TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/13 I408 2219958-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.2020
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Entscheidungsdatum

13.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

I408 2219958-1/20E

I408 2219959-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerden des XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK und der XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 10.05.2019, ZI. XXXX und XXXX nach Druchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.09.2020, zu Recht erkannt:

A)

Die beiden Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die verheirateten Beschwerdeführer, geboren am XXXX (BF1) bzw. XXXX (BF2) haben sich im Irak ein Visum für Frankreich besorgt und Anfang 2017 auf legalem Weg ihren Herkunftsstaat verlassen.

2.       Der einzige Sohn der beiden Beschwerdeführer, dem 2013 in Österreich der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, hält sich seit 2012 durchgehend in Österreich auf.

3.       Nach illegaler Einreise in Österreich stellten die Beschwerdeführer am 20.01.2017 Anträge auf internationalen Schutz, die im Zuge eines Dublins-Verfahren aufgrund der Zuständigkeit von Frankreich ohne in die Sache einzugehen als unzulässig zurückgewiesen wurden. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit ho. Erkenntnis vom 08.08.2017, W 240 2159684-1/8E bzw. W240 2159687-1/7E als unbegründet abgewiesen.

4.       Am 21.09.2017 sowie am 20.04.2018 stellten beide Beschwerdeführer noch Anträge auf eine unterstützte freiwillige Rückkehr. Ab 04.12.2017 hatten sie in Österreich keinen gemeldeten Wohnsitz mehr. Am 26.04.2018 zogen sie ihren letzten Antrag auf freiwillige Rückkehr zurück und waren in weiterer Folge nicht mehr aufgreifbar.

5.       Am 12.03.2019 stellten beide Beschwerdeführer neuerlich Anträge auf internationalen Schutz.

6.       Diese wurden mit den verfahrensgegenständlichen Bescheiden vom 10.05.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.). sowie der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und eine Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide). Zudem wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

7.       Am 06.06.2019 wurde gegen beide Bescheide fristgerecht Beschwerde erhoben und die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

8.       Mit ho. Erkenntnis vom 26.07.2019, I408 2219958-1/7E bzw. I408 2219959-1/4E wurden beide Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

9.       Mit Erkenntnis des VfGH vom 25.02.2020, E3356-3357/2019-11, wurde dieses Erkenntnis in Bezug auf die Spruchpunkten II. bis VI. behoben, ansonsten wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Die abweisende Entscheidung hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) erwuchs damit in Rechtskraft.

10.      Am 21.09.2020 fand im Beisein der Beschwerdeführer, ihrer Rechtsvertretung und ihres Sohnes eine mündliche Verhandlung statt, in der ihre persönliche Situation in Österreich und die aktuelle Lage im Irak erörtert wurde.

11.      Auftragsgemäß legten die Beschwerdeführer am 15.10.2020 alle vorhandenen ärztlichen Unterlagen in Bezug auf ihren Gesundheitszustand vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Abweisung hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist mit Erkenntnis des VfGH vom 25.02.2020, E3356-3357/2019-11, in Rechtskraft erwachsen und nicht mehr Gegenstand dieser Entscheidung.

Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsbürger, verheiratet und stehen im Alter von XXXX (BF1) und XXXX (BF2) Jahren.

Die Beschwerdeführer haben ihr gesamtes Berufsleben Im Irak verbracht und sich dort eine Existenz aufgebaut. BF1 war als Justizermittler im Staatsdienst und im letzten Jahr vor der Ausreise als selbständiger Rechtsanwalt tätig, die Ehefrau war Lehrerin. Anträge auf Zuerkennung der ihnen zustehenden staatlichen Pension wurden von beiden Beschwerdeführern nicht mehr gestellt.

Sie lebten in Dorf XXXX , im District XXXX in der Provinz Diyalah, ca. 60 km von Bagdad entfernt. Ihr einziger Sohn verließ bereits 2009 den Irak und lebte bis 2011 in Syrien. Im Anschluss daran besuchte er in der Ukraine eine Schule und machte dort die Matura. Von dort begab er sich dann nach Europa und hält sich seit 2012 in Österreich auf. Das Leben in Syrien sowie in der Ukraine wurde von seinen Eltern (BF1 und BF2) finanziert. Im Irak existieren weiterhin verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Form von dort lebenden Geschwistern und Cousins der Beschwerdeführer samt deren Familien.

Beide Beschwerdeführer haben den Irak verlassen, um den Lebensabend bei Ihrem Sohn, dem in Österreich 2013 der Status eines subisdiär Schutzberechtigen zuerkannt wurde, zu verbringen. Aus diesem Grund reisten sie Anfang 2017 mit einem Visum legal nach Frankreich und flogen von dort nach Österreich, wo sie am 20.01.2017 Asylanträge stellten.

Nach rechtskräftiger Zurückweisung dieser Asylanträge stellten beide Beschwerdeführer zunächst noch Anträge auf eine unterstützte freiwillige Rückkehr, tauchten dann, um eine Abschiebung nach Frankreich zu verhindern, unter. Ab Feber 2018 wurden die Leistungen der Grundversorgung eingestellt und sie bestritten ab diesem Zeitpunkt ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Unterstützung selbst.

Als sie davon ausgingen, dass ihnen keine Abschiebung nach Frankreich mehr drohe, stellten sie am 12.03.2019 neuerliche Asylanträge, wieder mit der Begründung, um bei Ihrem Sohn bleiben zu können.

In Österreich beziehen beide Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Sie weisen altersbedingte, gesundheitliche Beeinträchtigungen auf, leben bei ihrem Sohn in dessen Mietwohnung und werden von ihm auch im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützt. Ihr Sohn geht seit 2019 keiner Erwerbstätigkeit mehr nach und konzentriert sich auf die Lehrabschlussprüfung. Entsprechende Nachweise wurden trotz Aufforderung in der mündlichen Verhandlung nicht vorgelegt.

Beide Beschwerdeführer sind strafrechtlich unebscholten und weisen in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

BF1 leidet an Gastritis, Colon Irretable (Darmbeschwerden), einer Hörverminderung, einer Makuladegeneration-bds. (Sehbeeinträchtigung), einer Depression bei Belastungsreakion, einer Hypertriglyzeridämie (Fettstoffwechselstörung) und einer Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion). Bei BF2 sind es eine Refluxösophagitis (Sodbrennen bzw. Schluckbeschwerden), eine Hörverminderung, ein Colon Irritabile (Darmbeschwerden), ein Ekzem, eine Omarthralgie-bds. (Schulterschmerzen), eine Lumboischialgie-li./L5 (Rückenschmerzen), ein Morbus Baastrup L2-L5 (Wirbelsäulenschmerzen), eine Eisenmangelanämie, eine Depression bei Belastungsreaktion und eine Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion). BF1 wurde am 21.07.2017 wegen eines grauen Stars tagesklinisch operiert und BF2 war wegen ihres Schwindels vom 25.08. bis 27.08.2020 in stationärer Behandlung und wurde in stabilem Allgemienzustand aus der stattionären Betreuung entlassen. Beide unterziehen sich – abgesehen während der Zeit ihres Untertauchens – regelmäßig ärztlicher Behandlungen und erhalten die entsprechenden Medikamente.

Die Provinz Diyalah zählte laut Länderinforamtionsblatt der Staatendokumentation mit Stand 17.03.2020 zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen. Laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Sicherheitslage im District Baquba vom 26.08.2020 gab es im Zeitraum vom 01.01.2020 bis 18.08.2020 insgesamt 25 sicherheitsrelevante Vorfälle. Diese Größenordnung wird auch durch den aktuellen EASO-Bericht vom Oktober 2020 bestätigt, der für die gesamte Provinz Diyala im Zeitraum Jänner bis Juli 2020 insgesamt 48 sicherheitsrelevante Vorfälle angibt. Zudem ist schon dem Bericht von EASO zu den „Key-socio-economic indicators“ für den irak mit Stand September 2020 zu entnehmen, dass der District von Baquba nur mehr wenig von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffen ist („are relative less affected by indiscriminate violence“- Seitte 111).

Eine reale Gefahr der Verletzung einer durch Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK geschützten Rechte oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Beschwerdeführers als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Irak ist damit nicht mehr gegeben.

Ältere Menschen gehören im Irak zur armutsgefährdeten Personengruppe. Für Bedienstete im Staatsdienst besteht aber ein Pensionssystem auf niedrigem Niveau, welches von den Beschwerdeführern vor ihrer Ausreise nicht in Anspruch genommen wurde, dessen Forbestand zuletzt vom irakischen Staat ausdrücklich garantiert wurde (Anfragebeantwortung der Staattendokumentation zur Lage von Pensionisten im Irak vom 25.08.2020).

Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich im Irak nicht wesentlich verändert; bei bestimmten Gütern kam es jedoch zu standortspezifischen Preisschwankungen. In einer offiziellen Erklärung erklärte das Handelsministerium, dass der Mangel an finanziellen Zuweisungen die Fähigkeit des Ministeriums in Frage stelle, PDS-Güter (Public Distribution System) konsequent zu beschaffen (WFP 2.6.2020).

Das öffentliche Gesundheitssystem hat sich zwar in den verangegangenen Jahrzehnten aufgrund der wiederkehrenden Konflikte und der bestehenden Korruption verschlechtert (UNHCR Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen mit Stand Mai 2019), aber alle irakischen Staatsbürger haben weiterhin freien Zugang zum Gesunheitssystem und insbesondere im städtischen Bereich. ist ein Krankenhaus oder Gesundheitszentrum innerhalb von einer Stunde ereichbar (Länderinforamtionsblatt der Staatendokuemntation zum Irak mit Stand 17.03.2020).

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei etwa 80% der Betroffenen leicht bzw. symptomlos und bei ca. 20% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Sehr schwere oder tödliche Krankheitsverläufe treten am häufigsten bei Risikogruppen auf, zum Beispiel bei älteren Personen und Personen mit medizinischen Problemen oder Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses).

Die Covid-Pandemie belastet auch das Gesundheitssytem des Iraks, ein völliger Zusammenbruch des iraksichen Gesundheitssystem ist trotz hoher Fallzahlen nach den letzten Informationen der WHO nicht feststellbar (https://www.who.int /emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019).

Personen, bei welchen keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, die mit den sozialen und kulturllen Gegebenheiten vertraut sind und weiterhin über verwandtschaftliche Kontakte verfügen, werden trotz der noch immer angespannten Lage durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt. Das gilt auch für Personen, die aufgrund ihres Alters und altersbedingter Leiden zur Covid-Risikogruppe zählen, aber insgesamt einen aus ärztlicher Sicht zufriedenstellenden, gesundheitlichen Allgemeinzustand aufweisen.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Feststellungen ergeben sich aus den dort angeführten behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen, dem unbestrittenen Inhalt der Behördenakten des BFA und der Akten des Bundesverwaltungsgerichtes zu den beiden gegenständlichen Verfahren, sowie zu den abgeschlossenen Verfahren zu W 240 2159684 und 2159687, dem Behördenakt des Sohnes der Beschwerdeführer sowie den aktuellen Ausdrucken aus Strafregister, Zentralen Melderegister (ZMR) und Grundversorgung (GVS). Hinzu kommt das Protokoll zur mündlichen Verhandlung 21.09.2020 und den im Anschluss daran vorgelegten medizinischen Unterlagen.

Die Identität der Beschwerdeführer beruht auf den in den angefochtenen Bescheiden getroffenen und unbestritten gebliebenen Feststellungen.

