TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/25 95/01/0128

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.06.1997
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des I in G, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Februar 1995, Zl. 4.345.705/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.320,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation" albanischer Nationalität aus dem Kosovo, der am 17. Dezember 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 19. Dezember 1994 den Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 21. Dezember 1994 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen ausgeführt, sein Cousin habe "Probleme mit der Polizei". Dieser Cousin "war selbst Kommandant bei der Polizei". Am 10. Oktober 1994 hätten sechs oder sieben Polizisten das Haus des Beschwerdeführers, welches auch vom genannten Cousin bewohnt werde, nach von diesem gelagerten Waffen ergebnislos durchsucht. Im Zuge dieser Amtshandlung sei er auf die Polizeidienststelle mitgenommen und "über meinen Cousin" ausgefragt worden. Da er keine Auskünfte gegeben habe, sei er mit Gummiknüppeln ein bis zwei Stunden lang ununterbrochen auf Hände und Füße geschlagen worden. Danach sei er nach Hause geschickt worden, wobei ihm beteuert worden sei, daß er irgendwann wieder geholt und - falls er nichts über seinen Cousin aussage - umgebracht werden würde. Am 10. Dezember 1994 habe er eine Vorladung zur Polizei erhalten. Aus Angst davor, umgebracht zu werden, habe er dieser Ladung keine Folge geleistet, sondern sei geflüchtet. Auf die Frage, warum er meine, tatsächlich umgebracht zu werden, antwortete er zunächst, daß der Mann seiner Tante vor etwa drei bis vier Wochen auf einer Polizeistation geschlagen worden sei. Weiters führte er aus, daß von den Albanern die Abgabe von Waffen verlangt werde; kämen sie diesem Befehl nicht nach, würden sie getötet. Derartige Fälle gebe es mehrmals täglich. Auf die Frage, ob er das selbst gesehen habe, antwortete er mit "ja". Auf die weitere Frage, wie "das passiert" sei, gab er zur Antwort, daß Leute auf der Straße oder auch auf Polizeistationen umgebracht würden. Die Polizei habe mit der Begründung, daß der Beschwerdeführer von seinem Cousin Waffen erhalten habe, auch vom Beschwerdeführer die Abgabe von Waffen verlangt.

In seiner Berufung gegen den seinen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Jänner 1995 erstattete der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen kein weitergehendes Vorbringen.

Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Februar 1995 wurde diese Berufung abgewiesen. Die belangte Behörde begründete dies im wesentlichen damit, daß das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Gesamtheit nicht glaubwürdig sei.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich vor allem gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung. Dies zu Recht, hält doch die Ansicht der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer könne insgesamt kein Glaube geschenkt werden, der vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm zukommenden Überprüfung der Beweiswürdigung (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung nicht stand.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit vor allem deshalb abgesprochen, weil es nicht plausibel sei, daß der Cousin des Beschwerdeführers, der selbst "Kommandant bei der Polizei" sei, "Probleme mit der Polizei" habe. Damit unterstellt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer, ausgesagt zu haben, daß sein Cousin zu der Zeit, als er selbst "Kommandant bei der Polizei" gewesen sei, von der Polizei verfolgt worden sei. Dies kann aber aus der Aussage ("... WAR selbst Kommandant bei der Polizei") jedenfalls nicht ohne weitere Nachfrage geschlossen werden. Diese Aussage kann vor dem Hintergrund der allgemein bekannten politischen Lage im Kosovo - wie dies die Beschwerde vorbringt - zwanglos auch so verstanden werden, daß der Cousin des Beschwerdeführers als ethnischer Albaner zu einer früheren Zeit die Funktion des Polizeikommandanten innegehabt habe und von der nunmehr hauptsächlich aus Serben bestehenden Polizei verfolgt werde. Soweit die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vorwirft, er habe nicht dargetan, warum ihn die Polizei über seinen Cousin befragt habe, ist ihr zu entgegnen, daß der Beschwerdeführer aussagte, die Polizei habe in seinem Haus nach Waffen seines Cousins, der auch dort gelebt habe, gesucht. Nach dem ergebnislosen Verlauf dieser Suche sei er "über seinen Cousin" ausgefragt worden. Aus dem Zusammenhang dieser Aussage ist eindeutig ersichtlich, daß der Beschwerdeführer betreffend den seinen Cousin unterstellten Waffenbesitz befragt werden sollte. Hätte die Behörde daran Zweifel gehabt, wäre es an ihr gelegen gewesen, dem Beschwerdeführer entsprechend konkrete Fragen zu stellen.

Auch soweit die belangte Behörde ihre Beweiswürdigung darauf stützt, daß der Beschwerdeführer eine nähere Überprüfung seiner Angaben betreffend die vorgefallenen Mißhandlungen durch seine Aussage, er habe keine Verletzungen davongetragen, "abgeschmettert" habe, halten die Erwägungen einer Schlüssigkeitsprüfung nicht stand. Der Beschwerdeführer hat - offensichtlich bezogen auf den Zeitpunkt seiner Aussage - ausgeführt, daß er über keine Verletzungen "verfüge". Da es keinesfalls außerhalb der Lebenserfahrung liegt, daß Schläge auf Hände und Füße keine noch nach zwei Monaten sichtbaren Spuren hinterlassen, kann aus dieser Aussage nicht auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers geschlossen werden.

Weiters führte die belangte Behörde aus, es sei nicht glaubwürdig, daß der Beschwerdeführer tatsächlich Tötungen von Menschen durch die Polizei selbst beobachtet habe. Es sei "absolut nicht plausibel", daß der Beschwerdeführer gerade am Ort des Geschehens (noch dazu auf Polizeistationen) gewesen sei. Überdies sei die Polizei sicher nicht daran interessiert, bei derartigen Taten Zeugen - noch dazu immer denselben - zu haben.

Diese Ausführungen sind zwar in sich schlüssig, doch kann nach Ansicht des Gerichtshofes einzig aus der Tatsache, daß der Beschwerdeführer die Frage, ob er die von ihm vorgebrachten täglichen Tötungen von Menschen durch die Polizei selbst gesehen habe, mit "ja" beantwortete, noch nicht geschlossen werden, daß seine gesamte Aussage nicht glaubwürdig sei, zumal der Beschwerdeführer keine konkreten Ausführungen über von ihm tatsächlich beobachtete Vorfälle machte und auch nicht befragt wurde, wieso er Augenzeuge derartiger Handlungen gewesen sei.

Da nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Vornahme einer schlüssigen Beweiswürdigung aufgrund der Aussagen des Beschwerdeführers, denen vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage im Kosovo die Asylrelevanz nicht von vornherein abgesprochen werden kann, zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995010128.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten