TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/10 W265 2223870-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.11.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

10.11.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VOG §2
VOG §3

Spruch


W265 2223870-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 28.08.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin brachte am 23.01.2018 einen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung und am 12.02.2018 einen Antrag auf Übernahme der Kosten im Zuge der Heilfürsorge sowie auf Ersatz des Verdienstentganes nach den Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden: belangte Behörde), ein. Antragsbegründend gab die Beschwerdeführerin an, als Kind von ihrem Vater sexuell missbraucht worden zu sein. Sie wisse nicht mehr, wie alles begonnen habe. Sie habe überhaupt alles über sehr lange Zeit verdrängt. Ihre erste Erinnerung sei, als sie bei ihrer kleinen Schwester im Bett gelegen habe und sie der Vater mit einem Spielzeug vergewaltigt habe. Dies sei öfter vorgekommen. Des Weiteren sei ihr Vater gewalttätig gewesen und habe ihre Mutter, ihre Schwester und sie verprügelt. Sie habe Todesangst gehabt, dass er sie umbringen würde. Ihre Mutter sei 1985 an Krebs verstorben. Die Beschwerdeführerin habe die vierte Hauptschule in einem Internat besucht und habe bettgenässt und geschlafwandelt. Ihre Schwester sei auch missbraucht worden. Die Beschwerdeführerin habe aus Frust gegessen und Alkohol getrunken. Ihr letzter Selbstmordversuch sei 1991 gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe sie auch einen Schwangerschaftsabbruch gehabt. Im Alter von 21 Jahren habe sie ihre erste Tochter bekommen, wobei der Kindesvater sie im dritten Monat verlassen habe. Danach habe sie noch Zwillinge von ihrem alkoholkranken Ehemann, von dem sie sich später scheiden habe lassen, bekommen. Dieser habe sie auch geschlagen, beschimpft und gedemütigt. Sie habe eine Lehrabschlussprüfung im Büro mit Auszeichnung bestanden. Aufgrund von Panikattacken sei sie nach der Scheidung bei XXXX für etwa zwei Jahre in Therapie gewesen. Inzwischen sei sie schon seit zehn Jahren mit ihrem Lebensgefährten zusammen, habe aber Berührungsprobleme und Sexualstörungen. Außerdem leide sie an Schlafstörungen. Zuletzt habe sie beim XXXX gearbeitet, wo sie im November 2017 gekündigt worden sei. Dort sei sie gemobbt worden, wodurch der Missbrauch durch ihren Vater wieder in Erinnerung gekommen sei. Sie habe erst kürzlich eine Amtshaftungsklage gegen die Republik eingebracht, da diese sie und ihre Geschwister bei ihrem Vater belassen hätte. Das Gericht habe es damals als „Versöhungsversuch“ angesehen.

Ihrem Antrag legte die Beschwerdeführerin Kopien aus ihrem Jugendamtsakt, einen fachärztlichen Befund von XXXX vom 11.12.2017 sowie einen klinisch-psychologischen Befund von XXXX vom 22.12.2017 mit der Diagnose Anpassungsstörung (F43.23) bei.

Zu ihrem Antrag auf Verdienstentgang am 12.02.2018 führte die Beschwerdeführerin aus, 1990 die Gastgewerbefachschule in XXXX besucht zu haben. Da sie aufgrund ihrer inneren Situation niemanden in XXXX gehabt habe, habe sie die Schule nicht abschließen können. Sie habe von der Familienbeihilfe ein Privatzimmer bezahlen müssen. Zur Lebenserhaltung habe sie nichts bekommen. Die Alimente, die ihr Vater angeblich gezahlt habe, seien für die Kosten der Schule verwendet worden. Wenn sie die Schule hätte abschließen können, hätte sie schon damals ein „normales“ Gehalt erzielen können. Des Weiteren gab die Beschwerdeführerin bekannt, derzeit bei Frau XXXX in Therapie zu sein.

Über Anfrage der belangten Behörde übermittelte Frau XXXX , klinische- und Gesundheitspsychologin, eine Bestätigung über 52 bei ihr in Anspruch genommene Gesprächseinheiten im Zeitraum 31.01.2006 bis zum 11.02.2008 wegen der Diagnose: ICD-10: F41.0 (Panikstörung).

Ein klinisch-psychologischer Befund vom 22.12.2017 ergab die Diagnose einer Anpassungsstörung F43.23.

Des Weiteren wurde mit lungenfachärztlichem Befund vom 04.12.2017 ein hochgradiger Verdacht auf gastrooesophagealen Reflux geäußert.

Am 10.07.2018 langte eine Stellungnahme der Psychotherapeutin der Beschwerdeführerin XXXX vom 06.07.2018 ein, worin als Diagnosen: F62.0; F41.0; F51.0; Z61.0; Z62.0 festgehalten wurden. Die Beschwerdeführerin sei seit 06.02.2018 bei ihr wegen einer PTBS in psychotherapeutischer Behandlung. Sie leide unter Konzentrationsstörungen, massiven Schlafstörungen, Panikattacken, an einem ausgeprägten Erschöpfungszustand und komme es unter seelischen Belastungen zu wiederholtem Erbrechen. Es müsse mit sehr großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die vorhandene Symptomatik auf die Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und Jugend zurückzuführen sei. Es werde einer mehrjährigen Traumatherapie bedürfen, um die Erlebnisse voll zu erinnern und bearbeiten zu können.

Aufgrund der im Behindertenpassverfahren mit Gutachten vom 06.08.2018 festgestellten Gesundheitsschädigungen „Juvenile Verhaltensstörung, reaktiv depressives Zustandsbild, chronifizierte Traumafolgestörung seit früher Kindheit, Schlafstörungen, Panikattacken“ und „Gastroösophagealer Reflux bei Zustand nach Magenbypassoperation“ ist die Beschwerdeführerin im Besitz eines Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 70 v.H. und der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“.

Infolge einer Überweisung von Frau XXXX an XXXX , Klinische Psychologin, stellte diese nach einer am 28.06.2018 durchgeführten psychologisch-diagnostischen Untersuchung die Diagnosen ICD-10: F62.0, F41.0, F51.0, Z61.0 und Z62 bei der Beschwerdeführerin. Zusammenfassend führte die Klinische Gesundheitspsychologin aus, dass das Untersuchungsgespräch und Testergebnisse für eine chronifizierte Traumafolgestörung nach Gewalt- und Missbrauchserfahrungen seit früher Kindheit sprechen würden. Die Beschwerdeführerin sei es gewöhnt Gefühle zu unterdrücken, selbst möglichst nichts zu spüren und keine Schwäche nach außen zu zeigen. Neben der zuletzt wieder aufgetretenen Panikattacke bestehen offenbar seit Jahrzehnten massive Schlafstörungen, regelmäßiges Erbrechen und Selbstverletzungen in Form von blutig Kratzen. Bis zum 21. Lebensjahr sei sie Bettnässerin gewesen.

Infolge von psychologischen Testungen hielt die klinische Psychologin XXXX in ihrem psychologischen Befund vom 28.06.2018 zusammenfassend fest, dass die Testergebnisse für eine chronifizierte Traumafolgestörung nach Gewalt- und Missbrauchserfahrungen seit früher Kindheit sprechen würden. Im Übrigen hielt sie folgende Diagnosen nach ICD-10 fest: F62.0, F41.0, F51.0, F50.5, Z61, Z62.

Die Beschwerdeführerin befand sich vom 09.10.2018 bis zum 20.11.2018 in einem Rehabilitationszentrum und sind dem Entlassungsbericht die Diagnosen Panikstörung F41.0, andere gemischte Angststörungen (agoraphobische Ängste, Somatisierung) F41.3, Erbrechen bei anderen psychischen Störungen F50.5, Insomie F51.0, Probleme durch negative Kindheitserlebnisse Z61.4, Selbstbeschädigung in der Eigenanamnese Z91.5, komplexe posttraumatische Belastungsstörung F62.0 andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, Nikotinabhängigkeit F17.2, Gastric-Banding 2002, Magenbypass-OP 2008, Hashimoto-Thyreoiditis, Penicillinallergie zu entnehmen.

In einer Stellungnahme vom 14.01.2019 schilderte die Beschwerdeführerin, dass ihr Vater eines Nachts in ihr Zimmer gekommen sei. Sie habe sich in der Hoffnung schlafend gestellt, dass er nur nachsehe ob alles ruhig sei. Er habe sich dann aber auf sie gelegt und Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt, indem er einige Bewegungen mit dem Penis ausgeführt habe. Die Beschwerdeführerin habe keinen Laut von sich gegeben, da sie sonst ihre kleine Schwester im Nebenbett oder ihre Mutter im Schlafzimmer geweckt hätte. Er habe sie mehrfach missbraucht. Dies sei jedoch das letzte Mal gewesen, dass er sie geschlechtlich missbraucht habe. Zu einem Orgasmus sei es nicht gekommen, da sie ihn in ihrer Panik irgendwie „wegtauchte“. Sie habe sehr große Angst gehabt schwanger zu werden. Zeitlich würde sie es zwischen 1983 und 1985 einordnen. Genau könne sie sich jedoch nicht mehr erinnern. Die ersten Erinnerungen an sexuelle Übergriffe habe sie aus der Volksschulzeit. Ob es vielleicht sogar schon im Kindergarten begonnen habe, könne sie nicht sagen. Als sie einmal von der Schule nach Hause gekommen sei, habe ihr Vater ihr ein kleines Plastikteil gegeben, mit dem sie „üben“ solle, weil es mit seinem Glied noch nicht funktioniert habe, da es zu groß gewesen sei. Ihr Vater habe mit den Fingern „geübt“, weil die Beschwerdeführerin ja sein „Haflinger“ gewesen sei. Die Beschwerdeführerin sei also in ihrem Zimmer gesessen und habe geübt. Gewalt habe ihr Vater bei ihr nicht anwenden müssen, da sie das alles freiwillig gemacht habe. Zu diesem Zeitpunkt habe sie noch nicht gewusst, dass man solche Sachen mit seiner Tochter nicht mache. Des Weiteren könne sie sich an einen Vorfall am Dachboden erinnern. Sie sei mit ihrem Vater über eine Sprossenleiter hinaufgegangen, und er habe dort eine Decke versteckt. Er habe seine Finger in ihre Genitalien eingeführt. Mit seinem Penis habe er es auch versuchen wollen, aber das sei nicht gegangen, weil sie noch zu klein gewesen sei. Ihre Mutter sei im Alter von 39 Jahren an Krebs gestorben. Sie habe ihr beim Sterben zugeschaut und nicht helfen können. Bis zuletzt habe es geheißen, dass sie wieder gesund werden würde. Sie hätten sie am Ostersonntag besucht, aber sie sei am Karsamstag in der Nacht ganz allein im Krankenhaus gestorben. Die Beschwerdeführerin habe ihre Oma, die ihr weinend um den Hals gefallen sei, getröstet. An diesem Tag sei auch die Beschwerdeführerin innerlich gestorben. Sie habe sich geschworen, nie wieder zu weinen, was sie dann zwei Jahre lang durchgehalten habe.

In einer weiteren Stellungnahem ihrer Psychotherapeutin, XXXX vom 12.04.2019 hielt diese im Wesentlichen dasselbe fest, wie in ihrer Stellungnahme vom 06.07.2018. Die Diagnose F50.5 trat jedoch gegenüber der bereits erfolgten Stellungnahme hinzu und ergänzte die Psychotherapeutin, dass die Beschwerdeführerin Autoaggressionen in Form von intensivem Kratzen habe. Es bestehe ein hoher Widerwille gegen Sexualität.

Zur Überprüfung des Antrages holte die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 10.05.2019 erstatteten Gutachten vom 12.06.2019 wurde Folgendes – hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben – ausgeführt:

„…

Die AW hat angegeben, in ihrer Kindheit vom Vater sexuell missbraucht worden zu sein. Trotz des angezeigten Missbrauchs ihrer älteren Schwester XXXX , sei ihr Vater nicht verurteilt worden.

Sie habe als Kind in ständiger Angst vor der Gewalttätigkeit ihres Vaters gelebt. Ihre Mutter, gleichfalls Opfer der Misshandlungen durch ihren Ehegatten, sei 1985 nach langer Krankheit an Krebs gestorben.

Die Missbrauchserfahrungen würde sie verdrängt haben. Diese seien ihr erst im Zuge einer Klage gegen ihren Arbeitgeber wegen Sozialwidrigkeit erinnerlich geworden.

Nach dem Tod ihrer Mutter sei sie zu Verwandten und Bekannten ihres Onkels gekommen. Sie sei kein pflegeleichtes Kind gewesen. Weder die Fürsorgerin noch die Verwandten würden erkannt haben, wie schlecht es ihr in der Zeit gegangen sei.

Aufgrund von Erziehungsproblemen sei sie im Heim XXXX gewesen. Sie habe sich dort „weggesperrt von der Umwelt“ gefühlt, sei auf sich allein gestellt gewesen. Es habe sich keiner um ihre seelische Gesundheit gekümmert.

Wegen Erziehungsproblemen habe sie seit ihrem 16. LJ bei ihrem Vater gelebt, mit dem sie viel gestritten habe. Einen sexuellen Missbrauch würde es nicht mehr gegeben haben.

Als Kind sei sie Bettnässerin gewesen und habe an ihren Nägeln gekauft. Als Folge der traumatisierenden Kindheitserlebnisse habe sie Bulimie, schädlichen Alkoholgebrauch, Schlafstörung, sowie eine Panikstörung entwickelt und mehrmals Suizidgedanken geäußert.

Die traumatisierende familiäre Beziehung würde sich in ihrem Leben wiederholt haben.

Nach der Geburt ihres ersten Kindes sei sie von ihrem Partner im Stich gelassen worden. In einer weiteren Beziehung habe sie einen Alkoholiker geheiratet. Ihr Exmann würde sie geschlagen, beschimpft und gedemütigt haben.

Seit zehn Jahren würde sie in einer stabilen Partnerschaft leben, habe jedoch Beziehungsprobleme, sexuelle Störungen und Schlafstörungen.

Dokumentation – JA, BH

Den Befunden des Jugendamtes, verfasst im Zeitraum zwischen 31.01.1977 und 07.09.1987 ist zu entnehmen, dass die Familie über Ansuchen der KM betreut wurde. Der KV wurde als nach einem Unfall stark geistig beeinträchtigter, mit den anstehenden Problemen überforderter, jähzorniger Alkoholiker beschrieben, der sprunghaft und ambivalent zwischen großer Liebe zur Familie und Gewalttätigkeit agierte. Die Kinder wuchsen, trotz liebevoller Fürsorger der Mutter, in ärmlichen Verhältnissen, in einer Atmosphäre der Streitsucht und Gewalttätigkeit des Vaters auf. Die ältere Schwester der AW, XXXX wurde bei Verdacht auf Missbrauch durch den KV vorübergehend bei ihrer Großmutter untergebracht. Im Dezember 1976 befand sich der KV in Untersuchungshaft, wurde unter der Weisung einen gesonderten Wohnsitz zu führen, den Umgang mit seiner Familie, insbesondere seiner Tochter XXXX zu meiden und die eheliche Wohnung nicht zu betreten, entlassen.

Die Betreuerinnen des Jugendamtes haben mehrmals Gespräche mit dem KV geführt, welche jedoch keine andauernde Änderung seines Verhaltens gebracht haben. Die mütterliche Großmutter konnte die Enkelkinder wegen eines sehr angespannten Verhältnisses zum KV nicht auf die Dauer übernehmen.

Die KM habe mehrmals geäußert, sich von ihrem Mann trennen und mit den Kindern allein leben zu wollen, habe jedoch aufgrund der angespannten finanziellen Lage und der Abhängigkeit von ihrem Mann keinen Ausweg gesehen. Nach dem Tod der KM in April 1985 wurden die Kinder durch die Tante, den Onkel und die mütterliche Großmutter versorgt. Das sei jedoch aufgrund der Streitigkeiten mit dem KV auf die Dauer nicht möglich gewesen.

Die AW wurde 1987 im Mädchenwohnheim XXXX untergebracht. Die Einweisung wurde aus psychologischer Sicht aufgrund Erziehungsschwierigkeiten ausgesprochen.

Die AW wurde aus disziplinären Gründen aus dem Mädchenwohnheim XXXX entlassen. In der Schule ergaben sich keine Schwierigkeiten. Ab dem 16. Lebensjahr habe sie wieder bis 24.1.1991 bei ihrem Vater gewohnt.

Vonseiten der Behörde ist nur der Verdacht auf sexuellen Missbrauch der älteren Schwester der AW durch ihren Vater dokumentiert worden.

Medizinische Befunde:

LKH f. Psychiatrie und Neurologie, XXXX , Aufenthalt vom 4.5.1986 bis 13.5.1986

Diagnose: Juvenile Verhaltensstörung

In der psychologisch/diagnostischen Untersuchung wurde Verdacht auf hysterieforme Züge geäußert, SM Risiko als nicht erhöht attestiert. Im Bereich der Persönlichkeit – Wesenszüge der erhöhten Impulsivität, des Reizhungers, der emotionalen Abflachung und repressiver Konfliktverarbeitung.

XXXX , Tagesaufenthalt am 11.12.1991

Diagnose: Status Post Suizidversuch

Die AW habe Medikamente eingenommen und sich oberflächlich am Handrücken geritzt. Sie wurde am Tag der Aufnahme, ohne Therapie entlassen.

Bestätigung XXXX , klinisch Gesundheitspsychologin

Psychotherapie vom 31.1.2006 bis 11.2.2008 bei der Diagnose Panikstörung

Klinisch-psychologischer Befund, XXXX 22.12.2017

Anamnese:

Seit 2011 in der gleichen Firma beschäftigt, soziale Probleme am Arbeitsplatz, im Krankenstand gekündigt worden. Erst im letzten Jahr im Zusammenhang mit dem Einstieg in ein neues Team sind Probleme aufgetreten. Glückliche Partnerschaft, drei erwachsene Kinder.

Belastende lebensgeschichtliche Ereignisse: früher Tod der Mutter, Missbrauchserfahrungen, frustrierende Partnerschaften, Privatkonkurs, Erziehungsprobleme.

Erkrankungen: 2009 Magen Bypassoperation, wegen Burnout vor zehn Jahren zwei Jahre im Krankenstand gewesen. Psychotherapie habe damals geholfen.

Diagnose: Anpassungsstörung

Zusammenfassung: leistungspsychologisch ergibt sich störungsanfällige Konzentrationsfähigkeit, schwer artikulierbare Ärger- und Frustrationsgefühle sowie Somatisierungstendenz, kein Hinweis auf eine affektive Störung, keine Abweichungen in der Persönlichkeitsstruktur, erhöhtes Stressempfingen mit deutlich erhöhter psychosomatischer Reaktionsbereitschaft und herabgesetzter Selbstfürsorge.

Befundbericht XXXX , FÄ für Neurologie und Psychiatrie vom 11.12.2017

Anamnese: Seit 23.11.2017 Krankenstand, arbeite bei der XXXX im Einkauf. Nach dem Chefwechsel Probleme am Arbeitsplatz. Es wurde keine Diagnose vermerkt, im psychopathologischen Status leichtgradig weinerlich, depressive Stimmungslage, Kränkung.

Keine Medikation erforderlich, Xanor soll abgesetzt werden.

Psychologischer Befund, undatiert, XXXX

Angegeben wurde sexueller Missbrauch durch den KV von allen drei Mädchen. Die Patientin würde sich nur bruchstückhaft an die Geschehnisse erinnern.

Nach dem Tod der Mutter wechselhafte Unterbringungen: GM, Tante, Internat, Pflegemutter.

Schulische Anamnese: 4 J. VS und 4 J. HS, 1 J. Haushaltungsschule, 1 J. Hauswirtschaftsschule, sie habe Krankenschwester werden wollen. Abbruch der Fremdenverkehrsschule nach 1,5 J bei häufigem Wohnwechsel. Später habe sie Lehrabschlüsse nachgeholt.

Seit 10 J. lebe sie in einer harmonischen Beziehung.

2011 bis 12/2017 bei XXXX – Mobbingerfahrungen

Seit 2/2018 Schreibkraft im XXXX

Untersuchungsgespräch und Testergebnisse sprechen für eine qualifizierte Traumafolgestörung nach Gewalt- und Missbrauchserfahrungen seit früher Kindheit. Es bestehen Schlafstörungen, regelmäßiges Erbrechen mit Selbstverletzungen (blutig kratzen) und Panikattacken. Langfriste Aufarbeitung der traumatischen Erfahrungen empfohlen.

Stellungnahme Fr. XXXX , KLZ Psychotherapeutin vom 6.7.2018

Diagnosen: Angststörungen, Panikattacken mit Unmöglichkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen: Auslöser – Belastungen der vorliegenden Arbeitsverhältnisse und die zugrunde liegende Kindheit- und Jugendtraumatisierung.

GA vom 1.8.2018, XXXX zur Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung

Gesamtgrad der Behinderung 70 v.H. aufgrund der juvenilen Verhaltensstörung mit reaktiv depressivem Zustandsbild, chronifizierter Traumafolgestörung seit früher Kindheit, Schlafstörung, Panikattacken, Zustand nach Suizidversuchen und Defiziten in der sozialen und emotionalen Entwicklung sowie aufgrund von gastoösophagalem Reflux bei Zustand nach Magen Bypassoperation.

Leistungskalkül: Trotz der Funktionsbeeinträchtigung kann die AW mit Wahrscheinlichkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem integrativen Betrieb (allenfalls unter Zuhilfenahme von Unterstützungsstrukturen) einer Erwerbstätigkeit nachgehen.

Entlassungsbericht vom 20.11.2018, XXXX , Aufenthalt vom 9.10.2018 bis 20.11.2018

Diagnosen: Panikstörung und andere gemischte Angststörungen, Erbrechen bei anderen psychischen Störungen, Insomnie, Probleme durch negative Kindheitserlebnisse, Selbstschädigung in der Eigenanamnese, komplexe posttraumatische Belastungsstörung/DD: andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung, Nikotinabhängigkeit, Gastric-Banding, Magen Bypass

Anmerkung der Sachverständigen: Die im ICD-10 festgelegten diagnostischen Kriterien der posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10 F43.1) sind im gegenständlichen Fall nicht erfüllt:

Die Symptome der Erkrankung müssen mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann, auftreten. Bei wenigen Betroffenen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht in eine andauernde Persönlichkeitsstörung ICD-10 /F.62.0) über.

In Fällen von posttraumatischer Belastungsstörung werden von den Betroffenen häufig Versuche unternommen, Erinnerungen an das Geschehene oder bereits potentiell auslösende Reize aktiv zu vermeiden. Substantielle Beeinträchtigungen expliziter Erinnerungen, die deutlich über normale Vergessens Prozesse hinausgehen, treten als Folge von traumatischen Ereignissen auch bei PTBS Patienten i.d.R. nicht auf.

Nachgereichte Befunde:

Stellungnahme der Psychotherapeutin, Fr. XXXX vom 12.04.2019

Diagnosen: gleiche Diagnose, wie in den Stellungnahmen im Akt. Psychotherapie wegen Folgen der Gewalt und Missbrauchserfahrungen der Kindheit und Jugend indziert.

Gutachten über Schwester AW XXXX von 1976

Keine neuen relevanten Erkenntnisse

II. Gutachterliche Untersuchung am 10.5.2019

Anamnese: Sie sei mit vier Geschwistern aufgewachsen, ihr Vater habe 1981 einen schweren Unfall erlitten. 1985 sei ihre Mutter an Krebs gestorben.

Sie habe sich mit Nadeln an der linken Hand geritzt und wollte die Pulsadern durchschneiden. Sie habe immer darauf geachtet, dass es keiner sehe, daher habe sie keine Narben.

Sie sei bis zur Geburt ihrer Tochter eine Bettnässerin gewesen. Sie sei vom Vater missbraucht worden. Der Missbrauch sei „normal“ gewesen. Der Vater habe alle drei Mädchen missbraucht. Das Verfahren wegen Missbrauch ihrer älteren Schwester sei eingestellt worden, da man den Aussagen der Schwester nicht geglaubt habe. Das Glaubwürdigkeitsgutachten (dieses legt die AW in Kopie vor) sei ein Skandal.

Sie habe 1001 einen Selbstmord unternommen und sei im Krankenhaus gewesen.

Ihre Panikattacken haben 2004 oder 2005 begonnen. Die Therapie bei XXXX habe sie 2008 beendet.

2006 erfolgte die Scheidung von ihrem Mann einem Alkoholiker (auch Wegweisung).

2007 fristlose Entlassung von XXXX .

Letzte Anstellung sei bei XXXX , befristet bis 31. Dezember 2018, gewesen, Sie sei nach Schlüsselerlebnissen beim Aktenstudium nicht mehr arbeitsfähig gewesen. Am Bahnhof habe sie eine Panikattacke erlitten, sei nicht imstande gewesen mit der Behan zur Arbeit zu fahren. Seitdem nehme sie das Medikament Trittico, vom Hausarzt verschrieben.

Sie könne sich nicht konzentrieren, vergesse auf viele wichtige Termine.

In der Nacht erlebe sie Angstzustände, könne nicht schlafen, sitze und warte, was passiert. Sie schlafen im Wohnzimmer

Die Beziehung zu ihrem aktuellen Lebensgefährten gestalte sich harmonisch. Früher habe sie viel Alkohol getrunken, aktuell nur mehr gelegentlich beim Fortgehen. An Wochenenden gehe sie gerne aus.

Sie sei stark übergewichtig gewesen und habe sich zwei Magenoperationen unterziehen müssen.

Sie rauche 20 Zigaretten am Tag. Das Medikament Xanor habe sie über zwei Jahre genommen, 2006 es abgesetzt.

Akt. Medikation: Vitamin D und Trittico.

Orientierender neurologischer Befund:

Keine Beeinträchtigungen der Sinnenwahrnehmungen, der Motorik oder Koordination, kein Hinweis auf eine radikuläre Symptomatik

Zusammenfassend regelrechter organneurologischer Befund.

Psychopathologischer Befund:

Die AW ist bewusstseinsklar, zeitlich, örtlich und zur Person orientiert, in der Kontaktaufnahme freundlich zugewandt. Die Aufmerksamkeit, das Auffassungsvermögen und die Konzentration sind klinisch im Normbereich. Es ergeben sich keine Hinweise auf eine wahnhafte Realitätswahrnehmung oder Halluzinationen. Das Denken ist flüssig, kohärent, auf Vortragen der psychischen und somatischen Beschwerden als Folgestörung des Missbrauchs eingeengt. Es besteht ein großes Redebedürfnis. Die Stimmung ist euthym, Affizierbarkeit gering ausgeprägt, Antrieb regelrecht. In der Untersuchungssituation kein Hinweis auf frei flottierende Ängste, Intrusionen oder Flashbacks, keine Suizidalität, normale Persönlichkeitsstruktur. Im Längsschnitt: Panikattacken, anamnestisch Z.n. Burnout, Mobbingerfahrungen, Adipositas.

III. Beantwortung der Fragestellungen

Ad. 1 In der gutachterlichen Untersuchung lassen sich keine Gesundheitsschädigungen erheben. Die im Akt befindlichen Befunde und die beigebrachte Stellungnahme der Psychotherapeutin liefern Hinweise auf eine Panikstörung ICD-10 F41.0, Burnout (keine ICD 10 Zuordnung) und Mobbingerfahrungen ICD 10 Z 56.

Anmerkung der SV: Die Angaben zum erlittenen Verbrechen basieren ausschließlich auf persönlichen Schilderungen der AW.

Ad. 2 Für die, im Längsschnitt erhobenen Diagnosen: Panikstörung, Burnout, Mobbingerfahrungen lässt sich kein kausaler Zusammenhang herstellen. Zudem basieren die Angaben zum erlittenen Verbrechen ausschließlich auf persönlichen Schilderungen der AW.

Die Panikstörung wurde bereits, ohne Zusammenhang mit dem geltend gemachten Missbrauch durch den Vater, von der Psychologin XXXX diagnostiziert.

Burnout wurde anlässlich der psychologischen Untersuchung durch XXXX angesehen. Mobbingerfahrungen ergeben sich aus dem psychologischen Befund von XXXX , Pathogenese der Panikstörungen ist nicht bekannt. Es wird angenommen, dass bei den angstanfälligen Personen, nicht nur kognitive und emotional, sondern auch somatische Vulnerabilität besteht. Es wird versucht, die Entstehung von Angststörungen mit lerntheoretischen Ansätzen, sowie genetisch- neuropsycho-endokrinen- immunologischen Präposition zu erklären.

Ad 3. - 5. Entfällt

Ad 6. Die Untersuchte ist arbeitsfähig

Ad 7. Entfällt“

Mit Schreiben vom 05.07.2019 brachte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG zur Kenntnis und räumte ihr die Möglichkeit einer Stellungnahme ein.

Mit E-Mail vom 26.07.2019 brachte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ein. Darin brachte sie zusammengefasst vor, dass der Gutachterin offensichtlich einige Fehler unterlaufen seien. Sie sei seit Juli 2018 durchgehend krank geschrieben, also arbeitsunfähig. Hinsichtlich der Aussage der Gutachterin, bei der Beschwerdeführerin sei nie die Diagnose PTBS ICD-F43.1 gestellt worden, beziehe sie sich auf den Befund von Frau XXXX . Aus der psychodiagnostischen Untersuchung vom 28.06.2018 ergebe sich eine chronifizierte und nicht, wie von der Gutachterin geschrieben qualifizierte Traumafolgestörung nach Gewalt- und Missbrauchserfahrungen seit früher Kindheit. Darüber hinaus gebe es einige vorgelegte Unterlagen, welche diverse psychische Diagnosen listen, darunter „komplexe posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F62.0 andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung“, wozu die Sachverständige ausgeführt habe, dass die Kriterien der PTBS nicht erfüllt seien. Hier müsse die Beschwerdeführerin widersprechen. Es sei von der Rehaklinik die Differenzialdiagnose zu ICD-10 F62.0 (Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung) gestellt worden, da die komplexe Posttraumatische Belastungsstörung im ICd-10 noch nicht vorhanden sei. Die Unterscheidung sei, dass sich die Traumata bei F62.0 meist im Erwachsenenalter ereignen, wohingegen sie sich bei der komplexen PTBS im Kindes- und Jugendalter ereignen würden. Ab 2022 werde es eine eigenständige Kodierung geben. Sie erbreche außerdem sehr oft, wodurch sie bereits einen Reflux habe und habe Schlafprobleme. Sie kratze sich am Kopf und füge sich damit Verletzungen zu. Dies habe die Gutachterin nicht überprüft. Auf ihre Sexualstörungen sei die Gutachterin ebenfalls nicht eingegangen. Die Gutachterin sei mit ihrer Ausbildung nicht geeignet einen derartigen Antrag über den Missbrauch an Kindern zu beurteilen. Die Beschwerdeführerin stelle daher den Antrag ein psychiatrisches Gutachten eines Traumaexperten mit klinisch-psychologischer Testung einzuholen.

Mit E-Mail vom 28.08.2019 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ihrer Psychotherapeutin XXXX vom 25.07.2019. Darin bestätigt diese erneut, dass die Beschwerdeführerin seit dem 06.02.2018 wegen einer PTBS bei ihr in psychotherapeutischer Behandlung stehe. Sie sei aus psychotherapeutischer Sicht derzeit noch nicht arbeitsfähig. Dem E-Mail angeschlossen war die Kopie einer einstweiligen Verfügung vom 16.08.2006 betreffend den damaligen Ehemann der Beschwerdeführerin, eine Honorarnote eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 13.10.2018 auf welcher die Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung vermerkt ist, und eine weitere Stellungnahme ihrer Psychotherapeutin XXXX vom 12.04.2019, welche inhaltsähnlich zu deren Stellungnahme vom 06.07.2018 ist.

Mit gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 28.08.2019 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführerin auf Ersatz des Verdienstentganges, Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung sowie Übernahme der entstehenden Kosten im Zuge der Heilfürsorge ab. Begründend wurde dabei ausgeführt, dass mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werde, dass die Beschwerdeführerin von ihrem Vater sexuell misshandelt und dabei Opfer einer Straftat im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG geworden sei. In der gutachterlichen Untersuchung hätten sich keine Gesundheitsschädigungen erheben lassen, bzw. habe sich mit den in den vorliegenden Befunden und Stellungnahmen dokumentierter Diagnosen: Panikstörung, Burnout und Mobbingerfahrungen kein kausaler Zusammenhang herstellen lassen. Das vorliegenden Sachverständigengutachten von XXXX sei schlüssig und nachvollziehbar, weshalb die Stellungnahme vom 24.07.2019 – eingelangt am 26.07.2019 – zum Parteiengehör nicht geeignet gewesen sei, eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen.

Mit Schriftsatz vom 09.09.2019 – eingelangt am 20.09.2019 – erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Darin führte sie im Wesentlichen aus, dass das Gutachten vom 24.06.2019 widersprüchlich und unvollständig sei. Die Beschwerdeführerin leide infolge von Bedrohungen, Gewalt und Missbrauch seit ihrer Kindheit an Angststörungen, Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen, Panikstörungen und Depressionen, die in weiterer Folge zu Essstörungen und Suizidgedanken geführt hätten. Das Gutachten ignoriere die Stellungnahme ihrer Psychotherapeutin XXXX vom 04.02.2019, worin diese schreibe, dass die Beschwerdeführerin seit 06.02.2018 wegen einer PTBS in Behandlung stehe, unter Konzentrationsstörungen und unter massiven Schlafstörungen leide. Unter diesen großen seelischen Belastungen würde es auch zu wiederholtem Erbrechen kommen. Dazu würde auch immer wieder sich wiederholende Panikattacken und ein ausgeprägter Erschöpfungszustand kommen. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit müsse angenommen werden, dass die vorhandene Symptomatik auf die Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und Jugend zurückzuführen seien. Weiters sei in dem Entlassungsbericht des Zentrums für psychosoziale Gesundheit vom 20.11.2018 die Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung: ICD-10 F62.0 andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung angeführt. Der psychologische Befund von XXXX bestätige eine chronifizierte Traumafolgestörung nach Gewalt und Missbrauchserfahrungen seit früherer Kindheit. So hätten jedenfalls drei unabhängige Spezialisten eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt, welche im Gutachten nicht erkannt werde. In einem Verfahren vor dem Sozialministeriumservice sei mit 01.08.2018 ein Gutachten von XXXX zur Feststellung des Grades der Behinderung eingeholt worden, welches zum Ergebnis eines Grades der Behinderung von 70% aufgrund einer chronifizierten Traumafolgestörung gekommen sei. Die Konzentrations- und Schlafstörungen würden die dauerhafte Aufnahme einer Arbeit so gut wie unmöglich machen. Die Beschwerdeführerin beantrage neben ihrer eigenen Einvernahme, die Einvernahme von ihrer Psychotherapeutin Frau XXXX und von XXXX . Des Weiteren sei ein unabhängiges Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Neurologie und Psychiatrie einzuholen.

Am 07.11.2019 einlangend beim Bundesverwaltungsgericht übermittelte die Beschwerdeführerin eine Ladung der BVA zum Kontrolltermin am 05.11.2019 betreffend ihre Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ab dem 03.07.2018, die in ihrer Beschwerde erwähnten Stellungnahme ihrer Psychotherapeutin vom 04.02.2019, sowie einen neurologisch fachärztlichen Befundbericht von XXXX vom 24.10.2019, welchem die Diagnosen „PTBS Angststörung Zn Magenband 2002 Essstörung F62 Zn Xanoroveruse pseudorad Kreuzschmerz LWS S1 betont“ entnommen werden können.

Zur Überprüfung der Einwendungen der Beschwerdeführerin holte das Bundesverwaltungsgericht mit Auftragsschreiben vom 27.01.2020 ein Sachverständigengutachten der bereits befassten Sachverständigen basierend auf der Aktenlage ein, worin die Sachverständige ersucht wurde auf konkrete, seitens des Gerichtes gestellte Fragen näher einzugehen.

In ihrem Sachverständigengutachten vom 20.03.2020 führte die Sachverständige für Psychiatrie und Neurologie aus wie folgt:

„…

Beantwortung der Fragestellungen-Gutachten

1. Welche psychischen Leiden liegen bei der Beschwerdeführerin vor?

a. Es wird darauf hingewiesen, dass in zahlreichen im Akt befindlichen Befunden folgende Diagnosen gestellt wurden: F41.0 (Panikstörung), F41.3 (gemischte Angststörungen (agoraphobische Ängste, Somatisierung)), F43.2 (Anpassungsstörungen), F42.0 (andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung), F51.1 (nicht organische Insomnie), F50.5 (Erbrechen bei anderen psychischen Störungen), Z61.0 (Kontaktanlässe mit Bezug auf die Erziehung), Z61.4 (Probleme durch negative Kindheitserlebnisse), Z91.5 (Selbstbeschädigung in der Anamnese, komplexe posttraumatische Belastungsstörung).

b. Es wird daher um ausführliche Stellungnahme gebeten, ob die oben genannten Diagnosen bei der Beschwerdeführerin vorliegen und um ausführliche Begründung ersucht.

Ad 1.a.

• Wie dem Vorgutachten der Unterfertigten vom 12.06.2019 zu entnehmen ist, wurden zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung am 10.05.2019 keine Abweichungen vom psychopathologischen Status (normaler psychischer Befund) und keine Hinweise auf eine Persönlichkeitsstörung erhoben, in besonderem keine frei flottierenden oder gebundenen Ängste, kleine Flashbacks, keine Intrusionen und kein Vermeidungsverhalten.

• Anamnestisch und im Längsschnitt lassen sich durch nochmalige Auswertung der im Akt enthaltenen medizinischen/psychotherapeutischen Dokumentation bestätigt, die Diagnosen einer episodisch verlaufenden Panikstörung, Burnout und einer Anpassungsstörung im Zusammenhang mit Mobbingerfahrung erheben.

Ad 1.b.

• Der Diagnose einer agoraphobischen Angststörung mit Panikstörung (F 40.1) kann nicht gefolgt werden. Agoraphobische Störung mit Angststörung wird laut ICD10 Definition durch bestimmte Orte und Situationen, wie weite Plätze oder Menschengedränge ausgelöst. Die BF habe anlässlich der gutachterlichen Untersuchung angegeben, dass ihre Panikängste 2004-2005 begonnen haben. Dies habe sie veranlasst, zwischen 2006 und 2008 eine psychotherapeutische Behandlung (bei XXXX ), welche ihr geholfen habe, in Anspruch zu nehmen. Anlässlich der klinisch-psychologischen Untersuchung bei XXXX am 22.12.2017 habe die BF angegeben, vor zehn Jahren wegen Burnout zwei Jahre im Krankenstand gewesen zu sein. Sie habe sich einer Psychotherapie unterzogen, welche ihr gut geholfen habe. Bei der gutachterlichen Untersuchung zur Feststellung des Behinderungsgrades am 10.08.2018 hat die BF angegeben: Sie fahre nicht einmal mit ihrem Lebensgefährten mit dem Auto mit. Sie habe Angst, wenn sie mit dem Zug fahre, v. a. vor den vielen Menschen und zusätzlich vertraue sie auch dem Lokführer nicht. Bei der Untersuchung bei XXXX am 11.12.2017 habe die BF, als Beispiel für das Mobbing gegen sie, angegeben: Sie werde bei ihren Kollegen schlecht gemacht. Diese würden sie nicht mehr zum Essen mitnehmen. Unabhängig davon, ob damit ein Essen in einer Kantine und den Restaurants gemeint wurde, handelt es sich um öffentliche Plätze, die in der Regel agoraphobischen Ängste auslösen. Anlässlich der Untersuchung wurden Probleme am Arbeitsplatz angegeben, jedoch keine gebundenen (phobischen) Ängste.

Laut eigener Angabe (der Stellungnahme der Psychotherapeutin XXXX entnommen) habe die BF, nach einer langjährigen Beschwerdefreiheit (zwischen 2006 und 2018) aufgrund einer Retraumatisierung erstmalig 2018 eine Panikattacke erlitten.

Sohin ist davon auszugehen, dass sie zwischen 2008 und 2018 nicht unter Panikattacken und nicht unter agoraphobischen Ängsten gelitten hat.

In ihrer Stellungnahme vom 12.04.2019 hat die BF angegeben, als Fotografin an verschiedenen Aktivitäten, welche mit Menschenansammlungen verbunden sind, teilgenommen zu haben. Gleichfalls habe sie, laut eigener Angabe, bei Feuerfeuerwehrfesten als Kellnerin gearbeitet.

Eine agoraphobische Angststörung mit Panikstörung schließt solche Verhaltensweisen prinzipiell aus.

• Für die Somatisierungsstörung F 45.0 sind multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde Symptome, die wenigstens zwei Jahre bestehen, charakteristisch. Die Symptome können sich auf jedem Körperteil oder jedes Organsystem des Körpers beziehen. Diese Leiden sind organisch nicht begründbar oder nicht vollständig begründbar.

Bei der BF wurden keine wechselnden funktionellen Beschwerden, welche durch Störung eines Organs oder Organsysteme nicht begründbar wären, gefunden worden.

• Eine Anpassungstörung F 43.2 wurde von XXXX in Zusammenhang mit sozialen Problemen am Arbeitsplatz (siehe auch Stellungnahme von XXXX ) diagnostiziert. Bei einer Anpassungsstörung handelt es sich um vorübergehende Zustände subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die während eines Anpassungsprozesses nach entscheidender Lebensveränderung oder nach entscheidenden oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Eine individuelle Prädisposition oder Vulnerabilität spielt eine bedeutsame Rolle. Es ist dennoch davon auszugehen, dass diese Störung ohne Belastung nicht entstanden wäre. Hervorstechendes Merkmal ist eine kurze oder längere depressive Reaktion. Zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung war diese Störung bereits abgeklungen.

Zum Grad der durch das psychische Leiden (Anpassungsstörung) verursachten Absenkung des psychosozialen Funktionsniveaus kann keine schlüssige Aussage getroffen werden. Die BF war jedoch zwei Monate im Krankenstand.

• Es kann weder der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), noch der Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung gefolgt werden.

Lt. Definition ist die posttraumatische Belastungsstörung eine mögliche Folgereaktion eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse.

In beiden Systemen ICD-10 und DSM V ist die Diagnosestellung nur anhand einer stattgefundenen Traumatisierung (auch nach schwerstbelastenden Erlebnissen) nicht zulässig.

Die diagnostischen Kriterien unterscheiden sich in beiden Manuals nicht unerheblich. Das Vorhandensein einzelner Symptome berechtigt nicht die Diagnose einer PTBS.

Alle Kriterien der PTBS sind grundsätzlich völlig unspezifisch. Nur in Verbindung mit einem Trauma ergibt der spezifische Symptomenkomplex das typische Syndrom einer PTBS.

Um die Diagnose einer PTBS zu stellen, müssen in der psychiatrischen Untersuchung alle Kriterien des Symptomenkomplexes in der erforderlichen Ausprägung vorhanden sein.

Der Einsatz von Selbstbeurteilungsskalen ist für die gutachterliche Einschätzung nicht hilfreich, da diese lediglich die subjektive Wirklichkeit des Untersuchten abbilden.

In der Explorationssituation müssen zusätzlich zum schweren Trauma (Cluster A), auf der Befundebene d.h. objektiv anhand der psychiatrischen Exploration erhobene Symptome: Wiedererleben -Intrusionen und sich aufdrängende Nachhallerinnerungen (Cluster B); Vermeidungsverhalten von traumassoziierten Situationen (Cluster C); teilweise oder vollständige Unfähigkeit einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern oder anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung, welche vor der Belastung nicht vorhanden waren (Cluster D) nachweisbar sein.

Die Kriterien B, C und D treten innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis oder nach Ende einer Belastungsperiode auf.

Die Intrusionen bedeuten nicht die bloße Erinnerung an das erlittene Trauma, sondern wiederkehrende, und unwillkürliche schwerst belastende Reaktionen, verbunden mit einem dissoziativen Zustand und erhöhter vegetativer Aktivität (Hyperaktivität).

Vermeidungsverhalten ist dadurch gekennzeichnet, dass Umstände, die der Belastung ähneln oder mit dieser in Zusammenhang stehen, tatsächlich oder möglichst vermieden werden.

Diese Verhaltensweisen wurden zwar von der BF anlässlich ihrer Stellungnahme beschrieben, in der gutachterlichen Untersuchungssituation jedoch nicht gefunden.

In den Befunden der Psychotherapeutin XXXX und der untersuchenden Psychologin XXXX wurde gleichfalls lediglich die Angabe der Beschwerden und nicht ein Vermeidungs- oder ein dissoziatives Intrusionsverhalten abgebildet.

Es wäre völlig abwegig davon auszugehen, dass ein Mensch, der traumatisierende Erlebnisse erlitten hat, sich nicht wiederholt daran erinnert.

Es wird darauf hingewiesen, dass in der Praxis, wenn die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht im vollen Umfang erfüllt sind, die Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung bzw. einer komplexen Traumafolgestörung verwendet wird. Diese Begriffe sollten im Gutachten nicht verwendet werden, da sie in keinem der einschlägigen psychiatrischen Diagnosemanuals zu finden sind.

Als zeitlich diagnostisches Kriterium entsteht PTBS als eine verzögerte Reaktion innerhalb von sechs Monaten nach einem Trauma von einer außergewöhnlichen Schwere.

Prinzipiell ist zu der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung anzumerken, dass diese in der Regel innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten ab der Erstmanifestation abklingt.

Bei der BF konnte weder auf der Beschwerden- noch auf der Befundebene noch in der vorgelegten medizinischen Dokumentation noch im zeitlichen Verlauf, der für die posttraumatische Belastungsstörung der zwingend erforderliche Symptomenkomplex mit vegetativem Hyperarousal, Vermeidungsverhalten und dissoziativen Zuständen im Sinne von Flashbacks gefunden werden.

• F. 51.0. nichtorganische Insomnie

Bei einer nicht organischen Insomnie handelt es sich lt. ICD 10 um einen Zustand mit ungenügender Dauer und Qualität des Schlafes, welcher über einen beträchtlichen Zeitraum besteht und Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen und frühmorgendliches Erwachen einschließt.

Insomnie ist ein häufiges Symptom vieler psychischer und somatischer Störungen und soll daher nur zusätzlich klassifiziert werden, wenn sie das klinische Bild beherrscht.

In den psychotherapeutischen und psychologischen Stellungnahmen ( XXXX ) wurde Insomnie als eine eigenständige Erkrankung diagnostiziert.

Dies ist insofern nicht zulässig, als beide Obgenannten zusätzlich andere psychiatrische Diagnosen, bei welchen Schlafstörung als Symptom häufig auftritt, gestellt haben.

Zudem kann dem Entlassungsbericht - Zentrum für psychosoziale Gesundheit Sonnenpark vom 20.11.2018 entnommen werden, dass sich die Schlafqualität der BF nach medikamentöser Unterstützung (die geringste verfügbare Dosierung von Trittico 75 mg abends) verbessert habe.

• F 50.5 Erbrechen bei anderen psychischen Störungen

Bei der BF wurde nach Magenband- und Magenbypassoperationen ein gastroösophagealer Reflux festgestellt. Bei der Diagnose eines psychischen Erbrechens dürfen keine organischen Leiden, welche Erbrechen begünstigen, diagnostiziert werden. Gastroösophagealer Reflux geht häufig mit Erbrechen einher.

Die Voraussetzung für die Diagnose eines Erbrechens bei anderen psychischen Störungen, ist Ausschluss organischer (körperlicher) Leiden, welche Erbrechen begünstigen oder zum Erbrechen führen können.

Die Diagnose F 50.5 wurde primär durch XXXX (Psychologin) gestellt und von XXXX (Psychotherapeutin) übernommen.

Lt. eingeholter Auskunft des Bundesministeriums f. Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz dürfen die eigenverantwortlichen Gesundheitsberufe der Psychologen und der Psychotherapeuten auf Grundlage der psychotherapeutisch wissenschaftlichen Kompetenz Diagnosen über krankheitswertige Störungen im Bereich der psychischen Erkrankungen erstellen.

Da die Diagnose eines Erbrechens bei anderen psychischen Störungen per definitionem einer differenzialdiagnostischen Abklärung und Ausschluss einer körperlichen Erkrankung/Störung, welche dem Erbrechen zugrunde liegen könnte, bedarf, ist diese nur den ärztlichen Berufen vorbehalten.

Zudem wird angemerkt, dass anlässlich des stationären Rehabilitationsaufenthaltes der BF, mit Dauer von 42 Tagen, trotz dem angegebenen Erbrechen nach jeder Mahlzeit, dieses Verhalten sich weder in der ärztlichen noch in der pflegerischen Dokumentation findet.

• F62.0 Andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung

Lt. ICD 10 müssen für die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung im Bereich der Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen folgende Kriterien erfüllt werden:

- Keine vorbestehende Persönlichkeitsstörung

- Hinweise auf eine eindeutige und andauernde Veränderung in der Wahrnehmung sowie im Verhalten und Denken bezüglich der Umwelt und der eigenen Person müssen vorliegen.

- Die Persönlichkeitsänderung sollte deutlich ausgeprägt sein und mit einem unflexiblen und fehlangepassten Verhalten verbunden sein, das vor der pathogenen Erfahrung nicht bestanden hat.

- Die Diagnose darf nur für Störungen, welche im Erwachsenenalter aufgetreten sind, vergeben werden. Es handelt sich dabei um eine Veränderung der Charakterzüge bei einem zuvor nicht persönlichkeitsgestörten Menschen.

- Der Beginn dieser Veränderung muss genannt werden.

- Die Veränderung muss mindestens 2 Jahre andauern.

- Es wird angenommen, dass eine Persönlichkeitsbildung bis zur Pubertät abgeschlossen ist.

- Schädigende Ereignisse in der Kindheit und Jugend können Einfluss auf die Charakterausbildung und damit auf die Persönlichkeitsausformung haben. Falls schädigende Ereignisse in der Kindheit und/oder Jugend, neben den genetischen Anlagen, zu einer Störung der Persönlichkeit geführt haben, wird von einer Persönlichkeitsstörung oder Persönlichkeitsakzentuierung gesprochen.

Die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung trifft auf die Gesundheitsschädigung bei der BF nicht zu.

• Selbstbeschädigung in der Eigenanamnese

Die BF hat bei der gutachterlichen Anamnese am 10.05.2019 angegeben, sich in ihrer Jugend an den Unterarmen, geritzt zu haben. An den von BF genannten Stellen wurden keine Narben, welche auf eine Selbstbeschädigung hinweisen, gefunden.

Im somatischen Status, erhoben am Aufnahmetag des Rehabilitationsaufenthaltes wurden keine Haut- oder Kopfhautveränderungen, welche auf selbstbeschädigendes Verhalten hindeuten, gefunden.

Im Untersuchungsbefund zur gutachterlichen Untersuchung zum Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses wurden gleichfalls keine Haut- oder Kopfhautveränderungen beschrieben.

• Z 61.0 (Kontaktanlässe mit Bezug auf Kindheitserlebnisse), Z 62.0 (andere Kontaktanlässe mit Bezug auf die Erziehung), Z 61.4 (Probleme durch negative Kindheitserlebnisse).

Die Kategorien Z00-Z99 von ICD 10 sind für Fälle vorgesehen, in denen Sachverhalte als "Diagnosen" oder "Probleme" angegeben sind, die nicht als Krankheit, Verletzung oder äußere Ursache unter den Kategorien A00-Y89 klassifizierbar sind. Dies kann hauptsächlich auf zweierlei Art vorkommen:

• Wenn eine Person, wegen einer Krankheit oder ohne krank zu sein, das Gesundheitswesen zu einem speziellen Zweck in Anspruch nimmt, z.B. um eine begrenzte Betreuung oder Grundleistung wegen eines bestehenden Zustandes zu erhalten, um ein Organ oder Gewebe zu spenden, sich prophylaktisch impfen zu lassen oder Rat zu einem Problem einzuholen, das an sich keine Krankheit oder Schädigung ist.

• Wenn irgendwelche Umstände oder Probleme vorliegen, die den Gesundheitszustand einer Person beeinflussen, an sich aber keine bestehende Krankheit oder Schädigung sind. Solche Faktoren können bei Reihenuntersuchungen der Bevölkerung festgestellt werden, wobei eine Person krank sein kann oder nicht, oder sie werden als ein Zusatzfaktor dokumentiert, der dann berücksichtigt werden muss, wenn die Person wegen irgendeiner Krankheit oder Schädigung behandelt wird.

• Zu den Diagnosen Z 61.01; Z62.0; Z 61.4 wird wie folgt ausgeführt: bei dieser Kodierung handelt es sich nicht um psychiatrische Erkrankungen, sondern um Zustände in der Kindheit, welche die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems verändern können.

2. Welche der festgestellten (psychiatrischen) Gesundheitsschädigungen sind mit Wahrscheinlichkeit

a) kausal auf das Verbrechen zurückzuführen? Warum? Es wird ersucht, ausführlich darzulegen, was für den wesentlichen Einfluss des Verbrechens spricht.

Keine

b) akausal, somit nicht auf das oben angeführte Verbrechen zurückzuführen? Warum? Es wird um ausführliche Stellungnahme ersucht, worauf der festgestellte psychiatrische Leidenszustand überwiegend zurückzuführen ist.

Ad 2.

Die Kausalität der im Längsschnitt und anamnestisch erhobenen psychischen Leiden kann nicht mit einer für das VOG erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit an den erlebten Missbrauch geknüpft werden.

Sowohl die wissenschaftliche Literatur als auch psychiatrische Lehrbücher belegen, dass Opfer sexuellen Missbrauchs später psychiatrische Störungen aufweisen können.

- Lt. Nedopil, Mullen weisen 20 % der Opfer sexuellen Missbrauchs späte psychische Störungen gegenüber 6 % in der Kontrollgruppe auf. Depressive, ängstliche und phobische Symptome kommen am häufigsten vor. Allerdings gibt es keine Störung, die beweisend oder auch nur typisch für das Erdulden von sexuellem Missbrauch wäre oder eine direkte Kausalität nahelegen würde.

- Horn gibt als mögliche langfristige psychiatrische Störungen bei sexuellem Missbrauch und erlittener Gewalt in der Kindheit eine Reihe von psychiatrischen Störungen an. In der Studie wurden psychiatrische Störungen bei 56% der weiblichen und 47% der männlichen Opfer sexuellen Missbrauchs und Gewalt in der Kindheit, gegenüber 32% Frauen und 34% Männern in der Kontrollpopulation gefunden.

Als die häufigsten psychiatrischen Leiden wurden ADHS, PTBS, Depressionen, Suizide und Substanzabhängigkeiten genannt.

Auch wenn man von der Annahme ausgeht, dass Missbrauch und Gewalt in der Kindheit zu einer erhöhten lebenslangen psychischen Vulnerabilität führen, so muss gesagt werden, dass das erlebte Trauma allein kein Beweis für den kausalen Zusammenhang späterer psychischer Gesundheitsschädigungen ist. Man kann lediglich von einer Folge von Möglichkeiten sprechen.

Die BF hat, laut eingereichter Dokumentation, erstmalig 2017 den Missbrauch bei der Psychologin XXXX angegeben.

Andere lebensgeschichtliche Ereignisse und aktuelle Probleme müssen gleichfalls als belastende Faktoren diskutiert werden: Aufwachsen in Armut, frühzeitiger dramatischer Tod der Mutter, Trennung der Geschwister, Unterbringung im Heim, frustrierende Partnerschaften, Erziehungsprobleme und Privatkonkurs.

Die Entwicklung der psychischen Gesundheit besteht aus Ressourcen und Defiziten. Die vorgelegte medizinische/psychotherapeutische Dokumentation beschäftigt sich vorwiegend mit den bei der BF aufgezeichneten Defiziten, ohne auf ihre Ressourcen einzugehen.

3. Falls das Verbrechen nicht alleinige Ursache ist wird um Beurteilung ersucht, ob das Verbrechen als wesentliche Ursache zum derzeitigen psychiatrischen Leidenszustand beigetragen hat.

Ad 3.

In der gutachterlichen Exploration wurden weder psychiatrische Leiden noch Persönlichkeitsstörung erhoben.

Zu der anamnestisch und im Längsschnitt festgestellten psychiatrischen Gesundheitsschädigungen hat die SV bereits ausführlich Stellung genommen.

Die gutachterliche Einschätzung wird durch nachfolgend aufgezählte Problemfelder erschwert:

- Vielfalt der der Dokumentation entnommenen psychiatrischen Diagnosen, für die weder ein Diagnoseprozess verfolgt werden kann, noch erfüllen diese die geforderten diagnostischen Kriterien.

- Einige Diagnosen wurden bloß anhand der Angaben der BF erstellt. Dadurch wurde ohne jeglichen Objektivierungsversuch den geklagten Beschwerden (subjektiv durch die BF angegeben und empfunden, dh. subjektive Wirklichkeit der BF abbildend) der Status von Symptomen oder Symptomkomplexen (objektiv innerhalb des Fachgebietes gestellte Krankheitszeichen) verliehen.

Viele Diagnosen wurden in den nachfolgenden Untersuchungen bestätigend wiederholt, ohne dass sie einer kritischen Überprüfung auf ihre Richtigkeit unterzogen wurden. Wenn Diagnosen übernommen und nicht durch den Untersucher selbst gestellt werden, muss das in allen Befunden gekennzeichnet werden.

- Sowie durch sich widersprechende Angaben der Beschwerden seitens der BF.

4. Falls die Kausalität bejaht wird, wird um Stellungnahme ersucht, ob das festgestellte verbrechenskausale Leiden

c. eine adäquate/angemessene Folge des Verbrechens ist

d. einer psychotherapeutischen Behandlung bedarf.

Ad 4.

Entfällt, da die Kausalität nicht eindeutig bzw. mit hoher für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann.

In diesem Zusammenhang verweist die Sachverständige darauf, dass die Anknüpfung der Beschwerden an den Missbrauch erst ab 2018 der vorgelegten Dokumentation zu entnehmen ist. Substantielle Beeinträchtigungen, explizite Erinnerungen, die deutlich über normale Vergessensprozesse hinausgehen, treten als Folge von traumatischen Ereignissen auch bei PTBS Patienten i.d.R. nicht auf. Vergessensprozesse bei erlittenem Missbrauch, unterscheiden sich nicht von anderen. Die Gleichsetzung vom Vergessen und Verdrängung ist in der psychiatrischen Praxis nicht zulässig.

5. Hat das erlittene Trauma der festgestellten Gesundheitsschädigungen mit Wahrscheinlichkeit vorzeitig (erheblich früher Zeitpunkt) ausgelöst oder wären diese auch ohne die angeschuldigten Ereignisse im annähernd denselben Zeitraum entstanden?

Ad 5.

Siehe Beantwortung der Frage 4.

6. Hat das erlittene Trauma die festgestellten Gesundheitsschädigungen mit Wahrscheinlichkeit verschlimmert? Wenn ja, in welchem Ausmaß?

Ad 6.

Auch diese Frage lässt sich gutachterlicherseits nicht beantworten.

7. Sind verbrechenskausale Leiden für die Berufsunfähigkeit der Beschwerdeführerin hauptverantwortlich?

Ad 7.

Wie bei der Beantwortung der obenstehenden Fragen angegeben: für die Berufsunfähigkeit der Beschwerdeführerin lassen sich als psychische Leiden eine Panikstörung, vorübergehende Anpassungstörung bei Mobbingerfahrungen, Burnout im Sinne einer Erschöpfungsdepression feststellen.

Weder die Aktenlage noch die eigene gutachterliche Untersuchung lassen eine eindeutige Anknüpfung dieser psychischen Gesundheitsschädigungen an die von der BF in ihrer Kindheit erlebten Missbrauchs- und Gewalterfahrungen zu.

Viele andere belastende Lebensereignisse, welche im Verlauf Einfluss auf die psychische Gesundheit der BF genommen haben könnten, wurden bei Beantwortung der Frage 2 diskutiert. Ihre Gewichtung lässt sich nicht eindeutig gutachterlich bewerten.

Es wird darauf hingewiesen, dass die BF erst 2017 den Missbrauch als Trauma genannt hat und sich erst ab 2018 einer psychotherapeutischen Behandlung (mit Schwerpunkt der Aufarbeitung der Kindheitserlebnisse) unterzogen hat.

Auf die körperlichen Leiden, welche Ursachen der Krankenstände und gegebenenfalls der Berufsunfähigkeit als Ursachen oder dafür mitverursachende Faktoren sein könnten, wird in der Beantwortung dieser Frage nicht eingegangen.

8. Wenn ja: Hat das erlittene Trauma die festgestellten Gesundheitsschädigungen mit Wahrscheinlichkeit in einem Ausmaß verschlimmert, dass die Beschwerdeführerin ohne dass Verbrechen arbeitsfähig wäre, oder dass die Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit im deutlich geringeren Ausmaß bestünden oder wäre die Beschwerdeführerin ohne die erlittenen Verbrechen ebenfalls in annähernd gleichem Ausmaß arbeitsunfähig?

Ad 8.

Entfällt.

9. Kann aus medizinischer Sicht gesagt werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der kausalen Gesundheitsschädigungen an einem kontinuierlichen Berufsverlauf oder einer anderen/besseren Ausbildung gehindert war?

Ad 9.

Auf die Frage ist in diesem individuellen Fall keine eindeutige Antwort möglich.

10. Es wird um ausführliche Stellungnahme zu den vorgelegten psychiatrischen Befunden und den darin gestellten Diagnosen ersucht.

Ad 10.

Stellungnahme zu den vorgelegten medizinischen Unterlagen und psychotherapeutischen Befunden.

• Auszüge aus der medizinischen Krankengeschichte zu stationärem Aufenthalt vom 4.05.1986 bis 13.05.1986 im LKH Abtg. für Psychiatrie und Neurologie XXXX

Einweisung bei Verdacht auf eine akute Psychose und suizidale Absicht. Der Vormund der Patientin sei zum Zeitpunkt der Aufnahme im Urlaub gewesen. Am Aufnahmetag sei die Patientin von Sinnen gewesen, habe getobt und mit Selbstmord gedroht, war zeitweise nicht ansprechbar. Als Begr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten