TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/21 I413 2159606-1

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Veröffentlicht am 21.12.2020
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Entscheidungsdatum

21.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

I413 2159606-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA. IRAK, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 12.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.12.2020 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz des ersten Spruchteils des Spruchpunktes III. wie folgt zu lauten hat:

„Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG wird XXXX (alias XXXX ) nicht erteilt.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. 


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer stellte am 21.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass seine ganze Familie von den DAESH verfolgt und gesucht werde. Durch die Arbeit (Fa IRD) seines Vaters würden die DAESH glauben, sie kooperieren mit den Amerikanern. Er habe Angst um sein Leben.

2.       Am 17.01.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. In dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer, befragt zu seinen Fluchtgründen an, er und seine Familie würden der Baath Partei angehören, was er auch belegen habe können. Alle Almani seien verfolgt sowohl vom IS als auch von der Regierung und anderen Milizen, nur wegen dieser Zugehörigkeit. Ihre Stadt sei am 22.06.2014 vom IS eingenommen worden. Sein Vater sei in einer hohen Position in der Partei gewesen, was sie gefährdet gemacht habe. Der IS habe ihr Haus als Quartier benützt, nachdem sie geflohen seien. Die Partei und die Tätigkeit für amerikanische Firmen habe sie zum Ziel gemacht.

3.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12.05.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage (Spruchpunkt IV.).

4.       Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 26.05.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und hierbei dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit, eine unrichtige rechtliche Beurteilung sowie eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens moniert.

5.       Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung I413 neu zugewiesen.

6.       Am 07.12.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers sowie seiner Rechtsvertretung und einer Vertreterin der belangten Behörde abgehalten, in der der Beschwerdeführer befragt und die Sach- und Rechtslage erörtert wurden. Das Bundesverwaltungsgericht fasste den verfahrensleitenden Beschluss, das Ermittlungsverfahren zu schließen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger des Irak, stammt aus Al-Quaim in der Provinz Al-Anbar und bekennt sich zum moslemischen Glauben, sunnitische Richtung. Er gehört der Volksgruppe der sunnitischen Araber an. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste legal mit gültigem Reisedokument aus dem Irak in die Türkei aus und gelangte schlepperunterstützt illegal nach Österreich. Er hält sich spätestens seit 21.05.2015 in Österreich auf.

Die Familie des Beschwerdeführers bestehend aus dem Vater, der Mutter und drei Brüdern lebt nach wie vor im Irak. Seine Eltern - zu denen der Beschwerdeführer in regelmäßigem Kontakt steht - sind vor rund drei Monaten nach Al-Quaim zurückkehrt, um ihr Haus wiederaufzubauen. Seine Brüder leben in Erbil. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen. Der Vater des Beschwerdeführers war Mitglied der Baath Partei. Der Beschwerdeführer war hingegen nicht Mitglied der Baath Partei.

Der Beschwerdeführer besuchte 12 Jahre lang die Grundschule, studierte mehrere Jahre lang an verschiedenen Fakultäten und arbeitete gelegentlich als Maler, Rigipsmonteur und im Bereich fotografisches Design. Im Jahr 2007 arbeitete er für die kurdische Firma IRD. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung sowie Ausbildung im Irak hat er eine Chance auch hinkünftig im irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.

Er geht in Österreich keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer hat einen Universitätslehrgang „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ auf Stufe A2/b positiv abgeschlossen und Deutschkurse des Niveaus A2 besucht. Er war im September 2019 für drei Tage als Aushilfe in der Gemeinde WERNBERG tätig, darüberhinausgehende gemeinnützige Tätigkeiten konnten nicht festgestellt werden. Er hat in Österreich diverse Bekanntschaften geschlossen, wobei nicht festgestellt werden kann, dass diese über den Grad der persönlichen Bekanntschaft hinausgehende, für Freundschaften typische Merkmale aufweisen. Er weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sozialer, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Dem Beschwerdeführer drohte im Herkunftsstaat keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

Der Beschwerdeführer war vor seiner Ausreise keiner individuellen und aktuellen Verfolgung wegen der vormaligen Zugehörigkeit zur Baath-Partei und der Tätigkeit für ein kurdisches Unternehmen im Jahr 2007 im Herkunftsstaat ausgesetzt und wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Fall seiner Rückkehr in den Irak nicht einer solchen Gefahr ausgesetzt sein würde.

Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt sein. Es liegen auch keine sonstigen Gründe vor, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat Irak entgegenstünden.

Er wird im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:

1.3.1. Allgemeine Sicherheitslage:

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

1.3.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:

Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2020 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis einschließlich August 650 zivile Todesopfer im Irak (Statista 21.09.2020), nach den Feststellungen von EASO 462 zivile Todesopfer zwischen Jänner und Juli 2020 (EASO 10.2020).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Februar 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Quellen:

-        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

-        EASO Country of Origin Information Report (EASO 10.2020), Iraq: Security Situation, October 2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (21.09.2020): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2020*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional, Zugriff 30.9.2020

1.3.3. Sicherheitslage Bagdad:

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).

Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020)

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen, die bis März/April 2020 andauerten und danach überwiegend wegen der COVID-19-Pandemie endeten. Eine kurze Unterbrechung der Demonstrationen erfolgte auch, als am 03.01.2020 Qassim Sulaimani durch eine Drohne getötet wurde. Im Mai und Juni 2020 fanden wieder Demonstrationen allerdings mit weit weniger Teilnehmern als früher statt. Insgesamt fanden in Bagdad 130 Proteste im Zeitraum 01.01.2019 bis 31.07.2020 statt, von denen 107 von ACLED als „Aufruhr“ qualifiziert wurden (EASO 10a.2020).

Quellen:

-        Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020

-        EASO Country of Origin Information Report (EASO 10a.2020) Iraq: The Prostest Movement and Treatment of Protesters and Activists, October 2020

-        ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

-        OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, http://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020

Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 wird auch über Bagdad berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat. Über das Jahr 2018 hinweg blieben Überreste des IS in den Vororten von Bagdad („Bagdad-Gürtel“) aktiv und starteten gelegentliche USBV-Angriffe auf zivile Ziele. Es wird jedoch berichtet, dass die Fähigkeit des IS, Großanschläge mit hohen Opferzahlen durchzuführen, signifikant zurückgegangen ist. Anfang 2019 wurde berichtet, dass der IS sich weitgehend zurückgezogen hat, während die ISF ihre Kontrolle über den „Bagdad-Gürtel“ verstärkte, wodurch die Sicherheitsvorfälle noch weiter abnahmen. Jedoch soll der IS im April 2019 versucht haben, seine Stützzone in den südwestlichen Gegenden des Bagdad-Gürtels auszudehnen. Während es in den vergangenen Jahren Berichte über fast tägliche Entführungen aus politischen Gründen oder gegen Lösegeld gab, wurde für das Jahr 2018 und Anfang 2019 diesbezüglich von einem Rückgang berichtet. In Bagdad ereignen sich nach wie vor Fälle gezielter Tötungen hochrangiger Persönlichkeiten.

In Bezug auf die Lage in der Stadt Bagdad vertritt UNHCR die Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabisch-schiitische und arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten sind. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen.

Quellen:

-        UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 23f sowie S 141, Zugriff 17.12.2020

Im Jahr 2018 wurden in Bagdad insgesamt 392 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, welche zu 566 Todesopfern geführt hatten. Die Anzahl der zivilen Todesopfer hatte sich hierbei im Vergleich zum Vorjahr 2017 – wo es noch zu 487 sicherheitsrelevanten Vorfällen mit insgesamt 1032 zivilen Todesopfern gekommen war – mehr als halbiert.

Die Anzahl ziviler Todesopfer pro 100.000 Einwohner halbierte sich im Gouvernement Bagdad vom Jahr 2017 auf 2018 ebenfalls von 7,36 auf 14,38.

Im Jahr 2019 ist die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle mit insgesamt 50 Vorfällen, bei denen insgesamt 37 Personen ums Leben kamen und 13 verletzt wurden, weiter gesunken. Im ersten Halbjahr der Jahres 2020 setzte sich dieser Trend fort: Bei insgesamt 4 sicherheitsrelevanten Vorfällen kamen 3 Personen ums Leben und wurden 5 Personen verletzt (EASO 10.2020, S 81).

Die Stadtviertel mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen, welche zu zivilen Todesopfern geführt haben, waren Adamiyah – mit 78 sicherheitsrelevanten Vorfällen und insgesamt 94 zivilen Todesopfern – gefolgt von Al-Rusafa (77 Vorfälle/161 zivile Todesopfer) und Al-Mada'in (63 Vorfälle/69 zivile Todesopfer). Die mit Abstand höchste Anzahl ziviler Todesopfer pro 100.000 Einwohnern wurde in Al-Tarmia verzeichnet (35,80), gefolgt von Al-Mada'in (15,91) und Adamiyah (8,25). Im Zeitraum 01.01.2019 bis 30.06.2020 ereigneten sich die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle im Stadtteil Karch mit rd. 50 Vorfällen, gefolgt von Al-Rusafa und Kadhimiya. Die wenigsten sicherheitsrelevante Vorfälle mit unter 25 Vorrfällen verzeichneten in diesem Zeitraum Adamiya, Sads City und Karadah (vgl Figure 10 EASO 10.2020, S 81).

Bei den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen im Jahr 2018 in Bagdad handelte es sich um Schießereien (46,4%), gefolgt von Exekutionen/sumerischen Tötungen (30,6%) und unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtung (20,7%).

Quellen:

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, March 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO-COI-Report-Iraq-Security-situation.pdf, S 57-58, S 72-80 sowie S 82-85, Zugriff 17.12.2020

-        EASO Country of Origin Information Report (EASO 10.2020): Iraq, Security Situation, October 2020

Im Gouvernement Bagdad ereignen sich nach wie vor sicherheitsrelevante Vorfälle, jedoch nicht flächendeckend und mit derartiger Regelmäßigkeit, dass automatisch Gründe vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Bagdad zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Quellen:

-        EASO Country Guidance: Iraq, Guidance note and common analysis, June 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2019.pdf, S 29, Zugriff 17.12.2020

1.3.4. Sicherheitslage in der Kurdischen Region im Irak (KRI):

In Erbil bzw. Sulaymaniyah und unmittelbarer Umgebung erscheint die Sicherheitssituation vergleichsweise besser als in anderen Teilen des Irak. Allerdings kommt es immer wieder zu militärischen Zusammenstößen, in die auch kurdische Streitkräfte (Peshmerga) verwickelt sind, weshalb sich die Lage jederzeit ändern kann. Insbesondere Einrichtungen der kurdischen Regionalregierung und politischer Parteien sowie militärische und polizeiliche Einrichtungen können immer wieder Ziele terroristischer Attacken sein (BMEIA 19.2.2020).

Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaymaniyah attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Kurdischen Region im Irak (KRI)] bemannt war. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurde in Sulaymaniyah ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019). Im November 2019 wurde ein weiterer Angriff im Gouvernement Sulaymaniyah verzeichnet. Der Vorfall ereignete sich im südlichen Sulaymaniyah, an der Grenze zu Diyala. Asayesh-Einheiten, die einen Mörserbeschuss untersuchten, wurden von Heckenschützen beschossen. Drei Personen, darunter ein Kommandant, starben, acht Personen, fünf Asayesh und drei Zivilisten wurden verletzt (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Ekurd 30.11.2019).

Im Gouvernement Erbil wurde im Jänner 2020 ein sicherheitsrelevanter Vorfall ohne Opfer verzeichnet. Als Vergeltung für die Tötung des iranischen Generalmajors Qassem Soleimani und des stellvertretenden Leiters der Volksmobilisierungskräfte (PMF)-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis durch die USA feuerte der Iran Raketen auf die US-Militärbasis nahe dem Internationalen Flughafen Erbil ab (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Al Monitor 8.1.2020). Im Februar 2020 wurden drei Vorfälle mit sieben Verletzten im südlichen Distrikt Makhmour verzeichnet. Dabei handelte es sich um einen Raketenangriff pro-iranischer PMF auf einen US-Militärstützpunkt (Joel Wing 5.3.2020), um die Detonation zweier IEDs in einem Dorf mit sechs Verletzten (Joel Wing 5.3.2020; vgl. BasNews 26.2.2020) und um einen Angriff des IS auf ein IDP Lager, mit einem verletzten Zivilisten (Joel Wing 5.3.2020; vgl. BasNews 2.2.2020).

Seit dem Abbruch des Friedensprozesses zwischen der Türkei und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Jahr 2015 kommt es regelmäßig zu türkischen Militäroperationen und Bombardements gegen Stellungen von PKK-Kämpfern in Qandil und in den irakischen Grenzgebieten (Kurdistan24 8.11.2019). Im Kreuzfeuer solcher Angriffe werden immer wieder kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum von den Kämpfen bedroht und bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vgl. Kurdistan24 8.11.2019).

Am 27.5.2019 initiierte die türkische Armee die „Operation Claw“ gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12.7.2019 und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und anderen Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Ende August 2019 begann die dritte Phase, die sich wiederum gegen die PKK im Gouvernement Dohuk richtete. Betroffen waren vor allem grenznahe Orte, Regionen und Subdistrikte wie Zab, Sinat-Haftanin, Batifa und Avashin (Kurdistan24 8.11.2019).

Am 10. und 11.7.2019 bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaymaniyah, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die “Partei für ein Freies Leben in Kurdistan‘‘ (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).

Quellen:

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview – Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overview-middle-east-4-september-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview – Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middle-east-17-july-2019/ Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (8.1.2020): Did Iran missiles carry message for Kurds?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/01/iraq-iran-us-kurds-erbil-soleimani.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (12.7.2019): Iran shells Iraqi Kurdistan Region, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/07/iraq-iran-kurdistan-turkey.html, Zugriff 13.3.2020

-        Anadolu Agency (13.7.2019): Turkey launches counter-terror Operation Claw-2 in N.Iraq, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-launches-counter-terror-operation-claw-2-in-niraq/1530592, Zugriff 13.3.2020

-        BasNews (26.2.2020): Twin Bomb Blasts Injure Six People near Makhmour, http://www.basnews.com/index.php/en/news/kurdistan/584601, Zugriff 13.3.2020

-        BasNews (2.2.2020): IS Raids Makhmour Refugee Camp, http://www.basnews.com/index.php/en/news/kurdistan/578773, Zugriff 13.3.2020

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (6.3.2020): Irak (Republik Irak), Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/irak/, Zugriff 13.3.2020

-        Ekurd Daily (30.11.2019): Islamic State attack kills three security Asayish members in Iraqi Kurdistan, https://ekurd.net/islamic-state-attack-kills-2019-11-30, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html ,Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

-        Kurdistan24 (8.11.2019): Turkey intensifies operations in Kurdistan, northern Iraq, https://www.kurdistan24.net/en/news/83346a10-2d59-494a-ab13-ed1954960996, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (12.7.2019): Iran strikes opposition positions on border with Iraqi Kurdistan – Tasnim, https://www.reuters.com/article/us-iran-iraq-security/iran-strikes-opposition-positions-on-border-with-iraqi-kurdistan-tasnim-idUSKCN1U71E7, Zugriff 13.3.2020

-        Rudaw (13.7.2019): Turkey reinvigorates Operation Claw in Kurdistan Region against PKK, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/130720191, Zugriff 13.3.2020

Die Sicherheitslage in Erbil wird im August 2020 als prinzipiell ruhig beschrieben (IAU, Erbil Governorate Profile, August 2020). Auch für die Zeit davor wird die Gravität der Konflikte in Erbil als niedrig beschrieben (EASO, 06.2019) Im nordöstlichen Grenzgebiet zur Türkei kommt es aufgrund des Kampfes der Türkei gegen die PKK zu Luft- und Drohnenangriffen. Diese wurden im Gefolge der Tötung eines türkischen Diplomaten im Juli 2020 in Erbil intensiviert. Zwischen Mai und September 2019 unternahm die türkische Armee zumindest 76 grenzüberschreitende Luftoperationen gegen Verstecke der PKK und Munitionsdepots insbesondere in den und um die Qadil Berge und in Hakurk. Zivile Opfer waren keine zu beklagen. Im Juni 2020 begann eine türkische Offensive zu Boden und zur Luft gegen PKK Ziele und kündigte an, dass diese Militäroperationen bis zur Beendigung der Präsenz der PKK in der autonomen Region Kurdistan fortgesetzt würden. Aufgrund dieser militärischen Operationen wurden am 15.06.2020 zumindest 6 Zivilisten getötet und 4 verwundet, was auch Erbil miteinschloss, während Agrarland, Obstplantagen und Nutztiere niedergebrannt wurden. Im Juni 2020 koordinierten türkische und iranische Streitkräfte ihre Operationen gegen kurdische Ziele im Norden des Gouvernements Erbil. Die iranischen Militäroperationen haben Zivilpersonen zum Verlassen ihrer Häuser veranlasst. Reste des IS setzten zwischen 23.11.2019 und 06.05.2020 fortgesetzte asymmetrische Angriffe fort. Der IS ist zu seiner früheren Auflehnungstaktik zurückgekehrt, indem Sicherheitskräfte aus dem Hinterhalt überfallen werden, mutmaßliche Informanten gekidnappt und exekutiert werden. Im Jahr 2019 wurden durch Peshmerga und die von den USA geführten Koalitionsstreitkräften zehn IS Kämpfer am Berg Qarachogh im Makhmur Distrikt getötet. Weitere Operationen gegen IS-Kämpfer in diesem Gebiet folgten im Laufe des Jahres 2020, welche ua 59 Luftangriffe auf IS-Verstecke in den Qarachogh Bergen betrafen. Dem IS seinerseits werden im Zeitraum Jänner bis März 2020 12 Attacken zugeschrieben (EASO 10.2020).

Das Gouvernement Erbil verzeichnete im Jahr 2018 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 1,3 zivilen Toten pro 100.000 Einwohnern, verglichen mit 0,8 dokumentierten gewaltsam ums Leben gekommenen Personen pro 100.000 Einwohnern im Jahr 2017 bei 10 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Die Distrikte Erbil, Soran und Koisnjaq verzeichneten die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle, die zu zivilen Toten führten. Die höchste Intensität bestand in Koisnjaq mit 6,6 Toten pro 100.000 Einwohnern, gefolgt von Soran mit 3,5 Toten pro 100.000 Einwohnern (EASO 06.2019). Im Jahr 2019 wurden in Erbil 16 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 5 Toten und 12 Verletzten und im ersten Halbjahr 2020 12 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 4 Toten und einem Verletzen verzeichnet (EASO 10.2020).

Die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahre 2018, die zivile Todesopfer forderten, waren auf Schießereien zurückzuführen gefolgt von IEDs (EASO 06.2019).

Erbil war das einzige Gouvernement Kurdistan mit interner Vertreibung und Rückkehr innerhalb des Gouvernements, vor allem mit Vertreibungen aus dem Distrikt Makhmour. Erbil beherbergt mit 211.920 eine große Zahl Binnenvertriebener. Zudem hinterließ der Kampf gegen den IS eine Kontamination mit explosiven Rückständen, wie Cluster-Munition, nicht explodierten Geschütze von Handgranaten und Artillerie Geschoßen, und 15-17 % des Acker- und Weidelandes sind wegen Verminung nicht zugänglich (EASO 06.2019).

Angesichts dieser Indikatoren ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass willkürliche Gewalt im Gouvernement Erbil auf einem so niedrigen Grad vorkommt, dass generell kein reales Risiko für einen Zivilisten besteht, persönlich durch willkürliche Gewalt iSd Art 15 (c) der Status-RL betroffen zu sein, wenn auch persönliche Elemente immer in Erwägung gezogen werden müssen, die eine Person in risikoerhöhende Situationen bringen können (EASO 06.2019).

Quellen:

-        EASO Country of Origin Report Iraq (EASO 10.2020): Security Situation, October 2020, S 167 ff

-        EASO Coutry Guidance: Iraq, June 2019 (EASO 06.2019), S 111 f

-        IAU, Erbil Governorate Profile, Dezember 2020, IAU - Governorate Profile (Erbil) (iauiraq.org) (Zugriff 18.12.2020)

1.3.5. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak:

Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019).

In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt (Rudaw 31.5.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (Crisis Group 14.12.2018). Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (Crisis Group 14.12.2018).

Gouvernement Anbar

Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum und Schwerpunkt der IS-Aktivitäten, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS-Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019; vgl. Joel Wing 3.2.2020). Der IS kontrolliert dieses Gebiet nicht, es gibt aber Schläferzellen (EASO 06.2019). Eine Reihe von Sicherheitsaktören befindet sich in Anbar, einschließlich der Armee, der Polizei, PMU, schiitische Milizen, Iran-unterstützte Milizen und tribale sunnitische Milizen. Der Ausnahmezustand wurde im Oktober 2018 entlang der irakisch-syrischen Grenze erklärt, nachdem ein IS-Angriff nahe der Grenze stattfand und bis zu 30.000 Armee- und PMU-Angehörige zur Verhinderugn von grenzüberschreitenden Angriffen des IS im Einsatz waren (EASO 06.2019).

Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat bis Mitte 2019 stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019) und ab Mitte 2019 hat sich Anbar zu einem sekundären Schauplatz entwickelt, mit einem Rückgang der Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle im einstelligen Bereich (Joel Wing 3.2.2020).

Im November 2019 gab es im Gouvernement Anbar keine sicherheitsrelevanten Vorfälle. Im Dezember 2019 waren es fünf Vorfälle mit zwölf Toten und zwei Verletzten (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 war Anbar mit einer Steigerung von fünf Vorfällen im Dezember 2019 auf sieben im Jänner 2020, mit acht Toten und 76 Verletzten das einzige Gouvernement mit einer Zunahme an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit einer Steigerung von fünf Vorfällen. Zu diesen Vorfällen zählen der iranische Raketenangriff auf die Militärbasis Ain Al-Assad, bei dem 64 amerikanische Soldaten verwundet wurden, ein Angriff mit einer Autobombe (VBIED) gegen einen Armeekonvoi, Entführungen und Angriffe mit Schusswaffen (Joel Wing 3.2.2020; vgl. BasNews 16.1.2020). Im Februar 2020 waren es fünf Vorfälle mit je zwei Toten und Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Im ersten Quartal des Jahres 2020 stiegen die Attacken mit 27.6 in Anbar aud das Dreifache des Durchschnitts von 2019. Bombardements vom Plateau des Wadi Horan aus von Straßen in der Wüste zwischen Qaim und Ruthbah mit dem Ziel, die ungepanzerten Wägen der PMU zu treffen, wurden häufig. Großformatige taktische Operationen mit einer Polizeistärke von 30 oder mehr bewaffneten Männern mit raketengesteuerten Granaten und Mörsern wurden in derselben Periode berichtet, ebenso wie mehr Scharfschützen, die auf den Dorf-Mukhtar zielen (EASO 10.2020).

Die Analyse von Joel Wing von Musings on Iraq zeigt, dass der IS eine Frühlingsoffensive über den Irak begonnen hat, weil die Monate April und Mai 2020 einen signifikanten Anstieg der Gewalt beobachten ließen, der überwiegend im Juni 2020 abebbte. Das Gouvernement Anbar berichtete von 10 Vorfällen im April, 17 Vorfällen im Mai und 4 Vorfällen im Juni 2020, die eine seltene Steigerung der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Gouvernement zeigen und aufzeigen, dass Anbar nicht länger das Zentrum des Aufruhrs ist, das es früher war (EASO 10.2020).

Die Anti-IS Sicherheitsmaßnahmen und die militärischen Operationen verschiedenen Umfanges dauern im Gouvernement Anbar, va im westlichen Anbar während 2019 und 2020 an. Im Feber 2020 begann die Armee eine wesentliche Operation, „Helden des Irak“, um IS-Schläferzellen in Regionen an der syrischen Grenze wegen neuerlicher Vorfälle, wie Bombardements, Hinterhalte, Entführungen, Erpressungen und Brandstiftung anzugreifen. Diese Operation involvierte zahlreiche Teile der Armee, einschließlich der Luftwaffe. Im Mai 2020 wurde die Operation „Wüstenlöwe“ gestartet, um die Gegend von IS-Resten zu säubern, mit dem Fokus auf den Norden Anbars, den Süden Ninewas und den Westen des Gouvernements Salah al-Din. Im Juni 2020 fanden 10 weitere Sicherheitsaktionen statt, die sich auf die Syrische Grenze und jene des Gouvernements zu anderen im Irak konzentrierten. Anti-IS-Operationen wird wenig Effekt auf die Vertreibung des IS vom Gouvernement Anbar nachgesagt (EASO 10.2020).

Waren 2018 46 sicherheitsrelevante Vorfälle mit Todesfällen in Anbar registriert, was 5.1 zivile Todesfälle pro 100.000 Einwohnern entspricht, ereigneten sich in Anbar 2017 noch 170 Vorfälle, die 45.3 zivile Todesopfer pro 100.000 entspricht. UNAMI berichtet von 252 sicherheitsrelevanten Vorfällen im Jahr 2018, verglichen mit 822 im Jahr 2017 (EASO 06.2019). Im Jahr 2019 wurden für Anbar 30 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 43 Toten und 62 Verletzten verzeichnet. Für das erste Halbjahr 2020 kamen bei 4 sicherheitsrelevanten Vorfällen 7 Personen ums Leben und wurden 8 Personen verletzt (EASO 10.2020).

Die höchste Intensität an zivilen Todesopfern im Jahr 2018 wurde im Distrikt Haditha (mit 14,1 Toten pro 100.000 Einwohnern) und Ana (mit 11.5 Toten pro 100.000 Einwohnern) gezählt. Die Distrikte Ramadi und Al-Ka’im verzeichneten die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle, die zu zivilen Todesopfern führten (EASO 06.2019).

Die IS-Angriffe betreffen va Personen der Armee und der PMU, einschließlich berichteter Attacken auf Checkpoints, Polizeistationen und Militärfahrzeugen. Im Zeitraum 2018 verursachten IED gefolgt von Gewehrschüssen die meisten zivilen Todesopfer (EASO 06.2019).

Die Militäroperationen, die zur Befreiung von Anbar geführt hatten, verursachten eine weitgehende Zerstörung privaten und öffentlichen Eigentums, mit welchem die Regierung immer noch ringt. Die vom IS wieder übernommenen Gebiete wurden nicht alle von explosiven Rückständen gereinigt. Eine Vielzahl an Vorfällen betreffend Zivilisten, einschließlich Kinder, wurde getötet oder verletzt aufgrund dieser Explosionsstoffe, die der IS in agrarische Gebiete und Wohngebiete platziert hatte.

Bis einschließlich Dezember 2018 zählt Anbar zu den führenden Gouvernements an Rückkehrern mit 1.290.606 registrierten Rückkehrern gamäß IOM Daten. Das Gouvernement weist sich weiterhin 201.996 binnenvertriebene Personen auf, wovon sich 52.878 innerhalb des Gouvernements befinden. Gemäß UNOCHA zählt Anbar zu jenen Gouvernements mit dem höchsten Bedarf an humanitärer Hilfe (mehr als 1.350.00 Personen). Es gibt auch Berichte über gewaltsame Auflösungen von Camps und illegalen Siedlungen und erzwungener Rückkehr, Einschüchterung durch bewaffnete Akteure in IDP-Camps und von nicht erfolgreichen Rückkehrversuchen wegen mangelnder Dienstleistung (EASO 06.2019). Bis in das erste Halbjahr 2020 nimmt Anbar die zweithöchste Zahl an Rückkehrern im Irak ein (mit 1.5053.468 Rückkehrern bis zum 30.06.2020).

Ausgehend von diesen Indikatoren besteht die Schlussfolgerung, dass willkürliche Gewalt im Gouvernement Anbar stattfindet, aber nicht auf einem hohen Grad und dass daher ein höherer Grad individueller Elemente erforderlich ist, um substanzielle Gründe aufzuzeigen, die annehmen lassen, dass eine in diese Region zurückkehrende Person ein reales Risiko eingeht, einen ernsten Schaden iSd Art 15 (c) der Status-RL zu erleiden (EASO 06.2019).

Quellen:

-        Anadolu Agency (13.12.2019): Death toll in Iraq from suspected terror blasts hits 15, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/death-toll-in-iraq-from-suspected-terror-blasts-hits-15/1672348, Zugriff 13.3.2020

-        BasNews (16.1.2020): Car Bomb Hits Iraqi Army Convoy, Kills Two, http://www.basnews.com/index.php/en/news/iraq/574768, Zugriff 13.3.2020

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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