TE Bvwg Beschluss 2020/12/29 I419 2237197-1

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Veröffentlicht am 29.12.2020
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Entscheidungsdatum

29.12.2020

Norm

AuslBG §18 Abs12
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

I419 2235606-1/11E 29.12.2020
I419 2237197-1/9E
I419 2237198-1/9E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Tomas Joos als Vorsitzenden sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Hintner und die fachkundige Laienrichterin Jennifer Schumacher als Beisitzer und Beisitzerin über die Beschwerden von Pro XXXX , vertreten durch Grasch + Krachler Rechtsanwälte OG, gegen die Bescheide

1. des AMS Bregenz vom 28.08.2020, Zl. ABB-Nr: XXXX , betreffend XXXX ,

2. des AMS Bludenz vom 10.09.2020, Zl. ABB-Nr: XXXX , betreffend XXXX , und

3. des AMS Bludenz vom 10.09.2020, Zl. ABB-Nr: XXXX , betreffend XXXX ,

beschlossen:

A) Der angefochtenen Bescheide werden aufgehoben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das AMS zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit den bekämpften Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführerin, einer GmbH mit Sitz in Slowenien, auf Bestätigung der EU-Entsendung für die im Spruch genannten Arbeitnehmer gemäß § 18 Abs. 12 AuslBG abgewiesen.

2. Beschwerdehalber wird vorgebracht, es komme bei der Beurteilung, ob der Arbeitgeber gewöhnlich im Entsendestaat tätig sei, zwar auf eine nennenswerte Geschäftstätigkeit an, dabei aber nicht nur auf den dort erzielten Umsatzanteil des Unternehmens. Aus dem Jahresabschluss 2019 der Beschwerdeführerin ergebe sich zwar, dass sie einen geringen Teil des Umsatzes in Slowenien erzielt habe (den genannten Beträgen nach 10,9 %, Anm.), was aber auf den Anteil an der Geschäftstätigkeit nicht zutreffe, weil wegen der unterschiedlichen Stundenlöhne 36 % der Stunden in Slowenien erbracht worden seien, sodass auf Österreich nur 64 % entfielen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang wird festgestellt, wie oben in I. wiedergegeben. Weiters wird festgestellt:

1.1 Die Beschwerdeführerin meldete dem BMF am 17.08.2020 die Entsendung des im Spruch erstgenannten Arbeitnehmers, am 01.09.2020 die der beiden anderen. Der im Spruch zum erstgenannten Bescheid angeführte Arbeitnehmer ist Staatsangehöriger Serbiens, die anderen sind solche von Bosnien und Herzegowina.

1.2 Die Zentrale Koordinationsstelle des BMF für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung (ZKO) leitete die drei Meldungen an den genannten Tagen dem AMS weiter, welches je zwei Tage später einen „Texteintrag“ anlegte, zu den beiden späteren Meldungen also am 03.09., in dem es die Beschwerdeführerin betreffend heißt, diese „legt keine Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, dass die Firma einer nennenswerten Geschäftstätigkeit im Entsendestaat nachgeht“, weshalb „die Entsendung zu untersagen“ sei. Am 28.08.2020 erließ das AMS den ersten abweisenden Bescheid. „Trotz mehrfacher ZKO-Meldungen“ sei es der Beschwerdeführerin nicht gelungen, den Nachweis einer nennenswerten Geschäftstätigkeit im Staat ihres Betriebssitzes mit einem Umsatzanteil von zumindest 25 % des Gesamtumsatzes zu erbringen. Daher sei „davon auszugehen“, dass die Voraussetzungen einer Entsendung nicht vorlägen.

In den eine Woche darauf ergangenen beiden weiteren ablehnenden Bescheiden wird begründend ausgeführt: „Mittels Parteiengehör wurden Sie aufgefordert, diverse fehlende Unterlagen nachzureichen.“ Anschließend folgt der bereits wiedergegebene Passus betreffend den nicht gelungenen Nachweis eines Umsatzanteils von mindestens 25 % im Entsendestaat.

1.3 Die 2016 gegründete Beschwerdeführerin erzielte in den Jahren 2016 und 2017 Umsätze von rund € 1.830,-- und € 54.510,--, davon in Slowenien 100 % (2016) und rund 60 % (2017). Es kann nicht festgestellt werden, welchen Umsatzanteil sie 2018 und 2019 in Slowenien erzielte.

1.4 Die Beschwerdeführerin führte in der Langform ihrer Firma bis November 2017 „Vermittlung von Zeitarbeit und anderen Unternehmensdienstleistungen“, an. Seither firmiert sie stattdessen mit „Bau-, Handels- und andere Unternehmensdienstleistungen“. Es kann nicht festgestellt werden, wo die Beschwerdeführerin die entsandten Arbeitnehmer eingestellt und wo sie die Mehrzahl der Verträge mit ihren Kunden abgeschlossen hat.

1.5 Es kann nicht festgestellt werden, wieviel Verwaltungspersonal die Beschwerdeführerin im Entsendestaat aufweist und wieviel außerhalb, ferner nicht, ob die Beschwerdeführerin im Entsendestaat außer dem Verwaltungspersonal noch weiteres Personal hat und wenn ja wieviel davon.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus den vorliegenden AMS-Akten samt den Beschwerden.

2.2 Die Negativfeststellungen ergeben sich aus den fehlenden Angaben, zu denen das AMS in den drei Verwaltungsverfahren keine ersichtlichen Ermittlungen vorgenommen oder der Beschwerdeführerin das in den beiden jüngeren bekämpften Bescheiden erwähnte Parteiengehör eingeräumt hat. Diese Angaben haben sich auch nicht auf anderem Weg ableiten oder erschließen lassen. Die vom AMS mit den beiden jüngeren Beschwerden vorgelegte Tabelle („Stand der Daten 2020-11-24“) weist Ergebnisse aus den Jahresabschlüssen für die Geschäftsjahre (hier Kalenderjahre) 2016 und 2017 auf, für 2018 indes keine validen Daten, wie sich aus dem eingetragenen Betrag für den Nettogewinn der Periode (€ 101.152,--) im Vergleich mit dem auf der unter 2.3 genannten Internetseite genannten Betrag aus dem Jahresabschluss 2018 (€ 86.175,63) ergibt. Zahlen von 2019 enthält die Tabelle des AMS nicht.

2.3 Dem Informationsportal „Stop Nepla?niki“ waren die Bilanzzahlen der Beschwerdeführerin bis 2019 zu entnehmen, bei denen die angeführten Gewinne und Umsätze für 2016 und 2017 jenen in der vom AMS verwendeten Tabelle entsprachen, sodass diese zutreffend sein werden. Diesem Portal waren auch die Umsätze bis 2019 zu entnehmen (www.stop-neplacniki.si/ XXXX /), nämlich € 1.021.035,53 (2018) und € 2.874.991,-- (übereinstimmend mit dem Beschwerdevorbringen für 2019), allerdings nicht die Information, wie hoch der jeweils in Slowenien erzielte Umsatz war.

2.4 Betreffend die Belegschaft der Beschwerdeführerin war dem Informationsportal „dun & bradstreet“ zu entnehmen, dass sie am angegebenen Ort des Firmensitzes („at this location“ und „this site“) zwei Beschäftigte habe (www.dnb.com/business-directory/company-profiles. XXXX ). Da die Seite den Umsatz von 2019 angibt (US$ 3,18 Mio. sind mit dem angegebenen Wechselkurs rund € 2,874 Mio.), und demnach zumindest diese Angabe betreffend aktuell ist, lässt sich nicht feststellen, inwieweit die Beschwerdeführerin über das Verwaltungspersonal hinaus eigene Arbeitskräfte hat.

Aus der Tatsache vorhandener Umsätze im „eigenen“ Staat lässt sich das Vorhandensein von eigenen Arbeitnehmern deshalb nicht ableiten, weil Umsätze grundsätzlich auch ohne eigenes Personal erzielt werden können, im Fall der Beschwerdeführerin z. B. durch ihr von Dritten überlassene Zeitarbeiter.

2.5 Die Firmenwortlaute waren dem Portal „bizi.si“ (www.bizi.si/ XXXX ), zu entnehmen, wo sich ferner die Information findet, die Beschwerdeführerin habe „50 bis 99“ Mitarbeiter. Mit Blick auf die in 2.4 referierte Angabe zum Personalstand kann nicht festgestellt werden, wo die Beschwerdeführerin die entsandten Arbeitnehmer eingestellt und wo sie die Mehrzahl der Verträge mit ihren Kunden abgeschlossen hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung

3.1 Nach § 18 Abs. 1 AuslBG bedürfen Ausländer, die im Inland von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen Betriebssitz im Bundesgebiet beschäftigt werden, grundsätzlich einer Entsende- oder einer Beschäftigungsbewilligung.

Ausgenommen davon sind nach Abs. 12 Ausländer, die von einem Unternehmen mit Betriebssitz in einem anderen Mitgliedstaat des EWR zu einer vorübergehenden Arbeitsleistung nach Österreich entsandt oder überlassen werden, wenn sie ordnungsgemäß zu einer Beschäftigung im Staat des Betriebssitzes über die Dauer der Entsendung oder Überlassung hinaus zugelassen und beim entsendenden Unternehmen rechtmäßig beschäftigt sind (Z. 1) und weitere Voraussetzungen vorliegen, die in Z. 2 und 3 angeführt sind.

3.2 Im ersten bekämpften Bescheid führt das AMS aus, ein Unternehmen im Sinn des § 18 Abs. 12 AuslBG müsse im Entsendestaat „gewöhnlich tätig“ sein, was der Fall sei, wenn es eine „nennenswerte Geschäftstätigkeit“ ausübe, die wiederum bei einem Umfang von 25 % des gesamten Umsatzes angenommen werde (gemeint: beginne; also 25 % oder mehr). Dies ergebe sich aus Art. 12 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO 883/2004

3.3 Art 12 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 883/2004 lautet: „Eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem […] in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit vierundzwanzig Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere Person ablöst.“

Dazu führt Art. 14 der VO (EG) Nr. 987/2009 („Nähere Vorschriften zu den Artikeln 12 und 13 der Grundverordnung“) in Abs. 2 aus: „Bei der Anwendung von Artikel 12 Absatz 1 der Grundverordnung beziehen sich die Worte ‚der gewöhnlich dort tätig ist‘ auf einen Arbeitgeber, der gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten [im] Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats [ausübt], in dem das Unternehmen niedergelassen ist, unter Berücksichtigung aller Kriterien, die die Tätigkeit des betreffenden Unternehmens kennzeichnen; die maßgebenden Kriterien müssen auf die Besonderheiten eines jeden Arbeitgebers und die Eigenart der ausgeübten Tätigkeiten abgestimmt sein.“

3.4 Die vom AMS als Kriterium herangezogenen 25 % Umsatzanteil ergeben sich also nicht aus den begründungshalber zitierten Vorschriften. Sie finden sich auch nicht im früher herangezogenen Beschluss Nr. A2 (der Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit) zur Auslegung des Art. 12 der VO (EG) Nr. 883/2004. Diesem Beschluss kommt auch weder bindende Wirkung noch der Charakter eines Gutachtens zu. (VwGH 12.09.2017, Ra 2017/09/0023 mwN). Ihm sind aber ebenso Hinweise zur Auslegung des Art. 14 zu entnehmen wie dem (auf Basis der Z. 7 des Beschlusses A2 ausgearbeiteten) „Praktischen Leitfaden“ der erwähnten Verwaltungskommission (Entsendeleitfaden). (VwGH 29.01.2020, Ra 2016/08/0040, 08.10.2019, Ra 2019/08/0110)

3.5 Zur Beurteilung, ob eine nennenswerte Tätigkeit im Entsendestaat vorliegt, ist insbesondere auf die Kriterien Bedacht zu nehmen, die - unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH - in den Beschluss A2 der Verwaltungskommission und den „Entsendeleitfaden“ eingeflossen sind. Es ist hingegen nicht ausreichend, nur ein einzelnes Kriterium herauszugreifen, wie etwa die Umsatzhöhe. (VwGH 31.07.2014, Ro 2014/08/0003)

3.6 Bei der Feststellung, ob ein Arbeitgeber gewöhnlich eine nennenswerte Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaates verrichtet, in dem er niedergelassen ist, sind daher u.a. folgende Umstände zu berücksichtigten (VwGH 31.07.2014, Ro 2014/08/0003):

- die Zahl der im Mitgliedstaat seiner Betriebsstätte bzw. in dem anderen Mitgliedstaat in der Verwaltung Beschäftigten, der Ort, an dem die entsandten Arbeitnehmer eingestellt werden, der Ort, an dem der Großteil der Verträge mit den Kunden geschlossen wird, das Recht, dem die Verträge unterliegen, die das Unternehmen mit seinen Arbeitnehmern bzw. Kunden schließt, der während eines hinreichend charakteristischen Zeitraums im jeweiligen Mitgliedstaat erzielte Umsatz sowie die Zahl der im entsendenden Staat geschlossenen Verträge (Beschluss A2), sowie ferner [soweit nicht eben genannt, Anm.]

- die übereinstimmende Struktur des Personalbestands des entsendenden Unternehmens im Entsendestaat und im Beschäftigungsstaat (befindet sich im Entsendestaat ausschließlich Verwaltungspersonal, ist an sich bereits ausgeschlossen, dass das Unternehmen unter die Entsendevorschriften fällt) und die Dauer der Niederlassung eines Unternehmens im Entsendestaat (Entsendeleitfaden).

Zum zu berücksichtigenden Sachverhalt gehört also auch „der während eines hinreichend charakteristischen Zeitraums“ im Entsendestaat und im Beschäftigungsstaat vom entsendenden Unternehmen erzielte Umsatz. Dazu heißt es im Entsendeleitfaden: „Beispielsweise könnte ein Umsatz in Höhe von 25 % des Gesamtumsatzes ein hinreichender Anhaltspunkt sein; Fälle, in denen der Umsatz weniger als 25 % beträgt, sind einer Einzelfallprüfung zu unterziehen“. (Pkt. I/3. Entsendeleitfaden)

3.7 Nach der Rechtsprechung (VwGH 29.01.2020, Ra 2016/08/0040) „muss der entsendende Dienstgeber in seinem Niederlassungsstaat (Entsendestaat) - unter Würdigung sämtlicher von ihm ausgeübter Tätigkeiten (im Sinn einer Gesamtschau) - nennenswerte geschäftliche Tätigkeiten fortgesetzt entfalten, die nicht bloß in rein internen Verwaltungstätigkeiten bestehen dürfen, und er muss derartige Tätigkeiten […] vor der ersten Entsendung für einige Zeit ausgeübt haben. Auch der entsandte Dienstnehmer muss ein Naheverhältnis zum Entsendestaat aufweisen, indem er dessen Rechtsvorschriften schon unmittelbar vor dem Beginn der Entsendung unterlegen ist, sei es auf Grund eines Dienstverhältnisses […], sei es aus einem anderen Grund (etwa selbständige Erwerbstätigkeit, Bezug von Arbeitslosengeld, Studium etc.); die Zugehörigkeit zum Entsendestaat soll - um Missbrauch zu vermeiden - mindestens einen Monat lang gedauert haben, […], bei kürzeren Zeiträumen erfolgt eine Bewertung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände (vgl. näher Art. 14 Abs. 1 VO 987/2009; Z 1 Beschluss A2; Pkt. I/5. Entsendeleitfaden). Zwischen dem Dienstgeber und dem Dienstnehmer muss über den Beginn der Entsendung hinaus für deren gesamte Dauer eine arbeitsrechtliche Bindung […] fortbestehen und die Arbeit tatsächlich für den entsendenden Dienstgeber ausgeführt werden […]. Nicht zuletzt darf die voraussichtliche Dauer der Entsendung 24 Monate nicht überschreiten und der entsandte Arbeitnehmer auch nicht eine schon vorher entsandte Person bei derselben Arbeit ablösen (vgl. Pkt. I/2. und I/7. Entsendeleitfaden). Fehlt es an der Erfüllung auch nur einer der soeben erörterten Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 VO 883/2004, so unterliegen entsandte Arbeitskräfte nicht weiterhin den Rechtsvorschriften des Entsendestaats, sondern kommt das Beschäftigungsstaatsprinzip und damit die Rechtsordnung dieses Staats zur Anwendung […].“

3.8 Mit Blick auf diese eben zitierte Entscheidung (Ra 2016/08/0040) wird klar, dass die vom AMS herangezogene Umsatzgrenze als alleiniger Anhaltspunkt die Entscheidung auch dann nicht zu tragen vermöchte, wenn den Zahlen für 2019 zu entnehmen wäre, dass 10,9 % im Entsendestaat erzielt worden sind, wie in der Beschwerde vorgebracht. Dies schon deshalb, weil nach der Rechtsprechung ein einzelnes Merkmal nicht hinreicht, auch nicht der Umsatz, und darüber hinaus, weil es konkret bei diesem Merkmal um den Umsatz „während eines hinreichend charakteristischen Zeitraums“ geht (VwGH 31.07.2014, Ro 2014/08/0003).

Da die Beschwerdeführerin den feststellbaren Geschäftszahlen nach seit Gründung ihre Umsätze jährlich stark erhöhte (mit abflachender Tendenz, aber von 2018 auf 2019 auf immerhin das 2,8-Fache), werden die aus dem Entsendestaat stammenden Umsatzanteile von 2018 (neben denen von 2019) nicht vernachlässigt werden können, es sei denn, es wäre mit Grund anzunehmen, dass 2018 nicht charakteristisch ist. Ferner sind aber auch die dargestellten weiteren Kriterien zumindest dann miteinzubeziehen, wenn die Umsätze in Slowenien im betrachtetem Zeitraum den genannten Wert unterschreiten, weil dann jedenfalls eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist.

3.9 Vor neuerlich abweisenden Entscheidungen wäre – nach Feststellung der aus den Negativfeststellungen der Punkte 1.3 bis 1.5 sich ergebenden fehlenden Sachverhaltsteile – im Rahmen der gebotenen Gesamtschau (VwGH 29.01.2020, Ra 2016/08/0040) auch auf die behaupteten Lohnunterschiede und deren Einfluss auf die Darstellung der internationalen Anteile der Geschäftstätigkeit in der Gewinn- und Verlustrechnung einzugehen sein, zumal es sich bei den in der Rechtsprechung genannten Kriterien um eine demonstrative Aufzählung handelt. („insbesondere“, VwGH 31.07.2014, Ro 2014/08/0003)

Es spricht nichts dagegen, bei großen Unterschieden im Lohn- und Preisniveau eine Vergleichsbasis wie die Zahl der von Kundenseite bezahlten geleisteten Stunden als eines der Kriterien zu verwenden, zumal es nach der eben zitierten Entscheidung (Ro 2014/08/0003) auch zulässig ist, unterschiedliche betriebliche Tätigkeiten zu vergleichen, wobei – beispielsweise – vorkommen kann, dass ein Rechtsträger im Entsendestaat eine nennenswerte Tätigkeit im einschlägigen Sinn entfaltet, indem er dort Reisen veranstaltet, während er im anderen Mitgliedstaat ein Hotel betreibt und dorthin Arbeitnehmer entsendet. Damit wird aber auch der Vergleich unterschiedlich teurer Arbeitsleistungen und ihres Umfangs Teil der Gesamtschau.

3.10 Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z. 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z. 2).

Nach § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Beschwerdevorlage unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

3.11 In den vorliegenden Fällen hat das AMS verkannt, dass der Entscheidung über die EU-Entsendebestätigungen angesichts der weitgehend unbekannten Sachverhalte ein Ermittlungsverfahren voranzugehen gehabt hätte, in welchem geklärt wird, welcher Sachverhalt vorliegt.

Die Feststellungen wären anhand der seitens der Beschwerdeführerin zu erteilenden Auskünfte und im Zweifel beizubringenden Beweise zu treffen gewesen, soweit sich nicht in Akten, die dem AMS aus anderen Verfahren der Beschwerdeführerin vorliegen, bereits Urkunden etc. finden, z. B. der laut Beschwerde dem AMS übermittelte Jahresabschluss 2019. Zu den beabsichtigten Feststellungen wäre der Beschwerdeführerin sodann Parteiengehör zu gewähren gewesen, und zwar unter Verweis auf die Ergebnisse der Beweisaufnahmen.

Ein Parteiengehör, das in einem anderen Verfahren zu einem früheren Zeitpunkt – und sei es auch erfolglos – eingeräumt wurde, lässt das Recht der Beschwerdeführerin auf Gehör in einem neuen Verfahren unberührt, zumal die Reaktion einer Antragstellerin in einem neuen Verfahren nicht auf Basis früherer als sicher angenommen werden darf, weil das einer antizipierten Beweiswürdigung gleichkäme, die unzulässig ist. (VwGH 23.02.2000, 99/03/0325 mwN)

3.12 Das AMS hat demgegenüber lediglich Aktenvermerke angefertigt („legt keine Unterlagen vor“), aus denen hervorgeht, dass sie jeweils bereits am zweiten Tag nach dem Einlangen der Meldung entstanden, aber nicht, welche Unterlagen (in welchem Zusammenhang) das AMS wann verlangt hat, ob die Frage des Vorliegens einer nennenswerten Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat dieser gegenüber thematisiert wurde, und schon gar nicht, ob diese dahingehend manuduziert worden wäre, was branchenbezogen („Eigenart der ausgeübten Tätigkeiten“, Art. 14 VO (EG) Nr. 987/2009) gegebenenfalls von Einfluss auf die Entscheidung ist.

Anschließend ergingen die angefochtenen Bescheide, die keinerlei Feststellung zur Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin und lediglich den Hinweis enthalten, diese habe den Umsatzanteil nicht bzw. trotz Parteiengehör (ohne dass dies den Akten zu entnehmen wäre) nicht nachgewiesen.

Der Sachverhalt war bis dahin bloß ansatzweise ermittelt. Das AMS hat somit im Bescheid keine hinreichende Sachverhaltsfeststellung und deswegen keine auf eine solche aufbauende rechtliche Würdigung vorgenommen, und auch nach Beschwerdeeingang weder Beschwerdevorentscheidungen noch anlässlich der Vorlage(n) eine Stellungnahme verfasst.

3.13 Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell dem des § 66 Abs. 2 AVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2018] § 28 VwGVG Anm. 11). Bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 f AVG sind auch die Bedeutung und die Funktion der Rechtmittelbehör-de ins Kalkül zu ziehen. Die Einräumung eines Instanzenzugs darf nicht mangels sachgerechten Eingehens und brauchbarer Ermittlungsergebnisse [in erster Instanz] „zur bloßen Formsache degradiert“ werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. Als Sachverhalt hat sie daher alle Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 28.07.1994, 90/07/0029 mwH).

Dennoch kommt eine Aufhebung des Bescheids nach § 28 Abs. 2 Z. 1 f VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen, besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (§ 37 AVG) „lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden“. (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063)

Wenn die Behörde keine für die Entscheidung in der Sache brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, dann hat sie damit den entscheidungswesentlichen Sachverhalt sehr unzureichend festgestellt hat, worauf eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG zulässig ist. (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009)

3.14 Wie erwähnt, hat das AMS nur ansatzweise ermittelt. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind auch deshalb nicht gegeben, weil die verwaltungsgerichtliche Entscheidung weder im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, zumal sich weder der Vertreter der Beschwerdeführerin noch nach den Akten einer der Arbeitnehmer im selben Bundesland befinden wie die Gerichtsabteilung und die Beschwerdeführerin selbst den Sitz ohnedies im Ausland hat.

Da somit die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Zurückverweisung aus verwaltungsökonomischen und Gründen des Rechtsschutzes nach § 28 Abs. 3 VwGVG im Fall der mangelhaften Sachverhaltsermittlung.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht EU-Entsendebestätigung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Parteiengehör Umsatz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2237197.1.00

Im RIS seit

27.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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