TE Bvwg Beschluss 2017/9/6 W200 2162190-1

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Veröffentlicht am 06.09.2017
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Entscheidungsdatum

06.09.2017

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W200 2162190-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Svoboda als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg, vom 02.05.2017, Zl. OB: 810-600997-006 betreffend die Abweisung des Antrags auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung zu Recht beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde werden die angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz ? VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Salzburg, zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin stellte am 09.03.2017 beim Sozialministeriumservice einen Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG). Konkret wurden ? 1.023,00 geltend gemacht.

Angeschlossen war eine Verhandlungsmitschrift gemäß §§ 271 Abs. 4, 271 a Abs. 1 StPO betreffend die Strafsachen gegen einen namentlich genannten Angeklagten (in weiterer Folge Täter genannt) wegen § 105 StGB. Der Verhandlungsmitschrift ist eine Einvernahme des Täters zu seinen privaten und finanziellen Verhältnissen zu entnehmen sowie folgender ? den inkriminierten Sachverhalt betreffender Absatz ? zu entnehmen: "Ich kenne XXXX nicht. Ich habe sie noch nie gesehen, obwohl sie in der Nähe meines Hauses wohnt. An diesem Tag habe ich gesehen, dass ihr Hund in meine Einfahrt gekotet hat. Ich habe sie aufgefordert den Dreck wegzuräumen. Es kam ein Wort zu anderen und räume ich ein, dass ich verbal ziemlich laut geworden bin. Richtig ist, dass ich ihr nachgefahren bin, um die ganze Sache aus der Welt zu schaffen. Ich wollte einfach, dass sie den Dreck ihres Hundes wegräumt. Ich bin bereit, mich bei XXXX zu entschuldigen."

Es erfolgte eine Verkündung des Beschlusses auf Einstellung des Strafverfahrens gegen den Täter wegen des Vergehens des Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB gemäß §§ 199, 204 Abs. 1 StPO (=Diversion).

Die belangte Behörde hielt den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt am 20.03.2017 wie folgt fest: "Die Beschwerdeführerin wurde im Juli 2016 vom Angeklagten genötigt den Kot ihres Hundes aus seiner Einfahrt zu entsorgen. Da sie dem nicht nachkommen wollte, weil es nicht ihr Hund war, ist er ihr mit dem Auto hinterher gefahren und hat sie verbal bedrängt, den Hundekot zu beseitigen. Es steht Aussage gegen Aussage, sie fühlt sich seither traumatisiert. Das Verfahren wurde eingestellt ? Diversion ? 200? - wurden vom Angeklagten bezahlt."

Der leitende Arzt des Ärztlichen Dienstes gab am 30.03.2017 eine Stellungnahme zum festgehaltenen Sachverhalt ab. Laut Stellungnahme liege eine Traumatisierung bei einem bloßen Nachbarschaftsstreit wegen einer ? gelinde gesagt ? Lappalie nicht vor. Eine gewisse Eskalation eines (laut Gericht wohl nicht einmal zivilrechtlich relevanten) Streits allein durch Anheben der Lautstärke (ohne Beleidigungen oder Handgreiflichkeiten) kann nicht als therapiebedürftige Schädigung res. Traumatisierung angesehen werden. Eine Entschädigung nach dem VOG könne auch ärztlicherseits nicht befürwortet werden. Eine Traumatisierung durch die Aufforderung Hundekot zu entsorgen (von welchem Hund auch immer) liege nach medizinischer Auffassung nicht vor.

Mit Bescheid vom 02.05.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung gem. § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 5 VOG abgewiesen. Begründend wurde auf die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Täter gemäß § 199 iVm § 204 Abs. 1 StPO verwiesen und ausgeführt, dass kein Kausalzusammenhang zwischen der Vorsatztat und der Gesundheitsschädigung bestehe.

In weiterer Folge erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid Beschwerde, schilderte ua den der Anzeige zugrunde liegenden Sachverhalt dahingehend, dass der Täter wiederholt auf die Beschwerdeführerin mit seinem PKW zugefahren sei und sie zu Handlungen nötigte, nämlich wiederholt zur Seite zu springen, um nicht von ihm überfahren zu werden.

Das BVwG forderte in weiterer Folge vom LG Innsbruck den gesamten Strafakt zur Einsicht an.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 9d Abs.1 VOG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen. (Ra 2015/08/0178 vom 27.01.2016)

In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). (Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016)

Wie im Verfahrensgang ausgeführt hat das SMS alleine aufgrund der Aussagen des Täters in der Hauptverhandlung einen ? völlig falschen - Sachverhalt festgestellt: konkret, dass die Beschwerdeführerin verbal bedrängt worden sei, den Hundekot zu beseitigen. Davon fühle sie sich traumatisiert.

Es ist dem BVwG nicht erkennbar, warum das SMS am 20.03.2017 davon ausgeht, dass "Aussage gegen Aussage steht". Zwar wurde das Strafverfahren gegen den Täter eingestellt, aber nicht weil "Aussage gegen Aussage steht". Dies wäre keinesfalls ein Grund für eine Diversion, sondern für einen Freispruch.

Die belangte Behörde hat es unterlassen auch nur ansatzweise den tatsächlichen Sachverhalt zu ermitteln. Dem der Diversion zu Grunde liegende Strafantrag ? somit die Entscheidungsgrundlage des Gerichts für die Diversion ? ist nämlich ein anderer Sachverhalt zu entnehmen, konkret, dass der Täter mit einem KFZ wiederholt auf die Beschwerdeführerin zugefahren ist und sie dadurch zu Handlungen ? zum widerholten Zurseitespringen ? genötigt hat ? nicht zur Entfernung von Hundekot.

Wie das SMS zu seinen völlig falschen Feststellungen gekommen ist, lässt sich nicht nachvollziehen.

Auch die Stellungnahme des Arztes des Ärztlichen Dienstes fußt auf der jedenfalls falschen Sachverhaltsfeststellung, nämlich die Nötigung den Kot des Hundes aus der Einfahrt des Täters zu entfernen durch verbales Bedrängen.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte die Entscheidung ohne jegliche Ermittlungstätigkeiten. Das SMS hat ausschließlich die ihm von der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellte Verhandlungsmitschrift gemäß §§ 271 Abs. 4 271 a Abs. 1 StPO der Entscheidung zu Grunde gelegt.

Hätte das SMS den Akt des LG Innsbruck angefordert, so hätte es darüber hinaus erkennen müssen, dass keinesfalls nur ein verbales Bedrängen stattgefunden hat, sondern ? abgesehen von derbsten Beschimpfungen auch Handlungen gegen die körperliche Integrität der Beschwerdeführerin gesetzt wurden, und über den Täter ? einem Mitglied der Bergewacht - aufgrund des Vorfalls sogar ein Waffenverbot verhängt worden ist, weshalb keinesfalls von einer Lappalie ausgegangen werden kann.

Im weiteren Verfahren wird daher primär eine Einvernahme der Beschwerdeführerin zu erfolgen haben, unverzüglich eine Niederschrift aufzunehmen sein, wobei die Niederschrift den Anforderungen an § 14 AVG zu entsprechen hat (die Anfertigung eines Protokolls aus dem Gedächtnis mit nachfolgendem postalischen Zuschicken an einen Antragsteller und Ersuchen um Überprüfung, ob die Niederschrift dem tatsächlich Ausgesagten entspricht und um Leistung der Unterschrift, entspricht nicht den Anforderungen des § 14 AVG), um den entscheidungsrelevanten Sachverhalt auch unter Zugrundelegung des Strafaktes des LG Innsbruck, festzustellen ? ua wird eruiert werden müssen, wie oft und mit welcher Geschwindigkeit der Täter auf die Beschwerdeführerin zugefahren ist, in welcher Entfernung er abgebremst hat, ob Gefahr für Leib und Leben bestanden hat, ?...

In weiterer Folge wird ? je nach Sachverhaltsfeststellung - eventuell eine psychiatrische Untersuchung der Beschwerdeführerin durchzuführen sein und auf deren Basis sowie auch unter Zugrundelegung sämtlicher vorgelegter medizinischer Unterlagen die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens erfolgen zu haben.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Einvernahme Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:W200.2162190.1.00

Im RIS seit

27.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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