TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/18 I416 2236047-1

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Veröffentlicht am 18.11.2020
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Entscheidungsdatum

18.11.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1
NAG §53 Abs1
NAG §53 Abs2
NAG §55 Abs3

Spruch

I416 2236047-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA. Griechenland, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.09.2020, Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit Schriftsatz des Amtes der Wiener Landesregierung (MA 35) vom 20.04.2020, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon in Kenntnis gesetzt, dass der Beschwerdeführer am 08.02.2020 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Zweck „Arbeitnehmer“ eingebracht habe, dieser aber keinen gültigen Reisepass oder Personalausweis vorlegen habe können, weshalb die Erteilungsvoraussetzungen derzeit nicht vorliegen würden und wurde mit gegenständlichen Schriftsatz gemäß § 55 Abs. 3 NAG die Prüfung einer mögliche Aufenthaltsbeendigung angeregt.

Mit Schriftsatz vom 27.05.2020, bezeichnet als „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“, wurde dem Beschwerdeführer eine Frist von zwei Wochen, zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bezüglich der Beweisaufnahme in der Angelegenheit „Erlassung einer Ausweisung“, verbunden mit der Beantwortung eines umfassenden Fragenkataloges, gewährt. Diese Frist hat der Beschwerdeführer ungenutzt verstreichen lassen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.09.2020 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde dem Beschwerdeführer ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Grundlage der Entscheidung war, dass der Beschwerdeführer keinen Nachweis über seine finanziellen Mittel erbringen habe können und somit die Annahme gerechtfertigt wäre, dass er in Hinkunft nicht über ausreichende Existenzmittel verfügen würde und damit zu einer Belastung für den österreichischen Staat werden könnte. Darüber hinaus habe er seine Identität nicht nachgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 09.10.2020, bei der belangten Behörde am selben Tag eingelangt, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und legte die Kopie seines griechischen Personalausweises und einen Dienstzettel über ein Beschäftigungsverhältnis beginnend mit 05.06.2020 vor.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 14.10.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Griechenlands. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer ist seit 11.07.2017 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.

Die Beschwerdeführer stellte am 08.02.2020 einen Antrag auf Ausstellung einer „Anmeldebescheinigung für den Zweck „Arbeitnehmer“. Der Beschwerdeführer ist seit 05.06.2020 bei der XXXX KG als Hilfskraft beschäftigt und daher Arbeitnehmer im Sinne des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG). Der Beschwerdeführer war vom 05.06.2020 bis 15.09.2020 für zehn Wochenstunden, vom 16.09.2020 bis 30.09.2020 für 20 Wochenstunden und ist seit 01.10.2020 für 40 Wochenstunden beschäftigt.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund des vorgelegten Personalausweises fest.

Die Feststellungen zu seinem bisherigen Aufenthalt im Bundesgebiet ergeben sich aus einem aktuellen ZMR Auszug.

Der Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung geht aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister und dem unbestrittenen Akteninhalt hervor.

Die Arbeitnehmereigenschaft und damit einhergehend der bestehende Versicherungsschutz ergibt sich aus dem aufrechten Arbeitsverhältnis mit der XXXX KG, welches durch den aktuellen Auszug aus dem AJ-WEB vom 18.11.2020 belegt wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1. Rechtslage:

Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:

"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

Gemäß § 55 Abs. 3 NAG hat die Behörde für den Fall, dass das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht besteht, weil eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hiervon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.“

§ 51 Abs. 1 NAG lautet:

"Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen."

Der mit "Anmeldebescheinigung" betitelte § 53 Abs. 1 und 2 Z 1-3 NAG lautet:

"§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;

2. nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;

3. nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;"

3.2. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger von Griechenland ist sohin EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Die Identität hat er durch die Vorlage seines griechischen Personalausweises nachgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist seit 01.10.2020 im Ausmaß von 40 Wochenstunden erwerbstätig. Es ist daher zu prüfen, ob der Beschwerdeführer den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG erfüllt. Dabei müssen die Voraussetzungen der Z 1 und der Z 2 dieser Bestimmung nicht kumulativ erfüllt sein; dem stehen schon der eindeutige Wortlaut sowohl des § 51 Abs. 1 NAG als auch des Art. 7 Abs. 1 lit. a und b der Freizügigkeitsrichtlinie (arg.: "oder") entgegen (siehe dazu etwa auch EuGH (Große Kammer) 11.11.2014, Dano, C- 333/13, Rn. 75, wo es heißt: "Überdies unterscheidet die Richtlinie 2004/38 hinsichtlich der Voraussetzung, über ausreichende Existenzmittel zu verfügen, zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Personen. Der erstgenannten Gruppe von Unionsbürgern, die sich im Aufnahmemitgliedstaat befinden, steht nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 das Aufenthaltsrecht zu, ohne dass sie weitere Voraussetzungen erfüllen muss. Dagegen wird in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie von nicht erwerbstätigen Personen verlangt, dass sie über ausreichende eigene Existenzmittel verfügen."). Um als "Arbeitnehmer" im Sinn der genannten Bestimmungen zu gelten, muss lediglich eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" ausgeübt werden, die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine "völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit" handelt. Die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer erhält, ist ebenso wenig von alleiniger Bedeutung wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Arbeitsverhältnisses (vgl. VwGH, 30.08.2018, Ra 2018/21/0049; VwGH, 14.11.2017, Ra 2017/21/0130 sowie VwGH, 29.09.2011, 2009/21/0386, Punkt 3.3. der Entscheidungsgründe; siehe auch VwGH 18.12.2012, 2010/09/0185, u.a. mit dem Hinweis auf das eine geringfügige Beschäftigung betreffende Urteil des EuGH vom 4.2.2010, Hava Genc, C-14/09, Rn. 19 ff; siehe aus der letzten Zeit etwa auch EuGH 19.7.2017, Antonino Bordonaro, C-143/16, Rn. 19 ff).

Das für den Arbeitnehmerbegriff nach § 51 Abs. 1 Z 1 NAG auch eine geringfügige Tätigkeit ausreicht, stellte der Verwaltungsgerichtshof in den oben genannten Judikaten bereits fest, wobei im gegenständlichen Fall der Beschwerdeführer nachweislich nicht nur geringfügig beschäftigt ist, sondern seit 01.10.2020 in Vollzeit arbeitet. In Zusammenschau der vorgelegten Dokumente, insbesondere des Dienstzettels, unter Berücksichtigung eines aktuellen Auszuges aus dem AJ-WEB und seines im Beschwerdeverfahren vorgelegten Personalausweises, kommt dem Beschwerdeführer daher auf Basis des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu.

Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht wird innerstaatlich nicht verliehen, sondern nur dokumentiert (VwGH, 09.08.2016, Ro 2015/10/0050). Es kommt daher auf die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Rechtserwerb nicht an (VwGH, 26.01.2017, Ra 2016/21/0264).

Die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd § 51 Abs. 1 Z 1 NAG liegen daher zum aktuellen Zeitpunkt vor.

Die Ausweisung erweist sich nunmehr als rechtswidrig. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

4. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Im gegenständlichen Fall konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 VwGVG unterbleiben, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Arbeitnehmereigenschaft Arbeitnehmerfreizügigkeit Aufenthaltsbeendigung Aufenthaltsrecht Ausweisung aufgehoben Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung Erwerbstätigkeit EWR-Bürger Identität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I416.2236047.1.00

Im RIS seit

27.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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