TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/14 W280 2225941-1

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Veröffentlicht am 14.09.2020
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Entscheidungsdatum

14.09.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W280 2225941-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Wolfgang BONT über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX .05.1981, StA. Serbien, vertreten durch RA Mag. Christoff BECK, Wiesingerstraße 8/12, 1010 Wien, als gerichtlicher Erwachsenenvertreter, dieser vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/ 3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .10.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger der Republik Serbien, wurde in Österreich geboren, wo er sich in der Folge aufhielt.

Der BF wurde mehrfach straffällig. Er wurde im Zeitraum von XXXX .12.1998 (Datum der ersten Verurteilung) bis XXXX .03.2019 (Datum der letzten Verurteilung) insgesamt elf Mal rechtskräftig verurteilt, beim letzten Mal zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten. Zuletzt befand sich der BF ab XXXX .03.2019 in Haft, mit dem voraussichtlichen Haftende XXXX .09.2020.

Anlässlich der mündlichen Verhandlung am XXXX .03.2019 vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien, welche der letzten Verurteilung voranging, äußerte der BF den Wunsch, nach Serbien überstellt zu werden. Er wurde gemäß § 76 Abs. 9 ARHG belehrt und angehört. Der BF stimmte dem Strafvollzug durch Serbien zu. Im Strafurteil findet sich an dieser Stelle noch der Vermerk, dass dies dem (damals bereits für den BF bestellten) Erwachsenenvertreter zur Äußerung zugestellt werde.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) leitete gegen den BF ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot ein.

Das BFA forderte den BF im Wege seines Erwachsenenvertreters mit Schreiben vom XXXX .08.2019 auf, sich zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot zu äußern.

Der BF erstattete durch seinen Erwachsenenvertreter mit Schreiben vom XXXX .09.2019 eine entsprechende Stellungnahme.

Die Justizanstalt XXXX , in der sich der BF zuletzt in Haft befand, ersuchte das BFA mit E-Mail vom XXXX .10.2019 um Bekanntgabe, ob gegen den BF aufenthaltsbeendende Maßnahmen gesetzt werden, da der BF Interesse an einem Antrag auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen (Einreiseverbotes oder, Anm.) Aufenthaltsverbotes (§ 133a StVG) zeige. Eine Vorgangsweise nach dieser Bestimmung setze ein rechtskräftiges (Einreiseverbot oder) Aufenthaltsverbot voraus und sollte es einen diesbezüglichen Bescheid geben, so möge dieser übermittelt werden.

Das BFA gab der Justizanstalt XXXX mit Schreiben vom XXXX .10.2019 bekannt, dass beabsichtigt sei, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot zu erlassen.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom XXXX .10.2019, dem Erwachsenenvertreter des BF am XXXX .10.2019 zugestellt, wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 „Ziffer 0“ FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 10 „Jahr/en“ befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

Mit Schreiben seiner Rechtsvertretung (ARGE Rechtsberatung) vom XXXX .11.2019 erhob der BF fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang gegen diesen Bescheid. Darin wurde nach Darlegung der Beschwerdegründe beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, weiters, festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, das Einreiseverbot aufzuheben bzw. den angefochtenen Bescheid zu beheben und an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Beigelegt wurde eine der ARGE Rechtsberatung am 29.10.2019 erteilte Vollmacht, unterfertigt vom Erwachsenenvertreter des BF.

Am XXXX .11.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein. Mit der Beschwerdevorlage wurde vom BFA beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Mit Teilerkenntnis des BVwG vom 03.12.2019, Zl. G302 2225941-1/2Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am XXXX .06.2020 stellte das BVwG ein Anfrageersuchen an die Staatendokumentation des BFA betreffend Erwachsenenvertretung und Behandlung psychiatrischer Erkrankungen in Serbien. Mit Schreiben vom XXXX .07.2020 übermittelte das BFA zwei Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom XXXX .07.2020 betreffend Gerichtlicher Erwachsenenvertreter/Sachwalter sowie Psychiatrische Erkrankungen, Polytoxikomanie in Serbien.

