TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/23 I411 2134477-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.11.2020
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Entscheidungsdatum

23.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

I411 2134477-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert POLLANZ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ägypten, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 17.08.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.11.2020 zu Recht erkannt:

A)

I.       Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II.      Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III.    Spruchpunkte II., III., und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein ägyptischer Staatsangehöriger, reiste spätestens am 10.10.2015 unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11.11.2015 erklärte er zu seinen Fluchtgründen: „Ich bin homosexuell und die Eltern meines Freundes möchten mich deshalb umbringen. Andere Bekannte, die von meiner Homosexualität wissen, möchten mich auch umbringen.“ Im Falle einer Rückkehr in die Heimat befürchte er den Tod.

3.       Am 13.06.2016 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA; belangte Behörde). Hinsichtlich seiner Fluchtmotive brachte er zusammengefasst vor, homosexuell und deshalb in Ägypten nicht mehr sicher zu sein. Er habe einen Freund gehabt und sei von dessen Vater erwischt worden, als sie zusammen im Bett gewesen seien. Der Vater sei sehr wütend geworden, deswegen sei der Beschwerdeführer nach Kairo geflüchtet. Von seiner Mutter habe er telefonisch erfahren, dass die Familie seines Freundes zu ihnen gekommen sei und gesagt habe, dass sie den Beschwerdeführer töten würden. Der Vater seines Freundes sei ein reicher und einflussreicher Mann. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte er, verhaftet oder getötet zu werden.

4.       Mit Schriftsatz seiner damaligen Rechtsvertretung vom 21.03.2016 übermittelte der Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme.

5.       Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.08.2016 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Ägypten (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III., erster Satz). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III., zweiter Satz) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig sei (Spruchpunkt III., dritter Satz). Weiters wurde eine zweiwöchige Frist für eine freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen mit der Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers. Auch hätte die behauptete Homosexualität selbst bei Wahrunterstellung vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zu Ägypten keine Asylrelevanz. Der Beschwerdeführer würde bei seiner Rückkehr nach Ägypten in keine lebensbedrohliche Notlage geraten. Darüber hinaus läge ein schützenswertes Privat- und Familienleben im Bundesgebiet nicht vor.

6.       Mit Verfahrensanordnung vom 18.08.2016 stellte das BFA dem Beschwerdeführer den Verein Menschenrechte Österreich für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht als Rechtsberater amtswegig zur Seite.

7.       Mit Schriftsatz vom 03.09.2016 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Der Beschwerdeführer habe seine Heimat aufgrund seiner homosexuellen Ausrichtung verlassen. Sein Heimatstaat sei einerseits nicht in der Lage, ihn vor der geltend gemachten Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu schützen, andererseits drohe ihm auch staatliche Verfolgung. Die Lage habe sich unter der Regierung von Präsident Al-Sisi gravierend verschlechtert, es gebe eine systematische Hetzjagd auf Homosexuelle seitens der Öffentlichkeit sowie des ägyptischen Staates. Die Zahl der Verhaftungen seit 2013 belaufe sich schätzungsweise auf 150 Personen. Ständige Kontrollen der Bars und Lokale, öffentlichkeitswirksame Einschüchterung und Repressionswellen wie auch polizeiliche Überprüfungen der Onlineforen und die Aufspürung ihrer User würden zum Alltag gehören.

8.       Mit Urkundenvorlage vom 02.11.2020 übermittelte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung ein Konvolut an Unterlagen zu seiner Integration.

9.       Am 05.11.2020 fand am Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung, einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch und eines Zeugen, sowie in Abwesenheit eines Vertreters der belangten Behörde eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Ägyptens und stammt aus XXXX . Seine Identität steht fest.

Er ist volljährig, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum koptisch-orthodoxen Glauben.

Er reiste illegal nach Österreich ein und hält sich seit mindestens 10.10.2015 im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Homosexualität in Ägypten konkreten Verfolgungshandlungen gegenüber seiner Person ausgesetzt war.

Jedoch ist glaubhaft, dass er homosexuell ist und in Österreich seit Ende 2016 eine Beziehung mit einem Mann führt.

Es ist aufgrund der untenstehenden Berichte über die Situation Homosexueller in Ägypten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, sofern er seine sexuelle Orientierung nicht verleugnet bzw. äußerst gut verbirgt, im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sowohl der Gefahr einer staatlichen Verfolgung als auch einer Verfolgung durch Privatpersonen ausgesetzt sein wird.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Ägypten:

Relevante Bevölkerungsgruppen - Homosexuelle

Ägypten verfolgt weiterhin Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität (FH 4.2.2019; vgl. HRW 17.1.2019). Homosexuelle Handlungen stehen in Ägypten nicht explizit unter Strafe, jedoch bestehen weit gefasste Straftatbestände zum Schutz der Moral oder Religion, nach denen auch Homosexualität geahndet werden kann, zumal wenn sie offen gezeigt wird. Das ägyptische Strafgesetzbuch stellt „Unzucht“ (debauchery) unter Strafe.

Zwar ist Homosexualität nicht ausdrücklich erwähnt, doch berufen sich die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte auf den entsprechenden Artikel und ein Gesetz zur Bekämpfung der Prostitution von 1961. Es sind in diesem Zusammenhang sowohl Geld- als auch Gefängnisstrafen vorgesehen (AA 22.2.2019). Der Straftatbestand "unsittliches Verhalten" wird zum Teil sehr streng ausgelegt und schließt jedenfalls homosexuelle Handlungen bzw. Anstiftung zu solchen ein (BMEIA 9.7.2019). Die Behörden haben LGBTI-Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität verhaftet und verfolgt (AI 26.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019).

Menschenrechtsorganisationen berichten, dass die Abteilung für den Schutz der öffentlichen Moral im Innenministerium, auch Dating-Portale nutzt, um LGBT Personen zu verfolgen, bzw. in die Falle zu locken (AA 1.7.2019; vgl. AA 22.2.2019; FH 4.2.2019). Die Moralpolizei verfolgt selbst ausländische Personen und schiebt diese ab (AA 22.2.2019).

Die Praxis der Rechtsprechung wendet jedoch den Straftatbestand der „Unzucht“ fast ausschließlich auf Geschlechtsverkehr zwischen Männern an. Es kommt zu Übergriffen der Sicherheitskräfte gegen LGBTTI. Dabei ist es üblich, beschuldigte Personen „medizinischen Untersuchungen“ von Neigungen und begangenen Handlungen zu unterziehen. Da homosexuelle Handlungen zudem ein gesellschaftliches Tabu sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer der Übergriffe sehr hoch ist. LGBTTI Personen sind im Alltag massiver Belästigung und Diskriminierung ausgesetzt. Homosexualität wird von der ägyptischen Gesellschaft abgelehnt und häufig mit einer Krankheit gleichgesetzt (AA 22.2.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Unabhängigkeit der Justiz ist vor allem im Bereich der äußerst weit verstandenen Terrorismusbekämpfung erheblich beeinträchtigt. Willkürliche Verhaftungen, Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen von Personen durch die Staatssicherheit und politisch motivierte Gerichtsverfahren sind an der Tagesordnung. Folter und Misshandlungen in Haft sind verbreitet. Die Sicherheitsdienste genießen de facto Straffreiheit. Sie agieren zunehmend außerhalb jedweder rechtlicher Vorgaben und entziehen sich der Kontrolle durch Justiz und Politik. (AA 22.2.2019).

Die Todesstrafe wird verhängt und gegenwärtig auch vollstreckt. Zu diskriminierender Strafverfolgung oder Strafzumessung aufgrund bestimmter Merkmale liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor. In diesem Bereich macht sich häufig der Druck der öffentlichen Meinung bemerkbar. Harte Strafen gegen Angehörige der Muslimbruderschaft und oppositionspolitische Aktivisten sind häufig Ausdruck einer politisierten Justiz, die nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verfährt. Vor dem Hintergrund allgemein harter und häufig menschenrechtswidriger Haftbedingungen gibt es Hinweise, dass insbesondere junge und unbekannte politische Straftäter besonders harten Haftbedingungen ausgesetzt sind. Amnestien werden wiederholt angekündigt und auch umgesetzt. Anlässlich ägyptischer Feiertage werden immer wieder Gefangene amnestiert bzw. im formellen Sinne begnadigt. Allerdings profitieren hiervon in der Regel keine politischen Gefangenen, sondern ausschließlich Strafgefangene. Allgemeine Voraussetzungen sind in der Regel die Verbüßung von mindestens der Hälfte der Haftzeit und gute Führung in Haft. Im November 2016 kam es jedoch zur Amnestierung von über 100 Studenten und Journalisten, die wegen Teilnahme an Demonstrationen oder wegen ihrer Berichterstattung festgenommen wurden (AA 22.2.2019).

Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Andersdenkende inhaftieren zu können und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und Mitarbeiter ein. Die Behörden verwendeten Einzelhaft, Folter und andere Misshandlungen und ließen weiterhin Hunderter von Menschen ungestraft verschwinden. Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen wurden nicht untersucht. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten zahlreiche Menschen zum Tode (AI 26.2.2019; vgl. AI 23.5.2018). Sie hatten im August 2013 an Massenprotesten vor der al-Fateh-Moschee teilgenommen. Das Verfahren gegen die insgesamt 494 Angeklagten war grob unfair. Gerichte verließen sich bei der Urteilsfindung maßgeblich auf Berichte des nationalen Geheimdienstes und ließen Beweise zu, die nicht stichhaltig waren, darunter auch unter Folter erpresste "Geständnisse". Zivilpersonen mussten nach wie vor mit unfairen Gerichtsverfahren vor Militärgerichten rechnen. Mindestens 384 Zivilpersonen wurde 2017 vor Militärgerichten der Prozess gemacht (AI 23.5.2018).

Die Verfassung sieht die Unabhängigkeit und Immunität der Richter vor. Die Gerichte handelten in der Regel unabhängig, obwohl es einzelnen Gerichten manchmal an Unparteilichkeit fehlte und diese zu politisch motivierten Ergebnissen gelangten. Die Regierung respektierte in der Regel Gerichtsbeschlüsse. Das Gesetz geht von einer Unschuld der Angeklagten aus, und die Behörden informieren sie in der Regel unverzüglich und im Detail über die Anklagen gegen sie. Die Angeklagten haben das Recht, bei den Verfahren anwesend zu sein. Die Teilnahme ist verpflichtend für Personen, die eines Verbrechens angeklagt werden, und fakultativ für diejenigen, die wegen Vergehen angeklagt sind. Zivilverhandlungen sind in der Regel öffentlich. Die Angeklagten haben das Recht, einen Anwalt zu konsultieren, und die Regierung ist zuständig für den Rechtsbeistand, wenn der Angeklagte sich keinen Rechtsanwalt leisten kann. Verhandlungen vor dem Militärgericht sind nicht öffentlich (USDOS 13.3.2019).