Die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführer im Irak ergeben sich aus deren Angaben in den Verfahren in Österreich, sowie der Erörterung in der mündlichen Verhandlung. So ist den Angaben der Beschwerdeführer zweifelsfrei zu entnehmen, dass sie sich Zeit ihres Lebens im District XXXX aufgehalten haben und bis zur Ausreise im Staatsdienst tätig gewesen waren, BF1 zuletzt ein Jahr als selbständiger Rechtsanwalt. Die Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnisse beruhen auf den Angaben der Beschwerdeführer in ihren Verfahren in Österreich und finden auch in den Angaben ihres Sohnes in seinem Verfahren Deckung, der mit Unterstützung seiner Eltern 2 Jahre in Syren verbrachte und sich auch in der Ukraine weiterbilden konnte. Auch die jahrzehntelange berufliche Tätigkeit der Beschwerdeführer, ihre geplante, mit Flugzeug und einem Visum für Frankreich erfolgte Ausreise aus dem Irak und die Bestreitung Ihres Unterhaltes währens ihres Untertauchens zwischen Dezember 2017 und Feber 2019 sprechen dafür, dass beide Beschwerdeführer nicht völlig mittellos sind. Aus den Angaben der Beschwerdeführer ist auch zu entnehmen, dass sie aufgrund ihrer jahrelangen Beschäftigung im Staatsdienst über einen Pensionsanspruch verfügen, diesen aber bisher nicht geltend gemacht haben.

Aus den Angaben der Beschwerdeführer vor dem BFA ergibt sich zweifelsfrei, dass sie im Irak über verwandschaftliche Anknüpfungspunkte verfügen, auch wenn diese von ihnen in der mündlichen Verhandlung ertsmals in Abrede gestellt wurde („Wir haben niemanden mehr im Irak. Alle haben das Land verlassen.“). Dieser Wechsel im Vorbringen wird dem Versuch der Beschwerdeführer, einen Aufenthalt in Österreich zu rechtfertigen, zugeschrieben.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer und die in Österreich vorgenommenen Operationen basieren auf den Angaben der Beschwerdeführer und ist vor allem den vorgelegten medizinischen Unterlagen entnommen. Diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind nicht schwerwiegend oder gar lebensbedrohend. Abgesehen von altersbedingten Einschränkungen und den beiden erfolgreich verlaufenden medizinschen Eingriffen haben sich keine Anhaltspunkte für eine besondere Pflegebdürftigkeit oder sonstige lebensbedrohlichen Erkrankungen ergeben. Auch das Leben im Untergrund, ohne medizinische Betreuung und Unterstützung des Sohnes sprechen nicht für gravierende, gesundheitliche Einschränkungen.

Erkennbar und verständlich ist allein der Wunsch der Beschwerdeführer, ihren Lebensabend bei ihrem Sohn in Österreich zu verbringen.

Die Feststellungen zu ihrem Aufenthalt in Österreich, die persönlichen Verhältnisse, die Lebensumstände und das Fehlen einer maßgeblichen Integration beruhen auf den Angaben der Beschwerdeführer und ihres Sohnes in der mündlichen Verhandlung. Die fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit sowie die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen wird weder von den Beschwerdführern noch von ihrem Sohn in Abrede gestellt und ist über die eingeholten Auszüge aus GVS und AJ-WEB zweifelsfrei dokumentiert.

Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführer entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die Feststellungen zur Lage im Irak basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 17.03.2020, ergänzt durch Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zur Lage von Pensionisten im Irak vom 25.08.2020 sowie zur Sicherheitslage im XXXX vom 26.08.2020. Zur Plausibilisierung der Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle wurde auch auf aktuelle EASO-Berichte zur Sicherheitslage (Stand Oktober 2010) sowie zu sozioökonomsche Schlüsselindikatoren (Stand September 2020) zugegriffen.

Zu diesen Unterlagen und den darin verwendeten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Lage im Irak, insbesondere mit Bezug auf die altersbedingte Situation der Beschwerdeführer (Pensionsbezug, altersbedingte Erkrankungen, familiäre Anknüpfungspunkte) wurde in der mündlichen Verhandlung mit den Beschwerdeführern erörtert. Den dabei getroffenen Feststellungen wurde nicht substantiiert entgegengetreten.

Wenn die Rechtsvertretung dazu vorbringt, dass es offen sei, ob die Beschwerdeführer eine Pension auch tatsächlich bekommen, ist dem entgegenzuhalten, dass ein Anspruch von den Beschwerdeführern nicht in Abrede gestellt wurde und aufgrund der Ausführungen zum Pensionssystem ist ein derartiger Antrag als erfolgsversprechend einzuschätzen. Beide Beschwerdeführer sind mit den behördlichen Abläufen und den sozialen Gegebenheiten im Land vertraut und verfügen dort weiterhin über familiäre Anknüpfungspunkte. So mussten die beiden Beschwerdeführer auch ab 2009 ohne die Unterstützung ihres eigenen Sohnes auskommen bzw. waren in dieser Zeit im vorhandenen Familiennetzwerk eingebunden. Eine Bedrohung aufgrund der schiitischen Religionszugehörigkeit, wie von der Rechtsvertretung noch abschließend eingebracht wurde, hat es für die Beschwerdeführer in der Vergangeneheit nicht gegeben und ist éine solche auch den vorliegenden Länderbichten nicht zu nentehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zum Status von subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. der beiden Bescheide):

Gemäß § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG 2005 idgF ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jeder im Falle einer Rückkehr in den Irak mit existentiellen Nöten konfrontiert ist. So ist den Berichten nicht zu entnehmen, dass eine Rückkehr nach XXXX , Provinz Diyala automatisch mit einer Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte verbunden wäre, zumal im Irak kein Bürgerkrieg mehr herrscht und sich die Lage, wie aus den vorliegenden Fallzahlen ersichtlich, zunehmend stabilsiert hat.

Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174). Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 200/01/0443 und zuletzt VwGH, 25.05.2016, Ra 2016/19-0036-5).

Ebenso ist der Rechtsprechung des VwGH zu Art. 3 EMRK zu entnehmen, dass im Allgeminen kein Fremder ein Recht auf einem Verbleib in einen fremden Aufenthaltsstaat hat, blß um dort medizinisch behandelt zu werden, und war selbst auch dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/19/0024).

Deratrige exzeptionellen Umstände sind nicht vorgebracht worden. Im Gegensatz zu Österreich verfügen beide Beschwerdeführer im Irak aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeiten über Pensionsansprüche, die geltend gemacht werden können. Sie sind mit den örtlichen, sozialen und kulurellen Gegebenheiten vertraut und es leben im Umkreis ihres früheren Wohnortes Familienagehörige, mit denen sie über Jahrzehnte, auch in Abwesenheit ihres Sohnes, Kontakt hatten. Auch wenn das irakische Gesundheitssytem nicht dem österreichischen verglichen werden kann, ist es in der Lage, eine medizinische Versorgung zu gewährleisten.

Die Voraussetzungen zur Gewährung eines subsidiären Schutzes liegen damit nicht vor und die Beschwerden waren daher zu Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. der beiden Bescheide):

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das BFA unter Zitierung des § 57 AsylG 2005 zwar ausgesprochen hat, dass ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, dass sich aus der Begründung der angefochtenen Bescheide jedoch unzweifelhaft ergibt, dass das BFA tatsächlich rechtsrichtig über eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 abgesprochen und eine solche nicht erteilt hat.

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in den Beschwerden auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

Die Beschwerden waren daher auch zu diesem Spruchpunkt der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. der beiden Bescheide):

Nach § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das BFA einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Was einen allfälligen Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführer betrifft, lässt sich das Bundesverwaltungsgericht von nachstehenden Erwägungen leiten:

Vom Prüfungsumfang des Begriffs des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, die miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

In Österreich lebt ein zum subsidiären Schutz berechtigter Sohn der beiden Beschwerdeführer. Von einem Familienleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist jedoch nicht auszugehen, weil kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zum Sohn bzw. eine Pflegebedürftigkeit der Beschwerdeführer erkannt werden kann. Der Sohn lebte seit 2005 jahrelang getrennt von den beiden Beschwerdeführern und die altersbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführer sind nicht als derart schwerwiegend anzusehen, dass diese auf eine Unterstützung durch ihren Sohn angewiesen wären, sodass daraus eine ausgeprägt höhere Schutzwürdigkeit des Familienlebens der Beschwerdeführer mit ihrem Sohn nicht ableitbar ist. Es kann somit nicht erkannt werden, dass ein solches besonderes Abhängigkeitsverhältnis vorliegt, das hinreichen würde, ein Familienleben zwischen Erwachsenen zu etablieren (vgl. BVwG 11.05.2015, W112 1434436-1 ua.).

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben der Beschwerdeführer eingreifen.

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua. v. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua v. Norwegen, Appl. 265/07).

Hinzu kommt, dass dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt regelnden gesetzlichen Bestimmungen sowie der Befolgung bzw. Effektuierung ergangener und bereits in Rechtskraft erwachsener Entscheidungen ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086; 26.6.2013, 2013/22/0138; 26.04.2018, Ra 2018/21/0062).

Im vorliegenden Fall erfolgte die Einreise die Beschwerdeführer Anfang 2017 aus Frankreich illegal und in Kennntis der Rechtswidrigkeit ihres Handelns und dieser Aufenthalt wurde auch nach der Rechtskraft der zurückweisenden Asylentscheidung im Erstverfahren fortgesetzt. Obwohl sie noch zwei Anträge auf unterstützte freiwillige Rückkehr stellten, kehrten sie nicht in den Irak zurück, sondern tauchten, um einer Abschiebung nach Frankreich nach den Dublin-Bestimmungen zu entgehen, unter und stellten im März 2019 einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die Schutzwürdigkeit des Privatlebens in Österreich ist bei dieser Vorgehensweise und angesichts der insgesamt kurzen Dauer des Aufenthaltes nicht gegeben. Hinzu kommt, dass BF1 als ausgebildeter Jurist die Rechtswidrigkeit seines Handelns in einem besonderm Ausßmaß bewusst sein muss.

Außerdem ist eine Fortführung der Beziehung mit ihrem Sohn über moderne Kommunikationsmittel bzw. gegebenenfalls durch Besuche zumutbar und könnten sie nach ihrer Ausreise aus Österreich ein Visum für das Bundesgebiet beantragen, um ihren Sohn zu besuchen.

Die Beschwerdeführer verfügen über maßgebliche Bindungen zu ihrem Herkunftsstaat, indem sie ihr gesamtes Berufsleben verbracht haben, in den letzten Jahren in Abwesenheit und ohne Unterstützung ihres Sohnes und wo auch nahe Verwandte in unmittelbarer Umgebung Ihres Wohnortes leben. Unzumutbare Härten vermag das Bundesverwaltungsgericht in einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat aus diesem Grund also nicht erkennen. Dies vor allem deshalb, weil im Gegensatz dazu ihre Integration in Österreich nur sehr wenig ausgeprägt ist: Die Beschwerdeführer beziehen Grundversorgung, sind nicht selbsterhaltungsfähig und beherrschen die deutsche Sprache nicht. Die strafgerichtliche Unbescholtenheit, vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (z.B. VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist das BFA somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ihr persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin zwar einen Eingriff, aber keine Verletzung im Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Privatlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist daher nicht nur nicht geboten, sondern es war dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch verwehrt, über diesen überhaupt abzusprechen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerden auch gegen Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. der angefochtenen Bescheide):

Im angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 52 Abs. 9 Fremdenpolizeigesetz (FPG) festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak zulässig ist.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119; 25.09.2019, Ra 2019/19/0399; u.a.).

Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.

Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen für den Irak nicht vor, sodass aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da den Beschwerdeführern keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (Beschluss des VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden Nr. 61204/09; sowie Erkenntnis des VwGH vom 25.02.2016, Ra 2016/19/0036 sowie vom 13.09.2016, Ra 2016/01/0096-3).

Es ergibt sich insgesamt kein reales Risiko, dass es durch die Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.

Die Beschwerden waren daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes V. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

3.6. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide):

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Derartige "besondere Umstände" wurden von den Beschwerdeführern nicht ins Treffen geführt und sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Familienverfahren Gesundheitszustand Interessenabwägung medizinische Versorgung non refoulement öffentliche Interessen Pandemie Privat- und Familienleben Rechtsanschauung des VfGH Resozialisierung Rückkehrentscheidung Selbsterhaltungsfähigkeit soziale Verhältnisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2219958.1.00

Im RIS seit

27.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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