Mit Schreiben vom XXXX .07.2020 erstattete der Erwachsenenvertreter des BF eine kurze Stellungnahme.

Am XXXX .07.2020 wurde vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Das Länderinformationsblatt zu Serbien vom 17.10.2019 wurde mit der Ladung übermittelt. Da sich der BF noch in Haft befand, wurde die Verhandlung gemäß § 3 Abs. 2 COVID 19 – Begleitgesetz 2020 iVm § 25 Abs. 6b VwGVG unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung durchgeführt (Videokonferenz). Der Erwachsenenvertreter des BF sowie das BFA sind entschuldigt nicht erschienen. Die Rechtsvertretung des BF (ARGE Rechtsberatung) war beim BF in der Justizanstalt anwesend. Es wurde eine Frist von drei Wochen zur Durchsicht des Verhandlungsprotokolls sowie zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zu den beiden Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation gewährt.

Mit Schreiben vom XXXX .07.2020 erstattete der BF durch seine Rechtsvertretung eine Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF wurde am XXXX .05.1981 in XXXX , Österreich geboren und lebt seitdem in Österreich. Er ist Staatsangehöriger der Republik Serbien. Seine Identität steht fest.

Der BF verfügt über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, der ihm zuletzt im Jahr 20 XXXX ausgestellt wurde.

Der BF spricht sowohl Deutsch als auch Serbisch auf muttersprachlichem Niveau. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF wuchs in schwierigen Verhältnissen auf, seine Mutter war Alkoholikerin und dem BF gegenüber gewalttätig. Die Mutter des BF ist bereits verstorben. In Wien leben der Vater des BF, seine Tante, sein Onkel und seine Cousine. Der BF besucht seinen Vater regelmäßig.

Der BF besuchte in Wien jeweils vier Jahre eine Volksschule und eine Hauptschule, sowie einen Polytechnischen Lehrgang. Er hat eine Lehre als Kellner begonnen, diese jedoch nicht abgeschlossen.

Der BF leidet an einer psychiatrischen Erkrankung im Sinne einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, einer ausgeprägten Persönlichkeitsstörung sowie einer Polytoxikomanie. Er ist seit seiner Jugend suchtkrank. Der BF zeigt sich hinsichtlich des Bestehens einer Suchtmittelgewöhnung sowie deren Rolle bei seinen Straftaten einsichtig. Er befindet sich derzeit in einem Methadonprogramm und nimmt auch starke Medikamente. Der BF wird sozialarbeiterisch betreut und besucht regelmäßig den Psychosozialen Dienst. Er möchte nach der Haftentlassung eine Drogentherapie machen und aufhören, Drogen zu nehmen.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .10.2016, XXXX , wurde Rechtsanwalt Mag. Christoff BECK zum Sachwalter, nunmehr gerichtlicher Erwachsenenvertreter, für den BF bestellt, da der zuvor bestellte Sachwalter verstorben war. Der Erwachsenenvertreter besorgt für den BF folgende Angelegenheiten: Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern; Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten; Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen. Der BF hat zu seinem Erwachsenenvertreter ein gutes Verhältnis.

Der BF war beruflich für einige Monate als Reinigungskraft (Hilfsarbeiter) tätig. Ansonsten bezog er Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Krankengeld und bedarfsorientierte Mindestsicherung. Vor seiner letzten Haft bezog der BF bedarfsorientierte Mindestsicherung. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Mindestsicherung liegen nach der Haftentlassung vor, der BF möchte auch nach Möglichkeit einer Arbeit nachgehen. Er wollte auch in der Haft arbeiten, wurde jedoch aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht aufgenommen. Für die Zeit nach seiner Haft wurde dem BF durch den Verein Neustart eine betreute Wohnmöglichkeit in Aussicht gestellt.

Der BF hat keine Verwandten oder Bekannten mehr in Serbien und hat zu Serbien keinen Bezug. Er hat immer in Österreich gelebt und hat sich lediglich im Alter von 6 Jahren sowie noch einmal im Alter von 18 Jahren (für die Dauer eines zweimonatigen Urlaubes) in Serbien aufgehalten. Sein Lebensmittelpunkt sowie sein Verwandten- und Bekanntenkreis befinden sich ausschließlich in Österreich, ebenso wie sein Betreuungsnetzwerk, auf das er angewiesen ist.

Der BF wurde in Österreich elf Mal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt.

1) Mit Urteil des XXXX vom XXXX .12.1998, XXXX , wurde der BF wegen § 27 Abs. 1 und 2/2 SMG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt, die unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (Jugendstraftat).

2) Mit Urteil des XXXX vom XXXX .07.1999, XXXX wurde der BF wegen §§ 142 Abs. 1, 143, §§ 127, 129 Abs. 1, 130, 15 § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten sowie zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt, wobei letztere unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (Jugendstraftat). Die bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe zum unter 1) genannten Urteil wurde widerrufen. Der BF wurde in der Folge aus der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen.

3) Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .01.2001, XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF in Wien mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anderen fremde bewegliche Sachen jeweils unter Verwendung einer Waffe, nämlich einer Injektionsnadel, mit dem Vorsatz abgenötigt hat, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar erstens am 31.05.2000 eine näher genannte Person durch Anhalten einer Spritze beim Hals unter Aufforderung, ihm sein Handy und sein Geld zu geben, widrigenfalls er ihn mit der aidsinfizierten Spritze stechen würde, zur Ausfolgung von einem Handy und S 600,-- Bargeld; zweitens am XXXX .05.2000 eine näher genannte Person durch die Aufforderung, ihm alle Wertsachen zu geben, da die Spritze mit Aids versucht sei, zur Ausfolgung von einem goldenen Siegelring, einem goldenen Armband und einen Handy sowie Bargeld von S 70,--; und drittens am XXXX .06.2000 eine näher genannte Person durch die Aufforderung, ihm sofort sein Geld zu geben und Androhung eines Stiches mit einer gezückten Injektionsnadel zur Ausfolgung von S 400,-- Bargeld. Bei der Strafbemessung wurden eine gewisse geistige Abartigkeit des BF gepaart mit seiner Suchtgiftabhängigkeit, sein Alter unter 21 Jahren, sowie die teilweise Sicherstellung der Beute als mildernd gewertet. Als erschwerend wurden hingegen die Tatwiederholung, das einschlägig belastete Vorleben und der rasche Rückfall gewertet. Die unter 2) genannte bedingte Entlassung aus der mit dem unter 1) genannten Urteil verhängten Freiheitsstrafe wurde widerrufen, ebenso wurde die mit dem unter 2) genannten Urteil ausgesprochene bedingte Nachsicht des Strafteiles von 16 Monaten widerrufen.

4) Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .04.2008, XXXX , wurde der BF wegen § 27 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt, die unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

5) Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .10.2009, XXXX , wurde der BF wegen § 27 Abs. 1/1 SMG, §§ 15, 127 StGB, § 27/2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Die mit dem unter 4) genannten Urteil ausgesprochene bedingte Nachsicht der Strafe wurde widerrufen.

6) Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .11.2009, XXXX , wurde der BF wegen § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall SMG, § 15 StGB, § 297 Abs. 1 § 15, 127 StGB, § 27 Abs. 3 SMG, § 15 StGB, § 107 Abs. 1, § 15 105 Abs. 1, § 270/1 StGB, § 27 Abs. 5 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt (Zusatzstrafe unter Bedachtnahme auf das unter 5) genannte Urteil).

7) Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .11.2010, XXXX , wurde der BF wegen § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

8) Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .06.2013, XXXX wurde der BF wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt, die unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

9) Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .03.2014 XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB sowie wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Dem Strafurteil ist zu entnehmen, dass der BF in Wien zum einen am XXXX .12.2012 eine näher genannte Person mit dem Tod gefährlich bedroht hat, indem er zu ihm sinngemäß äußerte: „Wenn du goschert bist, schlitz ich dich auf, gegen mein Messer hast du keine Chance!“, wobei er ein Messer aus seiner Jackentasche zog, und zum anderen am XXXX .12.2013 Verfügungsberechtigten der Firma XXXX eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht hat, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar ein Parfum im Wert von EUR 19,90,--, indem er dieses in seine Jackentasche versteckte und das Geschäft ohne Bezahlung verlassen wollte, wobei es beim Versuch blieb, weil ein Ladendetektiv die Tat beobachtete und ihn anhielt. Als mildernd wurden das teilweise Geständnis und der beeinträchtigte psychische Zustand des BF gewertet, als erschwerend sieben einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen von zwei Vergehen und die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit. Vom Widerruf der mit dem unter 8) genannten Urteil ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

10) Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .04.2018, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a zweiter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Der BF hat am XXXX .03.2018 in Wien, in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen und nachdem er zwei weitere solche Taten schon im Einzelnen plante, sohin gewerbsmäßig, vorschriftswidrig auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, nämlich auf der Straße in XXXX , vor einem Haus, öffentlich, nämlich für mindestens zehn Personen unmittelbar wahrnehmbar, Suchtgift, nämlich Cannabiskraut mit zumindest durchschnittlichem Reinsubstanzgehalt in Straßenqualität, anderen gegen Entgelt, und zwar durch gewinnbringenden Verkauf im Straßenhandel, einerseits überlassen, indem er einem verdeckten Ermittler drei Gramm brutto zu einem Kaufpreis in der Höhe von € 30,-- übergab; andererseits zu überlassen versucht (§ 15 StGB), indem er 9,7 Gramm brutto zum sofortigen Gebrauch an Abnehmer bereit hielt; wobei er selbst an ein Suchtmittel gewöhnt war und die Straftaten vorwiegend beging, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel zu verschaffen. Als mildernd wurden gewertet das teilweise Geständnis, die Sicherstellung des Suchtgiftes sowie dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, als erschwerend die einschlägigen Vorstrafen.

11) Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .03.2019, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 15 StGB, 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 2a, Abs. 3 SMG sowie wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Marihuana, einerseits am XXXX .03.2019 gewerbsmäßig eine Menge von bis zu 9,2 g auf einer öffentlichen Verkehrsfläche in XXXX im unmittelbaren Nahebereich von 20 Personen, sohin öffentlich gegen Entgelt, an einen verdeckten Ermittler zu überlassen versucht hat, und andererseits Marihuana seit XXXX .01.2019 zum Eigenkonsum erworben und besessen hat. Mildernd wurden das reumütige Geständnis und der teilweise Versuch gewertet, erschwerend die Vorstrafen, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 StGB, der rasche Rückfall und das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen.

Der BF befand sich bereits mehrfach in Haft, zuletzt ab XXXX .03.2019, zunächst in der Justizanstalt XXXX und ab XXXX .07.2019 in der Justizanstalt XXXX , mit dem voraussichtlichen Haftende XXXX .09.2020. Der BF bereut seine Straftaten.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid, in die Beschwerde und in die vorgelegten Unterlagen. Ergänzend wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister und der Grundversorgung zum vorliegenden Akt eingeholt.

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Identität und Staatsangehörigkeit des BF ergeben sich aus den im Verfahren von ihm vorgelegten Dokumenten und aus dem Akteninhalt. Sein Geburtsdatum und -ort ergeben sich insbesondere aus einem im Akt befindlichen Auszug aus dem Geburtenbuch der Republik Serbien. Der durchgehende Aufenthalt des BF in Österreich, unterbrochen lediglich durch zwei kurze Besuche in Serbien, ergibt sich aus seinen Angaben, u.a. in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Dass der BF über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister.

Die Sprachkenntnisse des BF sowie sein Familienstand ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren. Der erkennende Richter konnte sich insbesondere in der mündlichen Verhandlung von den sehr guten Deutschkenntnissen des BF überzeugen. Es war zwar ein Dolmetscher für die Sprache Serbisch anwesend, die Verhandlung konnte mit dem BF jedoch problemlos auf Deutsch geführt werden und dieser hat alle an ihn gestellten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet.

Dass die Mutter des BF Alkoholikerin war und ihm gegenüber Gewalt ausgeübt hat, hat der BF in der mündlichen Verhandlung angegeben, ebenso, dass seine Mutter bereits verstorben ist. Auch hat er dort ausgeführt, dass seine Verwandten in Wien leben und dass er seinen Vater regelmäßig besucht.

Die Feststellungen zur Schulbildung des BF und zu seiner begonnenen Kellnerlehre ergeben sich ebenfalls aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung. In der Stellungnahme des Erwachsenenvertreters des BF vom XXXX .09.2019 sowie im angefochtenen Bescheid findet sich zwar die Angabe, dass der BF nach der Volks- und Hauptschule eine Sonderschule besucht hat. Plausibler ist jedoch die Angabe des Besuches eines Polytechnikums, zumal der BF danach eine Lehre begonnen hat.

Die Angaben zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich insbesondere aus einem psychiatrisch-neurologischen Sachverständigengutachten vom XXXX .02.2009, das vom Bezirksgericht Leopoldstadt im Rahmen eines Pflegschaftsverfahrens eingeholt wurde. In diesem Gutachten findet sich auch die Angabe, dass für den BF anamnestisch ein Drogenabusus seit frühester Jugend bekannt ist. Dass sich der BF in einem Substitutionsprogramm befindet und starke Medikamente nimmt, hat er in der Verhandlung angegeben. In der Verhandlung wurde auch deutlich, dass sich der BF seiner Suchtproblematik durchaus bewusst ist und dass er seine Straffälligkeit auf seinen Drogenkonsum zurückführt. Die Betreuung des BF durch Sozialarbeiter und der Besuch des Psychosozialen Dienstes ergibt sich aus der Stellungnahme vom XXXX .09.2019. Dass der BF eine Drogentherapie machen möchte, um von den Drogen loszukommen, hat er mehrfach angegeben, zuletzt wurde in der Stellungnahme vom XXXX .07.2020 ausgeführt, dass es ein großer Wunsch des BF sei, eine Drogentherapie durchzuführen.

Die Feststellungen zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für den BF sowie die von diesem zu besorgenden Angelegenheiten ergeben sich aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom XXXX .10.2016, Zl. XXXX . Dass der BF zu seinem Erwachsenenvertreter ein gutes Verhältnis hat, zeigte sich in der mündlichen Verhandlung, wo der BF angab, der Vertreter sei für ihn wie sein Vater.

Die Berufstätigkeit des BF als Reinigungskraft ergibt sich aus seinen Angaben in der Verhandlung. Der Bezug von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Krankengeld und bedarfsorientierter Mindestsicherung ergibt sich aus einem vom BFA eingeholten Versicherungsdatenauszug. Der Bezug von Mindestsicherung vor der letzten Haft ergibt sich aus einem Bescheid betreffend die Zuerkennung der Mindestsicherung vom XXXX .02.2019, der vom Erwachsenenvertreter vorgelegt wurde. Dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Mindestsicherung nach der Haftentlassung vorliegen, ergibt sich aus der Stellungnahme vom XXXX .09.2019. Der Wunsch des BF, eine Arbeit anzunehmen, sowie sein Bestreben, in der Haft zu arbeiten, und die Aussicht auf eine betreute Wohnmöglichkeit ergeben sich aus seinen Angaben in der Verhandlung.

Dass der BF keine Verwandten oder sonstigen sozialen Kontakte mehr in Serbien hat sowie sein fehlender Bezug zu Serbien ergeben sich aus seinen Angaben während des Verfahrens, u.a. in den Stellungnahmen und in der mündlichen Verhandlung. Es gibt keine Hinweise dafür, dass er sich je für einen längeren Zeitraum in Serbien aufgehalten hat oder in Kontakt zu jemandem steht, der dort lebt. Der BF konnte angesichts seines Aufenthaltes in Österreich seit seiner Geburt glaubhaft machen, dass er hier seinen Lebensmittelpunkt und seine familiären und privaten Beziehungen hat und dass er keine Verbindung mehr zu Serbien hat. Ebenso konnte er nachvollziehbar darlegen, dass er auf sein hier befindliches Betreuungsnetzwerk angewiesen ist.

Die Feststellungen zu den rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen des BF basieren auf einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie auf den im Akt einliegenden jeweiligen Strafurteilen. Aus einer Gesamtschau des Strafregisterauszuges wird ersichtlich, dass die schweren Straftaten bzw. Verbrechen des BF bereits lange zurückliegen. Der weit überwiegende Anteil der Verurteilungen aus den letzten Jahren, insbesondere seit dem Jahr 2010, resultiert – abgesehen von versuchtem Diebstahl und gefährlicher Drohung – aus Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz, dabei ausschließlich nach § 27 SMG. Teilweise handelte es sich dabei auch um Beschaffungskriminalität.

Der bereits mehrmalige Aufenthalt des BF in Haft ergibt sich u.a. aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister. Die Daten seines letzten Haftaufenthaltes und insbesondere auch das voraussichtliche Haftende ergeben sich aus einer Haftbestätigung der Justizanstalt XXXX vom XXXX .07.2019. Dass der BF seine Straftaten bereut, hat er in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung glaubhaft angegeben.

Anzumerken ist im vorliegenden Fall, dass das gegenständliche Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung vom BFA augenscheinlich deshalb eingeleitet wurde, da der BF im Zuge des letzten Strafverfahrens den Wunsch äußerte, nach Serbien überstellt zu werden. Zudem zeigte der BF während seines letzten Haftaufenthaltes Interesse an einem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug wegen Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes nach § 133a Strafvollzugsgesetz (StVG). Dazu hat der Erwachsenenvertreter des BF in einer Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht vom XXXX .07.2020 ausgeführt, dass der BF seiner Ansicht nach krankheitsbedingt nicht in der Lage sei, die rechtlichen Konsequenzen eines Ansuchens nach § 133a StVG zu verstehen. Weiters habe der Erwachsenenvertreter die Genehmigung für ein solches Ansuchen des BF nicht erteilt und dieses Ansuchen entspreche nicht dem Wohl des BF. Dem BF habe zum Zeitpunkt dieses Ansuchens die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit gefehlt. Diese Ausführungen erachtet das Bundesverwaltungsgericht angesichts des diagnostizierten Krankheitsbildes des BF als nachvollziehbar und es ist davon auszugehen, dass der BF die Tragweite des § 133a StVG nicht erfassen konnte und dass ihm nicht klar war, dass diese Bestimmung ein bestehendes Einreiseverbot voraussetzt bzw. ein Vorgehen nach dieser Bestimmung mit einer Ausreise in seinen Herkunftsstaat einhergeht. Auch in der gegenständlichen Beschwerde wird ausgeführt, dass dem BF offensichtlich nicht bewusst gewesen sei, dass § 133a StVG eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung voraussetze und der BF damit das Land verlassen müsse. Der BF habe beim Rechtsberatungsgespräch ausdrücklich mitgeteilt, dass er nicht nach Serbien ausreisen wolle, da er dort über keinerlei Anknüpfungspunkte verfüge und er aufgrund seiner Erkrankung keine Lebensgrundlage habe. Aus diesen Gründen geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass es nicht dem Wunsch des BF entspricht, nach Serbien auszureisen und dass sein Interesse bezüglich § 133a StVG bei ihm auf falschen Prämissen basiert, weshalb diese Thematik in der vorliegenden Entscheidung außer Betracht bleibt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen, Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2.    Zu A)

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Rückkehrentscheidung):

Der BF ist als Staatsangehöriger von Serbien Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Da er über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, kommt ihm nach § 20 Abs. 3 NAG in Österreich – unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesem Aufenthaltstitel entsprechenden Dokuments – ein unbefristetes Niederlassungsrecht zu. Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist daher am Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG zu prüfen, wobei sich Einschränkungen der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung auch noch aus § 9 BFA-VG ergeben (vgl. VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067).

Gemäß § 52 Abs. 5 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

Gemäß § 52 Abs. 5 FPG setzt eine Rückkehrentscheidung gegen den BF zunächst voraus, dass die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass sein weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Dies ist (soweit hier relevant) gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG dann der Fall, wenn er von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, vgl. § 53 Abs. 3 erster Satz FPG) gerechtfertigt ist. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 21.06.2018, Ra 2016/22/0101).

