Entscheidungsdatum
23.11.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
I415 2236900-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Kroatien, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, Jordangasse 7/4, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 07.10.2020, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die belangte Behörde teilte dem BF mit Schreiben vom 07.10.2019 mit, dass aufgrund seiner rechtskräftigen Verurteilungen eine Beweisaufnahme hinsichtlich der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG stattgefunden habe. Ihm wurde eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen ab Zustellung eingeräumt. Eine solche brachte der BF auch ein.
2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 07.10.2020, Zl. XXXX, wurde gegen den BF ein für die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), dem BF kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
3. Gegen den im Spruch genannten Bescheid erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter mit Schriftsatz vom 04.11.2020, beim BFA eingelangt am 05.11.2020, rechtzeitig Beschwerde, wobei im Wesentlichen der Aufenthalt des BF seit seinem 18. Lebensmonat im Bundesgebiet samt Integrationsmomente vorgebracht wurde. Darüber hinaus habe der BF die Straftaten aufgrund der damaligen Situation begangen und bestehe keinerlei Wiederholungsgefahr mehr. Die belangte Behörde habe auch die Hintergründe der Straftaten – die Spielsucht – nicht festgestellt. Hinsichtlich der Verweigerung des Durchsetzungsaufschubes habe die belangte Behörde keine Gründe angeführt, selbiges hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung. Beantragt werde daher, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben, jedenfalls vorab den Spruchpunkt III. aufzuheben und in eventu einen Durchsetzungsaufschub von zumindest einem Monat zu gewähren.
4. Mit Schriftsatz vom 11.11.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 16.11.2020, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der am XXXX geborene, geschiedene, BF führt die im Spruch angeführte Identität (Name und Geburtsdatum) und ist kroatischer Staatsangehöriger.
Der BF ist seit dem 18. Lebensmonat – und damit seit über 28 Jahren – im Bundesgebiet aufhältig. Seit dem 06.06.1997 ist der BF auch durchgehend melderechtlich mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet erfasst.
Dem BF wurde am 24.11.2011 eine Bescheinigung seines unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes ausgestellt. Zuvor war der BF im Besitz eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - Familienangehöriger“.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er hat im Bundesgebiet seinen Schulabschluss inklusive polytechnischem Lehrgang erworben. Zuletzt war der BF im Zeitraum vom 16.01.2018 bis zum 26.02.2018 als Arbeiter beschäftigt gewesen. Zuvor ist der BF bis zuletzt 26.11.2013 einer Beschäftigung nachgegangen. Mit Datum 23.07.2015 hat der BF seine Lehrabschlussprüfung als XXXX mit Auszeichnung bestanden. Am 23.10.2020 legte der BF das Seminar „XXXX“ erfolgreich ab. Zudem legte der BF seitens der XXXX eine Einstellungszusage vom 30.10.2020 vor.
In den Zeiträumen vom 30.05.2008 bis 30.06.2008, vom 14.10.2008 bis 22.01.2010, vom 28.11.2013 bis 10.05.2017 sowie vom 15.03.2018 bis 07.05.2019 befand sich der BF in Haft. Gegenwärtig ist der BF seit 09.05.2019 in der Justizanstalt XXXX aufhältig. Insgesamt hat der BF damit bis dato knapp 7,5 Jahre in Strafanstalten verbracht.
Der Strafregisterauszug der Republik Österreich weist sieben Verurteilungen auf:
01) LG XXXX vom 23.03.2007 RK 27.03.2007
§ 15 127 129/1 129/2 130 (2. FALL) StGB
Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 23.01.2010
zu LG XXXX RK 27.03.2007
Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre
BG XXXX vom 18.03.2008
zu LG XXXX RK 27.03.2007
Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen
LG XXXX vom 02.06.2009
02) BG XXXX vom 18.03.2008 RK 21.03.2008
§ 15 127 StGB
Datum der (letzten) Tat 24.01.2008
Freiheitsstrafe 1 Monat
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 30.06.2008
03) BG XXXX vom 17.12.2008 RK 22.12.2008
§ 136/1 StGB
Datum der (letzten) Tat 26.07.2008
Freiheitsstrafe 2 Monate
Junge(r) Erwachsene(r)
Vollzugsdatum 06.03.2009
04) LG XXXX vom 02.06.2009 RK 18.06.2009
§ 15 127 128 ABS 1/4 129/1 130 (4. FALL) StGB
§ 136/1 U 2 StGB
§ 134/2 U 3 (1. FALL) StGB
§ 229/1 StGB
Datum der (letzten) Tat 14.10.2008
Freiheitsstrafe 22 Monate
Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf BG XXXX RK 22.12.2008
Junge(r) Erwachsene(r)
Vollzugsdatum 23.01.2010
zu LG XXXX RK 18.06.2009
zu BG XXXX RK 22.12.2008
zu LG XXXX RK 27.03.2007
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 23.01.2010, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
LG XXXX vom 17.11.2009
zu LG XXXX RK 18.06.2009
zu BG XXXX RK 22.12.2008
zu LG XXXX RK 27.03.2007
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 23.01.2010, endgültig
LG XXXX vom 15.02.2013
05) LG XXXX vom 04.12.2013 RK 24.04.2014
§ 142 (1) 1. Fall StGB
Datum der (letzten) Tat 09.08.2013
Freiheitsstrafe 4 Jahre
06) LG XXXX vom 05.05.2014 RK 07.08.2014
§§ 28a (1) 2. Fall, 28a (4) Z 3 SMG
§§ 28a (1) 5. Fall, 28a (4) Z 3 SMG
Datum der (letzten) Tat 31.03.2012
Freiheitsstrafe 6 Monate
Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG XXXX RK 24.04.2014
zu LG XXXX RK 07.08.2014
zu LG XXXX RK 24.04.2014
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 10.05.2017, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
LG XXXX vom 03.05.2017
zu LG XXXX RK 07.08.2014
zu LG XXXX RK 24.04.2014
Zuständigkeit gemäß § 179 Abs. 1 STVG übernommen
LG XXXX vom 06.04.2018
zu LG XXXX RK 07.08.2014
zu LG XXXX RK 24.04.2014
Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen
LG XXXX vom 22.06.2018
07) LG XXXX vom 22.06.2018 RK 22.06.2018
§§ 146, 147 (1) Z 1 1. Fall, 147 (2), 148 2. Fall StGB § 15 StGB
Datum der (letzten) Tat 13.03.2018
Freiheitsstrafe 20 Monate
Vollzugsdatum 13.11.2019
Die Eltern sowie die Schwester des BF sind in Österreich aufhältig, wobei der BF melderechtlich am Wohnsitz seiner Mutter erfasst ist. Der BF verfügt im Bundesgebiet über soziale Kontakte. Er spricht sowohl fließend Deutsch als auch gebrochen Kroatisch. In Kroatien lebt die Großmutter des BF.
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Verfahrensgang
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
2.2. Zum Sachverhalt:
Die Feststellungen basieren ebenfalls auf dem unbestrittenen Akteninhalt, den Angaben des BF in der Beschwerde und den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister, dem Strafregister sowie einem Sozialversicherungsdatenauszug.
Dass der BF kroatischer Staatsangehöriger ist, ergibt sich aus der vorgelegten Reisepasskopie der Republik Kroatien, ausgestellt am 09.06.2016, aus welchem auch die Identität und das Geburtsdatum des BF hervorgeht (AS 201). Die kroatische Staatsangehörigkeit wird überdies auch im Auszug aus dem Zentralen Melderegister und dem Strafregister zur Person des BF ersichtlich. Der Umstand, dass der BF geschieden ist, gründet auf der vorgelegten, beglaubigt übersetzten kroatischen Scheidungsurkunde vom 21.02.2020.
Die Feststellung, dass der BF seit seinem 18. Lebensmonat im Bundesgebiet aufhältig ist, war dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen. Hinsichtlich der melderechtlichen Erfassung des BF im Bundesgebiet samt Haftaufenthalte gilt es, auf einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person des BF zu verweisen.
Aus dem gesamten Akteninhalt ergeben sich keinerlei Hinweise in Zusammenhang mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung und brachte der BF entsprechendes auch nicht im Zuge seiner Beschwerde vor. Darüber hinaus vermeinte der BF auch, im Bundesgebiet dem Fußballspielen nachgegangen zu sein, weshalb von einer körperlichen Fitness des BF auszugehen ist (AS 179). Aus dem Gesundheitszustand ergibt sich damit in einer Zusammenschau mit dem erwerbsfähigen Alter des BF die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit. Zudem brachte der BF selbst vor, er wolle einer Arbeit als XXXX nachgehen (AS 181). In Zusammenhang mit dem Schulabschluss gilt es, auf die Ausführungen des BF im Zuge seines Beschwerdevorbringens zu verweisen (AS 179). Die Zeiträume seiner zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeiten werden im Sozialversicherungsdatenauszug zur Person des BF ersichtlich. Hinsichtlich der Feststellungen zur Ablegung der Lehrabschlussprüfung und dem Seminar gilt es, auf die vorgelegten Urkunden zu verweisen, ebenso hinsichtlich der Einstellungszusage (AS 193, 209 und 191).
Die strafrechtlichen Verurteilungen des BF ergeben sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
Die Feststellung zum Besitz des oben genannten Aufenthaltstitels sowie die Ausstellung der Bescheinigung des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes beruht auf einer Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister.
Dass die Eltern sowie die Schwester des BF im Bundesgebiet aufhältig sind, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen (AS 179). Aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister ergibt sich, dass der BF bei seiner Mutter melderechtlich erfasst ist. Der Umstand, dass der BF über soziale Kontakte im Bundesgebiet verfügt, ergibt sich alleine schon aufgrund seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet. Dass der BF fließend Deutsch spricht, ergibt sich selbiges auch aus dem langjährigen Aufenthalt des BF im Bundesgebiet. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich, dass der BF gebrochen Kroatisch spricht (AS 181), ebenso wie der Umstand, dass die Großmutter des BF in Kroatien lebt (AS 181).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:
Der Beschwerde ist dahingehend beizutreten, dass im vorliegenden Fall ein äußerst mangelbehaftetes Ermittlungsverfahren geführt wurde und wesentliche Ermittlungsschritte unterlassen wurden.
Die belangte Behörde hat sich in ihrer Entscheidung lediglich auf den Umstand der Verurteilungen des BF in Österreich gestützt, jedoch keinerlei Feststellungen hinsichtlich der einzelnen Verurteilungen des BF getroffen. Insofern ist es auch bezeichnend, dass sich im seitens der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt kein einziges der sieben in Rede stehenden Strafurteile des BF befindet und die belangte Behörde ihre Gefährdungsprognose offensichtlich ohne jegliche Kenntnis dieser Strafurteile erstellt hat. Eine persönliche Einvernahme des BF ist trotz der sehr langen Aufenthaltsdauer des BF im Bundesgebiet nicht erfolgt.
Aufgrund des bisherigen Ermittlungsverfahrens kann nicht beurteilt werden, ob die Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes gegen den BF dem Grunde nach gerechtfertigt ist und ob es der Höhe nach dem Unwert seines delinquenten Verhaltens sowie seinen privaten und familiären Verhältnissen entspricht. Dies aus folgenden Gründen:
Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose reicht es nicht aus, zum persönlichen Verhalten des Fremden lediglich die zusammenfassende, im Wesentlichen der Strafregisterauskunft folgende Beschreibung der strafgerichtlichen Verurteilungen, festzustellen (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091). Die belangte Behörde hat es unterlassen, sich konkret mit den Straftaten des BF auseinanderzusetzen, insbesondere wurde nicht aufgezeigt, welche Strafe(n) weshalb verhängt wurden und welche Strafbemessungsgründe die belangte Behörde für ihre Entscheidung als maßgeblich erachtete. Diese Informationen fehlen, zumal sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid lediglich darauf zurückzieht, dass der BF zuletzt wegen „des Verbrechens des Suchtmittelgesetzes“ rechtskräftig verurteilt wurde und dies seine negative Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung belege und er somit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle.
Weiters fehlen Feststellungen über die Art, Dauer sowie insbesondere Rechtsmäßigkeit seines bisherigen Aufenthalts im Inland.
Die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens (z.B. das Verhältnis zu seiner Mutter, Freundschaften, Vereinsmitgliedschaften etc.), der Grad der Integration (z.B. Schulabschlüsse, Ausbildungen, Deutschkenntnisse, Erwerbstätigkeit, soziales Engagement etc.) und die Bindungen zu seinem Heimatstaat (z.B. die Beziehung zu seiner Großmutter, Kenntnisse der Landessprache, Wohnmöglichkeit, Möglichkeit zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr). Es ist für das erkennende Gericht nicht plausibel, wie die belangte Behörde auf Basis der bisherigen Erhebungen zu dem Schluss kommt, es bestünde kein schützenswertes Privat- und Familienleben des BF im Inland, wo sich bereits aus dem ZMR ein über langjähriger Aufenthalt des Bf im Bundesgebiet ergibt und sich bereits daraus ableiten lässt, dass er im Kindesalter nach Österreich gekommen ist und hier den Großteil seines Lebens verbracht hat.
Bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots können drei verschiedene Gefährdungsmaßstäbe maßgeblich sein: der in § 67 Abs. 1 Satz 2 bis 4 FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der erhöhte Gefährdungsmaßstab gemäß § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG für Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben (was gemäß § 53 a Abs. 1 NAG auf einen fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet abstellt) und der Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 Satz 5 FPG. Der zu letzterem führende zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet muss nach der Rechtsprechung des VwGH und des EuGH grundsätzlich ununterbrochen sein. Dabei können einzelne Abwesenheiten unter Berücksichtigung von Gesamtdauer, Häufigkeit und der Gründe für das Verlassen Österreichs auf eine Verlagerung der persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen schließen lassen. Auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes zu unterbrechen, wenn die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind (siehe VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079). Die belangte Behörde hat Erhebungen zum anzuwendenden Gefährdungsmaßstab und insbesondere zur Kontinuität des Inlandsaufenthalts des BF gänzlich unterlassen.
Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen zur anzuwendenden Rechtslage wäre von der belangten Behörde in einem ersten Schritt zu ermitteln gewesen, welcher Gefährdungsmaßstab im konkreten Fall anzuwenden ist. Ausgehend von dem konkret festzustellenden Persönlichkeitsbild des BF, das seinen strafgerichtlichen Verurteilungen und seinem bisherigen Verhalten zugrunde liegt und unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Aufnahmemitgliedstaat und Beachtung der schweren negativen Folgen, die eine solche Maßnahme für Ihn haben kann, da er vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert ist, wäre seitens der Behörde konkret darzulegen gewesen, ob der anzuwendende Gefährdungsmaßstab dem Grunde nach erfüllt ist, wobei hinsichtlich der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor geht, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Im gegenständlichen Fall ist der belangten Behörde sohin vorzuwerfen, dass sie wesentliche Schritte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts nicht gesetzt hat, sodass derzeit nicht beurteilt werden kann, ob im Falle des BF die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes dem Grunde nach zulässig ist.
Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass im vorliegenden Fall, erst nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Administrativverfahren die im Beschwerdefall folgende verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Bescheides möglich sein wird.
Aus diesen Erwägungen ist der angefochtene Bescheid in Stattgabe der Beschwerde zu beheben.
3.2. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Eine Beschwerdeverhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, weil schon auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Interessenabwägung mangelhaftes Ermittlungsverfahren öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung StrafhaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I415.2236900.1.01Im RIS seit
27.01.2021Zuletzt aktualisiert am
27.01.2021