TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/25 95/01/0165

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Veröffentlicht am 25.06.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. November 1994, Zl. 4.343.258/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, der am 16. August 1993 in das Bundesgebiet eingereist ist und am selben Tag einen Asylantrag gestellt hat, gab bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch das Bundesasylamt am 17. August 1993 zu seinen Fluchtgründen folgendes an:

Er sei seit 1990 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Wegen dieser Mitgliedschaft habe er keine Probleme gehabt.

Am 5. Mai 1993 sei er gemeinsam mit einigen Gesinnungsgenossen nach Budapest geflogen, um Propagandamaterial (Lautsprecher, einfärbige Kleidungsstücke, welche in Nigeria hätten bedruckt werden sollen) für die Unterstützung des Präsidentschaftskanditaten Abiola einzukaufen. Anläßlich der Rückkehr von dieser Reise sei er am 9. Mai 1993 am Flughafen verhaftet und bis 18. Mai 1993 festgehalten worden. Von dieser Verhaftung sei auch in landesweit erscheinenden Zeitungen berichtet worden. Ab diesem Zeitpunkt sei er als fanatischer Oppositioneller bekannt gewesen.

Am 12. Juni 1993 sei Abiola als Sieger der Präsidentenwahlen hervorgegangen. Die Wahl sei jedoch von der Militärregierung nicht anerkannt worden. Aus diesem Grund sei eine Solidaritätsgruppe für Abiola mit dem Namen "A.S.G." ins Leben gerufen worden. Dabei handle es sich um eine registrierte Partei. Der Beschwerdeführer habe in dieser Partei die Stellung eines Koordinators inne gehabt. Als solcher gehöre er im örtlichen Bereich zur Parteispitze, im nationalen Bereich zum Mittelbau. Er habe auf der Straße Flugblätter verteilt und Demonstrationen geplant. Derartige Demonstrationen müßten in Nigeria nicht angemeldet werden. Am 23. Juni 1993 habe eine friedliche Demonstration in den Straßen von Lagos stattgefunden. Die Militärregierung habe versucht, die Teilnehmer nach Hause zu schicken. Als dies nichts gefruchtet habe, habe die Regierung Gruppen von bewaffneten "Hooligans" geschickt. Bei den Kämpfen mit diesen seien 23 Menschen ums Leben gekommen. Der Beschwerdeführer selbst habe auf der Straße einen Stock gefunden, mit welchem er sich gegen die "Hooligans" zur Wehr gesetzt habe. Er sei nicht verletzt worden. Am nächsten Tag seien sämtliche Mitglieder der "A.S.G." über die Massenmedien aufgefordert worden, sich beim Militärstützpunkt in Lagos zu melden. Der Beschwerdeführer habe dieser Aufforderung zunächst keine Folge geleistet. Als er erfahren habe, daß seine Mutter verhaftet worden sei, habe er sich den Militärbehörden gestellt, um seine Mutter zu retten. Er sei sofort als Verantwortlicher für die Unruhen bei der Demonstration am 23. Juni 1993 beschuldigt worden. Am 28. August 1993 hätte er von einem Tribunal wegen seiner Aktivitäten zur Destabilisierung des Militärregimes verurteilt werden sollen. Wenn man vor dieses Gericht gestellt werde, komme man nicht mehr frei. Die Mindeststrafe betrage 25 Jahre. Am 14. August 1993 sei er jedoch von Beamten in den Transitraum des Flughafens gebracht worden. Es sei ihm ein Flugticket nach Ungarn ausgehändigt worden. Er vermute, daß eine Abmachung zwischen Abiola und der Polizei hinter dieser Befreiung stehe.

In seiner Berufung gegen den seinen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. August 1993 brachte der Beschwerdeführer vor, daß die Niederschrift über seine Angaben im erstinstanzlichen Verfahren einen entscheidenden Fehler aufweise. Die "A.S.G" sei nämlich nicht erst als Reaktion auf die Nichtanerkennung der Wahlen vom 12. Juni 1993 ins Leben gerufen worden, sondern habe bereits seit Dezember 1992 bestanden. Sonst wiederholte er im wesentlichen seine Angaben im erstinstanzlichen Verfahren.

Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid vom 25. November 1994 hat die belangte Behörde in Erledigung dieser Berufung den Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen. Sie führte dazu aus, daß die Ausführung in der Berufung, die "A.S.G." sei bereits im Dezember 1992 gegründet worden, nicht glaubwürdig sei, weil die Erfahrung zeige, daß die ersten Angaben eines Asylwerbers der Wahrheit am nächsten kämen. Dem Beschwerdeführer sei allein deswegen, weil er Mitglied einer Demonstrationsgruppe gewesen sei, Schlägen von von der Miliz gedungenen Hooligans ausgesetzt gewesen sei und vor ein Tribunal hätte gestellt werden sollen, noch keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzubilligen. Seine Angaben darüber, daß die Regierung "Hooligans" beauftragt habe, die Demonstration aufzulösen, erschienen unglaubwürdig, zumal es sich bei "Hooligans" um Personen mit rechtsradikalen Ansichten handle, "welche selbst von der Polizei geahndet werden". Die belangte Behörde gehe davon aus, daß die Demonstration von der Polizei bzw. vom Militär aufgelöst worden sei. Die Polizei schreite bei Auflösung einer Demonstration mit Handgreiflichkeiten nicht gegen die politische Überzeugung der Demonstrierenden ein, sondern um die Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Die Tötung von anderen Demonstrationsteilnehmern habe auf die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers keinen Einfluß. Der Beschwerdeführer gebe selbst an, keine Verletzungen davongetragen zu haben. Entgegen der Aussage des Beschwerdeführers bedürfe die Abhaltung von öffentlichen Versammlungen in Nigeria sehr wohl einer Genehmigung durch die Behörden. Versammlungen, deren politische, ethnische oder religiöse Ausrichtung zu Unruhen führen könnten, seien darüber hinaus verboten.

Die Angaben des Beschwerdeführers, er hätte vor ein Tribunal gestellt werden sollen, was für ihn eine 25-jährige Haftstrafe bedeutet hätte, könnten nicht zur Asylgewährung führen, weil die Strenge und Art der angedrohten Strafe hiefür nicht maßgeblich sei. Der Beschwerdeführer habe sich überdies dieser Bestrafung durch die Setzung eines Delikts, nämlich der Teilnahme an einer behördlich nicht genehmigten Demonstration mit Ausschreitungen, wissentlich ausgesetzt. Staatliche Maßnahmen zur Verhinderung oder Ahndung derartiger Aktionen seien Ausfluß des Rechtes eines jeden Staates und stellten als solche keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar.

Weiters qualifizierte die belangte Behörde die Aussage des Beschwerdeführers über seine Befreiung aus der Haft als nicht glaubwürdig.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Mit dem Berufungsvorbringen, das Protokoll über die Niederschrift im erstinstanzlichen Verfahren sei bezüglich der Frage, wann die "A.S.G." gegründet worden sei, fehlerhaft, macht der Beschwerdeführer jedenfalls keinen relevanten Mangel des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens geltend, weil es für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft nicht entscheidend ist, ob der Beschwerdeführer seine - von der belangten Behörde nicht als unglaubwürdig erachtete - politische Tätigkeit vor den Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni 1993 als Mitglied der "A.S.G." oder als sonstiger Sympathisant des späteren Wahlsiegers entfaltete. Die belangte Behörde hat daher dieses Vorbringen zu Recht nicht zum Anlaß für eine Ergänzung oder Wiederholung des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 genommen. Mangels Relevanz für die Frage der Flüchtlingseigenschaft braucht auch nicht auf die Feststellung der belangten Behörde über den Zeitpunkt der Gründung dieser Partei und das dazu erstattete Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden.

Die Feststellung der belangten Behörde, daß in Nigeria Demonstrationen entgegen dem Beschwerdevorbringen anmeldepflichtig seien, beruht insofern auf einem mangelhaften Verfahren, als nicht ersichtlich ist, auf welche Ermittlungsergebnisse die belangte Behörde diese Feststellung stützt, und dem Beschwerdeführer überdies dazu kein Parteiengehör eingeräumt wurde.

Soweit die belangte Behörde ihre Feststellung, daß die Demonstration vom 23. Juni 1993 nicht, wie der Beschwerdeführer aussagte, von gedungenen "Hooligans" sondern von der Polizei bzw. dem Militär aufgelöst worden sei, darauf stützt, daß es sich bei "Hooligans" um Personen mit rechtsradikalen Ansichten handle, welche selbst von der Polizei verfolgt würden, halten ihre Ausführungen der vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Kontrolle der Beweiswürdigung anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senats vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht stand. Es liegt nämlich keinesfalls außerhalb der Lebenserfahrung, daß ein diktatorisches Regime eine friedliche politische Demonstration nicht durch die Polizei, sondern - um nach außen einen demokratischen Anschein zu wahren - durch gedungene, bewaffnete Banden auflöst, bzw. durch solche einen Aufruhr provoziert, der den Vorwand zur Auflösung bietet.

Darüber hinaus ist der angefochtene Bescheid auch insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, als die drohende Haftstrafe von 25 Jahren wegen der Teilnahme an einer unangemeldeten - wenn auch mit Ausschreitungen verbundenen - politischen Demonstration entgegen der Ansicht der belangten Behörde aufgrund des unangemessen langen Freiheitsentzuges sehr wohl eine asylrelevante Verfolgung darstellt.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995010165.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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