Der BF weist unbestritten elf strafgerichtliche Verurteilungen im Bundesgebiet auf, zuletzt wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, wodurch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG dem Grunde nach erfüllt sind. Beim vom BF gezeigten Gesamtverhalten handelt es sich jedenfalls um ein die öffentlichen Interessen schwerwiegend gefährdendes Benehmen. Erschwerend kommt hinzu, dass der BF trotz der zahlreichen Vorverurteilungen und Vorhaften erneut straffällig wurde und die Straffälligkeit des BF nicht zuletzt auf dessen Suchmittelkonsum zurückzuführen ist, was an sich eine Rückfallgefährlichkeit zu begründen vermag.

Im vorliegenden Fall muss demgegenüber jedoch auch berücksichtigt werden, dass der BF an einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung leidet. Der BF hat sich hinsichtlich seiner Straftaten reuig gezeigt und ist gewillt, seine Drogenabhängigkeit mit einer Therapie zu bekämpfen. Dies stellt sich jedoch aufgrund seiner psychischen Störung schwieriger dar, als bei ansonsten gesunden Personen.

Abgesehen davon stand die letzte Haftentlassung des BF bei der Verfassung des gegenständlichen Erkenntnisses erst unmittelbar bevor. Für den Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der von ihm ausgehenden, durch die strafgerichtlichen Verurteilungen indizierten Gefährlichkeit bzw. für die Annahme eines Gesinnungswandels bedürfte es aber eines entsprechend langen Zeitraums des Wohlverhaltens in Freiheit (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2017/22/0207). Dieser Zeitraum ist umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden – etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall – manifestiert hat (siehe zuletzt etwa VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0169).

Da der Lebensmittelpunkt des BF seit seiner Geburt in Österreich liegt, greift die Rückkehrentscheidung massiv in sein Privat- und Familienleben ein, sodass ihre Verhältnismäßigkeit unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen ist. Nach § 9 Abs. 1 BFA-VG ist (u.a.) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob sie auf Dauer unzulässig ist, also wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen, unzulässig wäre.

Auf die vorliegende Straffälligkeit des BF wurde oben bereits eingegangen. In die vorzunehmende Interessenabwägung ist aber auch miteinzubeziehen, dass der BF seit seiner Geburt in Österreich niedergelassen ist, sich lange Jahre rechtmäßig hier aufhält und daueraufenthaltsberechtigt ist. Er verfügt über sehr gute Deutschkenntnisse, hat in Österreich seine gesamte Schulzeit absolviert und eine Lehre begonnen. Danach gelang es ihm zwar nicht nachhaltig, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Aufgrund der schwierigen Kindheit des BF, seiner Suchterkrankung und seiner schweren psychischen Erkrankung fällt allerdings die fehlende Integration am Arbeitsmarkt weniger ins Gewicht. Der BF hat sich in der Haft um eine Arbeit bemüht, diese nur aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht erhalten, und ist prinzipiell arbeitswillig. Ihm wurde eine Wohnmöglichkeit nach der Haft in Aussicht gestellt, er hat hier ein Unterstützungsnetzwerk sowie seinen Erwachsenenvertreter und beabsichtigt, eine Drogentherapie zu absolvieren, sodass der BF die Möglichkeit hat, nach seiner Haft wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen.

Der BF hat sein gesamtes Leben in Österreich verbracht. Hier leben seine Familienangehörigen, wobei er zumindest zu seinem Vater eine gute Beziehung pflegt. In Österreich befinden sich auch alle sonstigen privaten Beziehungen des BF. Nach einem solch langen Aufenthaltszeitraum und dem Bestehen des Lebensmittelpunktes in Österreich ist, insbesondere auch aufgrund fehlender Bezugspunkte in Serbien, jedenfalls von einer maßgeblichen Entwurzelung im Herkunftsstaat des BF auszugehen bzw. war der BF nie in Serbien verwurzelt.

Angesichts des vom BF gezeigten Verhaltens sowie seiner wiederholten Anhaltung in Strafhaft haben die Integrationsbemühungen des BF sowie seine familiären und sozialen Bezüge eine gewisse Relativierung, jedoch keinen vollständigen Abbruch erfahren.

Aufgrund des langen rechtmäßigen Aufenthalts des BF in Österreich, wo seine Sozialkontakte bestehen und seine Opiatabhängigkeit behandelt wird, hat er ein erhebliches privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Er ist ausschließlich im Inland aufgewachsen und hier durch seine Deutschkenntnisse auch sprachlich verankert. Die Rückkehrentscheidung greift daher – auch aufgrund der gelockerten Bindung zu seinem Herkunftsstaat, in dem er nie niedergelassen war und wo er keine Bezugspersonen hat – trotz der fehlenden Unbescholtenheit, der Wirkungslosigkeit strafgerichtlicher Sanktionen und der schwerwiegenden Suchtgift- und sonstigen Kriminalität unverhältnismäßig in seine Rechte nach Art. 8 EMRK ein.

Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass der Verhinderung strafbaren Verhaltens, insbesondere im Hinblick auf Gewalt- und Eigentumsdelikte, große Bedeutung zukommt, der BF wiederholt straffällig geworden ist und er der serbischen Sprache nach wie vor mächtig ist. Trotz des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Suchtmittelkriminalität sowie am Schutz der öffentlichen Ordnung ist aber angesichts der familiären, privaten und sozialen Integration des BF während seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn Abstand zu nehmen.

Sein privates Interesse an einem Verbleib überwiegt im gegenständlichen Fall, auch unter Bedachtnahme auf die wiederholten strafgerichtlichen Verurteilungen, gerade noch das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, insbesondere unter Berücksichtigung des bestehenden Privat- und Familienlebens des BF iSd. Art. 8 EMRK in Österreich und der glaubhaften Einsicht und Reue des BF bei glaubwürdig vermitteltem Willen, seine Süchte therapieren zu wollen.

Demzufolge erweist sich der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung als nicht zulässig, weshalb der gegenständlichen Beschwerde stattzugeben war und die Rückkehrentscheidung ersatzlos zu beheben war.

Im Verfahren nach § 52 Abs. 5 FPG haben jedoch die entbehrlichen Aussprüche über die Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu unterbleiben; die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 kommt nicht in Betracht. Erweist sich demnach eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 5 FPG – aus welchem Grund auch immer – als unzulässig, besteht das Aufenthaltsrecht aufgrund des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ weiter. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 kommt aber jedenfalls nicht in Frage und es hat somit auch eine Feststellung nach § 9 Abs. 3 BFA-VG über die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung, die hierfür die Grundlage bilden sollte, zu unterbleiben (vgl. VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067). Die von der Beschwerde im vorliegenden Fall primär angestrebte Feststellung, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, und die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach §§ 55 oder 57 AsylG 2005 ist daher jedenfalls nicht möglich.

In der Folge wird allenfalls die Niederlassungsbehörde zur Prüfung einer allfälligen „Rückstufung“ gemäß § 28 Abs. 1 NAG zu befassen sein, zumal der BF nach Ausstellung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ mehrfach straffällig wurde.

Sollte der BF neuerlich straffällig werden, wird das BFA die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes gegen ihn neuerlich zu prüfen haben.

Zu den Spruchpunkten II. bis V. des angefochtenen Bescheides:

Aufgrund der Aufhebung der von der belangten Behörde ausgesprochenen Rückkehrentscheidung fällt auch die Voraussetzung für einen Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung (§ 52 Abs. 9 FPG), für die Verhängung eines Einreiseverbotes (§ 53 Abs. 1 FPG) und die Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise (§ 55 FPG) weg, weshalb die entsprechenden Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides – im Zuge der Stattgabe der Beschwerde –ebenfalls aufzuheben waren.

Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.12.2019, Zl. G302 2225941-1/2Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG bereits die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

3.3.    Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zwar teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung Daueraufenthalt EU (int. Schutzberechtigte) Diebstahl Drogenabhängigkeit Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung psychische Erkrankung Rückkehrentscheidung behoben Straffälligkeit strafrechtliche Verurteilung Suchtmitteldelikt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W280.2225941.1.00

Im RIS seit

27.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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