TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/20 W247 2210783-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.11.2020
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Entscheidungsdatum

20.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W247 2210783-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2018, Zl. XXXX , nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.09.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheides wird gemäß §§3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF. als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben, der Bescheid hinsichtlich der bekämpften Spruchpunkt IV. bis VI. aufgehoben und ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., auf Dauer unzulässig ist.

III. XXXX wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 iVm § 58 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt wird.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

1. Erster Antrag der Beschwerdeführerin (BF) auf internationalen Schutz im Bundesgebiet:

1.1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, stellte nach illegaler Einreise ins österreichische Bundesgebiet erstmals am 29.08.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Mit Bescheid vom 22.10.2008, Zl. XXXX wies das Bundesasylamt den Antrag der BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück; stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin VO Polen zuständig sei, wies die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG dorthin aus und sprach überdies aus, dass gemäß § 10 Abs. 4 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung dorthin zulässig sei.

1.3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 14.11.2008, Zl. XXXX , gemäß §§ 5,10 AslyG als unbegründet abgewiesen. Die BF verließ in der Folge das österreichische Bundesgebiet und kehrte in die Russische Föderation zurück.

2. Zweiter Antrag der BF auf internationalen Schutz im Bundesgebiet:

2.1. Die BF reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt gemeinsam mit ihrer Mutter erneut in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 20.01.2017 den zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

2.2. Im Rahmen der erfolgten Erstbefragung gab die BF hinsichtlich ihrer Fluchtgründe an, dass eine Cousine ihrer Mutter zu ihnen nach Hause gekommen sei und ihre Mutter dieser geholfen habe, dass sie sich bei Bekannten verstecken könnte. Als die Beamten eingetroffen wären, habe sie sich im Haus versteckt und könne sie keine weiteren Angaben darüber machen, was die Beamten mit ihrer Mutter geredet hätten. Ihre Mutter habe ihr dann nur gesagt, sie müssten Tschetschenien und Russland so schnell wie möglich verlassen, da es zu Hause zu gefährlich für sie wäre.

2.3. Mit Bescheid vom 24.06.2017, Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach aus, dass Tschechien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Die Außerlandesbringung der BF wurde gemäß § 61 Abs. 1 Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der BF nach Tschechien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

2.4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde sodann mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.07.2017, Zl. XXXX , gemäß § 5 AsylG und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

2.5. Die BF heiratete am XXXX nach muslimischen Ritus XXXX alias XXXX geb. XXXX , StA. Russische Föderation, dem mit Bescheid des vormaligen Bundesasylamtes vom 08.01.2007, Zl. XXXX , der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist. Am XXXX meldete sich die BF polizeilich ab und meldete sich am XXXX wieder polizeilich an.

2.6. Am XXXX wurde der Sohn der BF, XXXX alias XXXX geboren für den die BF als gesetzliche Vertreterin am 23.07.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

3. Dritter und gegenständlicher Antrag der BF auf internationalen Schutz im Bundesgebiet:

3.1. Die BF, die zwischenzeitig das Bundesgebiet nicht verlassen hatte, stellte am 23.07.2018 den nunmehr 3. Antrag auf internationalen Schutz.

3.2. Im Rahmen der am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten Erstbefragung der BF gab diese nach Vorhalt des am 03.08.2017 bereits rechtskräftig negativ entschiedenen zweiten Asylverfahrens als Gründe für die neuerliche Asylantragsstellung an, dass sie hierbleiben wolle, weil ihr Mann hier wohne und sie gemeinsam mit diesem ihr Kind großziehen wolle. Befragt nach ihren Befürchtungen für den Fall ihrer Rückkehr gab sie an, dass sie in ihrer Heimat politische Probleme gehabt hätten und sie einfach nicht dahin zurückziehen könne. Sie könne auch ihr Kind nicht allein dort großziehen.

3.3. Am 10.10.2018 wurde die BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Hierbei gab sie auf die Frage, weshalb sie ihr Heimatland verlassen habe, zusammenfassend an, dass sie in Gefahr gewesen sei. Ihre Verwandten, die in der Nachbarschaft gewohnt hätten, hätten Probleme mit Behörden gehabt. Das habe auch sie betroffen. Unbekannte hätten grundlos ihr Haus gestürmt. Sie hätten nicht gewusst, wieso und wofür. An diesem Tag wären uniformierte, maskierte Männer - Militärangehörige - in das Haus eingedrungen. Ihre Mutter hätte der BF gesagt, der Grund sei der Cousin gewesen. Die BF sei die ganze Zeit dabei gewesen, als die Männer gekommen seien bis zu dem Zeitpunkt, als sie wieder weggegangen seien. Sie sei versteckt worden und habe laute Stimmen gehört, ihre Mutter sei auch draußen gewesen. Sie sei in einem Zimmer versteckt gewesen und sei ihr gesagt worden, dass sie das Zimmer nicht verlassen solle. Die Männer wären ins Haus gegangen, hätten sich umgeschaut, sie aber nicht gesehen. Die Cousine ihrer Mutter habe sie aus dem Haus gebracht, erst später habe sie ihre Mutter abgeholt.

