Entscheidungsdatum
30.10.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W241 2234747-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Serbien, vertreten durch RA Dr. Alexander PHILIPP, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.08.2020, Zl. 1190163308/190450920, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Im März 2019 führte die Landespolizeidirektion Wien im Auftrag der Magistratsabteilung 35 eine Überprüfung der vom Beschwerdeführer (in der Folge: BF) am 28.04.2018 in Serbien geschlossenen Ehe mit einer bulgarischen Staatsangehörigen durch. Aus dem dem BFA übermittelten Bericht vom 01.04.2019 geht hervor, dass sich der Verdacht der Aufenthaltsehe erhärtet habe.
2. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 28.08.2019 wurde der BF davon in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, gegen ihn ein Aufenthaltsverbot zu erlassen. Eine Überprüfung der persönlichen Verhältnisse sowie der Wohnsitzverhältnisse habe einen begründeten Verdacht des Eingehens einer Aufenthaltsehe ergeben. Dem BF wurde Gelegenheit gegeben, zu diesem Sachverhalt Stellung zu nehmen sowie eine Reihe von Fragen zu seinen persönlichen Verhältnissen zu beantworten.
3. Der BF gab am 05.09.2019 eine schriftliche Stellungnahme ab.
4. Mit Bescheid vom 05.08.2020 wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht mit Schriftsatz vom 24.08.2020 Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.
Zur Anwendung der Vorgängerbestimmung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat – an dessen Stelle als Rechtsmittelinstanz in Asylsachen mit 01.07.2008 der Asylgerichtshof und mit 01.01.2014 das BVwG getreten ist – hat der VwGH mit Erkenntnis vom 21.11.2002, 2002/20/0315, ausgeführt:
„Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im Erkenntnis vom 23.07.1998, 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs. 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f.)“
Mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, hat der VwGH einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss eines VwG aufgehoben, weil das VwG in der Sache selbst hätte entscheiden müssen. In der Begründung dieser Entscheidung führte der VwGH unter anderem aus, dass die Aufhebung eines Bescheides durch ein VwG nicht in Betracht kommt, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen werde insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hätte, damit diese dann durch das VwG vorgenommen werden.
2. Im gegenständlichen Fall griff die belangte Behörde auf den Bericht der Landespolizeidirektion Wien vom 01.04.2019 zurück, ohne eigene Ermittlungen anzustellen oder den BF einzuvernehmen. Die Begründung, weshalb die belangte Behörde vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe ausgeht, erschöpft sich in folgenden beweiswürdigenden Ausführungen (disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung angeführt):
„Bei ihrer Einvernahme kam es zu zahlreichen Differenzen bezüglich ihres gemeinsamen Zusammenwohnens oder auch was am letzten Tag vor der Einvernahme gemeinsam gemacht wurde. Sie machten unterschiedlichen Angaben zum Kennenlernen und seit wann sie zusammenleben. Betreffend den Heiratsantrag ergaben sich zahlreiche Widersprüche. Ihre Gattin hatte einen viel zu großen Ehering, den sie deshalb an einer Kette um den Hals trug, und sie gaben dazu an, dass er schon passen würde. Sie machten unterschiedlichen Angaben bezüglich der Wohnungsgröße. Sie konnten auch nicht angeben, was sie am letzten Tag vor der Einvernahme gemeinsam unternommen haben.“
Die beweiswürdigenden Überlegungen der Behörde beschränkten sich daher darauf, wenige Punkte des Berichts der LPD herauszugreifen, ohne die angeführten Widersprüche jedoch konkret anzuführen. Die Ausführungen der Behörde erfüllt daher die Voraussetzungen einer für den BF nachvollziehbaren, schlüssigen Beweiswürdigung nicht. Hinzu kommt, dass im Verwaltungsakt lediglich der Bericht der LPD aufliegt, der die sich aus den Aussagen des BF und seiner Ehefrau ergebenden Widersprüche aufzeigt. Der Akt enthält jedoch kein Einvernahmeprotokoll, weshalb die Schlussfolgerungen der LPD nicht anhand der konkreten Aussagen des BF und seiner Frau nachvollzogen werden können.
Weiters enthält der Verwaltungsakt auch keine Hinweise auf eine Ermittlungstätigkeit der Behörde. Im angefochtenen Bescheid wurde festgestellt „Laut Ihren Angaben leben Sie bei ihrer Gattin.“, jedoch wurde offenbar kein Auszug des Zentralen Melderegisters angefertigt. In seiner Stellungnahme vom 05.09.2019 brachte der BF vor, erwerbstätig zu sein. Auch diese Angabe wurde nicht durch die Einholung eines Sozialversicherungsdatenauszugs überprüft. Mag die belangte Behörde dem BF auch eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme übermittelt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben, so steht für das Gericht dennoch fest, dass dies lediglich pro forma erfolgt ist und dadurch in keinem Maße der gesetzlich notwendigen und auch gebotenen Ermittlungspflicht entsprochen wurde. Selbst die wenigen Angaben, die der BF in seiner Stellungnahme gemacht hat, wurden von der belangten Behörde nicht zum Anlass genommen, amtswegig Ermittlungen durchzuführen.
Zusammengefasst ist festzustellen, dass das BFA die Sachlage nicht ausreichend erhoben bzw. sich (in der Bescheidbegründung) nur mangelhaft mit den vorliegenden Beweismitteln (dem Bericht der LPD) auseinandergesetzt hat. Hinzu kommt, dass dieses Beweismittel ohne das zugehörige Einvernahmeprotokoll als unvollständig anzusehen ist.
Aus Sicht des BVwG verstößt das Vorgehen der belangten Behörde gegen die aus § 37 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen.
Im gegenständlichen Fall sind der angefochtene Bescheid der belangten Behörde und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der belangten Behörde mit den oben dargestellten schweren Mängeln behaftet. Die Vornahme der angeführten Feststellungen und Erhebungen durch das BVwG selbst verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des VwGH und unter Effizienzgesichtspunkten, zumal diese grundsätzlich vom BFA durchzuführen sind.
Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA die dargestellten Mängel zu verbessern und in Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs dem BF die Ermittlungsergebnisse zur Kenntnis zu bringen haben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Im Übrigen trifft § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eine klare Regelung (im Sinne der Entscheidung des OGH vom 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb auch aus diesem Grund keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Schlagworte
Aufenthaltsehe Aufenthaltsverbot Beweiswürdigung Ermittlungspflicht Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W241.2234747.1.00Im RIS seit
27.01.2021Zuletzt aktualisiert am
27.01.2021