TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/25 96/01/0423

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Veröffentlicht am 25.06.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des M in R, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. November 1995, Zl. 4.345.199/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. November 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines bosnischen Staatsangehörigen, der am 25. September 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 30. September 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. Oktober 1994 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 3. Oktober 1994 angegeben, er sei Staatsangehöriger von "Bosnien" und Moslem. Seine Fluchtgründe führte er folgendermaßen aus:

"Von April 1992 bis Mai 1992 diente ich bei den Streitkräften Bosnien und Herzegowina. Diese Streitkräfte unterscheiden sich von der Territorialverteidigung darin, daß sie nicht für die Verteidigung, sondern für die Angriffsoperationen zuständig sind. Es handelt sich also dabei um reguläre Armeetruppen des Staates. Da diese Angriffe sehr gefährlich waren, ersuchte ich bei dem zuständigen Militärkommando um eine Versetzung zu der Territorialverteidigung. Dies war zu der Zeit möglich und so wurde ich der Territorialverteidigung im Mai 1992 zugeteilt. Dort diente ich bis 18.9.1994. An diesem Tag desertierte ich von der bosnischen Armee. Ich hatte je zwölf Stunden bzw. je 24 Stunden Dienst und danach dieselbe Anzahl von Stunden freigehabt. Heimurlaub erhielt ich jedoch nie. Ich war an der Front bei TESANJ eingesetzt. Die Verpflegung bei der Territorialverteidigung war sehr schlecht. Es gab auch keine Medikamente. Ich wollte schon am Anfang desertieren, hatte aber früher keine Gelegenheit dazu gehabt. Ich wollte außerdem meine Familie in Sicherheit bringen, denn meine Gattin leidet an einer schweren Asthmaerkrankung. Sie benötigte dringend eine echte medizinische Betreuung. Falls ich nach Bosnien zurückkehren würde, hätte ich mit einer Freiheitsstrafe in der Höhe von 10 Jahren zu rechnen, obwohl ich bei der Armee gewöhnlicher Soldat war."

Die Behörde erster Instanz wies den Antrag unter anderem deshalb ab, weil die Desertion des Beschwerdeführers kein Grund für seine Anerkennung als Flüchtling sei, ebensowenig wie die ihm drohende (unter Umständen) auch strenge Bestrafung. Der Beschwerdeführer habe an einem international anerkannten Befreiungskampf - also an einer gerechten Sache - teilgenommen. Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie legte in Anwendung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde, weil im gegenständlichen Fall keine der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 für eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens zuträfe. Die belangte Behörde gelangte zur Ansicht, daß der Beschwerdeführer nicht dargetan habe, daß er in seinem Heimatland aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründe Verfolgung ausgesetzt wäre. Die Verpflichtung zur Militärdienstleistung sei an sich keine Verfolgung, da die Verfolgungsmotivation fehle. Die Sicherstellung der Militärdienstpflicht durch Strafandrohung sei eine auf originärem und souveränem staatlichen Recht beruhende legitime Maßnahme. Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, daß er aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründe mit einer strengeren Bestrafung zu rechnen hätte. Selbst wenn die Desertion auf Gewissensgründe zurückzuführen sein sollte, indem der Beschwerdeführer nicht gegen seine Landsleute habe vorgehen wollen, bedeute dies nicht, daß der Beschwerdeführer aus diesen - nach außen nicht in Erscheinung getretenen - Gründen Verfolgung zu befürchten hätte, da aufgrund des Umstandes, daß dies den Behörden seines Heimatstaates nicht bekannt sei, Repressalien aus diesem Grund nicht denkbar seien. Die Ausführungen betreffend der medizinischen Versorgung der Gattin des Beschwerdeführers enthielten keine Hinweise auf eine konkrete asylrechtlich relevante Verfolgung des Beschwerdeführers. Seinen Ausführungen sei vielmehr zu entnehmen, daß er seine Heimat aufgrund der dort herrschenden Bürgerkriegssituation verlassen habe. Dies indiziere nach der ständigen Judikatur aber auch nach der Auslegung, die die Genfer Flüchtlingskonvention in anderen Staaten und auf internationaler Ebene gefunden habe, für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft. Wesentlich für den Flüchtlingsbegriff sei die Furcht vor einer gegen den Asylwerber selbst konkret gerichteten Verfolgungshandlung, nicht die Tatsache, daß es Kämpfe zwischen der Gruppe, welcher der Asylwerber angehöre, und anderen Gruppen im Heimatstaat gebe. Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder religiösen Minderheit gebe als solche noch keinen Grund für die Gewährung von Asyl.

In der dagegen erhobenen Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, er habe in erster Instanz einen Sachverhalt behauptet, der nicht bloß Unannehmlichkeiten enthalte, denen jedermann bei bürgerkriegsähnlichen Zuständen ausgesetzt sei, sondern habe "eine darüber hinausgehende PERSÖNLICHE Betroffenheit" dargetan, die als Fluchtgrund anzuerkennen wäre. Die Verwaltungsbehörden hätten auch nicht zu erkennen gegeben, ob und inwieweit sie diese Angaben als erwiesen gehalten hätten.

Des weiteren bezweifelt der Beschwerdeführer die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Asylgesetz 1991.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich den vom Beschwerdeführer geäußerten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Asylgesetz 1991 nicht an und verweist hiezu auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. August 1994, B 990/93-13 und Folgezahl.

Der Beschwerdeführer hat weder in der Berufung noch in der Beschwerde Verfahrensmängel, welche bei seiner niederschriftlichen Einvernahme unterlaufen wären, oder andere Gründe des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991, aufgrund welcher die Ergänzung oder Wiederholung des Vermittlungsverfahrens erster Instanz anzuordnen gewesen wäre, behauptet. Die Rechtsansicht der belangten Behörde, sie habe in Anwendung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Aus dem angefochtenen Bescheid ist klar zu erkennen, daß sich die belangte Behörde auf die vom Beschwerdeführer anläßlich seiner erstinstanzlichen Vernehmung getätigten Aussagen stützt, welche sie als glaubwürdig ihrer rechtlichen Beurteilung zugrundelegte, weshalb die diesbezügliche Rüge des Beschwerdeführers ins Leere geht.

Die von der belangten Behörde vertretene Auffassung, daß die Einberufung zu einer Militärdienstleistung im allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung darstelle, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes stellt in der Regel keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar, da die Militärdienstpflicht alle in einem entsprechenden Alter befindlichen männlichen Staatsbürger in gleicher Weise trifft. Eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung wird in diesem Sinne grundsätzlich nicht als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention angesehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Auffassung auch in Fällen vertreten, in denen in den betreffenden Heimatstaaten Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden haben. Die Flucht wegen Einberufung zum Militärdienst bzw. Desertion könnte nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen die Behandlung während der Militärdienstleistung nachteiliger bzw. eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen gewesen wäre (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377 = Slg. Nr. 14.089/A). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist in seinem Vorbringen in erster Instanz keiner der obgenannten Umstände enthalten.

Insoferne sich der Beschwerdeführer auf die in der Berufung geäußerte Rechtsansicht beruft, "gemäß des Abkommens von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Punkt 171" sei er deshalb als Flüchtling anzuerkennen, weil die Art der militärischen Aktion, mit der er sich nicht identifizieren wolle, von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend verurteilt werde, übersieht er jedenfalls, daß er nach seiner eigenen Behauptung nicht einer Einheit angehörte, welche einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führte, sondern der Territorialverteidigung des anerkannten Völkerrechtssubjektes Bosnien-Herzegowina, welches sich gegen Angriffe bzw. gegen die Abspaltung samt Eroberung moslemischen Gebietes durch serbisch dominierte Truppen zur Wehr setzte.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Damit erübrigt sich eine Befassung mit der darüber hinausgehenden Begründung des angefochtenen Bescheides zum Vorliegen des Ausschließungsgrundes gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 sowie mit dem hiegegen erstatteten Beschwerdevorbringen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996010423.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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