Die ägyptische Justiz ist in Zivil- und Strafgerichte einerseits und Verwaltungsgerichte andererseits unterteilt. Jeweils höchste Instanz ist das Kassationsgericht bzw. das Hohe Verwaltungsgericht. Darüber hinaus existieren Sonder- und Militärgerichte. Seit 1969 ist das Oberste Verfassungsgericht das höchste Gericht. Obwohl die Gerichte in Ägypten - mit gewissen Einschränkungen - als relativ unabhängig gelten und sich Richter immer wieder offen gegen den Präsidenten stellten, gab es immer wieder Vorwürfe gegen Richter, Prozesse im Sinn des Regimes zu manipulieren. Solche Vorwürfe werden auch heute noch in Bezug auf die Prozessführung gegen die angeklagten Spitzen des alten Regimes sowie hohe Offiziere der Sicherheitskräfte erhoben. Das Mubarak-Regime bediente sich immer wieder der durch den Ausnahmezustand legitimierten Militärgerichte, um politische Urteile durchzusetzen. Auch nach der Revolution wurden zahlreiche Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt (GIZ 12.2018).

Sicherheitsbehörden

Die primären Sicherheitskräfte des Innenministeriums sind die Polizei und die Zentralen Sicherheitskräfte. Die Polizei ist für die Strafverfolgung bundesweit verantwortlich. Die Zentralen Sicherheitskräfte sorgen für die Sicherheit der Infrastruktur und wichtigen in- und ausländischen Beamten. Zivile Behörden behielten die wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte bei (USDOS 13.3.2019).

Lang andauernde Haft ohne Anklage ist auf Veranlassung der Sicherheitsbehörden weit verbreitet. Urteile in politisch motivierten Verfahren basieren in der Regel nicht auf rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 22.2.2019). In den meisten Fällen hat die Regierung Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, die zu einem Umfeld der Straflosigkeit beitragen, nicht umfassend untersucht. Die Regierung verfügt nicht über wirksame Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch. Die offizielle Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 13.3.2019).

Militär und Sicherheitsbehörden nehmen im Staatsgefüge eine dominierende Position ein und verfügen über weitreichende Befugnisse und Einflussmöglichkeiten. Gerade auf dem Gebiet der begrifflich sehr weit verstandenen Terrorismusbekämpfung sind die Sicherheitsbehörden der Kontrolle durch die Justiz und andere Verfassungsorgane weitgehend entzogen. Polizei und Staatsschutz (National Security Services) sind formal getrennt, unterstehen jedoch gemeinsam dem Innenministerium (AA 22.2.2019).

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung besagt, dass keine Folter, Einschüchterung, Nötigung oder körperlicher oder moralischer Schaden einer Person zugefügt werden darf, die Behörden inhaftiert oder festgenommen haben. Das Strafgesetzbuch verbietet die Folter, um ein Geständnis von einem festgenommenen oder inhaftierten Verdächtigen zu erlangen, berücksichtigt aber nicht den psychischen oder psychologischen Missbrauch (USDOS 13.3.2019).

Folter wird durch ägyptische Sicherheitsbehörden in unterschiedlichen Formen und Abstufungen praktiziert. In Polizeigewahrsam sind Folter und Misshandlungen weit verbreitet. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu Todesfällen in Haft. Menschenrechtsverteidiger kritisierten, dass Beweise, die zu Verurteilungen in Strafverfahren führten, unter Folter gewonnen werden (AA 22.2.2019; USDOS 13.3.2019). Die Praxis der Folter ist nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt, auch wenn politische Aktivisten besonders gefährdet sind. Folter wird als Mittel zur Abschreckung und Einschüchterung eingesetzt (AA 22.2.2019). Regierungsbeamte leugneten, dass die Anwendung von Folter systematisch sei. Laut Human Rights Watch (HRW) und lokalen NGOs war Folter am häufigsten auf Polizeistationen und anderen Inhaftierungsorten des Innenministeriums zu finden (USDOS 13.3.2019).

Extralegale Tötungen werden im Zusammenhang mit dem staatlichen Vorgehen gegen Islamisten verübt. Willkürliche Festnahmen und erzwungenes Verschwindenlassen. Inhaftierungen durch die Sicherheitsbehörden über längere Zeiträume ohne Anklage und Benachrichtigung von Angehörigen und Rechtsbeiständen sind verbreitet und üblich. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 22.2.2019).

Gefangene in Gewahrsam der Sicherheitskräfte wurden verprügelt und anderweitig misshandelt. Verhörbedienstete des nationalen Geheimdienstes folterten und misshandelten zahlreiche Personen, die Opfer des Verschwindenlassens geworden waren, um "Geständnisse" zu erpressen, die später vor Gericht als Beweismittel verwendet wurden. Das Ausmaß der Menschenrechtskrise in Ägypten hat sich erweitert. Die Behörden setzten weiterhin Folter und andere Misshandlungen in Haftanstalten ein (AI 26.2.2019).

Seitdem Präsident Abdel Fattah Al-Sisi im März 2018 eine zweite Amtszeit in einer weitgehend unfreien und unfairen Präsidentschaftswahl gewonnen hat, haben seine Sicherheitskräfte eine Kampagne der Einschüchterung, Gewalt und Verhaftungen gegen politische Gegner, Aktivisten der Zivilgesellschaft und viele andere geführt, die lediglich leichte Kritik an der Regierung geäußert haben (HRW 17.1.2019).

Die Kampagne Stop Enforced Disappearance hat von Juli 2013 bis August 2018 1.530 Fälle dokumentiert. Mindestens 230 davon ereigneten sich zwischen August 2017 und August 2018. Der Aufenthaltsort von mindestens 32 der im Jahr 2018 verschwundenen Personen blieb bis August 2018 unbekannt (HRW 17.1.2019).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Lage der Menschenrechte ist besorgniserregend (AA 24.6.2019a). Die im Januar 2014 angenommene Verfassung enthält einen im Vergleich zu früheren Verfassungen erweiterten Grundrechtskatalog, der sowohl bürgerlich-politische wie auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Viele dieser Grundrechte stehen jedoch unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt. In der Praxis werden diese Rechte immer weiter eingeschränkt, vor allem bürgerlich-politische Rechte. Allerdings hat Ägypten den Kernbestand internationaler Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, so etwa den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die UN-Folterkonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention, wie auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Erhebliche Vorbehalte zu diesen Instrumenten betreffen unter anderem Bestimmungen betreffend die Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund islamischen Rechts (Scharia-Vorbehalt) (AA 22.2.2018).

Obwohl Ägypten alle wichtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnete und Personen- und Freiheitsrechte in der Verfassung geschützt sind, wurde und wird das Land regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen stark kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie viele der über 30 ägyptischen Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen regelmäßig englisch- und arabischsprachige Berichte zur Menschenrechtslage in Ägypten, darunter die Egyptian Organization for Human Rights EOHR, das Nadim Zentrum für Gewaltopfer, die Egyptian Initiative for Personal Rights EIPR und das Budgetary and Human Rights Observatory (GIZ 12.2018).

Das Ausmaß der ägyptischen Menschenrechtskrise weitete sich aus, da die Behörden Gegner, Kritiker, Satiriker, aktuelle und ehemalige Menschenrechts- und Arbeitsrechtsaktivisten, Journalisten, Präsidentschaftskandidaten und Überlebende sexueller Belästigung verhafteten. Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Gegner zu inhaftieren, und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Mitarbeiter ein. Die Behörden wandten Einzelhaft, Folter und weitere Arten von Misshandlungen an und ließen Hunderte von Menschen ungestraft verschwinden. Untersuchungen von Fällen außergerichtlicher Hinrichtungen wurden unterlassen. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten Hunderte von Menschen zum Tode. Menschen wurden aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung verhaftet. Die Behörden hinderten Christen daran, ihren Glauben frei auszuüben, und verabsäumten es, die Verantwortlichen für sektiererische Gewalt zur Verantwortung zu ziehen. Die Streitkräfte setzten bei einer laufenden Militäroperation im Sinai verbotene Streubomben ein (AI 26.2.2019).

Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme waren der übermäßige Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte, Defizite in ordentlichen Gerichtsverfahren und die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten. Übermäßiger Einsatz von Gewalt umfasste rechtswidrige Tötungen und Folter. Zu den prozessbedingten Problemen gehörten die übermäßige Verwendung von präventiver Haft und Untersuchungshaft. Das Problemfeld bei den bürgerlichen Freiheiten beinhaltet gesellschaftliche und staatliche Beschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit, sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Andere Menschenrechtsprobleme beinhalteten das Verschwindenlassen, harte Gefängnisbedingungen, willkürliche Verhaftungen, eine Justiz, die in einigen Fällen zu Ergebnissen kam, die nicht durch öffentlich zugängliche Beweise gestützt wurden oder die politische Motivationen zu reflektieren schienen, Straflosigkeit für Sicherheitskräfte, Begrenzung der Religionsfreiheit, Korruption, Gewalt, Belästigung und gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen und Mädchen, einschließlich weiblicher Genitalverstümmelung, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Menschenhandel, gesellschaftliche Diskriminierung religiöser Minderheiten, Diskriminierung und Verhaftungen auf der Grundlage sexueller Orientierung (USDOS 13.3.2019).

Weiters gibt es glaubhafte Berichte über Folter und Misshandlungen auch mit Todesfolge in Haftanstalten der Staatssicherheit und Polizeistationen. Die Todesstrafe kommt unter Staatspräsident Al-Sisi wieder verstärkt zur Anwendung und wird seit Dezember 2017 auch vermehrt vollstreckt. Im Namen der Terrorismusbekämpfung und Sicherung der Stabilität geht die staatliche Repression mit erheblichen Verletzungen grundlegender Menschenrechte einher. (AA 24.6.2019a).

Haftbedingungen

Die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten bleiben hart und potenziell lebensbedrohlich (USDOS 13.3.2019) und entsprechen nicht internationalen Standards. Haftanstalten sind gegenwärtig überfüllt. Folter und Misshandlungen sowie Todesfälle in Haft sind verbreitet. Zwangsarbeit kann in Verbindung mit Haftstrafen als Teil der Strafe verhängt werden, ausdrücklich auch in Form von schwerer körperlicher Arbeit ("hard labour") (AA 22.2.2019).

Es gab Fälle von zu Tode gefolterten Personen und andere Vorwürfe von Morden in Gefängnissen und Haftanstalten. Die Regierung hat in einigen Fällen Täter angeklagt, verfolgt und verurteilt (USDOS 13.3.2019).

Folter und andere Misshandlungen blieben in den offiziellen Hafteinrichtungen an der Tagesordnung und werden systematisch in den Haftzentren des nationalen Geheimdienstes praktiziert. Gefangene, die aus politischen Gründen inhaftiert wurden, werden mit unbegrenzter oder lang andauernder Einzelhaft bestraft. Im Februar 2017 änderte das Innenministerium die Gefängnisbestimmungen dahingehend, dass die Dauer der Einzelhaft auf bis zu sechs Monate verlängert werden kann. Andere Formen von Misshandlungen und mangelnde medizinische Versorgung bleiben in Gefängnissen weiterhin an der Tagesordnung (AI 23.5.2019; AI 26.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In einigen Fällen hielten Gefängnisbehörden Gefangene in kleinen Zellen fest, denen es an angemessener Beleuchtung, Belüftung oder Betten fehlte, oder Überbelegung aufwiesen (AI 26.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Mangel herrscht auch an ausreichender Nahrung. In einem Fall hielten die Behörden ein zwölfjähriges Kind mehr als sechs Monate lang in Einzelhaft (AI 26.2.2019). Zahlreiche Inhaftierte starben, weil die Gefängnisbehörden sich weigerten, sie zur medizinischen Behandlung in ein Krankenhaus zu verlegen (AI 23.5.2019; vgl. AI 26.2.2019). Im September 2017 starb der ehemalige Anführer der Muslimbruderschaft Mohamed Mahdi Akef im Gefängnis an Bauchspeicheldrüsenkrebs (AI 23.5.2018).

Mursi litt seit langem an Diabetes und Hepatopathie und wurde nach Angaben seines Sohnes nicht adäquat behandelt. Dies wurde auch von britischen Parlamentsabgeordneten bestätigt, die ihn im Jahre 2018 besuchten. Mursi befand sich seit Jahren in Einzelhaft und war bereits 2018 auf einem Auge erblindet. Die wenigen Berichte über seine Haftbedingungen sprechen von nicht ausreichender und teilweise verdorbener Nahrung sowie dem Fehlen eines Bettes. Tod in Haft, vermutlich aufgrund unmenschlicher Haftbedingungen, ist kein seltenes Ereignis (BAMF 24.6.2019).

Das Strafgesetzbuch sieht einen angemessenen Zugang zu den Gefangenen vor. Nach Angaben von NGO-Beobachtern und Verwandten verhinderte die Regierung manchmal den Zugang von Besuchern zu Gefangenen (USDOS 13.3.2019).

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes samt vorgelegten Unterlagen, in den bekämpften Bescheid, den Beschwerdeschriftsatz, in das Länderinformationsblatt zu Ägypten, sowie durch persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers und seines als Zeugen befragten Partners im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 05.11.2020.

Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Strafregister, dem Schengener Informationssystem, dem AJ-Web und dem Betreuungsinformationssystem wurden ergänzend eingeholt.

2.2. Zum Verfahrensgang:

Der umseits unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.3. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund des sichergestellten ägyptischen Personalausweises fest (AS 17).

Die Feststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen, seiner Herkunft, Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Religionszugehörigkeit beruhen auf den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

Die Feststellung zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet seit Oktober 2015 ergibt sich aus dem Datum seiner Asylantragsstellung und einer aktuellen ZMR-Auskunft.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen eigenen glaubhaften Angaben gegenüber der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht sowie dem Umstand, dass er in Österreich im Gastgewerbe arbeitet.

Die Feststellung betreffend die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich leitet sich aus der Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich vom 19.08.2020 ab.

2.4. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Im Hinblick darauf, dass im Asylverfahren die Aussage des Beschwerdeführers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt, stützt sich der erkennende Richter vor allem auf die unmittelbaren Angaben des Beschwerdeführers. Der erkennende Richter geht aufgrund des bei Durchsicht der Einvernahmeprotokolle sowie des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks davon aus, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Fluchtgeschichte mangels Glaubhaftigkeit nicht den Tatsachen entspricht, ihm jedoch in Hinblick auf seine behauptete Homosexualität und die daraus resultierende Verfolgungsgefahr Glauben zu schenken ist.

Für die Glaubhaftigkeit eines Vorbringens spricht, wenn das Vorbringen genügend substantiiert ist. Das Erfordernis der Substantiierung ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Zudem muss das Vorbringen, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen. Ferner muss das Vorbringen plausibel sein, dh mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist ua dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Außerdem muss der Asylwerber persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Außerdem ist - wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont (vgl zB 13.09.2016, Ra 2016/01/0070; 10.09.2015, Ra 2014/20/0142; ua, siehe auch bereits VwGH 24.06.1999, 98/20/0435; 20.5.1999, 98/20/0505) - der persönliche Eindruck den der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer gewinnt, von wesentlicher Bedeutung.

Der Beschwerdeführer erklärte in seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie gegenüber dem BFA, homosexuell zu sein. Er habe einen Freund namens XXXX gehabt. Im Juni 2015 habe sie der Vater seines Freundes erwischt, während sie zusammen im Bett gewesen seien. Daraufhin sei der Vater seines Freundes total ausgerastet. Sie seien sofort weggelaufen und der Beschwerdeführer habe nicht darauf geachtet, wohin XXXX gegangen sei. Er sei daraufhin nach Kairo gefahren und habe seine Mutter angerufen. Diese habe ihm erzählt, dass die Familie seines Freundes zu ihnen gekommen sei und gesagt habe, dass sie den Beschwerdeführer töten würden und auch die Geschäfte seiner Familie anzünden würden, wenn sie den Beschwerdeführer finden würden. Der Vater seines Freundes sei ein reicher und einflussreicher Mann. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte er, verhaftet oder getötet zu werden.

Im Hinblick auf die von Seiten des Beschwerdeführers vorgebrachten, ausreisekausalen Vorfälle ist der belangten Behörde aufgrund des unmittelbaren und persönlichen Eindrucks, den sich das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vom Beschwerdeführer verschaffen konnte, dahingehend beizutreten, dass alles darauf hindeutet, dass die Fluchtgeschichte rund um die behauptete Bedrohung seiner Person durch die Familie seines angeblichen Freundes XXXX frei erfunden ist.

Zunächst ist dem BFA beizupflichten, dass es jeglicher Logik und Lebenserfahrung widerspricht, dass der Beschwerdeführer nach dem fluchtauslösenden Vorfall im Juni 2015 nicht versucht hat, mit seinem Freund Kontakt aufzunehmen. Der Beschwerdeführer erklärte dazu, er habe im Jänner 2016 ein Update-Programm auf sein Handy laden wollen und durch ein Virus seien alle Nummern durcheinandergebracht worden. Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich eine Beziehung mit XXXX geführt, so wäre bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass er sich nach dem Angriff zeitnah bei ihm gemeldet hätte, zumal er ja laut eigenen Angaben noch zumindest bis Jänner 2016 die Nummer seines Freundes hatte. Auf weitere Rückfrage des BFA erklärte er wenig nachvollziehbar, es sei ihm damals einzig darum gegangen, zu fliehen. Er habe nichts wissen wollen von irgendjemandem.

Auch die Reaktion seines Vaters ist keineswegs verständlich. Der Beschwerdeführer behauptete in der Beschwerdeverhandlung, mit seinem Vater nicht mehr gesprochen zu haben, weil dieser das Ganze als Schande für die Familie betrachte. Dass der Vater des Beschwerdeführers sofort den Kontakt abgebrochen haben soll, ohne auch nur ein einziges Mal mit seinem Sohn darüber zu sprechen und ihn nach seiner Version der Ereignisse zu fragen, ist nicht nachvollziehbar.

Zudem schilderte der Beschwerdeführer wichtige Details seiner Fluchtgeschichte gegenüber den verschiedenen Instanzen abweichend. Während er beispielsweise gegenüber dem BFA noch erklärt hatte, er habe seine Mutter nach dem Vorfall angerufen, gab er gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht zu Protokoll, seine Mutter habe ihn angerufen und gewarnt, nach Hause zu kommen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer bei einem derart wichtigen Anruf daran erinnern würde, wer das Gespräch initiiert hatte.

In der Beschwerdeverhandlung erklärte er darüber hinaus erstmals, dass auch sein Vater ihn im Falle einer Rückkehr umbringen wolle. Diesen wichtigen Umstand hatte er davor zu keinem Zeitpunkt erwähnt. Vielmehr hatte gegenüber dem BFA noch folgendes zu Protokoll gegeben: „Mein Vater hat die Familie von XXXX beruhigt, indem er dieser gesagt hat, dass ich nicht mehr sein Sohn wäre. Er hat gesagt, dass er mich töten würde, wenn er mich finden würde […] Er hat das nur gesagt, um die Familie von XXXX zu beruhigen.“

Zusammengefasst ist daher festzuhalten, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die behaupteten fluchtauslösenden Ereignisse nicht glaubhaft ist.

Entgegen der getroffenen Feststellungen der belangten Behörde gelangt das Bundesverwaltungsgericht jedoch nach Durchführung ergänzender Ermittlungen sowie der Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers sowie eines von ihm namhaft gemachten Zeugen zum Schluss, dass die homosexuelle Orientierung des Beschwerdeführers an sich sehr wohl glaubhaft ist.

Dazu ist festzuhalten, dass die Behauptung, homosexuell zu sein, kaum einer objektiven Überprüfung zugänglich ist und die Frage der Glaubwürdigkeit primär nur aufgrund der Aussagen des Beschwerdeführers bewertet werden kann. In diesem Zusammenhang hält der erkennende Richter fest, dass der Beschwerdeführer während seines gesamten Asylverfahrens, welches sich über einen Zeitraum von rund fünf Jahren erstreckte, durchgehend widerspruchsfreie und schlüssige Angaben hinsichtlich seiner behaupteten sexuellen Orientierung getätigt hat und dazu in der Lage war, den Weg zu seiner eigenen sexuellen Identität nachvollziehbar zu beschreiben. Insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen seiner Homosexualität hinterließ der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht durchwegs einen persönlichen glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck und wurden dessen Angaben durch die Aussagen des Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigt.

So gaben sowohl der Beschwerdeführer als auch der beantragte Zeuge Z.A. glaubhaft an, seit Ende 2016 eine Beziehung zu führen, wobei ihre Angaben zu den genauen Umständen und zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens, zur Häufigkeit ihrer Treffen, sowie zu gemeinsamen Interessen und Unternehmungen auch in Details gleichlautend waren.

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und des befragten Zeugen davon aus, dass der Beschwerdeführer homosexuell orientiert ist.

Vor dem Hintergrund der herangezogenen Länderberichte (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.1.3.) ist auch davon auszugehen, dass er aufgrund seiner sexuellen Orientierung in Ägypten sowohl der Gefahr einer staatlichen Verfolgung als auch einer Verfolgung durch Privatpersonen ausgesetzt sein wird, gegen die er sich naturgemäß auch nicht schutzsuchend an die staatlichen Behörden wenden wird können.

In Anbetracht des Umstandes, dass Homosexualität in Ägypten unter Anwendung weit gefasster Straftatbestände zum Schutz der Moral oder Religion strafrechtlich geahndet wird und bereits zahlreiche Verhaftungen homosexueller Personen erfolgt sind, gibt es auch keinerlei Gebiete, wo der Beschwerdeführer vor einer Verfolgung aufgrund seiner Homosexualität sicher wäre. Somit steht ihm fallgegenständlich auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

Es besteht sohin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Ägypten einer aktuellen Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen ausgesetzt sein wird.

2.5. Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat basieren auf dem aktuellen "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Ägypten vom 24.07.2019.

Die entscheidungswesentliche, aktuelle Lage im Herkunftsstaat wurde durch das Bundesverwaltungsgericht mit dem Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 05.11.2020 ausführlich erörtert.

Auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes in Verbindung mit den nachstehenden Quellen ergeben sich zweifelsfrei die getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat.

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (24.6.2019a): Ägypten - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/-/212652, Zugriff 11.7.2019

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (1.7.2019): Ägypten - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/aegyptensicherheit/212622, Zugriff 1.7.2019

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (24.6.2019c): Ägypten: Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/wirtschaft-/212624, Zugriff 9.7.2019

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.7.2019): Ägypten: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/aegyptensicherheit/212622#content_5, Zugriff 9.7.2019

- AI - Amnesty International (23.5.2018): Amnesty International Report 2017/18 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Ägypten, https://www.amnesty.org/download/Documents/POL1067002018GERMAN.PDF, Zugriff 2.7.2019

- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003690/MDE1299162019ENGLISH.pdf, Zugriff 1.7.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (1.7.2019): Briefing Notes 1 Juli 2019, Zugriff 1.7.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (24.6.2019): Briefing Notes 24. Juni 2019, Zugriff 9.7.2019

- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (1.7.2019): Reiseinformation, Ägypten - Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aegypten/, Zugriff 1.7.2019

- FD - France diplomatique (1.7.2019a): Egypte - Dernière minute, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/egypte/, Zugriff 1.7.2019

- FD - France diplomatique (1.7.2019b): Egypte - Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/egypte/#securite, Zugriff 1.7.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006365.html, Zugriff 5.7.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2018): Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegypten/geschichte-staat/, Zugriff 1.7.2019

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2018): GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH: Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegypten/geschichte-staat/, Zugriff 2.7.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2018): Ägypten - Gesellschaft, https://www.liportal.de/aegypten/gesellschaft/, Zugriff 9.7.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (9.2018): Ägypten - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/aegypten/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 9.7.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2018): Liportal, Ägypten - Gesellschaft, https://www.liportal.de/aegypten/gesellschaft/, Zugriff 9.7.2019

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002200.html, Zugriff 5.7.2019

- NCHR - The National Council for Human Rights (o.D.): Law No. 94 of 2003 Establishing The National Council for Human Rights, http://www.nchregypt.org/media/ftp/Amending%20Law%20No.%2094%20of%202003%20by%20Law%20No.%20197%20of%202017-EN.pdf, Zugriff 24.7.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (1.2019): Asylländerbericht Ägypten, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002309/ALB+%C3%84gypten+2018.pdf, Zugriff 1.7.2019

- TI - Transparency International (13.2.2019): The alarming message of Egypt's constitutional amendments, https://www.transparency.org/news/feature/the_alarming_message_of_egypts_constitutional_amendments, Zugriff 5.7.2019

- TI - Transparency International (2018): Corruption Perceptions Index 2018, Egypt, https://www.transparency.org/cpi2018, Zugriff 5.7.2019

-USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004258.html, Zugriff 2.7.2019

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Dem Beschwerdeführer wurde der Länderbericht zur Lage in Ägypten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt und ihm die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur anzuwendenden Rechtslage:

Die maßgeblichen Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2020, lauten:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) …

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1.       dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. …“

3.2. Zur Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abs. A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (Vergleiche auch die Verfolgungsdefinition im § 2 Abs. 1 Ziffer 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates verweist).

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279). Relevant ist eine wenn der Asylbescheid (bzw. das Asylerkenntnis) erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

Im gegenständlichen Fall brachte der Beschwerdeführer vor, aufgrund seiner homosexuellen Orientierung in Ägypten der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt zu sein.

Verfolgung aufgrund der sexuellen Ausrichtung (Homosexualität) ist schon nach den eindeutigen ErläutRV zum AsylG 1991 unter den Tatbestand der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu subsumieren. (270 Blg Nr.18. GP11, Putzer-Rohrböck, Asylrecht, S. 43). Auch die Qualifikationsrichtlinie (Rl 2011/95/EU) präzisiert, dass das bei der Definition der sozialen Gruppe geforderte gemeinsame Mittel auch die sexuelle Orientierung sein kann (Wiebke, Die "bestimmte soziale Gruppe" "queer" gelesen - eine kritische Analyse der unionsrechtlichen Definition, ZAR 11-12, 2014).

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte in seinem Urteil vom 7. November 2013, C-199/12 bis C-201/12, klar, dass Homosexuelle eine bestimmte soziale Gruppe gemäß Art. 10 Abs. 1 lit d der Statusrichtlinie darstellen. Der EuGH wies darauf hin, dass die sexuelle Ausrichtung ein Merkmal darstellt, das so bedeutsam für die Identität ist, dass die Betreffenden nicht gezwungen werden können, darauf zu verzichten. Das erste Kriterium der Definition einer sozialen Gruppe sei daher bei Homosexuellen grundsätzlich erfüllt. Das zweite Kriterium, die wahrgenommene Andersartigkeit und abgegrenzte Identität, sei zu bejahen, wenn Homosexualität im Herkunftsland durch strafrechtliche Bestimmungen kriminalisiert sei. Das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen erfülle jedoch für sich genommen nicht die von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie geforderte Schwere der Menschenrechtsverletzungen. Eine Verfolgungshandlung sei vielmehr erst dann zu bejahen, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis auch tatsächlich verhängt werde und sie dadurch zu einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung gemäß Art. 9 Abs. 2 lit c der Statusrichtlinie werde. Es sei allerdings unerheblich, ob ein Antragsteller die Gefahr der Verfolgung dadurch vermeiden könnte, dass er seine Homosexualität geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung übt.

Wenngleich der Beschwerdeführer – wie unter Punkt II.2.4. dargelegt - nicht glaubhaft vorgebracht hat, aufgrund seiner Homosexualität in Ägypten bereits tatsächlich Übergriffe oder konkrete Verfolgungshandlungen seiner Person gegenüber erlebt zu haben, so ist seine Homosexualität an sich dennoch glaubhaft.

Es steht zudem unbestritten fest, dass homosexuelle Kontakte in Ägypten strafrechtlich verboten sind, wenn auch nicht explizit, sondern unter Anwendung weit gefasster Strafbestände zum Schutz der Moral oder Religion, nach denen auch Homosexualität geahndet wird. Laut EuGH erfüllt das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen für sich genommen nicht die von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie geforderte Schwere der Menschenrechtsverletzungen – dies ist erst der Fall, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis auch tatsächlich verhängt wird. In Ägypten werden LGBTI-Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität durch die Behörden auch in der Praxis verfolgt und verhaftet, sodass von einer Verfolgung Homosexueller in Ägypten auszugehen ist.

Art. 9 der Statusrichtlinie definiert Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention. Entscheidend für das Vorliegen einer Verfolgung ist die Schwere der Handlung, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein muss, dass sie eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellt. Alternativ kann die geforderte Schwere durch eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen erreicht werden. Verfolgungshandlungen sind etwa die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung.

Für das Bundesverwaltungsgericht steht aufgrund der oben zitierten Berichte fest, dass Homosexuelle in Ägypten – neben den strafrechtlichen Bestimmungen – mit verschiedenen Eingriffen konfrontiert sind: So wird in unterschiedlichen Quellen von Übergriffen der Sicherheitskräfte, herabwürdigenden „medizinischen Untersuchungen“ und massiver Belästigung und Diskriminierung durch Privatpersonen berichtet. Da homosexuelle Handlungen zudem ein gesellschaftliches Tabu sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer der Übergriffe sehr hoch ist. Es muss daher aufgrund der Kumulierung verschiedener Übergriffe davon ausgegangen werden, dass in Ägypten eine Verfolgung homosexueller Personen, welche ihre sexuelle Orientierung nicht verbergen, erfolgt.

Bei einer Rückkehr nach Ägypten wäre der Beschwerdeführer zu seinem eigenen Schutz dazu gezwungen, seine sexuelle Orientierung im Geheimen zu leben. Wie bereits ausgeführt, kann nach der Judikatur des EuGH nicht verlangt werden, dass eine Person die Gefahr der Verfolgung dadurch vermeiden könnte, dass er/sie seine/ihre Homosexualität geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung übt.

In diesem Sinne wies (in Bezug auf einen Asylwerber aus dem Iran) auch der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21.06.2017, Zl. 3074/2016-9 darauf hin, dass eine Rückkehr des homosexuellen Asylwerbers in den Iran im Ergebnis dazu führen würde, dass der Beschwerdeführer gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung weiterhin im Geheimen – unter ständiger Angst entdeckt zu werden – zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, strafgerichtlicher Verfolgung oder körperlicher Schädigung auszusetzen. Dies sei mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 07.11.2013 in den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 (zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG), Minister voor Immigratie en Asiel gegen X ua., nicht vereinbar.

Bei einer Gesamtbetrachtung des vorliegenden individuellen Falles besteht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Ägypten schwerwiegenden Eingriffen in seine zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt wäre, und zwar aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen. Es ist daher im Sinne der oben zitierten Judikatur ein Zusammenhang zu den in der GFK taxativ aufgezählten Verfolgungsgründen festzustellen und bestehen vor dem Hintergrund der herangezogenen Länderberichte (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.1.3.) auch keinerlei Hinweise darauf, dass diese Verfolgungssituation nicht mehr aktuell wäre.

In Anbetracht des Umstandes, dass Homosexualität in Ägypten bereits per Gesetz unter Strafe gestellt ist, gibt es auch keinerlei Gebiete, wo der Beschwerdeführer vor einer Verfolgung aufgrund seiner Homosexualität sicher wäre. Somit steht ihm fallgegenständlich auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (Art. 1 Abschnitt D, F der GFK und § 6 AsylG) oder eines Endigungsgrundes (Art. 1 Abschnitt C der GFK) ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Dem Beschwerdeführer war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Aufgrund der Gewährung des Asylstatus waren die Spruchpunkte, welche im angefochtenen Bescheid auf der Abweisung des Antrages auf Gewährung des Status eines Asylberechtigten aufbauten, ersatzlos zu beheben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 10.10.2015 - und somit noch vor dem 15.11.2015 - gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 AsylG 2005 im konkreten Fall keine Anwendung finden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung ersatzlose Teilbehebung Flüchtlingseigenschaft Homosexualität sexuelle Orientierung strafrechtliche Verfolgung Verfolgungsgefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I411.2134477.1.00

Im RIS seit

27.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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