TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/7 I422 2170523-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.12.2020
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Entscheidungsdatum

07.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

I422 2170523-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX, StA. Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2017, Zl. 1094834109/151718195, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.11.2020 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 26.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 14.11.2015 gab er hinsichtlich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass er im Jahr 2010 auf seinem Weg in die Arbeit von einem Auto heraus angeschossen und er dabei am Oberkörper getroffen worden sei. Daraufhin habe er Angst bekommen und sei nach Syrien ausgereist. Für dort habe er eine Aufenthaltsgenehmigung durch die UNO bekommen. Nachdem in Syrien der Krieg ausgebrochen sei, sei er zunächst wieder in den Irak zurückgekehrt. Nachdem sich die Situation dort nicht gebessert habe, sei er mit einer Aufenthaltsgenehmigung der UNO für die Türkei dorthin ausgereist. Das Leben dort sei aber schwer gewesen und kehrte er erneut in den Irak, in den Ort nach Erbil zurück. Nachdem sich die Situation im Irak jedoch wiederum nicht gebessert habe, sei er über die Türkei nach Europa geflohen.

Am 27.06.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe brachte er im Wesentlichen vor, dass sein Clan, seine Familie und auch er im Irak verfolgt werden würden. So werde sein Clan der AL-M[...] von vielen Organisationen und vom Staat selbst verfolgt. Zudem unterliege auch seine Familie aufgrund der sunnitischen Glaubensausrichtung einer Verfolgung. Er selbst sei ebenfalls einmal angeschossen und in der Nähe seiner Brust getroffen worden. Zudem hätten im Juli 2015 vermummte Männer ihn im Haus seiner Mutter aufgesucht, die Mutter nach seinem Verbleibt gefragt und das Haus durchsucht.

Mit Bescheid vom 24.08.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Des Weiteren setzte die belangte Behörde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde. Begründend führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er im Falle einer Rückkehr in den Irak sofort umgebracht werden würde. Das Aufsuchen des Beschwerdeführers in seinem Familienhaus durch die ihm leider unbekannte Gruppierung beweise, dass diese auf der Suche nach ihm seien.

In der Folge legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und fand am 17.11.2020 am Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch muslimischen Glauben. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 29.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und hält sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Magenschleimhautentzündung (chronische Gastritis), einer allergisch bedingten Entzündung der Nasenschleimhaut (allergische Rhinitis), an „Allergie“, Atemwegsbeschwerden und wiederkehrenden Atemwegserkrankungen sowie Schmerzen im Thorax- und Rippenbereich. Er befindet sich bezüglich seiner Leiden seit 2019 in ärztlicher Behandlung und wird medikamentös mit dem Magenschutzmittel Pantoloc 40mg sowie dem Antihistaminpräparat Desloratadin behandelt. Der Beschwerdeführer weist somit keine lebensbedrohliche Krankheit oder eine sonstige schwere körperliche oder psychische Beeinträchtigung auf. Der Beschwerdeführer zählt nicht zur Risikogruppe der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung. Er ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer wurde in Bagdad geboren und besuchte dort zunächst sechs Jahre lang die Grund- und weitere drei Jahre lang die Mittelschule. Anschließend war der Beschwerdeführer mit Unterbrechungen für weitere drei Jahre auf einer Berufsschule für Mechaniker, die er aufgrund der damaligen Sicherheitslage im Irak nicht beendete. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat einerseits durch eine Tätigkeit als Kosmetiker und verfügte er in diesem Bereich über ein eigenes Unternehmen und andererseits war der Beschwerdeführer auch im Unternehmen seiner Familie beschäftigt. Seine Familie – im genaueren Sinn sein älterer Bruder – führt nach wie vor ein Unternehmen, das mit Rohstoffen zur Weiterverarbeitung unterschiedlichster Produkte wie beispielsweise Plastikflaschen, Medizinprodukte udgl. handelt. Das Unternehmen hat mehrere Lager und war der Beschwerdeführer in diesem Unternehmen für die Lagerhaltung zuständig. Das Unternehmen besteht nach wie vor, allerdings sind die Tätigkeiten und die Umsätze zurückgegangen. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer über Arbeitserfahrung als Mechaniker, Elektriker, Koch sowie als Security-Mitarbeiter. Zuletzt war der Beschwerdeführer in Bagdad, im Bezirk XXXX im Elternhaus wohnhaft, dass sich ebenfalls im Eigentum der Familie befindet.

In Bagdad leben nach wie vor die Mutter, ein Bruder sowie vier von fünf Schwestern des Beschwerdeführers. Zu seiner Mutter und zu einer der Schwestern steht der Beschwerdeführer über Facebook und WhatsApp nach wie vor in Kontakt.

In Österreich leben ein Cousin und eine Cousine väterlicherseits sowie die Tochter dieser Cousine. Zu ihnen steht der Beschwerdeführer in Kontakt, jedoch nicht regelmäßig, sondern nur gelegentlich und zufällig. Ein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen liegt nicht vor.

Drei Brüder des Beschwerdeführers leben in Deutschland und steht der Beschwerdeführer mit seinen Brüdern gegenwärtig nicht in Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er führt eine Beziehung zu der in Göteborg/Schweden lebenden Surat K[...], die er vor rund vier bis fünf Jahren in einem Videochat kennengelernt hat. Sie besuchte ihn bislang rund vier bis fünf Mal und blieb dabei rund für drei bis vier Wochen in Österreich. Aufgrund seiner derzeitigen Situation – nämlich seines unsicheren Aufenthaltsstatus, der gegenwärtigen Wohnsituation und den sonstigen Lebensumständen des Beschwerdeführers als Asylwerber – zog sie bislang noch nicht zu ihm.

Von April bis Juni 2017 nahm der Beschwerdeführer an den Infomodulen „Zusammenleben“, „Wohnen“, „Gesundheit“, „Bildung“ und „Soziales“ teil, welche die Magistratsabteilung 17, Bereich Integration und Diversität, für Asylwerber veranstaltete. Der Beschwerdeführer besuchte im Rahmen der Nachbarschaftshilfe des Wiener Hilfswerkes von April bis Juni 2017 einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 und absolvierte bei der Diakonie am 24.05.2016 eine Deutschprüfung im Niveau A1/1. Seit Juni 2017 engagiert sich der Beschwerdeführer ehrenamtlich im Verein XXXX . Der Beschwerdeführer war beim Berufspädagogischen Institut der ÖJAB für das Projekt „Start Wien Flüchtlinge – Integration ab Tag 1“ – einem Deutschkurs im Niveau A2 angemeldet, der im Zeitraum 23.10.2017 bis 26.01.2018 stattfand. Am 29.06.2019 absolvierte der Beschwerdeführer die Werte- und Orientierungsprüfung des ÖSD im Niveau A2. Ebenso absolvierte der Beschwerdeführer beim Berufspädagogischen Institut der ÖJAB über das Projekt „Start Wien Flüchtlinge – Integration ab Tag 1“ einen Deutschkurs im Niveau B1 mit Spezialisierung im Bereich „Berufsorientierung“ sowie „Gesundheit und Soziales“, der im Zeitraum 06.07.2020 bis 23.10.2020 stattfand. Er verfügt über freundschaftliche Kontakte und nimmt an Veranstaltungen teil, die von ehrenamtlichen Personen organisiert werden und möchte in Österreich bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Berufsschule besuchen. Des Weiteren engagiert er sich in seiner Unterkunft und übernimmt dort freiwillige Tätigkeiten und Putzdienste.

Er bezieht seit Beginn seines Aufenthaltes durchgehend Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wird.

Entgegen seinem Fluchtvorbringen ist der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat auch keiner gezielten Verfolgung durch eine Miliz ausgesetzt und droht ihm dort weder wegen seiner Clanzugehörigkeit noch wegen seiner sunnitischen Glaubensausrichtung eine diesbezügliche Verfolgung.

Im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit weder Opfer von Folter, unmenschlicher Behandlung oder unmenschlicher Strafe, der Todesstrafe, oder Opfer eines bewaffneten innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes werden.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Im gegenständlichen Fall lauten die wesentlichen Feststellungen:

1.3.1. Zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat:

Seit dem Sieg über den IS kehrt der Irak nach Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen und Übergriffen und einer damit verbunden tiefen ethnische und konfessionelle Spaltung des Landes langsam zur Normalität zurück und widmet sich verstärkt dem Wiederaufbau, der auch international unterstützt wird.

Die Bekämpfung der Korruption, das Wiedererlangen von Vertrauen innerhalb der gespaltenen Gesellschaft, die Beseitigung der Zerstörungen an der Infrastruktur und die Eingliederung der Milizen in die staatlichen Strukturen gehen langsam vor sich, vielen Menschen geht dieser Prozess zu langsam und das findet in Übergriffen unterschiedlichster Ausprägungen ihren Niederschlag (IS zeigen in Form von gezielten Anschlägen ihre Präsenz, Milizen durch vereinzelte Übergriffe; Bevölkerungsgruppen demonstrieren und bringen so ihren Unmut und ihre Unzufriedenheit über die aktuelle Lage zum Ausdruck, etc.).

Die sicherheitsrelevanten Vorfälle haben sich aber zuletzt auf einem Niveau eingependelt, dass für Personen, die keine besondere Vulnerabilität aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse aufweisen, eine Rückkehr zumutbar und vertretbar ist.

1.3.2. Zur Sicherheitslage in Bagdad:

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden.

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden. Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt.

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen, doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen. Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden.

Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet. Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad.

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet., im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten. Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar.

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren.

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.

1.3.3. Zur Lage sunnitische Araber:

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger.

Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga. Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul.

1.3.4. Zum Clan der Muschahada/Maschhadan (Masschhadani, al-Hashimi)

Unter der Diktatur von Saddam Hussein wurden die sunnitischen Stämme bevorzugt behandelt, was ihm ihre Loyalität zum Regime zumindest teilweise sicherte. Das Regime ließ Stammesführern finanzielle Zuwendungen und Waffen zukommen und ermunterte junge Mitglieder sunnitischer Stämme dazu, der Armee und den Sicherheitsorganen beizutreten, wo sie schnell befördert wurden. Unter den Stämmen, die von dieser bevorzugten Behandlung von Saddam Hussein profitierten, waren auch die Muschahada aus Tarmiya.

Im neuen politischen System nach dem Sturz Saddam Husseins war auch der Stamm der Muschahada stark vertreten. Neben fünf weiteren Namen wird Tariq al-Hashimi, Vizepräsident und ehemaliger Vorsitzender der Irakischen Islamischen Partei, als wichtige sunnitische Persönlichkeit aufgeführt. Alle diese Politiker der neuen politischen post-Saddam-Ordnung seien vom sogenannten Entbaathifizierungskomitee geprüft worden. Die Verifizierung deren Verhaltens während des Baath-Regimes sei jedoch schwierig und kaum überprüfbar.

2015 schlossen sich Mitglieder des Mushahada Stammes im Zentral- und Nordirak dem IS an. Einige davon waren auch hochrangige Mitglieder der Al-Quaida und des IS. Vom Stammesführer der Maschhadani, dem im Bagdad lebenden Emir Salem Schams Hamad al-Thayr, wurde zum Ausdruck gebracht, dass jene Personen, die Mitglieder einer terroristischen Organisation seien, vom Stamm ausgeschlossen werden, deren Familienmitglieder jedoch nicht.

Im Juli 2017 war Said Al-Schasim Al-Maschhadani der „Stammesverantwortliche“ für die Truppen der Volksmobilisierungsheinheit (Al-Haschd Asch-Schaabi) in der Gegend Tarmiya. Seiner Angaben würden alle Stämme in der Gegen um Tarmiya mit den Sicherheitskräften zusammenarbeiten, um die Gegen von Terroristen zu befreien. Ihm zufolge, sei jeder ein Terrorist, der einen Terroristen beherberge, den Terrorismus unterstütze oder seine Waffen gegen die Sicherheitskräfte erhebe. Zuletzt sicherte er im November 2017 zu, dass sein Stamm bereit sei, im Kampf gegen den IS beizutragen.

1.3.5. Zur medizinischen Versorgungslage:

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen.

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt. Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagiere.

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen. Für das Jahr 2020 werden in Flüchtlingslagern der kurdischen Gouvernements Dohuk und Sulaymaniyah erhebliche Lücken in der Gesundheitsversorgung erwartet, die auf Finanzierungsengpässe zurückzuführen sind.

1.4.6. Zur Rückkehrsituation:

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Kurdischen Region im Irak (KRI) finden regelmäßig statt. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird.

Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak.

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD (Anm.: ca. 296 EUR). Die Wohnungspreise in der KRI sind 2018 um 20% gestiegen, während die Miete um 15% gestiegen ist, wobei noch höhere Preise prognostiziert werden. In den Städten der KRI liegt die Miete bei 200-600 USD (Anm.: ca. 185-554 EUR) für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 12 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 8-19 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 23-31 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000-60.000 IQD (Anm.: ca. 31-46 EUR) für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom. Die Rückkehr von IDPs in ihre Heimatorte hat eine leichte Senkung der Mietpreise bewirkt. Generell ist es für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten, während es in Hinblick auf Wohnungen einfacher ist.

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussen sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung.

Im Zuge seines Rückzugs aus der nordwestlichen Region des Irak, 2016 und 2017, hat der Islamische Staat (IS) die landwirtschaftlichen Ressourcen vieler ländlicher Gemeinden ausgelöscht, indem er Brunnen, Obstgärten und Infrastruktur zerstörte. Für viele Bauerngemeinschaften gibt es kaum noch eine Lebensgrundlage. Im Rahmen eines Projekts der UN-Agentur UN-Habitat und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) wurden im Distrikt Sinjar, Gouvernement Ninewa, binnen zweier Jahre 1.064 Häuser saniert, die während der IS-Besatzung stark beschädigt worden waren. 1.501 Wohnzertifikate wurden an jesidische Heimkehrer vergeben.

Es besteht keine öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrer. Private Immobilienfirmen können jedoch helfen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Erstbefragung und seiner niederschriftlichen Einvernahme, seiner Stellungnahem vom 25.08.2017, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz des Beschwerdeführers, den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen sowie durch die Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht. Ergänzend wurden Auszüge aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Betreuungsinformationssystem über die Grundversorgung (GVS), dem Dachverband der Sozialversicherungsträger sowie dem Strafregister eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seiner Person, insbesondere seiner Volljährigkeit, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Aufgrund der von ihm vorgelegten und sich im Verwaltungsakt befindlichen Kopie seines Reisepasses steht die Identität des Beschwerdeführers fest.

Die Feststellungen zur Einreise und Antragsstellung des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und dem sich darin befindlichen Schreiben der Landespolizeidirektion Wien vom 26.09.2015, demzufolge der Beschwerdeführer am selben Tag um 16:05 Uhr in der Wiener Stadthalle einen Asylantrag stellte. Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge seiner Asylantragstellung eine Ladung zur Erstbefragung ausgefolgt, die er am 26.09.2015 persönlich übernahm. Sein seither bestehender und durchgehender Aufenthalt im Bundesgebiet leitet sich aus dem Verwaltungsakt und einem aktuellen Auszug des ZMR ab.

Die Feststellungen zu seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergeben sich aus seinen Angaben vor der mündlichen Verhandlung, wo er darauf hinwies, dass er Probleme mit der Lunge und zwei gebrochene Rippen habe, die auf jener Schussverletzung basieren würden, die er seinerzeit im Irak erlitten habe. Des Weiteren brachte er vor, dass er seit seiner Ankunft in Österreich vor rund vier bis fünf Jahren Probleme mit dem Magen habe. Im Zuge der mündlichen Verhandlung legte er den mit 13.11.2020 datierten ärztlichen Befundbericht eines Facharztes für Allgemeinmedizin vor, demzufolge der Beschwerdeführer an einer chronischen Gastritis leide und er sich seit 2019 beim unterfertigenden Arzt in ärztlicher Behandlung befinde. Als Therapie wurde dem Beschwerdeführer die Einnahme von Pantoloc 40mg 1 x 1 verschrieben. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und Schließung des Ermittlungsverfahrens übermittelte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 28.11.2020 einen vom selben Facharzt ausgestellten und mit 24.11.2020 datierten Befundbericht. In diesem wurde neben der bereits bekannten chronischen Gastritis und deren Behandlung auf das Vorliegen von „Allergie“, einer allergisch bedingten Entzündung der Nasenschleimhaut (allergische Rhinitis), Atemwegsbeschwerden und wiederkehrender Atemwegserkrankungen sowie schussverletzungsbedingter Schmerzen im Thorax- und Rippenbereich verwiesen. Ergänzend wurde die medikamentöse Behandlung mit dem Antihistaminpräparat Desloratadin angeführt. Weder aus den festgestellten physischen Beeinträchtigungen noch aus den Ausführungen des behandelnden Arztes lässt sich eine schwerwiegende und gravierende Gesundheits- oder Lebensbedrohung ableiten. Die Schmerzen der chronischen Gastritis werden mit einem Magenschutzmittel therapiert. Die Behandlung seiner Allergien – die im ersten fachärztlichen Befundbericht keine Erwähnung finden und zu denen im zweiten fachärztlichen Befundbericht ebenfalls keine näheren Ausführungen erstattet werden – und der daraus resultierenden Entzündung der Nasenschleimhaut erfolgt mittels eines Antihistaminikum. Aus den Ausführungen des behandelnden Facharztes ergibt sich im Hinblick auf die rezidivierenden Atemwegserkrankungen und -beschwerden sowie die Thoraxschmerzen weder die Notwendigkeit akutmedizinischer Sofortmaßnahmen noch die Notwendigkeit einer medikamentösen oder therapeutischen Behandlung seiner Leiden und Schmerzen. Zweifelsohne sind die Schmerzen im Magen- und im Thoraxbereich sowie die Allergie bzw. Auswirkungen seiner Allergie unangenehm und lästig, allerdings lässt sich aus diesen Beeinträchtigungen keine Lebensbedrohung ableiten. Dass der Beschwerdeführer nicht zur nicht zur COVID-19-Risikogruppe zählt, ergibt sich aus der Einsichtnahme in die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung.

Dass der Beschwerdeführer in Bagdad geboren wurde, er in seinem Herkunftsstaat für mehrere Jahre die Schule besuchte und er eine Berufsschule für Mechaniker aufgrund der damaligen Sicherheitslage jedoch nicht beendete, gründet auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht. Aus seinen Ausführungen vor der belangten Behörde und zuletzt auch im Rahmen seiner mündlichen Verhandlung resultieren die Feststellungen zu seinen bisherigen beruflichen Tätigkeiten und dem bisherigen Verdienst seines Lebensunterhaltes. Auf diesen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht basieren auch die Feststellungen zur nach wie vor bestehenden unternehmerischen Tätigkeit seiner Familie bzw. seines älteren Bruders im engeren Sinn. Zuletzt bestätigte der Beschwerdeführer im Rahmen seiner mündlichen Verhandlung auch, dass er bis zu seiner Ausreise im Bezirk XXXX im Elternhaus wohnhaft gewesen sei und dass sich das Haus im Eigentum der Familie befindet.

Die Feststellungen zu seinen im Irak und in Deutschland aufhältigen Familienangehörigen ergeben sich aus seinen Angaben. So gab er bei seiner Erstbefragung vom 14.11.2015 auf die Frage über im Herkunftsland lebende Familienangehörige an, dass sich seine Mutter, ein Bruder und seine fünf Schwestern dort aufhalten würden und alle in Bagdad wohnhaft wären. Drei weitere Brüder seien in Deutschland aufhältig. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde vom 27.06.2017 bestätigte er, dass seine Mutter und eine Schwester nach wie vor an der Adresse des Wohnhauses im Bezirk XXXX , in Bagdad leben würden. Zudem wären auch der Bruder und vier seiner fünf Schwestern nach wie vor in Bagdad wohnhaft. Zur fünften Schwester habe der Beschwerdeführer keinen Kontakt mehr und wisse er deshalb auch nicht über ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort Bescheid. Wenn der Beschwerdeführer in weiterer Folge vorbringt, dass seine Mutter und seine Schwester sich aufgrund der schlechten Situation nie lange an einem Ort im Irak aufhalten könnten und sie gegenwärtig in der Türkei wären und sich nicht immer im Irak aufhalten würden bzw. wenn er in der Beschwerde erstmals dahingehend vorbringt, dass seine Familie untertauchen habe müssen, wertet das Bundesverwaltungsgericht dies als reine Schutzbehauptung. Dies bestätigt sich auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Wenn er hierbei erstmals vorbringt, dass er vermute, dass seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder aufgrund der schlechten Situation im Norden des Iraks leben würden und er dies mangels Kontakt jedoch nicht verifizieren könne, so widerspricht er sich dahingehend selbst mehrfach. Einerseits deshalb, weil er im Rahmen der mündlichen Verhandlung zuvor ausführte, dass sich das Unternehmen der Familie nach wie vor in deren Besitz befinden und gegenwärtig aufrecht vom Bruder betrieben werde, die Tätigkeiten und Umsätze jedoch zurückgegangen seien. Wäre sein Bruder nicht mehr in Bagdad aufhältig und untergetaucht, wäre die Antwort auf diese Frage anderslautend. Ebenso bestätigte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, dass er sich zumindest mit seiner Mutter und seiner Schwester über WhatsApp und Facebook in aufrechtem Kontakt befinde. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, dass er deren Untertauchen und permanente Ortswechsel bereits seit seiner Beschwerde vom September 2017 behauptet, so hätte er sich spätestens seit diesem Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über deren Schicksal und Verbleib erkundigt und wäre es ihm somit auch möglich und ein Bedürfnis genauere Angaben über deren Aufenthaltsort und allenfalls auch über deren bisheriges Unterkommen tätigen zu können. Aufgrund dieser Überlegungen geht das Bundesverwaltungsgericht daher davon aus, dass sich seine Mutter und seine Schwester nach wie im Wohnhaus der Familie aufhalten und der Bruder als solches auch noch in Bagdad lebt.

Glaubhaft sind seine gleichbleibenden Angaben zu seinen in Österreich lebenden Verwandten väterlicherseits. Aus seinen Ausführungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung lässt sich kein Naheverhältnis oder wie immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis erkennen.

Ebenso gleichbleibend und glaubhaft sind seine Angaben zu seinen drei in Deutschland aufhältigen Brüdern und bestätigte er zuletzt, dass er mit ihnen nicht mehr in Kontakt stehe.

Die Feststellungen zu seinem Familienstand und seiner Beziehung zu einer in Schweden lebenden Frau ergeben sich aus dem gleichbleibenden Vorbringen im Administrativverfahren und vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zu seinen integrativen Bemühungen ergeben sich einerseits aus seinen Angaben im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie den von ihm im Rahmen des Administrativverfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens vorgelegten Unterlagen. Diese umfassen: Die Teilnahmebestätigungen der Magistratsabteilung 17, Bereich Integration und Diversität, betreffend die StartWien Infomodule „Zusammenleben“, „Wohnen“, „Gesundheit“, „Bildung“ und „Soziales“. Einer Bestätigung des Wiener Hilfswerkes von 04.04.2017. Der Kopie des Deutschtestes und des Testergebnisses der Deutschprüfung im Niveau A1/1 vom 24.05.2016 durch die Diakonie. Einen Nachweis über die ehrenamtliche Arbeit im Verein XXXX vom 27.06.2017. Eine Anmeldebestätigung des Berufspädagogischen Institut der ÖJAB für das Projekt „Start Wien Flüchtlinge – Integration ab Tag 1“ für einen Deutschkurs im Niveau A2, datierend vom 10.11.2017. Ein Zeugnis des ÖSD über die Absolvierung der Werte- und Orientierungsprüfung im Niveau A2 vom 29.06.2019. Ein Zertifikat des Berufspädagogischen Institut der ÖJAB über das Projekt „Start Wien Flüchtlinge – Integration ab Tag 1“ über die Absolvierung eines Deutschkurses im Niveau B1 mit Spezialisierung im Bereich „Berufsorientierung“ sowie „Gesundheit und Soziales“. Eine Bestätigung des Samariterbundes über die Beteiligung an der Hausreinigung und ein Sozialbericht des Samariterbundes 28.09.2020. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und Schließung des Ermittlungsverfahrens übermittelte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 28.11.2020 ergänzend noch vier private Unterstützungsschreiben.

Dass der Beschwerdeführer seit Beginn seines Aufenthaltes durchgehend Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht, ist einerseits durch seine eigenen Angaben und andererseits durch einen Auszug des GVS belegt.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 14.11.2015 gab der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass er im Jahr 2010 auf seinem Weg in die Arbeit von einem Auto heraus angeschossen und er dabei am Oberkörper getroffen worden sei. Daraufhin habe er Angst bekommen und sei nach Syrien ausgereist. Für dort habe er eine Aufenthaltsgenehmigung durch die UNO bekommen. Nachdem in Syrien der Krieg ausgebrochen sei, sei er im Jahr 2012 zunächst wieder in den Irak zurückgekehrt. Da sich die Situation im Irak nicht gebessert habe, sei er nach sechs Tagen in die Türkei ausgereist, wofür er ebenfalls eine Aufenthaltsgenehmigung der UNO erhalten habe. Das Leben in der Türkei sei aber schwer gewesen und kehrte er deshalb erneut in den Irak, in die Stadt Erbil zurück, wo er dachte, dass es besser werden würde. Nachdem dies nicht der Fall gewesen sei, sei er erneut in die Türkei ausgereist und von dort nach Europa geflüchtet.

Im Rahmen seiner Einvernahmen durch die belangte Behörde vom 27.06.2017 führte er ergänzend im Wesentlichen aus, dass sich die Lebensbedingungen Irak in der Zeit nach dem Sturz Saddam Husseins zusehends verschlechtert hätten. Sunniten und Schiiten würden sich bekriegen und als Sunnit habe er es dort sehr schwer gehabt. Ebenso werde sein Clan der Al- XXXX von vielen Organisation, aber auch vom Staat selbst verfolgt. Seine Cousins seien getötet, sein Bruder ebenfalls angegriffen worden und auch auf ihn habe man geschossen. Zudem sei es im Juli 2015 zu einem weiteren gegen ihn gerichteten Vorfall gekommen. Vermummte Personen hätten das Haus seiner Mutter aufgesucht, sich nach dem Verbleib des Beschwerdeführers erkundigt, das Haus durchsucht, alles durchwühlt und dabei vieles zerstört. Die vermummten Männer wären ein zweites Mal zum Haus der Familie gekommen, zu diesem Zeitpunkt sei aber niemand zu Hause gewesen. Dies seien die Gründe, weshalb er seinen Herkunftsstaat verlassen habe. Weitere Fluchtgründe machte der Beschwerdeführer nicht geltend.

Der Beschwerdeführer stützt seinen Antrag auf internationalen Schutz somit im Wesentlichen auf drei Fluchtmotive: Zunächst werde er persönlich verfolgt, zumal auf ihn geschossen worden sei und man sich auch sich anschließend bei seiner Mutter nach seinem Verbleib erkundigt habe. Zudem seien er und seine Familie im Irak auch aufgrund ihrer sunnitischen Glaubensausrichtung einer Verfolgung ausgesetzt. Außerdem unterliege er als Mitglied des Clans der Al-M XXXX ebenso einer Verfolgung durch verschiedene Organisation sowie dem irakischen Staat.

Im angefochtenen Bescheid kam die belangte Behörde zum Schluss, dass das Vorbringen nicht glaubhaft sei und dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsland Irak eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung muss sich das Bundesverwaltungsgericht den beweiswürdigenden Erwägungen der belangten Behörde anschließen und diesem dahingehend zustimmen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft ist bzw. vermochten auch seine übrigen Fluchtmotive keine Asylrelevanz aufzeigen. Dies aus folgenden Überlegungen:

Zunächst ergeben sich im Hinblick auf sein Vorbringen, wonach er aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Clan der Al-M XXXX einer Verfolgung durch verschiedene Organisationen und durch den irakischen Staat ausgesetzt sei, keinerlei Anhaltspunkte für eine darin gelegene Verfolgung seiner Person. Seine diesbezüglich erstmals in der niederschriftlichen Einvernahme vom 27.06.2017 erststatteten Ausführungen bleiben im abstrakten, allgemein gehaltenen und pauschalierten Bereich, wenn er vermeint: „Mein Clan Al-M XXXX wird von vielen Organisationen verfolgt und auch vom Staat selber. Meine Cousins wurden getötet und mein Bruder wurde angegriffen. Ich werde dort verfolgt.“. Weitere Ausführungen zu seiner Verfolgung wegen seiner Stammeszugehörigkeit erstattet der Beschwerdeführer weder vor der belangten Behörde noch in seinem Beschwerdeschriftsatz. Damit weist das Vorbringen des Beschwerdeführers jedoch nicht die entsprechende Konkretisierung auf, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen (vgl. VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472). Im gegenständlichen Fall kommt zusätzlich hinzu, dass entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers sich weder aus den aktuellen Länderberichten noch aus den beiden ACCORD-Anfragebeantwortungen zur Situation des Stammes der Mushahada/Maschhadan ein gezieltes Vorgehen oder eine systematische Verfolgung von Mitgliedern des Clans der Al-M XXXX ableiten lässt. Zudem negierte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung zuletzt sogar eine allgemeine Verfolgung von Mitgliedern des Stammes der Al-M XXXX , indem er vermeint: „Mitglieder des Stammes der Al-M XXXX können im Irak leben. Ich habe aber ein persönliches Problem im Irak und werde deshalb in meinem Herkunftsstaat verfolgt.“. Auf Grundlage der vorangegangenen Ausführungen vermochte der Beschwerdeführer somit keine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Stamm der Al-M XXXX begründen.

Ebenso vermochte der Beschwerdeführer mit der behaupteten Verfolgung aufgrund seiner sunnitischen Glaubensausrichtung des Islams keine Asylrelevanz aufzeigen. Einer konkreten persönlichen Verfolgung wegen seiner sunnitischen Glaubensausrichtung war der Beschwerdeführer – der von 2010 bis zum Ausreisezeitpunkt im Jahr 2015 zum überwiegenden Teil in Syrien und in der Türkei verbrachte – in seinem Herkunftsstaat nicht ausgesetzt. Ebenso relativierte der Beschwerdeführer seine Befürchtung vor einer Verfolgung aufgrund seiner sunnitischen Glaubenszugehörigkeit. So bringt er auf die Frage des einvernehmenden Beamten, wonach er die Bedrohung in Bezug auf seine sunnitische Glaubensrichtung darstellen soll vor: „Die Sunniten werden generell im Irak verfolgt. Ich weiß nicht, ob ich jetzt wegen meiner sunnitischen Glaubensrichtung oder wegen etwas Persönlichem verfolgt werde. Ich denke aber, dass es etwas Persönliches ist, weil es ja viele Sunniten gibt und gerade ich wurde angeschossen.“. Durchaus zeigen die der Entscheidung zu Grunde gelegten Länderberichte – im Besonderen die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen“ sowie die EASO Country Guidance: Iraq „Guidance note and common analysis“ – auf, dass sich die Situation für Sunniten seit dem Sturz Saddam Husseins zu deren Nachteil entwickelt hat und sie im alltäglichen Leben im Irak mit Benachteiligungen und Diskriminierungen konfrontiert sind. Eine systematische Diskriminierung, ein gezieltes Vorgehen oder aber auch eine systematische Verfolgung von Sunniten lässt sich aus den Länderberichten jedoch nicht entnehmen (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2018/20/0040).

Auch sein weiteres Fluchtvorbringen, wonach er im Irak einer persönlichen Verfolgung ausgesetzt sei, vermochte keine Asylrelevanz begründen, zumal diesem bei näher Auseinandersetzung die Glaubhaftigkeit zu versagen war. Dies aus folgenden Gründen:

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert (vgl. VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314; 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich im Vorbringen des Beschwerdeführers eine Steigerung seiner Fluchtgründe widerspiegelt. Es ist dem Bundesverwaltungsgericht in keiner Weise nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung ausschließlich davon spricht im Jahr 2010 angeschossen worden zu sein und bei der anschließenden Schilderung lediglich die allgemein schlechte Situation ins Treffen führt. Erst im Rahmen seiner Einvernahme vor der belangten Behörde erwähnt der Beschwerdeführer den Vorfall aus dem Jahr 2015, wonach vermummte Männer nach ihm gesucht und sich nach seinem Verbleib erkundigt hätten.

Hinsichtlich dieser Steigerung ist anzumerken, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Einerseits, weil nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass ein Asylwerber, der bemüht ist, in einem Land Aufnahme und Schutz zu finden, in der Regel auch bestrebt ist, alles diesem Wunsch Dienliche vorzubringen und zumindest die Kernfluchtgeschichte möglichst umfassend und gleichbleibend schildert. Andererseits auch deshalb, weil wohl kein Asylwerber sich eine bietende Gelegenheit zur Erstattung eines zentral entscheidungsrelevanten Vorbringens ungenützt vorübergehen lassen wird.

Durchaus lässt das Bundesverwaltungsgericht nicht außer Acht, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl erachtet er es aber nicht generell als unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429).

In diesem Zusammenhang ist es für das Bundesverwaltungsgericht nämlich nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer ein derart wesentliches Element seines Fluchtmotives, nämlich das Eindringen in das Wohnhaus der Mutter, die Erkundigung nach dem Verbleib des Beschwerdeführers und die offenkundig gewaltsame Durchsuchung des Hauses in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit keinem Wort erwähnt, sondern in seinen ausführlichen Darlegungen vielmehr auf die allgemein schlechte Situation im Irak, in Syrien sowie in der Türkei eingeht. Dies ist vor allem deshalb nicht plausibel, weil eben jener Vorfall vom Juli 2015 letztendlich den ausschlaggebenden Grund für seine gegenständliche Ausreise aus dem Irak bildete.

Aber auch bei einer isolierten Betrachtung des vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführten Fluchtvorbringens lassen sich grobe Ungereimtheiten, Widersprüchlichkeiten und weitere Steigerungen erkennen, die mit der allgemeinen Lebenserfahrung und Denklogik als solches nicht vereinbar sind.

So widerspricht sich der Beschwerdeführer zunächst in Bezug auf seine Ausreisemodalitäten. Im Zuge seiner Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er auf die Frage nach seiner Reiseroute an, dass er im August 2015 von Erbil aus legal in die Türkei ein- und von dort aus nach Europa weitergereist sei. Demgegenüber bringt er vor der belangten Behörde vor, dass er legal vom Flughafen Bagdad aus in die Türkei geflogen sei und in weiterer Folge nach Europa weiterflüchtete.

Ein weiterer Widerspruch ergibt sich in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Gründe für seine Rückkehr aus der Türkei. So gab der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Erstbefragung in etwa an, dass das Leben in der Türkei sehr schwer gewesen sei und er in der Hoffnung, dass sich die Situation gebessert habe, in den Irak zurückgekehrt sei. Hierfür spricht vor allem auch sein weiteres Vorbringen, dass er sich in Folge für rund sechs Monate in Erbil aufgehalten habe. Demgegenüber führte er jedoch vor der belangten Behörde völlig diametral aus, dass er nach seiner Rückkehr aus der Türkei gar nicht beabsichtigt hatte im Irak zu bleiben. Er sei lediglich in den Irak zurückgekehrt um seine Reisepass zu erneuern und seinen Erbanteil abzuholen.

Schenkt man dem zuletzt angegebenen Umstand Glauben, dass er lediglich wegen der Reisepasserneuerung und der Ausbezahlung seines Erbanteils in den Irak zurückgekehrt sei, entbehrt dies im Hinblick auf seine Ausführungen – wonach er aufgrund seiner sunnitischen Glaubensausrichtung einer Verfolgung ausgesetzt sei und er zudem aufgrund seiner Clanzugehörigkeit zu den Al-M XXXX von vielen Organisationen und auch vom Staat verfolgt werde – jeglicher Denklogik. Es stellt sich nämlich die Frage, weshalb der Beschwerdeführer von sich aus die Behörden aufsucht, wenn er sich um das erhebliche Risiko des Bekanntwerdens seiner Identität durch die Passbehörden bzw. bereits zuvor bei einem der von den Sicherheitskräften und Milizen kontrollierten Checkpoints der Stadt Bagdad bewusst sein muss. Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich von den von ihm geschilderten Verfolgungsgefahren ausgesetzt gewesen, wäre vielmehr davon auszugehen, dass er bestrebt ist, jeden persönlichen Kontakt mit den Behörden, den Sicherheitskräften und den Milizen zu vermeiden um keinesfalls seinen Namen oder Herkunft bekannt geben zu müssen.

Unter dieser Überlegung ist auch die von ihm im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde genannte legale Ausreise über den Flughafen Bagdad zu sehen. Würde der Beschwerdeführer tatsächlich von Milizen oder Dritte gesucht werden und wäre er somit der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt, würde er sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht den risikoreichen Weg einer legalen Ausreise über einen Flughafen wählen, zumal dieser mit strengen Sicherheits- und Personenkontrollen, der Vorlage seines Reisepasses und somit mit der erheblichen Gefahr eines Entdecktwerdens verbunden ist.

In diesem Zusammenhang wirken auch seine Aussagen über seinen „geheimen“ Aufenthalt im Irak als nicht stimmig. Der Beschwerdeführer versuchte in seinen Angaben ein Bild zu vermitteln, wonach offenbar niemand gewusst habe, dass er sich nach seiner Rückkehr aus der Türkei im Irak aufhalte. Auch unter diesem Aspekt ist es nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer, der seinen Aufenthalt im Irak offenkundig so geheim wie möglich halten wolle, bei der Reisepassverlängerung als auch bei der Ausreise öffentlich in Erscheinung tritt und zur Bekanntgabe seiner Identität bereit ist.

Ein weiteres Indiz für die mangelnde Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens sind aber auch die vagen und unkonkreten Angaben des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Verfolgung selbst. Gemäß höchstgerichtlicher Rechtsprechung muss das Vorbringen des Asylwerbers eine entsprechende Konkretisierung aufweisen, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).

Vor der belangten Behörde schildert der Beschwerdeführer bei der ihm eingeräumten Möglichkeit der freien Erzählung seiner Fluchtgründe, den ausreisekausalen Grund seiner Verfolgung aus dem Jahr 2015 in abschließend drei Sätzen: „[...] Vermummte Männer haben mich im Haus meiner Mutter besucht und haben nach mir gefragt und das Haus durchsucht. Es wusste keiner, dass ich dort (gemeint: Irak) bin. Ich denke, dass jemand aus der Familie vielleicht meine Informationen weitergibt [...].“.

Aber auch auf Ersuchen des einvernehmenden Beamten konkretere Angaben zu Vorfall mit den vermummten Männern zu machen, vermochte der Beschwerdeführer nicht mit detaillierteren Ausführungen zu überzeugen: „Meine Mutter rief mich an und forderte mich auf sofort den Irak zu verlassen. Ich frage sie was passiert ist und sie erzählt mir, dass Männer nach mir gefragt haben und wollte mir nicht genau sagen, was passiert ist. Ich fragte dann meine Schwester. Diese erzählte mir das vermummte Männer nach mir gefragt haben und dann in der Wohnung nach mir gesucht haben, alles verwühlt haben und vieles zerstörten. Ich erzählte meiner Mutter, dass ich nur auf mein Visum warte und fand es merkwürdig, dass sie wussten, dass ich im Land bin.“.

Es spricht nicht für die Glaubhaftigkeit seiner Fluchtmotive, wenn der Beschwerdeführer bei der Darlegung seines zentralen Fluchtvorbringens lediglich mit äußerst allgemein und oberflächlich gehaltenen Sätzen das Auslangen findet. Konkrete Einzelheiten und Details zu diesem Vorbringen wie beispielsweise zu welcher Tages- oder Uhrzeit ihn seine Mutter anrief oder was der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt gerade machte; zu welcher Tages- oder Uhrzeit der Vorfall des Besuches durch die vermummten Männer (ungefähr) stattfand; wie viele Personen (ungefähr) an dem Vorfall beteiligt waren oder nähere Angaben über sonstige Modalitäten des Besuches wie beispielsweise der genauere Inhalt der Aufforderungen der vermummten Männer oder deren genaues Begehr, deren Aussehen, allfällige Auffälligkeiten oder sonstiges bleiben in seinen Darlegungen völlig ausgespart. Vielmehr bedurfte es des mehrfachen und gezielten Nachfragens des einvernehmenden Beamten und blieben selbst da die Antworten des Beschwerdeführers im unkonkreten und vagen Bereich. So führte er beispielsweise auf die Frage des einvernehmenden Beamten, wann der Vorfall geschehen sei, lediglich an, dass dies in einer Nacht im Jahr 2015 passiert sei. Wiederum bedurfte es ein genaueres Nachfragen des einvernehmenden Beamten und gab er schließlich an, dass er sich nicht mehr an das genaue Datum erinnern könne, es sich jedoch ca. im Juli 2015 ereignet hätte.

Im Falle eines tatsächlichen Stattfindens eines derartigen Vorfalles, bei der der Beschwerdeführer in erhebliche Furcht versetzt wird, ist jedenfalls davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer – wenn schon nicht an das konkrete Datum – zumindest an einen klar umgrenzten Zeitraum erinnern kann und diesen im Rahmen der erstbesten Darlegungsmöglichkeit auch von sich aus schildert. Gleich verhält es sich auch mit den allfälligen sonstigen Umständen und Details des Besuches. Lediglich beiläufig erwähnt der Beschwerdeführer zu einem späteren Zeitpunkt der Einvernahme, dass sein Mutter vor der Polizei angegeben habe, dass sie von vier vermummten Personen heimgesucht worden sei. Bei tatsächlichem Stattfinden eines derartigen Vorfalles ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die bedrohte Person möglichst viel an Informationen und Details über den Vorfall erfragen möchte, um die daraus resultierende Gefährdung für sich einordnen und besser abschätzen zu können.

Wenn der Beschwerdeführer dahingehend vermeint, dass ihm seine Mutter in diesem Zusammenhang nichts Genaueres habe sagen wollen, weil sie verängstigt gewesen, erscheint es angesichts des Umstandes, dass es schließlich um das Leben ihres Sohnes geht, schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass sie ihm derart wichtige Informationen und Details nicht Preis gibt. In diesem Zusammenhang ist es auch wenig stringent, dass seine Mutter in weiterer Folge den Vorfall bei der Polizei meldet und dort bereitwillig die Informationen – wie beispielsweise die Anzahl der vermummten Personen – bekannt gibt. Im Umkehrschluss ist es aber auch nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer die Bekanntgabe dieser Information über die Mutter nicht (allenfalls vehementer) einfordert oder (zu späteren Zeitpunkten) erfragt bzw. derartiges im Rahmen seiner freien Erzählung nicht von sich aus schildert. Durchaus wird nicht außer Acht gelassen, dass sich der Beschwerdeführer zur Informationsgewinnung an seine Schwester wandte, die den Angaben des Beschwerdeführers nach beim Vorfall ebenfalls „zu Hause“ war und ihm alles „näher“ schilderte. Aber auch diese Angaben bestätigen, die Vermutung, dass es sich bei dem Vorbringen rund um den Besuch durch die vermummten Männer und deren Erkundigung nach dem Beschwerdeführer um ein konstruiertes Fluchtvorbringen handelt. Dies vor allem deshalb, weil sich seine Angaben in Bezug auf die Mitteilung seiner Schwester ebenfalls in äußerst vagen und oberflächlich gehaltenen Ausführungen („Ich fragte dann meine Schwester. Diese erzählte mir das vermummte Männer nach mir gefragt haben und dann in der Wohnung nach mir gesucht haben, alles verwühlt haben und vieles zerstörten.“) erschöpfen und es abermals nicht nachvollziehbar ist, weshalb von ihr auch keine detaillierten oder genaueren Informationen ausgehen bzw. er solche von ihr nicht einforderte.

Wenig stringent erweist sich sein Fluchtvorbringen auch, wenn er in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde vorbringt, dass seine Mutter im Irak ein zweites Mal von den Männern heimgesucht worden sei. Einerseits lässt er dieses doch nicht unwesentliche Vorbringen im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme sehr spät, beinahe am Ende der Einvernahme, und auch nur nebenbei einfließen. Zudem erschöpfen sich seine diesbezüglichen Ausführungen wiederum in äußerst allgemeinen Angaben („Letztes Jahr war meine Mutter verreist und sind wieder Männer gekommen und haben an die Türe geklopft und sind in den Garten gegangen. Es war aber keiner da. Unser Nachbar rief die Polizei. Diese kamen erst eine halbe Stunde nachdem die Männer verschwunden waren.“). Zeitliche Angaben über den Vorfall, wann sich dieser Vorfall ereignete oder wieviele Personen daran beteiligt waren, ob sie Waffen trugen oder es sonst allfällige Auffälligkeiten gab, bleiben gänzlich ausgespart. Wenn er im Beschwerdeschriftsatz nunmehr erstmalig vorbringt, dass es sich hierbei um sechs Personen gehandelt habe und diese Mitte des Jahres 2016 beim Haus seiner Mutter vorbeigeschaut hätten, ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht erklärbar, weshalb er derartig wesentliche Details nicht bereits vor der belangten Behörde vorbringt und wird dieses Vorbringen als Steigerung gewertet. Es bleibt in diesem Zusammenhang auch nicht unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer über diesen Vorfall von seinem Nachbarn via Facebook informiert worden sei. Für das Bundesverwaltungsgericht ist daher auch nicht erklärbar, weshalb er zum Nachweis dieses Vorbringens nicht von sich aus den entsprechenden Facebookeintrag bzw. –nachricht vorlegt und belegt dies ebenfalls die mangelnde Glaubhafthaftigkeit seines Vorbringens.

Ebenso lassen seine Schilderungen jegliche in dem Moment des Telefonats bzw. des Bewusstwerdens der konkreten Verfolgung verspürten Emotionen und Empfindungen wie beispielsweise Unbehagen oder Furcht völlig vermissen und deutet dies als weiteres Indiz für die mangelnde Glaubhaftigkeit seiner Ausführungen sowie für das Vorliegen eines konstruierten und nicht selbst erlebten Vorbringens hin.

Schenkt man nun den zeitlichen Angaben des Beschwerdeführers Glauben, wonach sich der Vorfall rund um den Besuch der vermummten Männer ungefähr im Juli 2015 ereignet habe und setzt man dieses in Verhältnis zu seiner Ausreise aus dem Irak Ende August bzw. Anfang September 2015, so stellt sich die Frage, weshalb der Beschwerdeführer einige Wochen zuwartete ehe er den Irak verlässt. Wäre er aufgrund der Bedrohung tatsächlich in einer derart großen Unruhe oder Furcht versetzt worden, ist davon auszugehen, dass er ehestmöglich das Land verlässt. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer trotz der Bedrohung im Land verblieb und die Ausreisevorbereitungen und dabei insbesondere die Reisepassverlängerung abschlossen, vermögen ebenfalls nicht davon überzeugen, dass beim Beschwerdeführer einer wohlbegründeten Furcht vor einer Verfolgung vorliegen. Hinsichtlich der Argumentation, dass er sich während all dieser Zeit bei Freunden in Erbil versteckt gehalten habe, vermag unter den vorangegangenen Ausführungen zur Bekanntgabe seiner Identität bei der Verlängerung seines Reisepasses und der legalen Ausreise über den Flughafen Bagdad ebenfalls nicht zu überzeugen.

Unklar bleibt des Weiteren, woher der Beschwerdeführer die Gewissheit nimmt, individuell und persönlich bedroht zu werden. Auf Nachfrage nach dem Grund seiner persönlichen Bedrohung gab der Beschwerdeführer wenig aufschlussreich an, dass er nicht wisse, ob er wegen seiner sunnitischen Glaubensrichtung oder wegen etwas Persönlichem verfolgt werde. Da es jedoch viele Sunniten gäbe, denke er, dass es „etwas Persönliches“ sei. Diesbezüglic

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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