3.4. Mit angefochtenem Bescheid wies das Bundesamt den Antrag der BF auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen die BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.) Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

3.5. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat und führte aus, dass nicht festgestellt hätte werden können, dass die BF in der Russischen Föderation in eine bedrohliche Situation geraten würde. Sie habe keine Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppe, ihrer Konfession oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe behauptet, sondern im Wesentlichen Verfolgungshandlungen aufgrund einer ihr unterstellten politischen Gesinnung, konkret wegen einer familiären Nahebeziehung zu einer Person, nach welcher von den tschetschenischen Behörden gefahndet werde. Ihrem nunmehrigen Vorbringen, wonach im Jänner 2017 maskierte und uniformierte Militärangehörige ihr Haus gestürmt und nach einem Cousin der BF durchsucht hätten, die BF aber nicht gefunden hätten, da sie sich in einem Zimmer versteckt habe und - später angegeben - durch den Hintereingang in den Garten geflüchtet sei, werde kein Glauben geschenkt, da dieses Vorbringen insgesamt als lebensfremd und konstruiert zu beurteilen sei. Da der BF keine Verfolgung drohe, sie über Anknüpfungspunkte verfüge, sie auch weder eine lebensbedrohliche Erkrankung noch einen auf ihre Person bezogenen „außergewöhnlichen Umstand“ behauptet habe, sei davon auszugehen, dass ihr im Herkunftsstaat auch keine Gefahr drohe, weil eine landesweite allgemeine, extreme Gefährdungslage, in der jeder Antragsteller im Fall seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, nicht gegeben sei. Sie sei ein junger, arbeitsfähiger Mensch, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Aufgrund ihrer familiären Vernetzung, ihrer Sprachfertigkeiten, ihrer Berufsausbildung und ihrer Erwerbsfähigkeit bestünden keine Zweifel daran, dass sie sich binnen kurzer Zeit eine gesicherte Existenz in der Russischen Föderation aufbauen könne.

3.6. Rechtlich führe das BFA aus, dass ihre Angaben zu den Fluchtgründen seitens der Behörde als gänzlich unwahr erachtet würden, sodass ihre behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung er rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt werden könnten und ihr kein Asyl gewährt werden habe können. Sie habe weiters nicht glaubhaft gemacht habe, dass ihr im Heimatland die Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Es seien keine Umstände ersichtlich, dass sie nach ihrer Rückkehr kein existenzgesichertes Leben aufnehmen könne, sodass ihr kein subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Im Bundesgebiet lebe XXXX , mit dem sie nach muslimischen Ritus verheiratet sei. Da sie aufgrund einer staatlich nicht anerkannten Ehe als ledig anzusehen sei, sie ihren Mann erst seit relativ kurzer Zeit kenne und kein Abhängigkeitsverhältnis gegeben sei, sei diese Bindung nicht geeignet, ein schützenswertes Familienleben iSd Art. 8 EMRK zu perpetuieren. Gegen die Fortsetzung ihres Aufenthalts spreche, dass sie im Bundesgebiet nicht integriert sei und ihr Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden sei, als sie sich ihres unsicheren Aufenthalts vollumfänglich bewusst gewesen sei. Eine Rückkehrentscheidung sei daher zulässig.

3.7. Mit Verfahrensanordnung vom 30.10.2018 wurde der BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

3.8. Die BF erhob gegen den Bescheid am 19.11.2018 fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass dem angefochtenen Bescheid inhaltliche Rechtswidrigkeit, sowie Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften zugrunde liegen würden. Die BF halte ihre Aussagen inhaltlich aufrecht und ergebe sich aus ihrem Vorbringen ein Fluchtgrund. Die Würdigung der Erstbehörde zu ihrem Vorbringen sei nicht nachvollziehbar, da sie zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen gehöre und keine nahen Verwandten mehr in ihrer Heimat habe.

Sie lebe seit zwei Jahren in einer traditionellen Ehebeziehung mit einem anerkannten Flüchtling in Österreich und hätten sie ein gemeinsames Kind. Die belangte Behörde habe es unterlassen, sich mit ihrem gesamten individuellen Vorbingen auseinanderzusetzen und ein adäquates Ermittlungsverfahren durchzuführen. So habe die Befragung zu den Fluchtgründen vor der belangten Behörde als unzureichend erwiesen, sodass eine neuerliche Befragung im vorliegenden Fall unerlässlich sei. Der angefochtene Bescheid leide daher an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel. Falls dem Vorbringen dennoch keine Asylrelevanz zugebilligt werden könne, stelle sie eventuell den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, weil ihr im Falle der Abschiebung nach Russland die reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK drohe. Beantragt wurde von Beschwerdeseite, 1.) den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und der BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde; 2.) in eventu den Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die erste Instanz zurückzuverweisen; 3.) in eventu der BF den Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuzuerkennen; 4.) in eventu ihr gemäß § 57 AsylG einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zuzuerkennen sowie 5.) die gegen sie ausgesprochene Rückkehrentscheidung beheben. Dem Beschwerdeschreiben beigelegt war eine Kopie der Geburtsurkunde des am XXXX im Bundesgebiet geborenen Sohnes der BF, XXXX sowie eine kurze Erläuterung betreffend die Aliasnachnamen der BF, ihres Ehegatten und deren Sohn XXXX im Bundesgebiet.

3.9. Die Beschwerdevorlage vom 30.11.2018 und der Verwaltungsakt langten beim Bundesverwaltungsgericht am 06.11.2018 ein.

3.10. Von Beschwerdeseite wurden in weiterer Folge nachstehende Unterlagen und Dokumente vorgelegt:

?        Heiratsurkunde XXXX Standesamt XXXX vom XXXX ;

?        Mitteilung über die Ermittlung der Ehefähigkeit;

?        Geburtsurkunde von XXXX , geb. XXXX ;

?        Geburtsurkunde von XXXX , geb. XXXX ;

?        Bescheid des BFA betr. XXXX , Zl. XXXX , vom 17.01.2020;

?        Bescheid des BFA betr. XXXX , Zl. 05 18.418-BAS, vom 08.01.2007;

?        Kopie des Reisepasses der BF;

?        Bestätigung betr. Teilnahme der BF am Deutschkurs A1 des Vereins XXXX vom 09.09.2020;

?        Meldebestätigung der BF vom XXXX ;

?        Geburtsurkunde der BF mit deutscher Übersetzung;

?        eidesstaatliche Erklärung der BF, wonach diese noch nie verheiratet war und derzeit ledig sei vom 18.02.2019; Mitteilung über der Ermittlung der Ehefähigkeit vom XXXX ;

?        Kopie der Aufenthaltsberechtigungskarte der BF:

3.11. Mit Verfügung vom 03.09.2020 wurde der BF die Ladung für die am 23.09.2020 anberaumte mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt. Unter einem wurde der BF das aktuelle Länderinformationsblatt (LIB) zur Russischen Föderation, Gesamtaktualisierung am 27.03.2020, letzte Kurzinfo eingefügt am 21.07.2020, übermittelt. Hierbei wurde der BF die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen 10 Tagen hg. einlangend Stellung zu nehmen.

3.12. Am 23.09.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer der BF einwandfrei verständlichen Dolmetscherin für die Sprache RUSSISCH eine öffentliche mündliche Verhandlung statt zu der die BF ordnungsgemäß geladen wurde und an welcher diese auch teilnahm. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

Die Niederschrift (in welcher die BF als BF1 bezeichnet wird) lautet auszugsweise:

„[…] RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in der Russischen Föderation (RF) an dem Sie sich vor Ihrer letzten Ausreise aufgehalten haben.

BF1: Ich heiße XXXX . Ich bin am XXXX geboren. Ich bin russische Staatsbürgerin. Meine letzte Adresse in der Russischen Föderation war in der Stadt Grozny, XXXX . Mein Geburtsort ist in Tschetschenien Bezirk XXXX .

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF1: Tschetschenien.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?

BF1: Ich bin sunnitische Muslimin.

RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Russischen Föderation, welche Ihre Identität beweisen? Wenn ja, welche?

BF1: Als ich nach Österreich gekommen bin, hatte ich eine Versicherungskarte, die ich abgegeben habe. Nachdem ich geheiratet habe war das ein Russischer Auslandsreisepass.

RI: Haben Sie den Reisepass noch?

BF1: Nein, dieser wurde mir abgenommen. Ich habe meinen Reisepass nicht zurückbekommen.

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt? Gemeint ist, sowohl im Herkunftsland, als auch im Bundesgebiet.

BF1: Ich habe in Russland maturiert. Ich habe eine Ausbildung als Frisörin gemacht. Ich habe die Dokumente mit.

BF1 legt zwei Dokumente im Original vor.

RI an D: Was steht da genau drauf?

D: Auf dem ersten Dokument steht Folgendes: Schule „Frisörin Schönheit“ Diplom. Der Mädchenname der BF. Die Noten und mit ausgezeichnetem Erfolg. Nachgefragt steht drauf, dass die BF1 am XXXX die Schule abgeschlossen hat.

Dieses Dokument wird in Kopie zum Akt genommen.

RI: Was steht auf dem andren Dokument drauf?

D: Dieses Dokument umfasst die Spezifikationen zu welchen Tätigkeiten sie berechtigt ist.

Dieses Dokument wird in Kopie auch zum Akt genommen.

RI wiederholt die Frage.

BF1: In Russland habe ich nach meinem Abschluss ein Praktikum in dieser Schule gemacht. Danach habe ich nicht gearbeitet.

RI: Sie haben die Ausbildung aber keine Berufserfahrung?

BF1: Ja.

RI: Haben Sie was anderes gearbeitet im Herkunftsstaat?

BF1: Nein.

RI: Haben Sie sich außer an dem von Ihnen angegebenen, letzten Wohnort in der Russischen Föderation auch an einem anderen Wohnort längere Zeit aufgehalten?

BF1: Nein.

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in der RF und in welcher Stadt?

BF1: Wir sind mit meiner Mutter nach Österreich gekommen. Dann ist sie zurück nach Tschetschenien gegangen und jetzt lebt sie in Tschetschenien. Ich habe noch Cousinen und Cousins von meiner Mutter. Sie leben in Tschetschenien nicht weit von uns.

RI: Sie haben bei BFA von einer Tante ms gesprochen, lebt diese auch noch dort?

BF1: Die Tante ist heute hier anwesend. Sie lebt in Österreich.

RI: Haben Sie mit diesen in der RF lebenden Verwandten Kontakt? Wenn ja, wie oft?

BF1: Ich habe keinen Kontakt zu meinen Verwandten, seit ich in Österreich lebe.

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben außerhalb der RF und in welchem Land/welcher Stadt?

BF1: In Moskau lebt eine Tante von mir. In Belgien lebt mein Vater.

RI: Wo leben Ihre 7 Halbgeschwister?

BF1: Sie leben alle in Belgien. Mittlerweile sind es 11 Halbgeschwister.

RI: bei Ihrer Einvernahme vor dem BFA am, 10.10.2018 haben sie auf Seite 4 angegeben, dass Ihre Mutter als Asylwerberin in Holland leben würde. Ist Ihr Asylantrag abgewiesen worden und ist sie abgeschoben worden? Oder ist Sie freiwillig zurückgereist?

BF1: Meine Mutter und ich haben zuerst den Asylantrag in Österreich gestellt. Dieser ist abgewiesen worden, danach ist meine Mutter nach Tschechien gegangen und dort ist sie nicht lange geblieben und ist nach Holland gegangen. Dort hat sie auch einen Asylantrag gestellt und dieser wurde dort nicht abgewiesen. Sie ist freiwillig zurückgegangen.

RI: Welchen Aufenthaltsstatus haben Ihre Verwandten in Belgien?

BF1: Das weiß ich nicht. Sie leben dort seit 2005 oder 2008 das weiß ich nicht genau.

RI: Haben Sie zu diesen Verwandten Kontakt, wenn ja, wie oft?

BF1: Ja. Ich habe sehr oft Kontakt mit ihnen.

RI: Was heißt „oft“?

BF1: Man kann sagen einmal in der Woche mit meinem Vater. Die Halbgeschwister sind noch klein.

RI: Wovon lebt Ihr Vater in Belgien zurzeit?

BF1: Er arbeitet dort. Er hat eine Wohnung.

RI: Welche Verwandten von Ihnen halten sich derzeit im Bundesgebiet auf? Wie heißen Sie?

BF1: Die Tante die heute anwesend ist und ihre Tochter. Meine Tante heißt XXXX und die Tochter heißt XXXX Ihre zweite Tochter heißt XXXX .

RI: Wann sind diese Verwandten nach Österreich gekommen?

BF1: Sie sind 2004 nach Österreich gekommen.

RI: Welchen Aufenthaltsstatus haben diese in Österreich aufhältigen Verwandten?

BF1: Sie haben graue Pässe. Konventionsreisepässe.

RI: Haben Sie regelmäßig Kontakt zu Ihrer in Österreich lebenden Tante und in Österreich lebenden Cousinen?

BF1: Ja.

RI: Wie oft sehen Sie sich?

BF1: Wir sehen uns seltener so ungefähr ein bis zwei, drei Mal im Jahr. Telefonisch haben wir täglich Kontakt.

RI: Wovon leben diese im Bundesgebiet aufhältigen Verwandten?

BF1: Meine Cousine XXXX arbeitet als Schneiderin und ist verheiratet. Sie hat auch 4 Kinder. Meine andere Cousine XXXX geht in die Schule.

RI: Und die Tante?

BF1: Meine Tante arbeitet derzeit nicht, sie ist krank.

RI: Wann sind Sie in Österreich erstmalig eingereist?

BF1: Am 20.01.2017.

RI: Erstmalig?

BF1: In dieser Zeit habe ich einen Asylantrag gestellt, aber als ich klein war, war ich auch hier.

RI: Wann war das?

BF1: Ich kann die Zeit nicht ganz genau sagen. Ich war ca. 9 Jahre alt. Wir waren ca. ein halbes Jahr hier und dann sind wir wieder zurückgegangen.

RI: Laut Unterlagen haben Sie am 29.08.2008 erstmalig einen Asylantrag in Österreich gestellt. Wie oft und wann haben Sie seitdem das Bundesgebiet verlassen und sind wieder eingereist?

BF1: Als ich klein war, war ich einmal hier. So ca. ein halbes Jahr lang, dann sind wir zurückgegangen. Das zweite Mal war am 20.01.2017 seit dieser Zeit bin ich in Österreich und bin nicht weggegangen.

RI: Wann haben Sie Ihren derzeitigen Ehegatten geheiratet?

BF1: Offiziell haben wir am XXXX geheiratet. Ich habe eine Heiratsurkunde dabei. Islamisch haben wir am XXXX geheiratet.

RI: Wann und wie haben Sie ihn kennengelernt? Sie und Ihr Ehegatte.

BF1: Das erste Mal habe ich ihn besucht bei meiner Cousine XXXX . Er ist ein weiterer Verwandte von meiner Cousine.

RI: Wer hat Sie und Ihren Gatten miteinander bekannt gemacht und wie oft haben Sie ihn gesehen bevor Sie einander geheiratet haben?

BF1: Wir haben uns bei meiner Cousine kennenlernt. Ich bin nach XXXX gereist.

RI wiederholt die Frage.

BF1: Wir haben uns in der Zwischenzeit ziemlich oft getroffen und haben miteinander geschrieben. Wir haben uns bei meiner Cousine getroffen.

Wie viel Zeit lag zwischen dem Kennenlernen und der islamischen Hochzeit?

BF1: Das kann ich nicht genau sagen. Vielleicht war es 1 Monat. Ja, es war mehr oder weniger als 1 Monat.

RI: War es eine arrangierte Ehe?

BF1: Nein es war gar nichts zwischen der Familie. Wir haben uns getroffen.

RI: Wieso haben Sie so rasch nach dem Kennenlernen bereits geheiratet?

BF1: Weil ich mich verliebt habe.

RI: Als Sie Ihren Ehegatten kennengelernt haben, hatte dieser schon den Asylstatus in Österreich?

BF1: Ja er hatte einen.

RI: Haben Sie sich durch die Eheschließung mit Ihrem Gatten, einem Flüchtling mit Asylstatus, Vorteile für Ihr eigenes Asylverfahren in Österreich versprochen?

BF1: Nein, wir haben darüber nicht gesprochen.

RI: Seit wann leben Sie im gemeinsamen Haushalt?

BF1: Ab dem Tag der islamischen Eheschließung. Ab dem XXXX .

RI: VORHALTUNG: Aus einem ZMR-Auszug geht hervor, dass Sie sich erstmalig am XXXX amtlich gemeldet haben. Seit XXXX sind Sie durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Für den Zeitraum XXXX , als fast 10 Monate, liegt für Sie keine Wohnsitzmeldung in Österreich vor. Wo haben Sie sich in diesem Zeitraum aufgehalten?

BF1: In dieser Zeit habe ich dort gelebt. Mein Mutter hat einen Abschiebungsbescheid bekommen. Ich habe aber dort weitergelebt.

RI: Wenn Sie dort gelebt haben warum waren Sie dort nicht amtlich gemeldet?

BF1: Ich hatte Angst vor einer Abschiebung, deswegen war ich dort nicht gemeldet. Ich habe aber trotzdem dort gewohnt.

RI: Haben Sie seit Ihrer erstmaligen Einreise ins Bundesgebiet im Jahr 2008 auch in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union gelebt? Wenn ja, haben Sie dort auch einen Asylantrag gestellt?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie seit Ihrer Rückkehr in das österreichische Bundesgebiet im Jahr 2017 wieder einmal in der Russischen Föderation gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?

BF1: Nein.

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.

BF1: Einmal sind die Leute zu uns nach Hause in Uniform gekommen. Sie haben einen Krach gemacht, sie haben mit meiner Mutter geredet. Es war schrecklich. Der Grund war, sie haben die zwei Cousins gesucht. Diese haben in der Nähe von uns gewohnt. Sie hatten keinen Grund sie fest zu nehmen. Sie wollten sie einfach mitnehmen, foltern, schlagen und Gewalt ausüben. Sie sind am 16.01.2017 gekommen. An diesen Tag waren sie auf der Suche und haben keine Antwort gegeben, auf die Frage warum sie meine Cousins suchen. Meine Cousins haben keine Probleme gehabt. Damals zu diesem Zeitpunkt, haben sich die zwei Töchter der Cousins zu Hause aufgehalten. Sie haben die zwei Töchter mitgenommen. Sie haben uns bedroht und haben geschimpft wir waren verschreckt. Sie haben die zwei Töchter mitgenommen und es war so viel los dort. Meine Verwandten haben mich gerettet und aus der hinteren Tür rausgeholt. Sie sind noch einmal in der Nacht gekommen. Es war ein anderer Tag es war später. Mein Cousin wurde getötet und die Leiche wurde nicht gefunden ich weiß nicht wann das passiert ist.

RI: Wie hieß der Cousin der getötet worden ist?

BF1: Sein Name war XXXX . Wir waren weg, meine Mutter hat gedacht es war sehr gefährlich, wir sind dann nach Österreich gekommen und erst hier haben wir erfahren von unseren Verwandten, dass der Cousin getötet worden ist. Wir haben nicht gewusst, was wir machen sollen wegen dem Begräbnis, weil seine Leiche nicht gefunden worden ist. Das wurde uns in Österreich mitgeteilt. Ich weiß nicht, was ich zu diesem Fall sagen soll. Ich weiß nicht, warum er getötet worden ist.

RI: Wann hat sich der fluchtauslösende Zwischenfall genau zugetragen? Kennen Sie das genaue Datum?

BF1: Das war am 16.01.2017. Die Verwandten haben alle große Angst gehabt. Sie haben einen kleinen Bus organisiert einen VW.

RI: Wie viele Männer sind zu Ihnen am 16.01.2017 nach Hause gekommen?

BF1: Es waren mehrere. Die, die ich drinnen gesehene habe, waren 4 Männer. Es waren aber auch noch welche draußen.

RI: Wo waren die anderen? Außerhalb des Hauses oder im anderen Zimmer?

BF1: Sie sind zuerst zu den Cousins nach Hause gefahren. Sie haben die Cousins nicht gefunden und sind dann zu uns nach Hause gekommen. Sie waren im Haus und außerhalb auch. Es waren 4 Männer, die ich im Haus gesehen habe.

RI: Wo befanden Sie sich genau zu dem Zeitpunkt als die Männer ins Haus kamen?

BF1: Ich war im Zimmer, meine Mutter hat außerhalb des Hauses mit ihnen gesprochen.

RI: Wo waren die 4 Männer, die Sie gesehen haben?

BF1: Sie haben mit meiner Mutter außerhalb des Hauses geredet.

RI: Das waren die 4 Männer, die Sie gesehen haben?

BF1: Ja.

RI: Zu welchen Zeitpunkt sind die Männer ins Haus gekommen?

BF1: Ich weiß nicht um welche Uhrzeit das war. Es war aber in der Nacht.

RI wiederholt die Frage.

BF1: Es war so, die Männer sind gekommen. Sie sind vor der Tür gestanden. Sie waren sehr laut, sie haben geschimpft, gedroht. Meine Mutter hat mit ihnen gesprochen und ich war zu diesem Zeitpunkt im Haus. Dann ist eine Verwandte gekommen. Wir haben einen Hintereingang gehabt, da ist eine Verwandte gekommen und hat zu mir gesagt, dass ich schnell das Haus verlassen soll. Die Männer wollten in das Haus, um die Cousins zu suchen. Ich habe mit ihnen gestritten und sie versucht davon abzuhalten. Nachdem ich weggegangen bin, sind sie ins Haus gekommen und haben meine Cousins gesucht. So hat es mir meine Mutter erzählt.

RI: Kannten Sie diese Männer?

BF1: Nein, ich habe sie das erste Mal gesehen.

RI: Können Sie diese Männer näher beschreiben, die Sie gesehen haben?

BF1: Sie waren alle in Uniform. So besonders beschreiben kann ich sie nicht.

RI: Waren es Polizisten oder Militärangehörige?

BF1: Sie waren im schwarzen Gewand.

RI: Was schließen Sie daraus, war es jetzt die Polizei oder das Militär?

BF1: Ich weiß es nicht, ich habe nur von meinen Verwandten gehört, dass es XXXX Leute gewesen sind.

RI: Wie lange hat dieser Zwischenfall gedauert?

BF1: Ich war nicht im Haus, aber laut meiner Mutter waren sie lange dort.

RI: Wen haben diese Leute dann mitgenommen aus Ihrem Haus?

BF1: Die Cousins waren nicht bei uns zu Hause. Sie haben zwei Töchter dieser Cousins mitgenommen.

RI: Warum hat die Verwandte, die Sie aus der hinter Tür geführt hat, nicht gleich auch die zwei Töchter gerettet?

BF1: Die zwei Töchter haben diese Männer schon gesehen.

RI: Haben die Männer Sie oder Familienangehörige bedroht oder Waffengewalt eingesetzt?

BF1: Sie haben natürlich gedroht. Sie haben aber keine Waffen eingesetzt.

RI: Was haben Sie gedroht? Was haben Sie gesagt?

BF1: Sie haben gedroht. Sie haben meiner Mutter gedroht. Meine Mutter sollte sagen, wo meine Cousins sind. Die Töchter der Cousins, die von den Männern gesehen wurden, wurden mitgenommen. Sie haben gesagt, dass sie es nicht so lassen werden. Das lassen sie nicht zu. Unsere Verwandten haben gesagt, wenn wir dableiben, besteht die Gefahr auch, dass uns was passiert. Sie können uns nicht schützen. Sie haben gesagt, wir sollen unser zu Hause verlassen.

RI: Wer war die Verwandte, die Sie aus der Hintertür aus dem Haus gelotst hat?

BF1: Sie ist unsere gemeinsame Verwandte. Sie war die Tante von den zwei Mädchen die mitgenommen worden sind.

RI: Was geschah am Ende der Aktion? Wurden von Männern weitere Aktionen angekündigt? Wurden Sie oder Familienangehörige zu irgendeinem Tun oder Unterlassen aufgefordert, beispielsweise sich bei der Polizei zu einem Termin einzufinden?

BF1: Als wir nach Österreich geflüchtet sind, haben wir erfahren, dass ein Cousin getötet und festgenommen worden ist.

RI: Warum wurden die Cousins von Militärangehörigen gesucht? Was war der Grund?

BF1: Das Problem war, es hat schon im Sommer angefangen. Ein Cousin hat eine Schlägerei angefangen. Er hatte einen Streit mit einem XXXX Leuten gehabt. Dadurch wurden alle drei Brüder ins Gefängnis gebracht. Dort wurden sie gefoltert und bedroht. Dann sind sie nach Hause gekommen. Ich glaube, sie sind freigekauft worden. Der Grund dafür ist glaube ich gewesen, dass der Cousin der sich negativ über die Regierung geäußert hat. Dadurch ist zur Schlägerei gekommen.

RI: War jener Zwischenfall im Jänner 2017 der einzige Fluchtgrund für Sie oder gab es noch weitere Gründe?

BF1: Nein, wir wurden nur persönlich bei diesem Zwischenfall bedroht.

RI: Wann fand dann die von Ihnen angegeben Tötung und Entführung Ihres Cousins statt?

BF1: Das war im Winter.

RI wiederholt die Frage.

BF1: Wir wissen es nicht genau oder ungefähr. Wir haben keine Leiche bekommen. Wir wissen den genauen Zeitpunkt nicht. Nachgefragt gebe ich an, dass es im Jahr 2017 war.

RI: Als Ihre Verwandte Sie aus dem Haus geholt hat. Aus der Hintertür. Wo wurden Sie hingebracht und wie lange waren Sie dort?

BF1: Die Tante von den zwei Cousins Töchtern hat mich zu sich nach Hause mitgenommen. Ich war dort ein paar Stunden.

RI: In welchem Verwandtschaftsverhältnis steht diese Tante zu Ihnen?

BF1: Der Vater von den zwei Töchtern ist der Cousin von meiner Mutter. Diese Tante die mich mitgenommen hat, ist die Schwester von der Mutter der zwei Töchter.

RI: Wie viel Zeit verging zwischen den Zwischenfall bei Ihnen zu Hause und Ihrer eigentlichen Flucht?

BF1: Es ist in der Nacht passiert, am darauf folgenden Tag sind wir weggegangen. Am 17.01.2017 sind wir weggefahren.

RI: Wer hat Ihre Flucht organisiert und wieviel hat die Flucht gekostet?

BF1: Das hat der Vater jener zwei Töchter die von den Militärs mitgenommen worden ist. Ich weiß nicht, wie viel das gekostet hat er hat das bezahlt.

RI: Ist der Vater Derjenige, der getötet und gefoltert worden ist?

BF1: Nein, nicht er wurde getötet, sondern sein Sohn.

RI: Gesucht wurde nicht der Vater, sondern seine Söhne?

BF1: Ja.

RI: Das heißt die zwei Mädchen, die mitgenommen worden sind, waren nicht die Töchter von den Cousins, sondern die Schwestern?

BF1: Ja, sie waren Geschwister.

RI: Wurden Sie als Person zu irgendeinem Zeitpunkt im Herkunftsstaat persönlich bedroht, misshandelt oder verfolgt?

BF1: Nein, nur in diesem Fall.

RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die von Ihnen Geschilderten?

BF1: Außerdem gibt es keine anderen Gründe.

RI: Hatten Sie in der Russischen Föderation - abseits der soeben geschilderten Fluchtgründe -jemals Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie sonst noch Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland?

BF1: Nein, ich hatte keine anderen Probleme bis Datum.

RI: Was befürchten Sie konkret, im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation?

BF1: Ich fürchte um mein Leben, wenn ich zurückfahre. Ich habe Angst, dass es sich wiederholt, wenn ich zurückgehe. Ich habe Angst.

RI: Waren Sie im Herkunftsstaat politisch aktiv?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie seit Ihrer Ausreise aus Ihrem Herkunftsstaat politisch aktiv gewesen?

BF1: Nein, nie. Niemals.

RI: Als Ihre Mutter aus den Niederlanden in die Russische Föderation zurückgekehrt ist. Wie viel Zeit hat Sie in der Russischen Föderation verbracht, bevor sie in die Ukraine gegangen ist?

BF1: Sie ist zurück gekehrt am 17.12.2018 nach Tschetschenien, aber nicht zu uns nach Hause. Sie war bei Verwandten. Sie konnte nicht nach Hause gehen. Es war nicht möglich dort zu leben und ist in die Ukraine ausgereist vor kurzem.

RI: Was heißt vor kurzem?

BF1: In diesem Monat, ich weiß es aber nicht genau.

RI: Wieso war es nicht mehr möglich, dort zu leben?

BF1: Sie hatte Angst. Sie hat Drohungen bekommen.

RI: Wo hat Sie Drohungen bekommen? Bei den Verwandten?

BF1: Ja.

RI: Wo hat Sie gelebt, als Sie in der Russischen Föderation war?

BF1: Als Sie zurückgekommen ist, hat sie sich bei Verwandten in ihrer Ortschaft aufgehalten. Dort konnte Sie nicht bleiben und ist in eine andre Ortschaft gewechselt.

RI: Welche Ortschaft?

BF1: Sie hat sich in mehreren Ortschaften aufgehalten XXXX , XXXX . Bei allen Verwandten ist sie durchgereist.

RI: Wie viel Zeit hat Sie bei den Verwandten in Ihrer eigenen Ortschaft verbracht?

BF1: Ich weiß es nicht, aber nicht lange.

RI: Haben Sie irgendeinen Nachweis, dass Sie bei Rückkehr nach Tschetschenien einer Verfolgung ausgesetzt wären? Gibt es einen Haftbefehl gegen Sie, oder liegen welche Ladungen vor? Haben Sie irgendwelche Beweise?

BF1: Nein, habe ich nicht.

RI: War Österreich von Anfang an das Ziel Ihrer Reise?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder einem Klub in Österreich?

BF1: Nein.

RI: Wo leben Sie zur Zeit in Österreich?

BF1: In XXXX .

Die Verhandlung wird um 10:46 Uhr für eine Pause unterbrochen.

Die Verhandlung wird um 10:59 Uhr weitergeführt.

RI: Haben Sie österreichische Freunde?

BF1: Nein.

RI: Haben Sie in Österreich Sprachkurse besucht?

BF1: Ja, ich besuche gerade einen Deutschkurs. Ich sollte heute auch im Deutschkurs sein.

RI: Welches Sprachniveau haben Sie bisher abgeschlossen?

BF1: Ich bin gerade im A1 Deutschkurs. Ich werde eine Prüfung haben und danach werde ich den A2 Deutschkurs besuchen. Nachgefragt gebe ich an, dass ich noch keine A1 Prüfung gemacht habe.

RI (ohne Übersetzung): Wie stellen Sie sich die Zukunft in Österreich vor?

BF1 (ohne Übersetzung): Ich wohne drei Jahre in Österreich. Zukunft?

RI (ohne Übersetzung): Was machen Sie in Ihrer freien Zeit? Was sind Ihre Hobbies?

BF1 (ohne Übersetzung): Meine Hobby kochen.

RI (ohne Übersetzung): Was haben Sie letzte Wochenende gemacht?

BF1 (ohne Übersetzung): Letztens habe gemacht.

RI: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich vor? Haben Sie vor in Österreich zu arbeiten?

BF1: Ich möchte zuerst noch ein bisschen Deutsch lernen, und dann möchte ich Friseurin werden.

RI: Haben Sie sich schon erkundigt, welche Voraussetzungen Sie mitbringen müssen um diesen Beruf in Österreich ausüben zu können?

BF1: Ja, ich habe mich erkundigt und ich habe schon eine Stelle gefunden. Sie haben gesagt, ich brauche einen A2 Kurs und sie haben gesagt es wäre besser, wenn ich einen B1 Kurs hätte. Ich müsste mein Diplom vorlegen und dann übersetzten lassen und ich würde dann dort ein Praktikum ablegen und eine Prüfung ablegen müssen und dann kann ich dort als Friseurin arbeiten.

RI: Wo ist dieses Friseurgeschäft?

BF1: Das ist in XXXX im XXXX . Ich habe über eine Beratern erkundigt. Sie hat gesagt, dass sie dort eine Stelle für mich hätte. Ich kann dort einen Platz bekommen, wenn ich mit meiner Ausbildung fertig bin.

RI: Haben Sie in Österreich einen Beruf legal ausgeübt?

BF1: So wie ich keine Unterlagen und Papiere habe, habe ich nicht gearbeitet.

RI: Waren Sie in Österreich bislang ehrenamtlich tätig?

BF1: Ja ich habe zu Hause geholfen und auf die Kinder aufgepasst.

RI: Auf welche Kinder haben Sie aufgepasst? Von wem?

BF1: Das war eine Frau. Sie hat gearbeitet, sie hat ein Kind. Sie hat mich angerufen, dass ich auf das Kind aufpassen soll.

RI: Woher kannten Sie diese Frau?

BF1: Aus der Nachbarschaft?

RI: Wie oft haben Sie als Babysitterin agiert?

BF1: Nicht so oft, ein paar Mal. Ich habe nur geholfen.

RI: Welcher Arbeit geht Ihr Ehegatte im Bundesgebiet nach?

BF1: Er ist Busfahrer.

RI: Wovon leben Sie zur Zeit in Österreich? Als Familie?

BF1: Vom Gehalt des Ehegatten.

RI: Sind Sie in Österreich straffällig geworden?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie in Ihrem Herkunftsstaat jemals straffällig geworden?

BF1: Nein.

RI: Haben Sie in Österreich neben Ihrem Sprachkurs sonst noch eine Fort-, Aus- oder Weiterbildung betrieben? Wenn ja, welcher Art?

BF1: Noch nicht.

RI: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie gesund?

BF1: Ja.

RI: Nehmen Sie Medikamente?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie zurzeit in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?

BF1: Nein, ich bin gesund.

RI: Sind Sie arbeitsfähig?

BF1: Ja, natürlich.

RI: Wie geht es Ihrem zweiten Sohn XXXX gesundheitlich? Ist er gesund?

BF1: Ja, er ist gesund.

BF1 hustet stark.

RI: Geht es Ihnen gut?

BF1: Ja.

RI: Bekommt er zur Zeit Medikamente?

BF1: Nein.

RI: Ist er derzeit in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?

BF1: Nein.

RI: Wird er von Ihnen durchgehend zu Hause betreut?

BF1: Ja.

RI: Wie geht es Ihrem Sohn XXXX gesundheitlich? Ist er gesund?

BF1: Ja.

RI: Bekommt er zur Zeit Medikamente?

BF1: Nein.

RI: Ist der BF2 (Sohn XXXX ) in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?

BF1: Nein.

RI: Wird Ihr Sohn XXXX von Ihnen durchgehend zu Hause betreut oder geht er in die Kinderkrippe?

BF1: Wenn ich den Deutschkurs besuche, dann geht er in den Kindergarten.

RI: Nur wenn Sie verhindert sind oder geht er regelmäßig in den Kindergarten.

BF1: Nein nur, wenn ich in den Kurs gehe.

RI: Welche Sprache wird zu Hause zwischen Ihnen, Ihrem Mann und Ihren Kindern gesprochen?

BF1: Mein Mann versucht immer mir Deutsch zu sprechen. Ich spreche aber immer Russisch mit den Kindern.

RI an BFV: Haben Sie Fragen an den BF1?

BFV: Nein.

RI: Ihnen wurden gemeinsam mit der Ladung zur heutigen mündlichen Beschwerdeverhandlung Länderinformationen zur Ihrem Herkunftsstaat mit der Aufforderung übermittelt eine allfällige schriftliche Stellungnahme binnen 10 Tagen abzugeben. Sie haben von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Wollen Sie heute eine mündliche Stellungnahme dazu abgeben?

BF: Ich möchte mich in Österreich integrieren, deswegen besuche ich den Deutschkurs. Ich möchte mit meiner Familie in Österreich leben und bleiben.

RI: Ihnen wird das Protokoll nun rückübersetzt.

Es wird festgehalten, dass während der gesamten Verhandlung von allen Teilnehmern die vorgeschriebenen Corona bedingten Abstände eingehalten worden sind. Während der gesamten Verhandlung, wurde von allen Beteiligten der MNS getragen und der Verhandlungssaal in regelmäßigen Abständen gelüftet. […]“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags der BF auf internationalen Schutz vom 23.07.2018, der polizeilichen Erstbefragung des BF vor der Landespolizeidirektion XXXX von selben Tag, der niederschriftlichen Einvernahmen des BF am 10.10.2018 vor dem BFA, der eingebrachten Beschwerde vom 19.11.2018 gegen den angefochtenen Bescheid des BFA vom 25.10.2018, der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und den von der BF vorgelegten Unterlagen, der Auszüge des Zentralen Melderegisters, des Fremden- und Grundversorgungssystems, des AJ-Web und des Strafregisters der Republik Österreich, sowie nach mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23.09.2020, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1. Zur Person der BF:

Die BF führt den im Spruch genannten Namen und das im Spruch genannte Geburtsdatum. Sie ist russische Staatsangehörige und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum islamisch-sunnitischen Glauben. Die Muttersprachen der BF sind Russisch und Tschetschenisch. Die BF schloss im Herkunftsstaat die Schule mit Matura ab. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Friseurin, war jedoch in diesem Beruf nicht tätig.

Die BF reiste erstmals am 29.08.2008 in das österreichische Bundesgebiet, wo sie ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die gegen den diesen Asylantrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG zurückweisenden Bescheid des BFA vom 22.10.2008, Zl. XXXX erhobene Beschwerde wurde letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14.11.2008, Zl. XXXX , gemäß §§ 5,10 AslyG als unbegründet abgewiesen. Die BF verließ in der Folge das österreichische Bundesgebiet und kehrte in die Russische Föderation zurück. Die BF reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt gemeinsam mit ihrer Mutter erneut in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 20.01.2017 den 2. Antrag auf internationalen Schutz. Die gegen den diesen 2. Asylantrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG zurückweisenden Bescheid des BFA vom 24.06.2017, Zl. XXXX , erhobene Beschwerde wurde letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.07.2017, Zl. XXXX , gemäß §§ 5,10 AslyG als unbegründet abgewiesen. Die BF stellte am 23.07.2018 den gegenständlichen 3. Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Die BF ist erstmals seit XXXX im österreichischen Bundesgebiet gemeldet. Zwischen XXXX und XXXX lag keine Wohnsitzmeldung seitens der BF vor. Die BF ist seit XXXX durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Zwischen der BF und ihrem Ehegatten bestand zwischen XXXX und XXXX bereits ein gemeinsamer Haushalt. Seit XXXX ist die BF an der Wohnadresse ihres Ehegatten mit Hauptwohnsitz gemeldet. Die BF bezieht aktuell keine Leistungen als der staatlichen Grundversorgung. Die BF besucht in Österreich einen Deutschkurs auf dem Niveau A1, hat jedoch bislang keine Sprachprüfung abgelegt und konnte allenfalls rudimentäre Deutschkenntnisse in der mündlichen Verhandlung vorweisen. Die BF hat keine Fort-, Aus-, oder Weiterbildung im Bundesgebiet betrieben, verfügt über keine österreichischen Freunde und ist im Bundesgebiet auch nicht vereinsmäßig aktiv. Die BF ist im Bundesgebiet keiner ordentlichen, beruflichen Beschäftigung nachgegangen.

Die Mutter der BF lebt seit Kurzem in der Ukraine. Davor lebte sie in Tschetschenien, wie auch einige Cousins und Cousinen ihrer Mutter. Die BF steht mit diesen Angehörigen nicht in Kontakt. Eine Tante der BF lebt mit zwei Töchtern im Bundesgebiet. Mit diesen Angehörigen liegt jedoch kein gemeinsamer Haushalt vor, noch besteht ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis, jedoch steht die BF mit den genannten Angehörigen im Bundesgebiet in Kontakt. Die BF ist seit XXXX mit XXXX alias XXXX geb. XXXX , StA. Russische Föderation, dem mit Bescheid vom 08.01.2007, Zl. XXXX , der Status des Asylberechtigten in Österreich zuerkannt worden ist, nach muslimischen Ritus verheiratet. Am XXXX wurde die Ehe standesamtlich vor dem Standesamt XXXX geschlossen. Die BF und XXXX sind Eltern des am XXXX im Bundesgebiet geborenen XXXX , sowie des am XXXX im Bundesgebiet geborenen XXXX . XXXX wurde mit Bescheid des BFA vom 17.01.2020, Zl. XXXX , der Status des Asylberechtigten - im Rahmen des Familienverfahrens und abgeleitet von seinem Vater - zuerkannt.

Die BF ist gesund und arbeitsfähig. Die Beschwerdeführerin ist im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

Das Vorbringen der BF betreffend die Furcht der Beschwerdeführerin vor Verfolgung wird den Feststellungen mangels Glaubhaftmachung nicht zugrunde gelegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in der Russischen Föderation eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat

Im Falle einer Verbringung der BF in ihren Herkunftsstaat droht dieser kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

1.4.1. Auszug aus dem Informationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2020, letzte KI vom 21.07.2020;

„1. Politische Lage

Letzte Änderung: 21.07.2020

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 7.2020c; vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2020a; vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 7.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 7.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2020a; vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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