TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/9 W280 2227285-1

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Veröffentlicht am 09.11.2020
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Entscheidungsdatum

09.11.2020

Norm

AsylG 2005 §55
AVG §69 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W280 2227285/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Wolfgang BONT über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX .10.199 XXXX , StA. Serbien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3, 1170 Wien gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .12.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der am XXXX .10.199 XXXX geborene Beschwerdeführer (BF), ein serbischer Staatsangehöriger wurde am XXXX .06.201 XXXX von der Landespolizeidirektion Wien zur Anzeige gebracht, da dieser sich mit einer gefälschten kroatischen Identitätskarte beim zuständigen Magistratischen Bezirksamt behördlich anmelden wollte.

Nach Einleitung eines Verfahrens hinsichtlich der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme wurde der BF folglich im Rahmen des Parteiengehörs am XXXX .07.21 XXXX niederschriftlich einvernommen. Am gleichen Tag erließ das Bundesamt einen Bescheid, mit welchem dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt wurde und gegen ihn gem. § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 1 Zif 1 FPG erlassen wurde (Spruchpunkt I.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt II). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 4 FPG nicht gewährt (Spruchpunkt III.) sowie einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Zif. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

Am XXXX .01.201 XXXX stellte der BF einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG).

In der Folge wurde dem BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG erteilt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA oder belangte Behörde) vom XXXX .12.201 XXXX wurde das zu IFA Zahl XXXX geführte Verfahren zur Erlangung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK hinsichtlich der mit XXXX 02.201 XXXX entschiedenen Zuerkennung der Aufenthaltsberechtigung plus gemäß § 69 Abs. 1 Zif 1 AVG als in I. Instanz anhängiges Verfahren wieder aufgenommen. (Spruchpunkt I.).

Begründend wurde seitens der belangten Behörde ausgeführt, dass aus Sicht der Behörde erweisen sei, dass ein Mitarbeiter die Aktenzuteilung im Kanzleiorganisationsprinzip durch die Kanzlei der Regionaldirektion Wien umgangen habe. Der gegenständliche Akt sei bereits in einem früheren Verfahren (nämlich jenem betreffend die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) von einem anderen Mitarbeiterteam bearbeitet worden, als jenem, dem der Mitarbeiter angehört, der dem BF den gegenständlichen Aufenthaltstitel zugesprochen habe. Dieser habe das Verfahren unter Umgehung und Vereitelung aller vorgesehenen Kontrollmechanismen vorschriftswidrig zwei Wochen vor Stellung des Antrages des oa. Erstantrages an sich gezogen.

Weitere – nicht erklärbare – Aspekte, die jeder üblichen behördlichen Handlungsweise widersprechen würden, beträfen das Einlangen des Antrages des BF direkt beim Mitarbeiter anstatt wie üblich im Parteienverkehr, die Aushändigung einer Ladung für denselben Tag sowie die finale Dokumentation der Ausfolgung des Titels erst im darauffolgenden Kalendermonat. Zwar sei die Entscheidung dem zuständigen Teamleiter zur Kontrolle vorgelegt worden, doch habe sich dieser auf die Einschätzung und die Ausführungen des zeichnenden Mitarbeiters verlassen.

Der Mitarbeiter habe sohin alle Kontrollmechanismen in Kenntnis der Vorschriften gezielt umgangen. Eine Prüfung habe nunmehr ergeben, dass nach den vom BF vorgelegten Unterlagen die Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltsberechtigung plus nicht gegeben waren.

Das strafgerichtliche Ermittlungsverfahren gegen den Mitarbeiter sei noch nicht abgeschlossen. Weitere Aspekte, wie zum Beispiel eine mögliche Geldleistung oder sonstige Vorteile durch ein pflichtwidriges Amtsgeschäft bedürften noch einer gerichtlichen Klärung.

Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die vom BF erhobene Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Zusammenfassend wird ausgeführt, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht ausführe gegen welche konkreten Vorschriften der den Antrag des BF bearbeitende Mitarbeiter verstoßen habe. Eine Überprüfung der tatsächlichen Vorschriftswidrigkeit sei sohin nicht möglich.

Wenn das BFA eine unübliche Vorgangsweise moniere so impliziere bereits die Wortwahl, dass das Vorgehen nicht vorschriftwidrig gewesen sei. Auch lasse der Bescheid Hinweise vermissen, welche Kontrollmechanismen der bearbeitende Referent umgangen habe zumal dieser seine Entscheidung dem Teamleiter zur Kontrolle vorgelegt habe.

Bei der von der Behörde vorgenommenen Prüfung der Vorfrage des Amtsmissbrauchs habe diese nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale des Tatbestands geprüft. Es sei auch nicht ersichtlich, weswegen die Erteilung des Aufenthaltstitels eine objektiv unvertretbare Handlung darstelle, zumal die Ehefrau des BF in Österreich lebe. Hinsichtlich der Schädigungsabsicht gegenüber einem Dritten sei es ferner notwendig, dass ein vorsätzliches Handeln vorliege. Der Mitarbeiter hätte es sohin ernstlich für möglich halten müssen, dass seine Entscheidung dem materiellen Recht widerspreche, sich damit abgefunden hätte und nicht bloß fahrlässig gehandelt hätte.

Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahren lägen sohin nicht vor. Es werde daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und – allenfalls nach Verfahrensergänzung - die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides beantragt, in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom BFA am XXXX .01.2020, eingelangt am XXXX .01.2020, vorgelegt und beantragt die Beschwerde – allenfalls mit Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzuweisen.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsauschusses des BVwG vom 4.03.2020 wurde die gegenständliche Beschwerdesache einer anderen Gerichtsabteilung zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der am XXXX .10.199 XXXX geborene BF ist Staatsangehöriger von Serbien und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Zif 10 FPG. Er ist im Besitz eines am XXXX .10.201 XXXX ausgestellten und bis XXXX .10.202 XXXX gültigen serbischen Reisepasses. Seine Identität steht fest.

Festgestellt wird, dass der BF am XXXX .01.201 XXXX einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründe des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG stellte, der ihm am XXXX .02.201 XXXX durch Ausfolgung zuerkannt wurde.

Gegen die Zuerkennung ist ein Rechtsmittel nicht mehr zulässig.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom XXXX .12.201 XXXX wurde das am XXXX .02.201 XXXX abgeschlossene Verfahren wiederum aufgenommen.

Der den Antrag des BF bearbeitende Mitarbeiter der belangten Behörde hat bei der Zuteilung des Antrags des BF interne vorgesehene Organisations- und Verteilungsprinzip der Kanzlei der Regionaldirektion Wien umgangen, indem dieser das Antragsverfahren entgegen den internen Vorschriften an sich gezogen hat.

Die Entscheidung wurde seitens des Mitarbeiters der Behörde dem zuständigen Teamleiter zur Kontrolle vorgelegt. Dieser hat sich auf die Einschätzung und die Ausführungen des zeichnenden Mitarbeiters verlassen ohne näher auf den Fall einzugehen.

Ein von der zuständigen Staatsanwaltschaft zu XXXX geführtes Ermittlungsverfahren hinsichtlich des Vorliegens einer strafbaren Handlung wurde eingestellt.

2. Beweiswürdigung:

Der angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA.

Die Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde sowie dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG), welches ergänzend Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister und der Grundversorgung abgefragt sowie Akten- und Ermittlungsergebnisse der belangten Behörde, die zur Erlassung des angefochtenen Bescheides geführt haben, eingefordert hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen, Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gemäß § 69 Abs. 1 Zif 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist.

Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Zif 1 stattfinden.

Im gegenständlichen Verfahren stützte die belangte Behörde die amtswegige Wiederaufnahme auf § 69 Abs. 1 Zif 1 AVG, da nach Ansicht der belangten Behörde die Bescheide über die Erteilungen der Aufenthaltsberechtigungen plus durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt worden seien.

Der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Zif 1 AVG ist, soweit der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt wurde, unabhängig davon erfüllt, ob die eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigende gerichtlich strafbare Handlung von der dadurch begünstigten Partei gesetzt oder veranlasst wurde, oder ob sie zumindest davon Kenntnis hatte.

Es kommt nicht darauf an, ob und gegebenenfalls welche Rolle die begünstigte Partei bei der strafbaren Handlung gespielt hat (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7 (1999), Rz 585).

Wesentlich ist lediglich, dass der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt wurde, wobei die „gerichtlich strafbare Handlung“ auch nicht durch gerichtliches Urteil festgestellt worden sein muss; die Frage, ob eine "gerichtlich strafbare Handlung" vorliegt, ist von der zur Wiederaufnahme des Verfahrens berufenen Behörde, allenfalls als Vorfrage, zu beurteilen (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), 1488 f).

Für einen Beschwerdefall bedeutet daher weder ein Freispruch noch das Fehlen eines Urteils, dass die sinngemäße Anwendung des § 69 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 3 AVG ausgeschlossen wäre (VwGH 18.02.2002, 99/10/0238).

Mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die zuständige die Staatsanwaltschaft ist dokumentiert, dass kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung des dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK besteht und ein strafbares Verhalten nicht mit an der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachweisbar ist.

Freisprüche der Strafgerichte entfalten zwar keine Bindungswirkung dahingehend, dass die Tat nicht als erwiesen angenommen werden darf (VwGH 03.09.2003, 2000/03/0369; zur Einstellung durch den Staatsanwalt nach § 90 Abs. 1 StPO vgl. VwGH 24.01.2000, 99/17/0175; VwGH 19.07.2001, 99/20/0418), sind aber bei der Entscheidung des BVwG entsprechend zu würdigen.

Im gegenständlichen Fall führte die belangte Behörde zur amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens lediglich aus, dass gegen den Sachbearbeiter, der am XXXX .02.201 XXXX über Zuerkennung und konstitutive Aushändigung der Aufenthaltsberechtigung plus an den BF entschieden habe, ein strafgerichtliches Ermittlungsverfahren laufe. Die Behörde gelte es als erwiesen, dass eine strafbare Handlung stattgefunden habe. Der Beamte habe durch die pflichtwidrige Vornahme der Amtsgeschäfte seine Amtsgewalt wissentlich zum Schaden der öffentlichen Interessen missbraucht und in objektiver und subjektiver Hinsicht eine strafbare Handlung begangen.

Hinsichtlich der Beteiligung des BF an dieser gerichtlich strafbaren Handlungen sei das Ermittlungsverfahren durch die Ermittlungsbehörden und des Gerichtes abzuwarten.

Damit übersieht die Behörde, dass die allgemeinen Ausführungen in den Bescheiden kein strafrechtlich relevantes Verhalten im Sinne des StGB aufzeigen, sondern lediglich disziplinäre Verfehlungen umschreiben und aus den angeführten Verletzungen interner Organisationsvorschriften keine Verhaltensweisen hervorgehen, die als Beweis für einen Missbrauch der Amtsgewalt des erwähnten Mitarbeiters herangezogen werden können.

Die im Einzelfall als erwiesen angenommene Tat muss so eindeutig umschrieben und bezeichnet sein, dass kein Zweifel darüber bestehen kann, wofür der Beschuldigte zu bestrafen ist (VwGH 25.6.1998, 96/15/0167).

Die belangte Behörde hat bei ihren rechtlichen Erwägungen keinen genauen Straftatbestand anführt, sondern nur allgemein auf die Annahme einer gerichtlich strafbaren Handlung verwiesen, die für die belangte Behörde - auch ohne Vorliegen nachweisbarer Abklärungen vor dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens - als hinreichend beweisbar qualifiziert wird.

Diesen Behauptungen ist jedoch entgegenzuhalten, dass nur im Rahmen von Untersuchungen und Nachforschungen konkreten Hinweisen bezüglich einer etwaigen Vorteilsannahme bzw. der pflichtwidrigen Vornahme eines Amtsgeschäftes nachgegangen werden kann und aus der Feststellung der Verletzung interner dienstrechtlicher Regelungen nicht auch in weiterer Folge bereits eine pflichtwidrige Vornahme einer Amtshandlung ableitbar ist.

Es kann eine strafbare Handlung erst angenommen werden, wenn - in ebenso nachprüfbarer Weise - auch die subjektive Tatseite festgestellt ist. Im Grunde dieselben Überlegungen gelten für die Beurteilung der Frage, ob ein Amtsmissbrauch im Sinne des § 302 StGB begangen wurde, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass dieses Delikt nur in der Vorsatzform der Wissentlichkeit begangen werden kann.

Auch aus der - über ausdrückliche Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX .09.2020 erfolgten - Aktenvorlage vom XXXX .09.2020, in der mitgeteilt wurde, dass andernfalls auf Basis des vorgelegten Verwaltungsaktes entschieden werde, konnte ein strafrechtlich relevantes Verhalten - nicht einmal zumindest Indizien für einen Vorsatz - des Sachbearbeiters nicht erkannt werden.

Aufgrund der vorgelegten Aktenunterlagen kann eine disziplinäre Verantwortung, der sich der BF am Ende eines solchen Verfahrens unter Umständen zu stellen hat, jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Das Rechtsinstitut der amtswegigen Wiederaufnahme eines Verfahrens kann jedoch nicht dafür herangezogen werden, dass sich die Behörde ohne Hinzutreten weiterer Umstände auf bloße Mutmaßungen und vage Annahmen stützt und dadurch die Rechtskraft vorangegangener Entscheidungen durchbricht.

Der Wiederaufnahmegrund - insbesondere die strafbare Handlung - muss von der das Verfahren wiederaufnehmenden Behörde aber auf Grund der ihr vorliegenden Unterlagen als erwiesen angenommen werden. Eine Verdachtslage kann zwar Anlass geben, der Frage nachzugehen, ob bestimmte Verfahren wiederaufzunehmen sind, aber keinen Wiederaufnahmegrund als solchen darstellen, der es rechtfertigen würde, die Rechtskraft von Bescheiden zu durchbrechen (VwGH 19.04.1994, 93/11/0271).

Sowohl aus den vorgelegten Unterlagen, als auch aus der Tatsache, dass das Strafverfahren gegen den Mitarbeiter eingestellt wurde, ergeben sich keinerlei Hinweise für einen Vorsatz des in Rede stehenden Mitarbeiters der Behörde.

Die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme des bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Zif 1 AVG liegen somit nicht vor.

Der angefochtene Bescheid ist somit im vollen Umfang ersatzlos zu beheben, womit die mit der Verfügung der Wiederaufnahme außer Kraft getretenen Entscheidungen wiederhergestellt werden und das Verfahren in die Lage zurücktritt, in dem es sich vor der Erlassung dieses (Wiederaufnahme-)Bescheides befunden hat.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens ausschließlich die Beurteilung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 69 AVG umfasst, die im konkreten Fall aufgrund eines bloßen Verdachtes der Annahme eines amtswidrigen Vorgangsweise nicht erfüllt ist. Erst danach sowie nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens, ist in einem darauffolgenden wiederaufgenommenen Verfahren zu prüfen, ob die Erteilungen der Aufenthaltsberechtigungen plus auch rechtmäßig waren.

Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Das Verwaltungsgericht (VwG) hat gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann gemäß Abs. 2 Zif 1 entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das VwG - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist - ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Da im gegenständlichen Verfahren weder die dem BVwG vorgelegten Verwaltungsakten noch die Beschwerden erkennen lassen, dass eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Erörterung zu erwarten ist und der angefochtene Bescheid zudem ersatzlos zu beheben ist, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten und vor dem Hintergrund der Einstellung des Strafverfahrens war die Aktenlage bereits als geklärt anzusehen, da keine Hinweise für einen - vom Gesetz geforderten - Vorsatz des Mitarbeiters ersichtlich waren.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

amtswegige Wiederaufnahme Behebung der Entscheidung disziplinäre Verfehlungen ersatzlose Behebung Straftatbestand vage Mutmaßungen Voraussetzungen Wiederaufnahme Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W280.2227285.1.00

Im RIS seit

27.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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