RS Vfgh 2020/12/10 V436/2020 (V436/2020-15)

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Veröffentlicht am 10.12.2020
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z3
COVID-19-SchulV BGBl II 208/202 §5 Abs1, §7 Abs3, §7 Ab4, §7 Abs6, Anlage B Z4.2
VfGG §7 Abs1, §57 Abs1

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit der Pflicht zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes im Schulgebäude außerhalb der Unterrichtszeit sowie der Teilung der Schulklassen beim Präsenzunterricht mangels Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsgrundlagen durch Nichtvorlage des Verordnungsaktes

Rechtssatz

Minderjährige sind durch die Regelungen über die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung (MNS) im Schulgebäude und über die Teilung von Klassen bzw den abwechselnden Präsenzunterricht unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen. Die angefochtenen Bestimmungen (§5 Abs1 iVm Anlage B, Z4.2 sowie §7 Abs3, 4 und 6 COVID-19-FolgenbewältigungsV idF C-SchVO) betreffen zudem auch die Eltern und Erziehungsberechtigte unmittelbar, die gemäß §61 Abs1 SchUG verpflichtet sind, auf die gewissenhafte Erfüllung der sich aus dem Schulbesuch ergebenden Pflichten des Schülers - sohin auch jene durch die angefochtenen Bestimmungen auferlegten - hinzuwirken. Im Zeitpunkt der Einbringung ihres Antrages beim VfGH, dem 25.05.2020, standen die genannten Bestimmungen der C-SchVO idF BGBl II 208/2020 in Kraft. Mit Kundmachung der Verordnung BGBl II 384/2020, traten die angefochtenen Bestimmungen zur Gänze außer Kraft. Dass §5 Abs1 iVm Anlage B, Z4.2 sowie §7 Abs3, 4 und 6 C-SchVO in der im Zeitpunkt der Antragstellung - richtigerweise - angefochtenen Fassung BGBl II 208/2020 in der Folge außer Kraft getreten sind, schadet mit Blick auf die mit E v 14.07.2020, V411/2020 ua, beginnende Rsp nicht. Zurückweisung: Im Hinblick auf die Anfechtung des §35 C-SchVO, BGBl II 208/2020, wurde lediglich ausgeführt, dass nach dieser Bestimmung die Verordnung rückwirkend mit 16.03.2020 in Kraft und mit Ablauf des Schuljahres 2020/21 außer Kraft trete, sodass keine den Anforderungen des §57 Abs1 VfGG entsprechende Präzisierung des Vorbringens vorliegt.

Vor dem Hintergrund des Art18 Abs2 B-VG (E v 14.07.2020, V363/2020 und V411/2020 ua) hat der BMBWF als Verordnungsgeber die Wahrnehmung seines durch die schulrechtlichen Verordnungsermächtigungen eingeräumten Entscheidungsspielraums insoweit nachvollziehbar zu machen und offen zu legen, als er im Verordnungserlassungsverfahren dokumentiert, auf welcher Informationsbasis die Verordnungsentscheidung fußt und die gebotene Interessenabwägung erfolgt ist. Die Anforderungen dafür dürfen naturgemäß nicht überspannt werden. Vielmehr kommt es darauf an, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Auch dem vorhandenen Zeitdruck kommt entsprechende Bedeutung zu.

Für die Beurteilung des VfGH sind deshalb der Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnungsbestimmungen und die diesen zugrunde liegenden aktenmäßigen Dokumentationen maßgeblich. Zur Beantwortung der Frage, ob die angefochtenen Verordnungsbestimmungen mit der jeweiligen gesetzlichen Grundlage im Einklang stehen, kommt es auch auf die Einhaltung bestimmter Anforderungen der aktenmäßigen Dokumentation im Verfahren der Verordnungserlassung an, sie ist aber kein Selbstzweck. Wenn für die Bewältigung von Situationen, in denen Maßnahmen anhand von Prognosen getroffen werden müssen, der Verwaltung zur Abwehr von möglichen Gefahren gesetzlich erhebliche Spielräume eingeräumt sind, kommt solchen Anforderungen eine wichtige, die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns sichernde Funktion zu.

Der BMBWF hat keine Akten betreffend das Zustandekommen der C-SchVO, BGBl II 208/2020, vorgelegt. Für den VfGH ist daher nicht ersichtlich, welche Entscheidungsgrundlagen den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung geleitet haben, Schülerinnen und Schülern die Verpflichtung aufzuerlegen, in den von der Verordnung genannten Bereichen einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, sowie Schulklassen in zwei Gruppen zu teilen und diese abwechselnd im Präsenzunterricht in der Schule zu unterrichten. Für den VfGH ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Verordnungsgeber die mit den angefochtenen Bestimmungen getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat.

Entscheidungstexte

Schlagworte

COVID (Corona), Verordnungserlassung, Bindung (des Verordnungsgebers), VfGH / Präjudizialität, VfGH / Individualantrag, Determinierungsgebot, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:V436.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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