Entscheidungsdatum
07.12.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I413 2135634-1/76E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. IRAK, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Burgenland, vom 13.09.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.09.2019 und am 24.09.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz Spruchpunktes III. wie folgt zu lauten hat:
„Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG wird XXXX nicht erteilt.“
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 12.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 13.09.2015 zu seinen Fluchtgründen befragt an, mit seiner Frau von deren Eltern weggelaufen zu sein und aus Angst, von ihren Eltern getötet zu werden, mit seiner Frau geflüchtet zu sein und sie in der Türkei geheiratet zu haben. Weitere Fluchtgründe habe er nicht.
2. Mit Eingabe vom 29.06.2016 ersuchte der Beschwerdeführer um die Möglichkeit einer niederschriftlichen Einvernahme und um die Möglichkeit, seine Fluchtgründe vortragen zu dürfen. Der Grund für die Antragstellung liege in persönlichen Umständen des Beschwerdeführers. Seine Frau befinde sich nun seit 10 Monaten in der Türkei. Er schicke seiner Gattin von den 36 Euro Taschengelt immer 25 Euro, damit sie sich etwas zu Essen kaufen könne. Ihm selbst würden 9 Euro bleiben um sich etwas zum Essen zu kaufen, da er in einem Selbstversorgerquartier in Gols wohne. Seine Frau habe mehrmals die Woche nichts zu essen, da sie auch noch Miete zahlen müsse. Der Asylwerber sei von dieser Situation mittlerweile so mitgenommen, dass er zahlreiche Psychopharmaka einnehmen müsse um einigermaßen psychisch stabil zu bleiben.
3. Mit Eingabe vom 08.08.2016 ersuchte der Beschwerdeführer um die Möglichkeit einer niederschriftlichen Einvernahme und um die Möglichkeit, seine Fluchtgründe vortragen zu dürfen. Der Grund für die Antragstellung liege in persönlichen Umständen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer habe in Österreich eine Freundin, die er heiraten möchte. Sie sei schwanger (3. Monat). Seine Freundin heiße S XXXX G XXXX . Beide lebten in einer aufrechten Lebensgemeinschaft unter derselben Wohnadresse. Aufgrund der bevorstehenden Geburt und der nicht vorhandenen Unterstützung durch die GVS werde um Anberaumung einer Einvernahme ersucht. Der Beschwerdeführer sei bereits sehr gut integriert und habe Jobangebote in Aussicht, die er zur Versorgung seiner Familie wahrnehmen wolle.
4. Am 07.09.2016 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen und gab er, erneut und detaillierter befragt zu seinen Fluchtgründen, an, ein Verhältnis mit seiner späteren Frau gehabt zu haben, die einem anderen Stamm angehöre. Die Familie der Frau wolle den Beschwerdeführer nicht und die Familie des Beschwerdeführers wolle die Frau nicht, weil diese schon einmal verheiratet gewesen sei. Das sei im Oktober 2014 gewesen; im November 2014 sei der Beschwerdeführer alleine von Ba‘q?bah nach Bagdad übersiedelt. Grund für seine Übersiedlung seien einerseits die familiären Probleme gewesen und andererseits auch folgendes: Der Beschwerdeführer habe in seinem Haus Bier verkauft und habe ihn ein Freund angerufen und ihm gesagt, dass er nicht mehr in sein Haus in Ba‘q?bah zurückkehren solle, weil an der Tür ein Drohbrief gehängt sei. Der Beschwerdeführer selbst habe diesen Drohbrief nicht gesehen oder gelesen. Die jetzige Frau des Beschwerdeführers sei ihm im Dezember 2014 nachgereist und haben sie am 23.01.2015 Bagdad illegal ohne Reisepass verlassen.
5. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 13.09.2016, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.), sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer gemäß §§ 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
6. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 14.09.2016 zugestellten Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 21.09.2016 (bei der Behörde eingelangt am selben Tag), mit welcher Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend gemacht wurde. Inhaltlich wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer an einer Depression leide, diesbezüglich Medikamente nehme und daher bei der Einvernahme durch die belangte Behörde nicht einvernahmefähig gewesen sei. Die Einvernahme hätte aufgrund des schlechten psychischen Zustands des Beschwerdeführers am Tag der Einvernahme an einen anderen Tag verlegt werden müssen.
7. Mit Schriftsatz vom 21.09.2016, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 17.08.2018, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt bezughabenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor. Zugleich erstattete die belangte Behörde eine Stellungnahme, in der sie zusammengefasst ausführte, dass der Beschwerdeführer am 07.09.2016 um 09:00 Uhr geladen worden sei und aufgrund einer anderen Einvernahme länger warten musste. Um ca 12:00 Uhr habe der Organwalter der belangten Behörde den Beschwerdeführer abgeholt und ihn aufgrund der langen Wartezeit gefragt, ob er in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Zunächst habe der Beschwerdeführer mitgeteilt, dass es ihm nicht so gut gehe und er die Einvernahme verschieben wolle. Nachdem eine Rückfahrgelegenheit organisiert und ein neuer Einvernahmetermin bekannt gegeben worden sei, habe sich der Beschwerdeführer verwundert gezeigt und aggressiv reagiert. Er habe seine Unterlagen auf den Boden geworfen sei aus den Räumlichkeiten gelaufen. Nach einiger Zeit habe er sich beruhigt und im anschließenden Gespräch erzählt, dass er seit einem Jahr auf die Einvernahme warte und jetzt diese fordere. Als Grund hierfür habe er vor allem angegeben, dass seine Frau A XXXX H XXXX in der Türkei sei und sie nicht länger auf ihn warten wolle, wenn er sie nicht bald nach Österreich hole. Aufgrund der örtlichen, zeitlichen Trennung und den Druck von seiner Frau nehme er auch Medikamente. Er habe dann seine vorangeführten Bedenken gegen die Einvernahme widerrufen und auf eine Einvernahme bestanden. Der Beschwerdeführer habe einen unmissverständlichen Eindruck erweckt, dass er zeitlich und örtlich orientiert gewesen sei. Er habe einen völlig normalen Eindruck gemacht und auf die Fragen unbeeinflusst und klar geantwortet. Es hätten keine Anzeichen einer psychischen Beeinträchtigung bestanden.
8. Mit Eingabe vom 13.10.2016 (OZ 3) ersuchte die Rechtsvertretung um Beschleunigung des Beschwerdeverfahrens und legte Dokumente in Kopie vor (Vertretungsvollmacht vom 13.10.2016 für den Verein Menschenrechte Österreich, ärztliches Attest vom 13.10.2018 von Dr. G XXXX H XXXX betreffend eine Behandlung eines depressiven Syndroms, einer generalisierten Angststörung) und brachte vor, dass der Beschwerdeführer davon ausgeht, dass das Bundesverwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufheben werde und auf den Beschwerdeführer seine im Irak lebende Gattin massiven Druck ausübe, sie werde die Scheidungsklage einbringen, sollte er nicht bald den Antrag auf Familienzusammenführung stellen und sie in Sicherheit bringen. Dieser Druck führe zur Verschlechterung seines Gesundheitszustandes.
9. Mit Eingabe vom 13.12.2016 übermittelte der Beschwerdeführer Kopien der Karte für Wahlberechtigte, einen Staatsbürgerschaftsnachweis und Auszüge aus dem Militärbuch sowie einen Sendeausweis vom 06.12.2016 des Zustellers DHL sowie die Vertretungsvollmacht des Vereins Menschenrechte Österreich vom 13.10.2016 und ersuchte um Beschleunigung des Beschwerdeverfahrens.
10. Mit Schriftsatz vom 02.11.2017, eingelangt am 03.11.2017, brachte der Beschwerdeführer eine 64 Seiten umfassende Beschwerdeergänzung ein. In dieser wurde erstmals vorgebracht, dass der Beschwerdeführer homosexuell sei, seit Feber 2017 in einer Einrichtung für LGBTIQ-Flüchtlinge aufgenommen worden sei und sich von seiner Frau in der Türkei im Jänner 2017 getrennt habe. Es stehe das Neuerungsverbot diesem Vorbringen nicht entgegen. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen, sein Vorbringen zu seiner homosexuellen Orientierung früher zu erstatten, weil ihm seine Unterbringungssituation in Österreich keinen offenen Umgang mit seiner Homosexualität erlaubt habe. Das verspätete Vorbringen seiner Homosexualität stelle ein Indiz für die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens dar. Der Beschwerdeführer stamme aus einem Umfeld, in dem Homosexualität als Schande gelte und er habe die Lage von Homosexuellen in Österreich nicht einschätzen können.
11. Mit Schriftsatz vom 08.01.2018 reichte die belangte Behörde die in arabischer Sprache verfasste Eingabe des Beschwerdeführers nach, welche am 11.01.2018 zur Übersetzung durch einen Dolmetscher der arabischen Sprache übermittelt wurde.
12. Mit E-Mail vom 14.02.2018 ersuchte die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH um möglichst zeitnahe Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
13. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 07.08.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L513 abgenommen und der Gerichtsabteilung I413 neu zugeteilt.
14. Mit Beschluss vom 25.04.2019 bestellte das Bundesverwaltungsgericht Mag. Dr. P XXXX H XXXX zur nichtamtlichen Sachverständigen aus dem Fachbereich Medizin-Psychiatrie und ersuchte um Erstattung eines Gutachtens zu folgenden Fragestellungen:
- Leidet der Beschwerdeführer an einer psychischen Erkrankung, wenn ja, an welcher?
- Ist die Diagnose von Dr. O XXXX , welche am 25.10.2015, etwas mehr als ein Monat nach der Einreise des Beschwerdeführers in Österreich gestellt wurde, aus fachlicher Sicht nachvollziehbar? Sind die Grundlagen der Diagnose ersichtlich und wenn ja, welches sind die Grundlagen hierfür?
- Muss der Beschwerdeführer aus medizinischer Sicht Medikamente einnehmen? Wenn ja, welche und in welcher Dosierung?
- Wird die vorhergehende Frage mit „ja“ beantwortet, welche Konsequenzen hätte ein Absetzen solcher Medikamente?
- Ist aus medizinischer Sicht bei Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak eine Gefährdung seines Lebens und seiner Gesundheit aufgrund einer etwaig festgestellten psychischen Erkrankung wahrscheinlich und, wenn ja, welche Gefährdung und warum?
- Ist der Beschwerdeführer diskretions- und dispositionsfähig?
15. Die nichtamtliche Sachverständige erstattete nach Befundaufnahme durch persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers am 08.05.2018 das schriftliche Gutachten vom 21.05.2019, in welchem sie die Fragestellungen wie folgt beantwortete:
- Leidet der Beschwerdeführer an einer psychischen Erkrankung, wenn ja, an welcher?
„Neurologisch besteht beim Beschwerdeführer ein unauffälliger Befund. Der Beschwerdeführer leidet an einer sog Zwangsstörung mit vorwiegend Zwangshandlungen, im Sinne eines Waschzwanges, manchmal auch Zwangsgedanken. Diese Erkrankung besteht laut Angaben des Beschwerdeführers seit 1994, ist also schon vorbestehend gewesen. Zusätzlich ist es seit dem Aufenthalt in Österreich zur Entwicklung einer rezidivierenden depressiven Störung mit Episoden unterschiedlichen Schweregrades, zumindest laut den vorgelegten Befunden, und auch nach den subjektiven Schilderungen des Beschwerdeführers gekommen. Derzeit gibt der Beschwerdeführer selbst eine gute Stimmung an, sodass derzeit die depressive Störung als leichtgradig einzustufen ist, unter einer laufenden antidepressiven Medikation. Zusätzlich bestehen auch Schlafstörungen, welche ebenfalls deutlich gebessert sind mit entsprechenden Medikamenten.“
- Ist die Diagnose von Dr. O XXXX , welche am 25.10.2015, etwas mehr als ein Monat nach der Einreise des Beschwerdeführers in Österreich gestellt wurde, aus fachlicher Sicht nachvollziehbar? Sind die Grundlagen der Diagnose ersichtlich und wenn ja, welches sind die Grundlagen hierfür?
„Nach nochmaliger Rücksprache beim Bundesverwaltungsgericht handelt es sich um den Befund vom 25.02.2017, also zwei Jahre nach der Einreise des Beschwerdeführers, zu dem eine Stellungnahme abgegeben werden soll. Im Verlauf des Aufenthaltes von 2015-2019 wurden verschiedene psychiatrische Befunde mit unterschiedlichen Schweregraden bei bekannter rezidivierender depressiver Störung des Beschwerdeführers angeführt. Im Krankheitsverlauf und auch nach den anamnest. Angaben des Beschwerdeführers sind diese durchaus glaubhaft, nachdem der Beschwerdeführer nun auch eine deutliche Besserung und Stabilisierung unter einer laufenden psychopharmakologischen Medikation beschreibt. Auch konnte die Medikation aufgrund der Besserung der Systematik reduziert werden (letzter Arztbrief vom PSD 2019).“
- Muss der Beschwerdeführer aus medizinischer Sicht Medikamente einnehmen? Wenn ja, welche und in welcher Dosierung?
„Der Beschwerdeführer ist derzeit auf eine Kombination von zwei Antidepressiva eingestellt. Die Medikation morgens dienst der Stimmungsaufhellung, Verbesserung des Antriebs und der Zwangsstörung. Die Medikation am Abend dienst ebenso als Antidepressivum, wirkt aber vor allem auch schlafinduzierend und zur Verbesserung der Schlafstörungen. Insgesamt gibt der Beschwerdeführer an, dass er mit der derzeitigen Medikation gut eingestellt und zufrieden sei. Derzeit nimmt er eine Medikation mit Venlafaxin 150mg morgens und Mirtazepin 45mg abends. Im Vergleich zu den Vorbefunden Dris. O XXXX (10/2017 u. 10/2018), konnte diese Medikation auch schon reduziert werden, aufgrund einer eingetretenen Besserung.“
- Wird die vorhergehende Frage mit „ja“ beantwortet, welche Konsequenzen hätte ein Absetzen solcher Medikamente?
„Es ist ein abruptes Absetzen der Medikamente zu vermeiden, es kann zu deutlichen Entzugserscheinungen, Verschlechterungen beim abrupten Absetzen kommen. Es ist mit einer Zunahme der Schlafstörungen und Zunahme der depressiven Verstimmung zu rechnen. Es ist zu erwarten, dass sich die Stimmung, die Depression und auch die Schlafstörungen ohne Medikamente wieder verschlechtern würden.“
- Ist aus medizinischer Sicht bei Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak eine Gefährdung seines Lebens und seiner Gesundheit aufgrund einer etwaig festgestellten psychischen Erkrankung wahrscheinlich und, wenn ja, welche Gefährdung und warum?
„Eine Verschlechterung der Depression ist zu erwarten. Der Beschwerdeführer gibt an, dass er keinerlei Unterstützung seiner Familie mehr hat, die Kontakte sind abgebrochen und er habe auch aufgrund seiner Homosexualität Probleme im Irak. Aus diesen Gründen ist auch eine Verschlechterung der depressiven Störung zu erwarten. Ob zusätzlich ein suizidales Risiko bei einer Abschiebung oder im Irak besteht, kann nicht zur Gänze ausgeschlossen werden, derzeit werden solche Suizidgedanken jedoch verneint.“
- Ist der Beschwerdeführer diskretions- und dispositionsfähig?
„Ja, diesbezüglich bestehen keine Einschränkungen.“
16. Mit Schreiben vom 28.05.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien das Gutachten der nichtamtlichen Sachverständigen und räumte diesen die Möglichkeit ein, hierzu Stellung zu nehmen. Es wurden keine Stellungnahmen abgegeben.
17. Mit Schreiben vom 04.06.2019 übermittelte der Verein Queer Base die Kopie der ihm erteilten Vollmacht vom 29.05.2019 und ersuchte um elektronische Übermittlung des Gutachtens der nichtamtlichen Sachverständigen, damit eine schriftliche Stellungnahme erstattet werden könne. Eine Stellungnahme wurde nicht übermittelt. Mit Schreiben vom 04.06.2019 teilte der Verein Menschenrechte Österreich die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses mit.
18. Mit Schreiben vom 22.07.2019 teilte die belangte Behörde mit, nicht an der für 09.09.2019 anberaumte mündliche Verhandlung teilzunehmen und beantragte die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde sowie um Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls.
19. Mit Schriftsatz vom 29.07.2019 übermittelte der Verein Menschenrechte Österreich die ihm erteilte Vollmacht vom 29.07.2019 und das Schreiben vom 29.07.2019, mit dem die Vollmacht zum Verein Queer Base durch den Beschwerdeführer aufgelöst wurde.
20. Mit Schreiben vom 30.07.2019 teilte die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH mit, dass sie die ihr erteilte Vollmacht zurücklegt.
21. Mit Schreiben vom 31.07.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt für den Irak (Stand 25.07.2019) zur Kenntnis und ermöglichte diesem hierzu eine Stellungnahme abzugeben.
22. Mit Schreiben vom 05.08.2019 teilte der Verein Queer Base die Auflösung der Vollmacht zum Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht mit.
23. Mit Schreiben vom 05.08.2019 übermittelte der Beschwerdeführer den Widerruf der dem Verein Menschenrechte Österreich erteilten Vollmacht, welcher mit Schreiben des Vereins Menschenrechte Österreich vom selben Tag bestätigt wurde.
24. Mit Telefax vom 30.08.2019 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers Kopien einer Bestätigung von „Queer Base“ vom 09.2017, einer Bestätigung von „Queer Base“ vom 31.10.2017, einer Unterbringungsbestätigung LGTB von Diakonie Flüchtlingsdienst vom 30.10.2017, eines Befundberichts vom 20.06.2018, eines Sozialberichts Mai 2019 sowie verschiedener Photographien.
25. Mit Schreiben vom 21.08.2019 übermittelte die Rechtsvertretung eine Kopie der ihr erteilten Vollmacht vom 21.08.2019.
26. Mit Schriftsatz vom 03.09.2019 übermittelte die Rechtsvertretung Kopien eines Sozialberichts 2019 und zweier Empfehlungsschreiben.
27. Am 09.09.2019 fand die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt und wurden der Beschwerdeführer als Partei sowie die Zeugen J XXXX B XXXX , C XXXX G XXXX , Mag. G XXXX K XXXX und die Zeugen M XXXX J XXXX einvernommen.
28. Mit Eingabe vom 29.04.2020 informierte die belangte Behörde das Bundesverwaltungsgericht von der Meldung über die Straftat eines Asylwerbers gemäß § 30 Abs 2 BFA-VG, wonach der Beschwerdeführer das Delikt der Sachbeschädigung begangen habe.
29. Mit Schreiben vom 12.05.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien das aktualisierte Länderinformationsblatt vom 17.03.2020 sowie zur Meldung einer Straftat und ermöglichte diesen eine Stellungnahme dazu abzugeben.
30. Mit Schriftsatz vom 10.06.2020 legte die Rechtsvertretung einen Sozialbericht, einen psychiatrischen Befund und eine Stellungnahme des Arbeitersamariterbundes vor.
31. Am 24.09.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine weitere mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ergänzend als Partei befragt und die Lage im Herkunftsstaat eingehend erörtert wurden. Sodann fasste das Bundesverwaltungsgericht den verfahrensleitenden Beschluss, das Ermittlungsverfahren zu schließen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das Bundesamt hat ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst.
Der im Verfahrensgang (Pkt. I.) dargestellte Sachverhalt wird festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist kinderlos, verheiratet, Staatsangehöriger des Irak und bekennt sich zum muslimischen Glauben, sunnitisches Bekenntnis. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer nimmt aufgrund einer leichtgradigen depressiven Störung und Schlafstörungen Medikamente. Er ist durch seine psychische Krankheit und durch die Einnahme der verschriebenen Medikamente nicht in seinen geistigen Fähigkeiten und seiner Wahrnehmung und Auffassungsgabe eingeschränkt und voll diskretions- und dispositionsfähig. Bei seiner Einvernahme durch das Bundesamt am 07.09.2016 war der Beschwerdeführer physisch und psychisch in der Lage, die Einvernahme durchzuführen, die an ihn gestellten Fragen sinnerfassend zu verstehen und logisch nachvollziehbar zu beantworten. Es bestand am 07.09.2016 keine geistige Beeinträchtigung beim Beschwerdeführer, die es ihm verunmöglicht hätte, Fragen des Organwalters der belangten Behörde nicht ausreichend zu verstehen und zu beantworten.
Abgesehen von seiner leichtgradigen depressiven Störung und seinen Schlafstörungen sowie einer Zwangsstörung (Waschzwang) ist der Beschwerdeführer gesund und leidet an keinen COVID-19-Vorerkrankungen. Er ist arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich. Er hält sich mindestens seit (mindestens) 12.09.2015 in Österreich auf. In Österreich lebte der Beschwerdeführer zunächst von 18.09.2015 bis 29.02.2017in einer Unterkunft der römisch-katholischen Pfarrkirche Gols, lebte anschließend kurzfristig in einer für LGBTIQ-Flüchtlinge eingerichteten Unterkunft der Diakonie in Wien, welche er am 26.01.2018 verließ, um seither in anderen, nicht auf bestimmte soziale Gruppen spezialisierte Unterkünfte in Wien, zunächst in einer Unterkunft der Diakonie in 1120 Wien von 26.01.2018 bis 02.07.2018 und seit 02.07.2018 in einer Unterkunft des Samariterbundes in 1020 Wien zu leben.
Ein Teil der Familie des Beschwerdeführers, nämlich seiner Schwestern und Brüder, lebt im Irak. Mit seinem Bruder Omar, der in einem Haus in Diyala in Ba‘q?bah lebt, als Tischler seinen eigenen Betreib dort hat, hat der Beschwerdeführer nach wie vor Kontakt. Der Beschwerdeführer steht weder mit seinem Bruder Omar oder seiner sonstigen im Irak befindlichen Familie in Streit und kann sich im Falle einer Rückkehr in den Irak auf Unterstützung durch seine Familie verlassen.
Der Beschwerdeführer ist mit A XXXX H XXXX verheiratet, die er in der Türkei zurückgelassen hat. Diese Verbindung zu seiner Ehefrau wurde nicht aufgelöst und ist nach wie vor aufrecht. Für seine Frau ist der Beschwerdeführer sorgepflichtig und unterstützte zumindest bis zum 29.06.2019 seine Frau finanziell mit EUR 25,00 pro Monat. Nunmehr leugnet der Beschwerdeführer, mit seiner Frau verheiratet zu sein und unterstützt diese nicht mehr weiter. Der Beschwerdeführer ist nicht homosexuell. In Österreich verfügt er über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen; er führt in Österreich keine Lebensgemeinschaft.
Der Beschwerdeführer stammt aus Diyala, aus Ba‘q?bah, wo er geboren und bis zu einer Ausreise aus dem Irak, mit Ausnahme der Zeit, als er in Bagdad lebte, lebte. Er besuchte im Irak die Schule und erlernte anschließend den Beruf des Tischlers. Seinen Lebensunterhalt im Irak finanzierte er sich aus den Einkünften als Tischler. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung im Irak hat er eine Chance, am irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen. Es besteht für ihn die Möglichkeit im Tischlereibetrieb seines Bruders als Tischler im Falle seiner Rückkehr in den Irak wieder mitzuarbeiten.
Der Beschwerdeführer bezieht in Österreich Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung; er geht keiner Beschäftigung nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft. Es liegt jedoch eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer vom 28.04.2020 vor, worin er der Begehung des Vergehens der Sachbeschädigung bezichtigt wird, weil er in der Flüchtlingsunterbringung einen Sessel und eine Kaffeetasse zerstört hatte. Dieses Verfahren wurde wegen Geringwertigkeit eingestellt. Der Beschwerdeführer hat keine Schritte, wie zB eine Therapie, unternommen, um Aggressionen so abbauen zu können, dass weitere vergleichbare Vorkommnisse nicht mehr vorkommen können.
Er hat die Deutschsprachprüfung auf Niveau A1 absolviert, eine Unterhaltung auf Deutsch ist aber aufgrund grob mangelhafter Kenntnisse der deutschen Sprache seitens des Beschwerdeführers nicht möglich. Er war nach Ankunft in Österreich kurzzeitig ehrenamtlich in einer Pfarre beschäftigt und half bei Umbauarbeiten eines Altersheims, wo er sich aufgrund seiner Tischlerfähigkeiten engagierte. Seitdem der Beschwerdeführer in Wien lebt, geht er keiner Beschäftigung, auch keiner ehrenamtlichen Tätigkeit mehr nach und lebt für sich alleine. Eine soziale Integration in die Gesellschaft besteht ebensowenig, wie auch kein Interesse an einer sozialen Integration in Österreich seitens des Beschwerdeführers erkennbar ist. Darüber hinaus weist der Beschwerdeführer keine maßgebliche Integration in sozialer und beruflicher Hinsicht auf. Eine kulturelle Integration in Österreich besteht nicht, wohingegen der Beschwerdeführer nach wie vor in der arabischen Kultur verhaftet ist, die ihn den überwiegenden Teil seines Lebens geprägt hat.
1.2. Zu den Fluchtgründen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Es ist dem Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat nicht deswegen verlassen, weil er ein Verhältnis mit seiner Frau, die einem anderen Stamm angehört, hatte und ihre und seine Familien gegen diese Beziehung wäre. Er hat den Herkunftsstaat auch nicht deswegen verlassen, weil er Bier in seinem Haus verkauft hatte und deswegen bedroht worden wäre.
Der Beschwerdeführer war vor seiner Ausreise aus seiner Heimat im Herkunftsstaat keiner aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung wegen seiner religiösen oder politischen Überzeugung oder aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität, Rasse oder sozialen Gruppe ausgesetzt.
Im Falle seiner Rückkehr in den Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existenziellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konfliktes.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat Irak
Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende für den Beschwerdefall relevante Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:
1.3.1. Allgemeine Sicherheitslage:
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
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1.3.2. Islamischer Staat (IS):
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).
Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).
Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungsziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Ba‘q?bah im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).
Die Gegenden, in denen IS Zellen tätig sind, haben sich nach den Einschätzungen von Knights and Almeida seit Ende 2018 fast verdoppelt. Diese Autoren geben 47 Gegenden an, in denen IS-Zellen aktiv sind, in Anbar, Salah al-Din, Baghdad, Diyala, Kirkuk und Ninewa. Die Taktik dieser Zellen richtet sich dahin, den Straßenverkehr zu unterbrechen, die Aussöhnung lokaler Gruppen zu stören und Städte ökonomisch zu blockieren sowie Terrain im offenen Feld zu erhalten. Gegenwärtig ist der IS in folgenden ländlichen Gegenden aktiv: Anbar: südwestliche Anbar Wüste, Horan Tal bis zum al-Abiach Tal bia zum al-Kadef Tal, und der nördliche Teil von Rawa; Ninewa: der südliche Teil der Ninewa Wüste, Baaj; Erbil: Makhmour; Baghdad: der Gürtel; Diyala: die nordöstlichen Gegenden; Kirkuk: der Süden von Kirkuk, Hawija, Zab und Abbasi; Salah al-Din: Shirqat, Khanuqa, Hamrin Berge, Osten des Thathar-Sees. In den vergangenen Jahren hat sich die Aktivität des IS zu einem gewissen Grad südwärts von Kirkuk nach Salah al-Din und Diyala verlegt, wo seine Aktivitäten zugenommen haben. Es hat sich auch gegen Baghdad bewegt. Es hat seine frühere Strategie wiederaufgegriffen, die Kontrolle über größere Ortschaften und ländliche Gegenden zu erlangen (EASO 30.2020).
Der Staat hat Gegenwehraktivitäten gegen den IS ergriffen, so in Kirkuk. Wegen der öffentlichen Proteste nahmen diese aber in der Priorität ab. Wegen nachlassender Unterstützung durch die Koalitionskräfte und wegen der Corona-Pandemie verlangsamte sich das Tempo der Gegenwehr und verloren auch die staatlichen Kräfte wieder vom IS befreites Terrain (EASO 30.2020).
Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).
Quellen:
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
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- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
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- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020
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- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020
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- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
1.3.3. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:
Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2020 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis einschließlich August 650 zivile Todesopfer im Irak (Statista 21.09.2020).
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Februar 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
Quellen:
- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020
- EASO Iraq (30.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020
- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (21.09.2020): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2020*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional, Zugriff 30.9.2020
1.3.4. Sicherheitslage Diyala (Ba‘q?bah):
Das Gouvernement Diyala liegt im zentral-östlichen Teil des Iraks mit Grenzen zu den Gouvernements Sulaymaniyah, Salah al-Din, Baghdad und Wassit sowie einer internationalen Grenze zum Iran. Es besteht aus sechs Distrikten: Ba‘q?bah, Baladrooz, Khalis, Khanaqin, Kifri und Muqdadiya. Ba‘q?bah (Stadt) mit ca 467.900 Einwohnern ist die Hauptstadt des Gouvernements Diyala.
Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020). Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019) und ist weiterhin ein Kerngebiet des IS (Joel Wing 3.2.2020). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den schwer zugänglichen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.12.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Die 5. Irakische Armee Division ist in Dyiala stationiert. Ihre Soldaten sind häufig Ziele von Anschlägen des IS (EASO 10.2020).
Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala (Joel Wing 5.8.2019), aus denen er einerseits Zivilisten vertreibt, um dort Basen zu errichten, und wo er anderseits wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte angreift (Joel Wing 9.9.2019). So häufen sich Berichte über die zunehmende Vertreibung von Zivilisten aus ländlichen Gebieten, beispielsweise aus den Bezirken Khanaqin und Jalawla, wegen der Bedrohung durch den IS und dem Unvermögen der Sicherheitskräfte (Irakische Armee/ISF und PMF) für deren Sicherheit zu sorgen (Joel Wing 25.11.2019; vgl Rudaw 3.12.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betrafen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala (EASO 10.2020). Im Süden und Westen gab es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).
Ende 2019 und Anfang 2020 hat der IS seinen Aktionsschwerpunkt verschoben. Während sich bisher die meisten Vorfälle im Distrikt Khanaqin, rund um die Städte Khanaqin und Jalawla, ereigneten, verlegte der IS seinen Fokus zunehmend auf das Zentrum des Gouvernements, insbesondere auf den Distrikt Muqdadiya (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 3.2.2020), sowie auch in die westlichen Gebiete Diyalas. Diese Verlagerung wird im Zusammenhang mit einer Kampagne der irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in Khanaqin gesehen. Damit zeigt der IS aber auch, dass er die Kapazität hat im gesamten Gouvernement aktiv zu werden (Joel Wing 3.2.2020).
Im Zeitraum 2019-2020 ereigneten sich in den Gegenden um Ba’q?bah und Khanaqin die tödlichsten Attacken (USDOD 03.2020). Im Gegenzug wurden Luftangriffe auf IS-Verstecke in und um die Hareem Berge durch die internationale Koalitionsstreitkräfte berichtet. Beispielsweise gingen die irakischen Kräfte am 08.07.2019 in einer viertägigen Mission „Siegeswille“ gegen Schläferzellen des IS im nördlichen Irak, einschließlich von Dyiala vor. IS-Schläferzellen führen immer noch sog. „hit-and-run“ Schläge gegen Regierungs-Checkpoints, Strukturen und Vertreter der Regierung durch. Ziel der Mission der irakischen Streitkräfte war es, IS-Basen, IS-Trainingscamps, Depots und Tunnels zu zerstören. Am 29.12.2019 wurde die 8. Stufe der Mission „Siegeswille“ begonnen. Am 11.06.2020 begannen die ISF gemeinsam mit PUK-Terrorismusabwehrkräften eine Operation gegen Reste des IS im Khanaqin Distrikt (EASO 10.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Diyala 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 65 Toten und 93 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), nach den Berechnungen von EASO (10.2020) ereigneten sich im Zeitraum Jänner bis Dezember 2019 im Gouvernement Diyala insgesamt 55 Vorfälle mit 47 Toten und 64 Verletzten. EASO (30.2020) verzeichnet im Zeitraum Jänner bis Juli 2020 48 Vorfälle mit 46 Toten und 67 Verletzten.
Quellen:
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Sicherheitslage Ba‘q?bah vom 26.08.2020
- EASO Iraq (10.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (3.12.2019): Diyala villagers flee spike in attacks by resurging Islamic State, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/03122019, Zugriff 13.3.2020
- USDOD, Lead Inspector General for Operation Inherent Resolve – Quarterly Report to the United States Congress – January 1, 2020-March 42, 2020, 13 May 2020 (USDOS 03.2020), S 23, https://media.defense.gov/2020/May/13/2002298979/-1/-1/1/LIG_OIR_Q2_MAR2020_GOLD_508_0513.PDF, Zugriff 13.11.2020
- Xinhua (22.12.2019): Iraqi soldier killed, 7 civilians wounded in separate attacks in Iraq, http://www.xinhuanet.com/english/2019-12/22/c_138648985.htm, Zugriff 13.3.2020
Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 im Irak, wird auch über Diyala berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat, wenn auch dieses Gouvernement nach wie vor eine hohe Gewaltrate verzeichnet und in einigen Distrikten die Gewalt auch gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist. Die höchste Intensität von zivilen Gewaltopfern wurde 2018 in den Distrikten Al-Muqdadiya (46.4 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner), Khifri (33,8 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner) und Baladrooz (21,4 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner), während die niedrigste Intensität in Ba’q?bah (0,7 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner) und Al-Khalis (5,1 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner) verzeichnet wurde.
In Bezug auf die Lage in Diyala vertritt EASO (Country Guidance, S 111) den Standpunkt, dass unter Berücksichtigung aller Faktoren, geschlossen werden kann, dass die „bloße Anwesenheit“ in diesem Gebiet nicht genügt, um ein reales Risiko eines ernsten Schadens gemäß Art 15(c) der Statusrichtlinie im Gouvernement Diyala zu begründen. Allerdings erreicht die willkürliche Gewalt einen hohen Grad, weshalb ein niedriger Grad an individuellen Elementen benötigt wird, um substanzielle Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass einer in diese Gegend zurückkehrenden Zivilperson ein reales Risiko eines ernsten Schadens gemäß Art 15(c) der Statusrichtlinie entgegensteht. Jedoch muss beachtet werden, dass die Distrikte Ba’q?bah und Al-Khalis von willkürlicher Gewalt verhältnismäßig weniger betroffen sind.
Quellen:
- EASO Iraq (30.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pd