TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/11 I408 2172589-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.12.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I408 2172589-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch: RA Mag. Dr. Helmut BLUM LL.M. gegen den Bescheid des BFA RD Oberösterreich Außenstelle Linz (BFA-O-ASt-Linz) vom 04.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

l.)     Das Beschwerdeverfahren zu den Spruchpunkten l. und II. wird nach Zurückziehung der Beschwerde in der mündlichen Verhandlung eingestellt.

II.)    In Stattgabe der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. behoben und eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt.

III.)    XXXX , geb. XXXX , wird ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 14.07.2015 wurde mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 25.07.2017 abgewiesen (Spruchpunkt I. und II.) und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III. und IV.).

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 28.09.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache dem erkennenden Richter zugewiesen.

Am 05.12.2020 fand im Beisein des Rechtsvertreters und des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung statt, in welcher sein persönliches Umfeld und seine Integrationsbemühungen erörtert wurden. Darauf zog er die Beschwerde zur abweisenden Entscheidung in Bezug auf internationalen Schutz zurück und die Entscheidung wurde mündlich verkündet.

Mit Fax vom 09.12.2020 beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der 57-jährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsbürger und verließ Mossul im Zuge der Machübernahme durch den IS im Jänner 2015. Seine Identität hat er schon bei seiner Antragstellung über die Vorlage eines irakischen Reisepasses belegt.

Seine Ehefrau sowie eine verheiratete Tochter und Geschwister mit Familien leben nach wie vor in dieser Stadt. Eine Tochter, die in die USA ausgereist ist, wurde dort ermordet. Beruflich war er zuletzt im Irak als Buchhalter bei einer Firma tätig, davor im Geschäft seines Vaters. Der Beschwerdeführer ist zwar über die aktuelle Situation seiner Angehörigen informiert, eine intensive Beziehung ist nicht mehr gegeben.

In Österreich brachte der unbescholtene und arbeitsfähige Beschwerdeführer sich von Anfang an aktiv ein, lernte rasch die deutsche Sprache, die er zwischenzeitlich auf B2-Niveau beherrscht, und übernahm schon in der Flüchtlingsunterkunft, in der er anfänglich untergebracht war, für andere Verantwortung. Er dolmetschte ehrenamtlich für anderes Asylwerber und reparierte freiwillig die dort vorhandene Fahrräder (AS 138).

Seit 4 Jahren steht ihm eine kleine Wohnung im Pfarrheim von XXXX zur Verfügung und in diesem Umfeld übernimmt er anfallende Arbeiten unentgeltlich oder bietet, wenn sie benötigt wird, von sich aus seine Unterstützung an. So hat er beim Archivaufbau der Stadtgemeinde XXXX vom 22.06. bis 06.09.2016 unentgeltlich mitgeholfen (AS 125), seit März 2017 ehrenamtlich das Sachspendenlager des Vereines XXXX , der für den ganzen Bezirk tätig ist, übernommen (AS 129) und arbeitet im Sozialmarkt des Vereins XXXX mit (AS 131). Damit hat er sich ein großes soziales Umfeld geschaffen, seine Deutschkenntnisse so laufend verbessert und viele private Kontakte geknüpft. Schon im Juni 2017 hat er sich beim AMS als arbeitsuchend vormerken lassen (AS 127).

Dieses Einbringen in die örtliche Gemeinschaft und die Bereitschaft zur freiwilligen Mitarbeit hat der Beschwerdeführer in dieser Form bis heute fortgesetzt, wird deshalb als Person anerkannt und geschätzt und das hat auch zu glaubhaften Beschäftigungszusagen der Pfarre vom 10.08.2020 und des Bestattungsunternehmens XXXX vom 04.08.2020 geführt. Daneben ist er seit September 2018 ehrenamtliches Mitglied im Integrationsbeirat XXXX . Die Wertschätzung, die er genießt, haben fünf österreichische StaatsbürgerInnen aus seinem Freundeskreis zum Ausdruck gebracht, indem sie eine lange Anreise auf sich genommen und den Beschwerdeführer zur mündlichen Verhandlung begleitet haben.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt des Behördenaktes und die vom Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens vorgelegten Integrationsnachweise, Beschäftigungszusagen und Unterstützungsschreiben.

Das bezieht sich insbesondere auf die Deutschkenntnisse, die über zahlreiche Kurs- und Prüfungsbestätigungen eindrucksvoll bestätigt sind und von denen sich auch der erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte. Gleiches gilt für die beispielhaft angeführten Aktivitäten, die auch von den an der Verhandlung teilnehmenden XXXX bestätigt wurden bzw. über die, bei den Feststellungen angeführten Schreiben dokumentiert sind. Aus diesem Grund werden auch die vorliegenden Beschäftigungszusagen als glaubhaft und in weiterer Folge als erfolgversprechend angesehen.

Die Feststellungen zu seinem persönlichen und familiären Umfeld im Irak, zu seiner Arbeitsfähigkeit und seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit sind seinen dazu gleichbleibenden Angaben im Verfahren bzw. in der mündlichen Verhandlung und dem eingeholten Strafregisterauszug entnommen. Die Feststellung, dass eine intensive Beziehung zu den im Irak lebenden Angehörigen nicht mehr vorliegt, erschließt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und der seit fast sechs Jahren bestehenden Trennung

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A I.)

Die Einstellung des Beschwerdeverfahrens in Bezug auf seinen Antrag auf internationalen Schutz (Spruchpunkte I: und II.) resultiert aus der Zurückziehung in der mündlichen Verhandlung.

Zu Spruchpunkt A II.)

Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr iSd § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs 1 Z 3 AsylG.

Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist aus nachstehenden Gründen gegeben:

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Nach § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Der Beschwerdeführer hält sich aufgrund eines letztendlich unbegründeten Asylantrages seit Juli 2015 und damit über 5 Jahre in Österreich auf. Im Rahmen seiner Möglichkeiten hat er alles unternommen, um in Österreich Fuß zu fassen. Er geht aktiv auf die Menschen in seinem Umfeld zu, unterstützt diese, ist sich für keine Arbeit zu schade und beherrscht über die Teilnahme an zahlreichen Deutschkursen und der täglichen Anwendung bei seinen ehrenamtlichen und freiwilligen Tätigkeiten die deutsche Sprache auf einem sehr guten Niveau. Sein entgegenkommendes Wesen und seine Hilfsbereitschaft wird geschätzt und anerkannt und findet auch in zwei konkreten Beschäftigungszusagen ihren Niederschlag. Auf Mietbasis seht ihm seit vier Jahren eine eigene Wohnung zur Verfügung.

Es wird dabei nicht verkannt, dass all diese Aktivitäten im Bewusstsein seines vorläufigen und unsicheren Aufenthaltes gesetzt worden sind, aber seine konsequente und nachhaltige Art, mit der er sein Leben in den letzten fünf Jahren in die Hand genommen und weiterentwickelt hat, sind als außergewöhnlich im Sinne der Rechtsprechung der Höchstgerichte anzusehen. In Bezug auf die bestehenden familiären Anknüpfungspunkte im Irak ist anzuführen, dass aufgrund der Trennung von fast 6 Jahren und der persönlichen Entwicklung des Beschwerdeführers in Österreich von einer Entfremdung auszugehen ist

Auch im Hinblick auf den hohen Stellenwert, welcher der Umsetzung fremdenrechtlicher Bestimmungen zukommt, führt im gegenständlichen Beschwerdefall die Interessensabwägung unter Berücksichtigung der genannten Umstände zum Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer unzulässig ist.

Zu Spruchpunkt A III.)

Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist einem im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), erreicht wird.

Da diese Voraussetzungen im gegenständlichen Fall vorliegen, war dem Beschwerdeführer eine "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten zu erteilen.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um eine Interessensabwägung und es wurde dabei keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig soziale Verhältnisse Teileinstellung Verfahrenseinstellung Zurückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2172589.1.00

Im RIS seit

27.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten