Entscheidungsdatum
23.11.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W189 2231839-1/11E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene RIEPL über den Antrag von XXXX , der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.7.2020, Zl. W189 2231839-1/5E, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, beschlossen:
Der Revision wird gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Mit Schriftsatz vom 17.11.2020 brachte die revisionswerbende Partei eine Revision gegen das im Spruch angeführte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes ein.
Zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung führte die revisionswerbende Partei Folgendes an:
„Der Revision ist aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, soweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
Der Antrag auf aufschiebende Wirkung ist berechtigt, weil das belangte Gericht den bekämpften Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.4.2020, zur Zahl 733711709/191003875, inhaltlich bestätigt hat, wonach dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten aberkannt werde, der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zukomme und ein Aufenthaltstitel gem § 57 AsylG nicht erteilt werde, wobei gegen XXXX zusätzlich eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt wurde, dass eine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei und ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt wurde; gleichzeitig wurde ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Aufgrund dieser Entscheidungen, die mit Spruchpunkt A. des bekämpften Erkenntnisses des belangten Gerichts bestätigt wurden, ist der Revisionswerber sohin verpflichtet, binnen 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung freiwillig auszureisen, andernfalls die Abschiebung zwangsweise durchgesetzt wird. Zusätzlich aber dürfte er infolge des verhängten Einreiseverbots für die Dauer von acht Jahren nicht mehr nach Österreich einreisen.
Der Revisionswerber wäre gezwungen, in die Russische Föderation auszureisen, was angesichts der konkreten sozialen, gesellschaftlichen, beruflichen, familiären, persönlichen und wirtschaftlichen Lage des Revisionswerbers und seiner Familienangehörigen, schlichtweg unzumutbar erscheint.
Der vorzeitige Vollzug der Entscheidung wäre für den Revisionswerber nach umfassender Interessenabwägung mit einem unverhältnismäßigen Nachteil verbunden; es sprechen keine zwingenden öffentlichen Interessen gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
Bei einem Vollzug der Entscheidung müsste der Revisionswerber, der hier sein gesamtes erinnerliches Leben hat (er lebt hier seit dem Jahr 2003, seit er drei Jahre alt war) und dessen Familie und Freunde ausschließlich in Österreich leben, Österreich für lange, nicht absehbare Zeit verlassen. Er würde entwurzelt und müsste, vermögenslos, in ein ihm völlig fremdes Land, an das er keinerlei Erinnerungen hat; von dem er de facto nur weiß, dass die Behörden dieses fremden Landes seinen Vater einmal inhaftiert und unmenschlich behandelt haben. Er hat bzw hätte dort keine – nicht einmal eine erste – Anlaufstelle, er hätte keine Wohnung, keine Arbeit, keine Personen, die ihn materiell und/oder immateriell unterstützen würden (er kennt dort niemanden, niemand dort kennt ihn), keine berufliche oder wirtschaftliche Perspektive. Er spricht ausgezeichnet die deutsche Sprache, hingegen kein Wort Russisch (was auch das belangte Gericht so feststellte).
Der Revisionswerber besuchte den Kindergarten in Österreich und absolvierte auch seine gesamte Schulzeit in Österreich, hierbei die Volksschule und die Neue Mittelschule jeweils in St. Pölten, wobei er auch durchaus gute Ergebnisse vorweisen kann. Sodann besuchte er ein Jahr lang die Handelsakademie in St. Pölten, danach drei Jahre die Handelsschule, wobei der Revisionswerber beabsichtigt, das letzte Jahr zu wiederholen.
Bereits neben der Schulzeit arbeitete der Revisionswerber im Cafe Roma in St. Pölten. Im Jahr 2018 begann er enthusiastisch seine Lehre als KFZ-Mechaniker bei der Firma Reifen Profi in Amstetten; er befindet sich im zweiten Lehrjahr. Auch sein Arbeitgeber war mit den Leistungen und dem Eifer seines Lehrlings sehr zufrieden. Er wohnt in einer Wohnung zusammen mit seinen Eltern und seinen beiden Geschwistern in St. Pölten.
Derzeit verfügt XXXX monatlich über eine Lehrlingsentschädigung in Höhe von EUR 800,-- sowie Taschengeld in Höhe von EUR 200,-- zur Sicherung und Bestreitung seines Lebensunterhaltes. Er ist demnach finanziell unabhängig und wäre nicht auf Arbeitslosenunterstützung etc angewiesen, womit diesbezüglich keine öffentlichen Interessen tangiert werden. Er hat keine laufenden Aufwendungen (wie Kredite odgl) zu begleichen und hat auch keine Unterhaltspflichten. Darüber hinaus ist er sozialversichert (Sozialversicherungsnummer XXXX ). Auch in dieser Hinsicht werden keine öffentlichen Interessen verletzt, wenn dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung Folge gegeben wird.
Durch den Aufenthalt über mehrere Monate und/oder gar Jahre in der Russischen Föderation entstünde dem Revisionswerber ein unverhältnismäßiger und auch nicht wiedergutzumachender Nachteil, dies in emotionaler als auch finanzieller Hinsicht. Seine privaten, persönlichen, familiären und freundschaftlichen Bande wären durchtrennt, er wäre von der begonnen Ausbildung abgeschnitten. Im Falle einer Rückkehr, dies nach Obsiegen der Revision, könnte der Revisionswerber keinesfalls mehr nahtlos an das anknüpfen, was er jetzt hier in Österreich hat. De facto würden sein gesamtes Leben, seine Zukunft irreversibel zerstört und in Scherben liegen.
Für den Fall, dass die gegenständliche Revision erfolgreich ist, wäre ein derart eingetretener Nachteil demnach irreversibel, womit die Rechtsschutzfunktion der Revision vereitelt würde. Sein „Leben“ hier in Österreich, zu dem er versuchen könnte, zurück zu kommen, läge in Trümmern. Es ist bzw wäre schlichtweg unmöglich, die familiären, gesellschaftlichen, privaten und beruflichen Bande und Beziehungen weiterhin wie jetzt auf dem status quo aufrechtzuerhalten, geschweige denn, dennoch in Österreich seine Ausbildung abzuschließen, wenn der Revisionswerber für lange Zeit in die Russische Föderation müsste. Sinn und Zweck gegenständlicher Revision wäre (im Erfolgsfall der Revision) verunmöglicht.
Die einzigen öffentlichen Interessen, die allenfalls gegen die Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung sprechen könnten, auf die daher hier zur ordnungsgemäßen Ausführung gegenständlichen Antrages näher einzugehen ist, wären jene, die aus aus der (bislang ersten und einzigen) Verurteilung des Revisionswerbers durch das Landesgericht Krems an der Donau vom 13.2.2020 wegen §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und wegen des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG ableitbar wären. Dies aber auch nur dann, wenn der Revisionswerber eine solche enorme, immense und tatsächlich greifbare, akute Gefahr für die Allgemeinheit darstellen würde, dass seine sofortige Abschiebung dringend geboten schiene. Dies ist aber gerade nicht der Fall:
Bei der Beurteilung strafrechtswidrigen Verhaltens durch die Strafgerichte sind die Umstände des Einzelfalls für die Schuld des individuellen Täters und die Frage der Strafzumessung wesentlich. Trotz des verwirklichten Delikts – Strafrahmen bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe – erkannte das Gericht nach den Grundsätzen der Schuld und der Strafbemessung auf eine – noch dazu teilbedingte – Freiheitsstrafe in der Dauer von nur drei Jahren (davon nur ein Jahr bzw. sogar nur rund acht Monate unbedingt!).
Allein das zeigt schon auf, dass die Schuld des Revisionswerbers gering war, es keiner hohen oder gänzlichen unbedingten Strafe bedurfte und auch seine Zukunftsprognose ausgezeichnet ist. Bei der Strafzumessung ging das Landesgericht Krems gem § 43a Abs 4 StGB davon aus, dass bei XXXX die „hohe Wahrscheinlichkeit“ besteht, „dass der Rechtsbrecher keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde.“ Das Gericht wertete im Rahmen der Schuld im Einzelnen als mildernd das reumütige Geständnis, den bisher ordentlichen Lebenswandel, das Alter unter 21 Jahren und als erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen, die Verübung der Tat in einer Wohnstätte sowie die führende Beteiligung an der Tat.
Das Landesgericht Krems ging davon aus, dass die bloße Androhung der Vollziehung des restlichen Teils der Strafe genügen wird, um dem Revisionswerber das Unrecht seiner Straftaten eindrucksvoll vor Augen führen zu können und von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen dieser oder ähnlicher Art abzuhalten und „weil überdies aufgrund des bisher ordentlichen Lebenswandels und des vom Gericht gewonnenen Eindruck des Erstangeklagten während der Hauptverhandlung, wonach er redlich um sein weiteres Fortkommen bemüht ist, eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass er keine weiteren strafbaren Handlungen begehen wird.“
Auch der Bericht über die Haftentscheidungshilfe der Familien- und Jugendgerichtshilfe Krems vom 11.10.2019 zeigt den grundsätzlich positiven Charakter des Revisionswerbers auf und legt ebenfalls die positive Zukunftsprognose dar. Weiters ergibt sich aus dem Bericht zur Hauptverhandlung am 13.2.2020 der Bewährungshelferin XXXX vom 5.2.2020, dass der Revisionswerber an einer konstruktiven Weiterentwicklung interessiert ist, die Deliktverantwortung begonnen wurde und er die Verantwortung für sein Handeln übernimmt.
Dass die Zukunftsprognose des Revisionswerbers äußerst positiv ist – und XXXX keine Gefahr darstellt, wonach die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zur Wahrung zwingender öffentlicher Interessen zu versagen wäre – und er auch in der Haft ein tadelloses Verhalten an den Tag legte, manifestiert sich auch darin, dass er am 29.5.2020 bedingt aus dem unbedingten Teil der Strafhaft entlassen wurde. Das OLG Wien hielt in seiner Entscheidung zu 21 Bs 99/20 t vom 27.4.2020 explizit die positive Zukunftsprognose fest und stellte fest, dass bei XXXX keineswegs ein auffallendes Rückfallsrisiko vorliegt; vielmehr wurden nach der Entscheidung des OLG Wien die Zwecke des § 20 StVG erreicht.
Eine Gefahr für die Sicherheit der Allgemeinheit, der öffentlichen Ordnung oder des Staates geht vom Revisionswerber nicht einmal im Ansatz aus. Es gibt keine öffentlichen Interessen, die zwingend der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen würden. Jedenfalls aber überwiegen die Interessen des Revisionswerbers allfällige öffentliche Interessen bei weitem.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof stehen zwingende öffentliche Interessen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nur dann entgegen, wenn es sich dabei um besonders qualifizierte öffentliche Interessen handelt, die eine sofortige Umsetzung des Erkenntnisses zwingend gebieten, was im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Es besteht eine ausgezeichnete Zukunftsprognose und keine Gefahr sowie kein Risiko, dass der Revisionswerber rückfällig werden könnte, sohin keine tatsächlich qualifizierte Gefahr, dass er die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden bzw unmittelbar bedrohen könnte.
Beweis für das Vorbringen zum gegenständlichen Antrag:
? Einvernahme des Revisionswerbers;
? zeugenschaftliche Einvernahme von:
- XXXX ,
XXXX
XXXX ,
XXXX
?XXXX
? offenes ZMR;
? mit dieser Eingabe vorgelegte Urkunden;
? noch vorzulegende Stellungnahme des (ehemaligen) Arbeitgebers;
? noch vorzulegende Stellungnahme der Bewährungshelferin;
? Beischaffung des Aktes des Landesgerichts Krems an der Donau zu 29 Hv 81/19i;
? weitere, noch vorzulegende Urkunden;
? weitere Beweise vorbehalten.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
§ 30 Abs. 2 VwGG lautet: „Bis zur Vorlage der Revision hat das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedarf nur dann einer Begründung, wenn durch sie Interessen anderer Parteien berührt werden. Wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Revision maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei neu zu entscheiden.“
Gegenständlich ist kein zwingendes öffentliches Interesse erkennbar, das der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision entgegenstünde. Nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses wäre für die revisionswerbende Partei ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden.
Aus diesen Erwägungen war dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG stattzugeben.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung Revision strafgerichtliche Verurteilung VerwaltungsgerichtshofEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W189.2231839.1.01Im RIS seit
27.01.2021Zuletzt aktualisiert am
27.01.2021