sowie Wehrrecht judiziert, wobei er Beschwerden gesamthaft betrachtet nach Fachgebieten geblockt bearbeite und das Augenmerk sowohl auf die Bearbeitung von Altfällen als auch eine möglichst effiziente Abarbeitung der ihm übertragenen Fälle lege. Im Geschäftsjahr 2015 habe er sich der Bearbeitung von vom Asylgerichtshof übergegangenen Asylfällen gewidmet und bis zum zweiten Quartal 2016 abgearbeitet; wehrrechtliche Angelegenheiten habe er weitgehend geblockt bis ins dritte Quartal 2016 abgearbeitet und daneben laufend disziplinarrechtliche Beschwerden bearbeitet. Der beginnende Abbau dieser Fälle im vierten Quartal 2016 und im ersten Quartal 2017 sei durch die ab dem ersten Quartal 2017 in extremem Umfang wieder ansteigenden Asyl-Zuteilungen (jeweils 50 Fälle in den Geschäftsjahren 2017 und 2018) gestoppt worden, er habe die forcierte Bearbeitung der Asylfälle in den Vordergrund gerückt und den Rückstand in diesem Bereich bis ins zweite Quartal 2018 weitgehend abgearbeitet, woraufhin er den Schwerpunkt wieder auf den Abbau von disziplinarrechtlichen Beschwerden gesetzt habe. In diesem Bereich noch vorhandene 12 Altakten habe er bis zum 31. Oktober 2019 erledigt; von den weiteren vorhandenen Disziplinarverfahren habe er in diesen sechs Monaten den Stand von 23 auf 15 Verfahren reduziert. Mit dieser Bearbeitungsweise habe er im Zeitraum von 1. Februar 2015 bis 31. Jänner 2019 erreicht, den Stand seiner offenen Verfahren von 52 auf 51 zu reduzieren, obwohl es dazwischen aufgrund der hohen Eingänge im Asylbereich zu einem Anstieg bis zu 75 offener Verfahren gekommen sei. Bis 31. Oktober 2019 sei durch die forcierte Bearbeitung von Disziplinarbeschwerden der Anteil an offenen Beschwerden im Asylbereich von 29 auf 90 gestiegen.

6        Durch die mit seiner Funktion als Kammervorsitzender verbundenen Aufgaben und Einbindung in weitere - näher ausgeführte - Aufgaben habe er seine Arbeiten für das BVwG auf Wochenenden bzw. dienstfreie Zeiten ausdehnen müssen. Auch die Reduktion seiner Tätigkeit in der Rechtsprechung für Justizverwaltungsagenden um ca. 40% habe nichts an seiner Überbelastung geändert, „eine vergleichbare Überbelastung“ liege nach dem Tätigkeitsbericht 2018 auch in anderen Gerichtsabteilungen des BVwG vor.

7        Zum Verfahren, welches den Anlass für die Disziplinaranzeige gegeben habe, führte das Disziplinargericht zusammengefasst aus, dass die Beschwerde eines Beamten des BMI gegen die über ihn von der Disziplinarkommission des BMI verhängte Entlassung im Jänner 2015 beim BVwG eingelangt und dem Mitbeteiligten in der Folge zugewiesen worden sei. Im Zuge einer Besprechung des Mitbeteiligten mit dem Präsidenten des BVwG am 17. April 2019 seien die bei den verschiedenen Gerichtsabteilungen seiner Kammer länger anhängigen Verfahren thematisiert und vom Präsidenten vehement auf die Notwendigkeit einer vorrangigen Behandlung hingewiesen worden. Der Mitbeteiligte habe dabei in Aussicht gestellt, seine Rückstandsakten, nämlich 14 Geschäftsfälle mit einer mehrjährigen Verfahrensdauer, in den nächsten Monaten abzuarbeiten. Diese Verfahren seien auch bis zum 31. Oktober 2019 erledigt worden. Es habe sich damals um die erstmalige Thematisierung der Altaktensituation in der Gerichtsabteilung des Mitbeteiligten gehandelt und bis zu diesem Zeitpunkt keine Berichtspflicht bestanden. Im anlassbezogenen Verfahren habe der Mitbeteiligte am 17. Mai 2019 zu einer mündlichen Verhandlung am 17. Juni 2019 geladen, welche im Zusammenhang mit einer unter anderem gegen den Mitbeteiligten vom Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebrachten Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachtes des Amtsmissbrauches und einer in der Verhandlung deshalb erhobenen Befangenheitsanzeige vertagt und schließlich am 18. Juli 2019 durchgeführt worden sei; die Entscheidung sei dann am 12. August 2019 ergangen. Ein Fristsetzungsantrag sei in diesem Verfahren vom beschwerdeführenden Disziplinarbeschuldigten nie gestellt worden.

8        In rechtlicher Hinsicht kam das Disziplinargericht zum Ergebnis, dass das gesamte BVwG zum Ende des Geschäftsjahres 2018 aufgrund der für den hohen Anfall an Rechtssachen nicht ausreichenden Personalausstattung nur in der Lage gewesen sei, rund 45% der angefallenen Rechtssachen binnen sechs Monaten zu erledigen. Es könne dem Mitbeteiligten damit nicht vorgeworfen werden, eine größere Anzahl von Rechtssachen nicht innerhalb von sechs Monaten bzw. der noch kürzeren gesetzlich vorgegebenen Entscheidungsfrist von drei Monaten erledigt zu haben. Der Mitbeteiligte habe sich im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Aufarbeitung von Rückständen auch außerhalb der Dienstzeit der Geschäftsstelle, an Wochenenden oder anderen dienstfreien Tagen zu Hause bemüht, seine Aufgaben, die nicht nur die anhängigen Rechtssachen, sondern auch seine vielfältigen termingebundenen organisatorischen Aufgaben umfasst haben, möglichst rasch zu erledigen, wobei er strukturiert und effizient vorgegangen sei. Es sei ihm in einem Gericht, das in Summe über die Jahre Rückstände aufgebaut habe, gelungen, seinen Rückstand zumindest bis zum 31. Jänner 2019 weitgehend konstant zu halten; ein derart outputorientiertes Arbeiten führe dazu, dass einzelne Fälle eine überdurchschnittlich lange Bearbeitungsdauer aufweisen würden. Weiters werde die durchgängige Bearbeitung von Beschwerdefällen nach Altersschichtungen in einem überlasteten Gericht bzw. einer überlasteten Gerichtsabteilung auch dadurch unterbunden, dass einzelne Beschwerdeführer/innen ihre Erledigung durch Fristsetzungsanträge beschleunigten, wie dies auch in der Gerichtsabteilung des Mitbeteiligten vorgefallen sei, und ein öffentlicher als auch gerichtsinterner Druck bestanden habe, vorrangig Asylfälle zu erledigen. Die überdurchschnittlich lange dauernde Erledigung von einzelnen Beschwerden werde nochmals durch die vom Mitbeteiligten ausgeübten und beschriebenen äußerst zeitintensiven Justizverwaltungsagenden erklärbar. Bei einer derartigen Überlastung könne ein Richter nur versuchen, nach der von ihm geplanten Struktur vorzugehen und allenfalls auf Urgenzen bzw. notwendigerweise auf Fristsetzungsanträge zu reagieren. Bei dieser Ausgangslage einer überlasteten Gerichtsabteilung trete sehr stark in den Vordergrund, ob die Verfahrensparteien - sei es formlos oder durch einen Fristsetzungsantrag - ein „Vorziehen“ der Erledigung des Verfahrens urgierten. Ein solches Verhalten habe im anlassbezogenen Fall der Disziplinarbeschuldigte über einen Zeitraum von mehr als vier Jahre (bis zur Ausschreibung der Verhandlung) nicht gesetzt. Dem Mitbeteiligten könne daher weder ein generell schuldhaftes Verhalten unter diesen Rahmenbedingungen noch im konkreten anlassbezogenen Verfahren vorgeworfen werden; auch die Staatsanwaltschaft Wien habe bei Prüfung der Sachverhaltsdarstellung des Disziplinarbeschuldigten keinen Verdacht auf ein strafbares Verhalten des Mitbeteiligten erkennen können. Von einer weiteren Verfolgung der Sache sei daher Abstand zu nehmen und die Einleitung der Disziplinaruntersuchung gemäß § 123 Abs. 4 RStDG abzulehnen.

9        Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Disziplinaranwalts. Das Disziplinargericht hat die Verfahrensakten vorgelegt; der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlich Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

11       Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Die Revision ist zulässig, wenn darin vorgebracht wird, dass die Entscheidung im Widerspruch mit der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes steht, wonach nur offenkundige Gründe für eine sofortige Einstellung des Disziplinarverfahrens der Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen einen Beamten entgegen stehen; sie ist auch begründet, wenn im Ergebnis unzureichende Sachverhaltserhebungen bzw. Feststellungen und das daraus resultierende Vorliegen von Begründungsmängeln gerügt werden.

13       §§ 57 und 123 des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes (RStDG), BGBl. Nr. 305/1961, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 64/2016, lauten (auszugsweise) wie folgt:

„Allgemeine Pflichten

§ 57. (1) Richter und Staatsanwälte sind der Republik Österreich zur Treue verpflichtet und haben die in der Republik Österreich geltende Rechtsordnung unverbrüchlich zu beachten. Sie haben sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, sich fortzubilden, die Pflichten ihres Amtes gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen und die ihnen übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen.

(2) ...

Disziplinaruntersuchung

§ 123. (1) Die Disziplinaruntersuchung kann nur durch Beschluß des Disziplinarsenates eingeleitet werden (Einleitungsbeschluß). Vor der Beschlußfassung ist der Beschuldigte durch den Vorsitzenden oder ein von diesem beauftragtes Mitglied des Disziplinarsenates zu hören.

(2) Im Einleitungsbeschluß sind die Beschuldigungspunkte bestimmt zu bezeichnen.

(3) In der Disziplinaruntersuchung ist die erhobene Beschuldigung einer Pflichtverletzung zu prüfen und der Sachverhalt so weit klarzustellen, als es notwendig ist, um das Disziplinarverfahren einstellen oder die Sache zur mündlichen Verhandlung verweisen zu können.

(4) Ist der Sachverhalt hinreichend geklärt, so kann der Disziplinarsenat die Einleitung der Disziplinaruntersuchung ablehnen oder nach Einvernahme des Beschuldigten mit Zustimmung des Disziplinaranwaltes an Stelle der Einleitung der Disziplinaruntersuchung sofort die Verweisung der Sache zur mündlichen Verhandlung beschließen (Verweisungsbeschluß).

(5) Die Beschlüsse nach Abs. 4 sind dem Disziplinaranwalt und dem Beschuldigten zuzustellen und der Dienstbehörde, sowie der obersten Dienstbehörde zu übermitteln.

(6) Mit dem Beschluß auf Einleitung der Disziplinaruntersuchung oder sofortige Verweisung der Sache zur mündlichen Verhandlung ist das Disziplinarverfahren eingeleitet.“

14       Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass die dem Einleitungsbeschluss in einem Disziplinarverfahren zukommende rechtliche Bedeutung in erster Linie darin gelegen ist, dem wegen einer Dienstpflichtverletzung beschuldigten Beamten gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren innerhalb der Verjährungsfrist eingeleitet wurde. Es darf keine Disziplinarstrafe wegen eines Verhaltens ausgesprochen werden, das nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluss in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens ist. Für die Einleitung des Verfahrens reicht es aus, wenn im Umfang der Disziplinaranzeige und auf deren Grundlage genügende Verdachtsgründe gegen den Beamten vorliegen, welche die Annahme einer konkreten Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Es muss die Disziplinarbehörde bei Fällung eines Einleitungsbeschlusses noch nicht völlige Klarheit darüber haben, ob der Beamte eine Dienstpflichtverletzung begangen hat; dies ist erst in dem der Einleitung des Verfahrens nachfolgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären. In dieser Phase des Verfahrens ist zu klären, ob die Voraussetzungen für die Einleitung gegeben sind oder ob keine genügenden Verdachtsgründe vorliegen und hingegen allenfalls offenkundige Gründe für die Einstellung des Disziplinarverfahrens gegeben sind. Ebenso wenig muss im Einleitungsbeschluss das dem Beamten zur Last gelegte Verhalten bereits abschließend rechtlich gewürdigt werden. Es besteht keine Bindung an die rechtliche Würdigung der Taten im Einleitungsbeschluss (vgl. zu alledem insbesondere zum BDG 1979: VwGH 18.11.2020, Ra 2019/09/0165, und VwGH 21.9.1995, 93/09/0449; auch etwa zum HDG 2014: VwGH 24.1.2018, Ra 2017/09/0047, und zum LDG 1984: 28.3.2017, Ra 2017/09/0008).

15       Diese im Wesentlichen zur (vergleichbaren) Bestimmung des § 123 Beamten-Dienstrechtsgesetz (BDG 1979) zur Einleitung von Disziplinarverfahren gegen Beamte/Beamtinnen entwickelten Grundsätze sind in gleicher Weise auf das Verfahren zur Einleitung einer Disziplinaruntersuchung (hier:) nach § 123 RStDG gegen Verwaltungsrichter/innen vor den Verwaltungsgerichten als Disziplinargerichte anzuwenden.

16       Im vorliegenden Fall beinhaltet die Begründung der angefochtenen Entscheidung - worauf auch die Revision zutreffend hinweist - keine konkreten Feststellungen über die Belastungssituation der betroffenen Gerichtsabteilung und - für einen notwendigen „Quervergleich“ - zu anderen Gerichtsabteilungen, in welchen eine ähnliche Konstellation an qualitativ und quantitativ vergleichbaren Materien behandelt wurden (vor allem zum Anfall und zu den Erledigungen); ebenso fehlen Feststellungen zur Dringlichkeit der einer Erledigung des inkriminierten Verfahrens vorgezogenen Verfahren.

17       Angesichts des Umstandes, dass dem inkriminierten Verfahren für den dort beschuldigten Beamten, der seine Entlassung bekämpft, evidentermaßen besondere Bedeutung zukommt, ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung schlicht nicht ausreichend bzw. nicht nachvollziehbar, wieso offenkundig anderen Verfahren - u.a. auch im gleichen Rechtsbereich - höhere Priorität bei der Behandlung beigemessen wurde, und das Disziplinargericht angesichts dessen die Sachlage insoweit als „hinreichend geklärt“ ansah, dass keine genügenden Verdachtsgründe vorliegen bzw. offenkundige Gründe für eine Ablehnung der Einleitung der Disziplinaruntersuchung vorliegen würden.

18       Bezüglich der notwendigen Ermittlungen und Feststellungen des Disziplinargerichtes zur Beurteilung, ob die Auslastungssituation des Mitbeteiligten den Verfahrensstillstand in einem Verfahren über mehr als vier Jahre zu rechtfertigen vermag, werden die im jüngsten Erkenntnis vom 2. November 2020, Ro 2020/09/0014, dargelegten Kriterien zu berücksichtigen sein.

19       Sofern das Revisionsvorbringen zutrifft, dass der Mitbeteiligte im maßgeblichen Zeitraum Nebenbeschäftigungen (als Vortragender im Disziplinarrecht) ausgeübt hat, werden auch Feststellungen zum zeitlichen Umfang erforderlich sein, um beurteilen zu können, ob diese Nebenbeschäftigungen die Verrichtung seiner dienstlichen Pflichten beeinträchtigt haben können. Dazu ist im Übrigen auf § 63 Abs. 2 und 3 RStDG hinzuweisen, wonach eine Nebenbeschäftigung einerseits seitens eines Richters/einer Richterin nur in dem Umfang ausgeübt werden darf, als es ihn/sie bei der Erfüllung seiner/ihrer dienstlichen Pflichten nicht behindert und andererseits bei einer dadurch bedingten Behinderung diese auch durch den Leiter der monokratischen Justizverwaltung zu untersagen ist. Ob mit der Tätigkeit als Vortragender im Disziplinarrecht eine besondere Vorbildwirkung verbunden ist, kann nur nach allfälliger Bejahung einer unrichtigen Prioritätensetzung beim inkriminierten Verfahren im Rahmen der Strafbemessung geprüft werden.

20       Da das Bundesfinanzgericht als Disziplinargericht dies übersehen hat, ist der angefochtene Beschluss somit - prävalierend - mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 21. Dezember 2020

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020090056.L00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten