TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/25 95/01/0161

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Veröffentlicht am 25.06.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des F, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. April 1995, Zl. 4.322.034/8-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation", der am 8. August 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 14. August 1991 den Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 20. August 1991 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen folgendes ausgeführt:

Er stamme aus dem Kosovo und sei Angehöriger der albanischen Minderheit. Bereits seit Jänner 1990 sei er Mitglied der dortigen demokratischen Bewegung. Anfang April 1991 habe er sich drei Tage in Untersuchungshaft befunden, wobei er "immer wieder verprügelt und verhört" worden sei. Sichtbare Verletzungen habe er nicht davongetragen. Im Mai 1991 sei er von einem Gemeindegericht zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er als Organisator einer Demonstration gegen die Willkür der Staatsmacht ausgeforscht worden sei. Der ihm zwei Monate danach zugestellten Aufforderung zum Strafantritt habe er keine Folge geleistet.

Als Angehöriger der albanischen Minderheit sei er in seiner Heimat strengen Restriktionen unterworfen. Arbeitsplätze seien nur den Serben vorbehalten. Die Unterdrückung gehe ständig weiter und er habe Angst vor einem Bürgerkrieg. Mehrere junge Männer seines Alters seien schon zur jugoslawischen Armee eingezogen worden oder hätten eine Ladung zur Stellung erhalten. Um der über ihn verhängten dreimonatigen Freiheitsstrafe zu entgehen, sei er bereits im Mai 1991 nach Zagreb gefahren, wo er von Gelegenheitsarbeiten gelebt habe. Im August 1991 sei er nach Österreich weitergereist.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich hat mit Bescheid vom 21. August 1991 auf Grundlage des Asylgesetzes (1968) festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, aus den bei seiner niederschriftlichen Vernehmung genannten Gründen komme ihm die Stellung als politischer Flüchtling zu.

Mit Bescheid vom 27. Mai 1993 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Dieser Bescheid wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. September 1994, Zl. 93/01/0677, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes infolge der Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, aufgehoben. Im fortgesetzten Verfahren erstattete der Beschwerdeführer über Aufforderung durch die belangte Behörde mit Schriftsatz vom 11. April 1995 eine Berufungsergänzung. Darin brachte er im wesentlichen vor, daß die Einberufung der Kosovo-Albaner eine gezielte Maßnahme darstelle, diese Volksgruppe zu unterdrücken und Sanktionen auszusetzen. Die Normen für die Einberufung von Wehrpflichtigen würden von den Behörden planmäßig unterlaufen, um Angehörige der albanischen Minderheit schikanös zu behandeln. Es würden auch Marschbefehle direkt an die Front ausgestellt werden. Der Beschwerdeführer habe von seinem Vater erfahren, daß er vor kurzer Zeit von Gendarmen zu Hause gesucht worden sei. Diese Beamten hätten versucht, ihm einen Einberufungsbefehl zuzustellen. Kosovo-Albaner liefen Gefahr, im Rahmen einer über sie verhängten Haftstrafe durch Folter und ähnliche drastische Mittel unmenschlich behandelt zu werden.

Mit Bescheid vom 11. April 1995 wies die belangte Behörde die Berufung neuerlich ab und versagte die Asylgewährung. Sie führte dazu aus, der Beschwerdeführer habe keine konkrete, gegen ihn gerichtete, die Intensität einer asylrelevanten Verfolgung erreichende behördliche Maßnahme glaubhaft machen können. Beschränkungen des Versammlungsrechtes bzw. damit im Zusammenhang stehende behördliche Maßnahmen vermöchten grundsätzlich die Asylgewährung nicht zu rechtfertigen, weil diesen Einschränkungen alle Bewohner gleichermaßen unterworfen seien. Die vorübergehende Festnahme und die Verurteilung wegen der Organisation einer verbotenen Kundgebung könnten daher nicht als Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 qualifiziert werden. Ebenso stellten die Bürgerkriegssituation in der Heimat des Beschwerdeführers und dessen Zugehörigkeit zur albanischen Minderheit keine Gründe für die Asylgewährung dar. Die vom Beschwerdeführer "offenbar befürchtete Einberufung zur Militärdienstleistung" sei eine staatsbürgerliche Pflicht. Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung, auch strenge Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion, seien legitim. Die Beweggründe des Beschwerdeführers, der Militärdienstpflicht nicht nachzukommen, seien insoferne asylrechtlich unbeachtlich, als sie für sich noch keine Rückschlüsse auf eine Verfolgungsmotivation des Staates zuließen. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß mit seiner Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre. Letztlich werde festgestellt, daß die Armee der "Jugoslawischen Föderation" derzeit in keinen bewaffneten Konflikt involviert sei. Der Beschwerdeführer habe daher für den Fall seiner Einberufung nicht damit zu rechnen, Kriegsdienst zu leisten.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - worunter sowohl die Nichtbefolgung der Einberufung als auch die Desertion zu verstehen ist - grundsätzlich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht, was auch in Fällen gilt, in denen in dem betreffenden Heimatstaat ein Bürgerkrieg oder eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung stattfindet. Allerdings kann die Furcht vor Verfolgung im Zusammenhang mit der Ableistung des Militärdienstes dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung bzw. unterschiedliche Behandlung während des Militärdienstes aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen schärfere Sanktionen drohten (vgl. dazu insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14089/A).

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren seine behauptete Flüchtlingseigenschaft vor allem darauf gestützt, daß er als Mitglied der demokratischen Bewegung in seiner Heimat wegen der Organisation einer Demonstration zu einer Haftstrafe verurteilt worden sei und befürchte, diese Strafe verbüßen zu müssen. Weiters hat er ausgeführt, daß die albanische Bevölkerungsgruppe im Kosovo benachteiligt sei und er sich u.a. vor einem Bürgerkrieg fürchte. In diesem Zusammenhang hat er lediglich darauf hingewiesen, daß Männer seines Alters bereits einberufen worden seien. Einen konkret an ihn ergangenen Einberufungsbefehl hat er nicht behauptet.

Mit dem Vorbringen in der Berufungsergänzung, daß vor kurzem versucht worden sei, ihm einen Einberufungsbefehl zuzustellen, macht der Beschwerdeführer daher eine seit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eingetretene Änderung des Sachverhaltes geltend.

Sollte die behauptete Änderung des Sachverhaltes tatsächlich vorliegen, wäre die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 zur Anordnung der Ergänzung bzw. Wiederholung des Ermittlungsverfahrens verpflichtet gewesen. Die belangte Behörde hat dieses Vorbringen jedoch keiner Beweiswürdigung unterzogen und keine entsprechenden Feststellungen getroffen. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ist nicht ersichtlich, ob die belangte Behörde das Vorbringen in der Berufungsergänzung aus rechtlichen Gründen (gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991) für unbeachtlich hielt oder sie es übersehen hat.

Daß die behauptete Änderung des Sachverhaltes einen asylrelevanten Bereich betrifft, ergibt sich aus den Ausführungen des Beschwerdeführers in der Berufungsergänzung, die Einberufung von ethnischen Albanern aus dem Kosovo diene der Unterdrückung dieser Bevölkerungsgruppe, Rekruten albanischer Nationalität würden in der Armee schikanös behandelt. Der Beschwerdeführer hat somit einen im Sinne der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes asylrelevanten Zusammenhang zwischen seiner Einberufung und einem in § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Grund hergestellt. Das diesen Zusammenhang herstellende Vorbringen unterliegt schon deshalb nicht dem Neuerungsverbot gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991, weil der Zweck der Durchbrechung dieses Neuerungsverbotes bei einer Änderung des Sachverhaltes gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 im vorliegenden Fall vereitelt würde, wenn es dem Beschwerdeführer nicht offenstünde, zu der behaupteten Sachverhaltsänderung auch ein Vorbringen zu erstatten, aus dem sich erst die Relevanz dieser Änderung ergibt. Für den Beschwerdeführer bestand bei seiner Vernehmung vor der Behörde erster Instanz aufgrund der Tatsache, daß er damals die bevorstehende Einberufung nur vermutete, keine Veranlassung, einen derartigen Zusammenhang herzustellen.

Ein Eingehen auf die anderen vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründe erübrigt sich schon deshalb, weil die Beschwerde darauf nicht mehr zurückkommt.

Aufgrund der aufgezeigten Mangelhaftigkeit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995010161.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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