TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/24 I408 2236687-1

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Veröffentlicht am 24.11.2020
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Entscheidungsdatum

24.11.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §67
FPG §70 Abs3

Spruch

I408 2236687-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Tschechien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer reiste legal in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seit Juli 2013 im Bundesgebiet auf und am 19.07.2013 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung für Arbeitnehmer ausgestellt.

2-       Mit Urteil des LG XXXX vom 28.08.2018, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall SMG, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Der Beschwerdeführer erwarb und schmuggelte im Zeitraum zwischen Mai 2016 bis 18.05.2018 aus Tschechien zumindest 3 kg Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 5% Delta-9-THC und 30 Stück Ecstasy-Tabletten von Tschechien nach Österreich. Dieses Suchtgift verkaufte er in Österreich bzw. konsumierte es selbst.

3.       Mit Urteil des BG XXXX vom 21.03.2019 zu Zahl XXXX erfolgte eine Verurteilung wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen á € 4,00. Der Anlass war ein Steinwurf des Beschwerdeführers am 21.12.2019 gegen das Fenster seiner Ex-Freundin, welches dabei zu Bruch ging.

4.       Mit Urteil des LG XXXX vom 25.08.2020 zu Zahl XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall sowie Abs 2 SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 8. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt. Die Verurteilung erfolgte aufgrund des Erwerbes und Besitzes von Cannabiskraut zum Eigengebrauch im Zeitraum Anfang 2017 und 13.04.2020 sowie der entgeltlichen Überlassung von zumindest 50 Gramm an andere Personen. Erschwerend wurden die einschlägigen Vorstrafen, der rasche Rückfall und das Aufeinandertreffen mehrere Vergehen gewertet.

5.       Der Beschwerdeführer, der zuvor weder auf Parteiengehör vom 17.09.2018 noch jenes vom 16.04.2020 reagiert hatte, wurde am 22.09.2020 von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.

6.       Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 30.09.2020, wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 8,5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Zudem wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub gewährt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

7.       Der Beschwerdeführer reiste am 20.10.2020 freiwillig aus dem Bundesgebiet nach Tschechien aus.

8.       Mit fristgerecht eingebrachtem Beschwerdeschriftsatz vom 27.10.2020 erhob der Beschwerdeführer über die von ihm bevollmächtigte Rechtsberatung fristgerecht Beschwerde.

9.       Beschwerde und Behördenakt wurden am 09.11.2020 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist tschechischer Staatsbürger und hielt sich seit Juli 2013 im österreichischen Bundesgebiet auf. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer ist geschieden, hat keine Sorgepflichten, ging in Österreich nur gelegentlich Beschäftigungen nach und bezog überwiegend Leistungen aus der Mindestsicherung. Von 2016 bis 2018 bestritt er seinen Unterhalt und Suchtgiftkonsum von den Erlösen aus dem Suchtgifthandel und danach zumindest den Suchtgiftkonsum über den Suchtmittelverkauf in kleineren Mengen.

Der Beschwerdeführer weist sowohl in Österreich als auch in Tschechien einschlägige strafgerichtliche Verurteilungen wegen Drogendelikten auf.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Anpassungsstörung und einer Arthrose in den Hüftgelenken.

In Österreich lebt sein volljähriger Sohn mit dessen Ehegattin und dem gemeinsamen, mit dem er in Kontakt stand, jedoch kein Abhängigkeitsverhältnis oder gemeinsamer Wohnsitz bestand. In Tschechien leben seine Mutter und zwei Brüder.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbedenklichen Inhalt des Behördenaktes, dem Beschwerdevorbringen sowie den eingeholten Strafurteilen und Abfragen aus Strafregister, ZMR sowie Sozialversicherungsdatenbank.

Die Tathandlungen zu den Suchtgiftdelikten sind den angeführten Strafurteilen entnommen, die einschlägigen strafgerichtlichen Verurteilungen in Tschechien dem Auszug aus dem ECRIS (AS 97ff).

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund vorliegender Identitätsdokumente fest.

Die persönlichen Lebensumstände des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde am 22.09.2020 und finden auch in den eingeholten Abfragen ihre Deckung. Das betrifft insbesondere die Feststellungen zu seinen Arbeitsverhältnissen, den Bezug von Mindestsicherung und die Finanzierung seine Suchtgiftkonsums über Suchtgifthandel bzw. Verkauf. Seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind den vorgelegten Krankenunterlagen entnommen.

Das Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer verfüge in Österreich über ein Familienleben, so ist entgegenzuhalten, dass zwar ein Kontakt zur Familie seines Sohnes besteht, jedoch weder ein Abhängigkeitsverhältnis noch ein gemeinsamer Wohnsitz gegeben ist. Dadurch leitet sich aber noch kein schützenswertes Privat- oder Familienleben ab und es ist ohne weiteres möglich, diesen Kontakt über Besuche in Tschechien aufrecht zu erhalten, zumal der Beschwerdeführer auch dort familiäre Anknüpfungspunkte hat.

Die beantragte Einvernahme des Betreuers des Beschwerdeführers beim Verein XXXX ist nicht erforderlich, weil dies kein anderes Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers hervorbringen kann, zumal dieser trotz Therapie seit 2018 immer wieder rückfällig und straffällig wurde und bei der Einvernahme vor der belangten Behörde selbst angab, dass in seinen Augen Marihuana nichts Illegales wäre. Schon daraus ist zweifelsfrei erkennbar, dass dem Beschwerdeführer die Einsicht hinsichtlich seiner eigenen Abhängigkeit weiterhin fehlt.

Das Drogenproblem des Beschwerdeführers, das auch aus den vorgelegten fachärztlichen Unterlagen hervorgeht, vermag ein persönliches Interesse für einen Verbleib im Bundesgebiet ebenfalls nicht zu verstärken.

Dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, ergibt sich aus seinem Persönlichkeitsbild, der wiederholten Rückfälligkeit in Tschechien und Österreich sowie der Schwere und des hohen Unrechtsgehalts der begangenen Taten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB).

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billig oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Da der Beschwerdeführer tschechischer Staatsbürger ist, kommt § 67 FPG zu Tragen.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Dem angefochtenen Aufenthaltsverbot liegt im Wesentlichen die rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers in Österreich und sein gesetztes Verhalten in Österreich zugrunde. Hinzu kommen die aktenkundigen, einschlägigen Vorverurteilungen in Tschechien.

Wenn in der Beschwerde vorgebracht wird, dass der Beschwerdeführer seit seiner letzten Verurteilung einen ordentlichen Lebenswandel führe, so ist darauf hinzuweisen, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (siehe VwGH 22.09.2011, 2009/18/0147 sowie 15.09.2016, Ra 2016/21/0262). Selbst ein positives Vollzugsverhalten und eine erfolgreiche Entwöhnungstherapie während des Strafvollzugs können die vom Beschwerdeführer ausgehende, durch seine wiederholte Straffälligkeit indizierte Gefährlichkeit demnach nicht entscheidend reduzieren. Es war dem Beschwerdeführer nicht möglich, die bereits 2018 begonnen Therapie erfolgreich durchzuführen. Er wurde immer wieder rückfällig, konsumierte weiterhin Drogen und gefährdete sogar durch das Überlassen von Suchtmitteln die Gesundheit anderer Personen. Ein solches Verhalten kann einem ordentlichen Lebenswandel nicht gleichgestellt werden.

Der volljährige Sohn des Beschwerdeführers lebt mit dessen Familie in Österreich. Es besteht kein Abhängigkeitsverhältnis zu diesen. Der Beschwerdeführer hält zwar regelmäßigen Kontakt zur Familie seines Sohnes, es besteht aber kein Abhängigkeits- oder Betreuungsverhältnis, aus dem ein schützenswertes Familienleben abzuleiten wäre.

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. „legitimate family“ bzw. „famille légitime“) oder einer unehelichen Familie („illegitimate family“ bzw. „famille naturelle“), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR vom 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; vom 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; vom 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; vom 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94 und vom 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR vom 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93 und vom 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ [2008], S. 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR vom 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; und EKMR vom 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR vom 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR vom 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118 und EKMR vom 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, S. 761; Rosenmayer, ZfV 1988, S. 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Wie bereits ausgeführt, besteht eine rein emotionale Bindung zwischen den Beschwerdeführer und der Familie seines Sohnes. Regelmäßige Besuche in Tschechien und Kontakt über Telefon und soziale Medien können eine solche Bindung durchaus aufrechterhalten.

Das familiäre und private Interesse des Beschwerdeführers am Aufenthalt im Bundesgebiet konnte somit im Lichte einer durch Art. 8 EMRK gebotenen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung nicht überwiegen.

Das Aufenthaltsverbot greift zwar in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ein, jedoch wird sein Interesse an der Möglichkeit, sich in Österreich aufhalten zu können, durch sein bisher gesetztes Verhalten massiv relativiert.

Dem Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich steht das Fehlen der strafgerichtlichen Unbescholtenheit und das große öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere bei Suchtgiftdelikten gegenüber.

Es bestehen zudem Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat, wo seine Mutter lebt. Der Beschwerdeführer lebte bis zum Jahr 2013 in Tschechien, ist dort aufgewachsen und hauptsozialisiert. Es wird ihm daher ohne unüberwindliche Probleme möglich sein, sich (wieder) in die dortige Gesellschaft sozial und beruflich zu integrieren. Der Beschwerdeführer hat zudem selbst seine in Tschechien lebende Mutter als Kontaktperson im Rahmen der freiwilligen Rückkehr angeführt. Weiters hat er sich im Zusammenhang mit seinen Drogengeschäften immer wieder in Tschechien aufgehalten und ist zwischenzeitlich bereits freiwillig ausgereist und hat das Bundesgebiet verlassen.

Zur Befristung des Aufenthaltsverbotes ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall ein Aufenthaltsverbot nach Maßgabe von § 67 Abs. 2 FPG für die Dauer von zehn Jahren verhängt werden kann.

Der Beschwerdeführer wurde wie zuvor in Tschechien auch in Österreich wegen Drogendelikten zu Freiheitsstrafen verurteilt. Trotzdem wurde er immer wieder rückfällig und auch die ihm in Österreich zugekommene ärztliche und sozialpsychologische Betreuung konnte keinen Sinneswandel bewirken.

Die Gefährdung, die vom Beschwerdeführer ausgeht, ergibt sich aus der hohen Sozialschädlichkeit seines Verhaltens: So konnten ihn die ergangenen strafgerichtlichen Verurteilungen, insbesondere die einschlägigen in Tschechien, nicht von der Begehung neuerlicher Straftaten abhalten. Er führte sein strafrechtliches Verhalten in Österreich fort, indem er aus Tschechien illegal eingeführte Suchtmittel über einen längeren Zeitraum an eine Vielzahl von Abnehmer verkaufte. Nach der Rechtsprechung des VwGH handelt es sich bei Suchtgiftdelinquenz um ein besonders verpöntes Fehlverhalten, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist (vgl. VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014).

Die Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere von Suchtgiftdelikten, ist angesichts der massiven negativen Konsequenzen des Konsums illegaler Drogen ein Grundinteresse der Gesellschaft, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung.

Aufgrund des eigenen Konsums und seiner guten Vernetzung in der Suchtmittelszene liegt eine massive und nachhaltige Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die von der Person des Beschwerdeführers ausgeht, vor.

Die bestehende Tatbegehungs- und Wiederholungsgefahr lässt auch keine positive Zukunftsprognose zu, zumal ein Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe z.B. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Daher ist das von der belangten Behörde erlassene Aufenthaltsverbot in der Dauer von 8 ½ nicht zu beanstanden und auch unter Berücksichtigung der persönlichen und objektiven Lebensumstände des Beschwerdeführers zu bestätigen.

3.2. Zur Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes und zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II. und III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, geht vom Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus. Anhand seines Gesamtfehlverhaltens zeigte der Beschwerdeführer unzweifelhaft, dass er nicht gewillt war, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Es ist der belangten Behörde daher beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zum Schutz der Bevölkerung erforderlich und dringend geboten ist.

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer bereits am 20.10.2020 freiwillig aus dem Bundesgebiet ausgereist ist.

4. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Nach § 21 Abs 7 BFA-VG kann bei Vorliegen der dort umschriebenen Voraussetzungen - trotz Vorliegens eines Antrags - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs 7 BFA-VG bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen kann allerdings im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des oder der Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm oder ihr einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. zuletzt VwGH 16.10.2019, Ra 2018/18/0272).

Dem Beschwerdeführer wurde ihm Rahmen des Verfahrens vor der belangten Behörde die Möglichkeit einer Stellungnahme gegeben und wurde er zudem persönlich einvernommen und ausführlich zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt. Zudem blieb die Straftat selbst unbestritten und wurde das gesamte Vorbringen vom erkennenden Gericht berücksichtigt. Die im gegenständlichen Fall wesentlichen Feststellungen sind unbestritten, insbesondere die Verurteilung des Beschwerdeführers in Italien sowie die privaten Verhältnisse. Aufgrund der festgestellten Verstöße gegen die italienische Rechtsordnung und das gesetzte negative Verhalten in Österreich hätte auch die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung nichts am Ausgang des Verfahrens ändern können. Somit lag kein klärungsbedürftiger Sachverhalt vor (vgl. VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/002).

Im vorliegenden Fall konnte daher in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung - Entfall freiwillige Ausreise Gefährdungsprognose Interessenabwägung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Suchtmitteldelikt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2236687.1.00

Im RIS seit

27.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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