Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei S***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Matthias Strampfer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei P***** GesmbH, *****, vertreten durch Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, sowie der Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch HOHENBERG STRAUSS BUCHBAUER Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 148.372,18 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der beklagten Partei und der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 2. Oktober 2020, GZ 2 R 132/20d-28, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte wurde von der Klägerin mit der Durchführung von Arbeiten für eine Begrünung auf Dachterrassen von Wohnungen beauftragt. Diese Arbeiten ließ die Beklagte von der Nebenintervenientin bis 2012 durchführen. Die Flachdachabdichtung erfolgte durch die T***** GmbH. Im Spätherbst 2015 kam hervor, dass die Flachdächer unterhalb dieser Terrassen undicht waren. Der von der Klägerin beauftragte Privatgutachter hielt in seinem „Befund“ vom Dezember 2015 unter anderem fest, dass die Flachdachabdichtung zum Teil unsachgemäß durchgeführt worden sei. Bei einer Flachdachabdichtung dürfe im Dachaufbau zwischen Dampfsperre und Dachhaut kein Wasser vorhanden sein. Der Gutachter wies auch darauf hin, dass die Nutzschicht zum Teil auch von anderen Professionisten bzw von den Wohnungseigentümern in Eigenregie durchgeführt worden sei. Es sei nicht eindeutig möglich, den Verursacher für die zu findenden Leckstellen in der Abdichtung festzustellen. Der Gutachter empfahl, die Wassereintritte bis März 2016 zu beobachten.
[2] Mit gesonderter Klage nahm die Klägerin im September 2016 die T***** GmbH in Anspruch. Gegenstand dieses Prozesses (im Folgenden: Vorprozess) war unter anderem die Klärung der Ursache des Schadens. Im Vorprozess kamen die dortigen Streitteile im Dezember 2016 überein, außergerichtlich die Schadensursache zu suchen und einen Privatgutachter zu beauftragen. Die Klägerin teilte dem Gericht im April 2017 das Ergebnis einer wenige Tage zuvor nach Bereinigung der Dachterrassen von der Extensivbegrünung stattgefundenen Leckortsuche mit, wonach die Dachhaut durch mehrere Längsschnitte beschädigt worden sei. Die Klage gegen die T***** GmbH wurde rechtskräftig mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass der Schaden auf mehrere Längseinschnitte in der Dachhaut der Dachterrassen zurückzuführen sei, die jedoch nicht von der T***** GmbH stammten.
[3] Mit der am 31. Oktober 2019 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Schadenersatz und brachte im Wesentlichen vor, dass die Nebenintervenientin als Erfüllungsgehilfin der Beklagten die Dachfolie durch unsachgemäßes Hantieren mit Schneidewerkzeugen beschädigt hätte. Die Klägerin habe kontinuierlich die Ursache des Schadens erforscht und im April 2017 nach Freiräumung des Dachs das Aufschneiden der Dachfolie als Ursache des Schadens herausgefunden, weshalb der geltend gemachte Schadenersatzanspruch nicht verjährt sei.
[4] Die Beklagte und die Nebenintervenientin wandten ua Verjährung ein. Zur Erfüllung ihrer Erkundungsobliegenheit hätte die Klägerin spätestens im März 2016 das Dach abräumen müssen, um die Ursache des Wasserschadens zu ermitteln. Bei einem von ihr einzuholenden Privatgutachten hätte die Klägerin spätestens im August 2016 vom Schaden und vom Schädiger so weit Kenntnis erlangen können, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die dreijährige Verjährungsfrist begonnen habe.
[5] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil (§ 393a ZPO) aus, dass das Klagebegehren nicht verjährt sei. Es hielt fest, dass die Erkundungsobliegenheit des Geschädigten nicht überspannt werden dürfe. Die Klägerin habe zunächst das falsche Werkunternehmen geklagt, dies sei ihr aber nicht anzulasten, da es ex ante zumindest naheliegend gewesen sei, dass jenes Unternehmen, das die Flachdachdichtung hergestellt hatte, für die Undichtheit zumindest mitverantwortlich gewesen sei. In einer Situation, in der bereits ein gerichtliches Gutachten in Aussicht steht, sei es nicht zumutbar, über Privatgutachten weitere mögliche Verursacher erforschen zu müssen. Eine Untätigkeit liege auch schon deshalb nicht vor, weil letztendlich gerade die Verfahrensführung im Vorprozess gegen das andere Unternehmen die nötigen Kenntnisse über eine mögliche Haftung der nun Beklagten ergeben habe.
[6] Das Berufungsgericht bestätigt das Ersturteil und schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Die Klägerin habe aufgrund des von ihr bestellten Privatgutachtens einen möglichen Verursacher auf Schadenersatz geklagt. Im Vorprozess seien Beweisergebnisse über die Ursache und den Verursacher des Schadens zu erwarten gewesen. Es würde die Erkundungsobliegenheit überspannen, wenn man von der Klägerin erwartet, während des Vorprozesses zu verlangen, das (fremde) Dach freizulegen und Beweise gegen einen möglichen anderen Verursacher zu suchen. Ausgehend davon, dass der Klägerin im April 2017 die Beklagte als Person des Beschädigers bekannt geworden sei, sei der Schadenersatzanspruch nicht verjährt. Mangels erheblicher Rechtsfrage sei die ordentliche Revision nicht zulässig.
[7] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die außerordentlichen Revisionen der Beklagten und der Nebenintervenientin, in denen jeweils keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die außerordentliche Revision der Beklagten, gelten aber auch für das Rechtsmittel der Nebenintervenientin, die inhaltlich die gleichen Fragen wie die Beklagte aufwirft.
Rechtliche Beurteilung
[8] 1. Zum Beginn der Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt:
[9] Die Verjährungsfrist beginnt erst mit Kenntnis von Schaden und Schädiger zu laufen. Die Kenntnis muss dabei den ganzen den Anspruch begründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten dem Schädiger anzulastenden Verhalten. Die bloße Erkennbarkeit reicht nicht aus; die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen vermag ihre Kenntnis nicht zu ersetzen. Anderes gilt nur im Rahmen der Erkundigungsobliegenheit. Der Geschädigte darf sich nicht bloß passiv verhalten, wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann. Diesfalls gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Die Erkundigungsobliegenheit darf aber nicht überspannt werden. Sie setzt deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt im Sinn konkreter Verdachtsmomente voraus, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden. Im Regelfall ist der Geschädigte nicht verpflichtet, ein Privatgutachten einzuholen. Ausnahmsweise kann aber, sofern eine Verbesserung des Wissensstands nur so möglich und dem Geschädigten das Kostenrisiko zumutbar ist, auch – nach einer gewissen Überlegungsfrist – die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Obliegenheit des Geschädigten angesehen werden. Letztlich kommt es bei der Frage des Ausmaßes der Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten über den die Verjährungsfrist auslösenden Sachverhalt immer auf die Umstände des Einzelfalls an, sodass in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage in der Qualität des § 502 ZPO vorliegt (vgl dazu zB 3 Ob 33/20d; 4 Ob 1/20f; 4 Ob 96/20a).
[10] 2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die eine Verjährung verneinen, hält sich im Rahmen dieser Grundsätze und wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[11] 2.1 Der Anlassfall ist davon geprägt, dass die Klägerin aufgrund der gutachterlichen Äußerung des von ihr eingeholten Privatgutachtens zunächst das für die Abdichtung des Flachdachs verantwortliche Unternehmen klagsweise in Anspruch genommen hat, zumal der Privatgutachter die im Anlassfall vorgenommene Flachdachabdichtung als unsachgemäß kritisierte, was ein jedenfalls naheliegendes Vorgehen darstellt. Konkrete Verdachtsmomente für ein (mögliches) Fehlverhalten der Beklagten (bzw der Nebenintervenientin) im Zusammenhang mit der nachträglichen Beschädigung der Dachhaut lagen zum damaligen Zeitpunkt hingegen nicht vor; vielmehr musste die Klägerin eine Verursachung der Beschädigung der Flachdachabdichtung durch ein – wie hier zu prüfendes – derart sorgloses Vorgehen (wessen immer), dessen Folgen (mehrfache Schnitte in der Dachhaut) dem Verursacher nicht verborgen bleiben konnten, nicht ernstlich in Betracht ziehen.
[12] 2.1.1 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Klägerin erstmals im April 2017 einen Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und einem der Beklagten (allfälligen) vorwerfbaren Verhalten herstellen hätte können, ist jedenfalls vertretbar.
[13] 2.1.2 Es hält sich auch im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung, wenn die Vorinstanzen es als Überspannung der Erkundigungsobliegenheiten ansehen, würde man von der Klägerin erwarten, während eines Prozesses, in dem die Schadensursache geklärt wird, darüber hinaus (auch) Beweise gegen mögliche andere Verursacher zu erheben. Vom Obersten Gerichtshof wurde bereits klargestellt, dass mit der Einleitung eines Prozesses, der den Geschädigten im Ergebnis in Kenntnis von einem schadenskausalen Verhalten gesetzt hat, (ungeachtet möglicher Alternativen) einer allfälligen Erkundigungsobliegenheit jedenfalls ausreichend entsprochen wird (4 Ob 159/17m).
[14] 2.2 Aus den in den Rechtsmitteln zitierten Entscheidungen ist für den Standpunkt der Revisionswerber nichts zu gewinnen. Die Entscheidungen 7 Ob 249/01w, 10 Ob 22/03p und 4 Ob 92/19m sind von den jeweils dort vorliegenden Konstellationen geprägt. Daraus ist nicht abzuleiten, dass ein Geschädigter, der nach der Zuziehung eines Sachverständigen einen potentiellen Schädiger klagsweise in Anspruch nimmt, darüber hinaus noch umfassend untersuchen muss, ob Dritte (auch) eine Schadensursache gesetzt haben könnten.
[15] 2.2.1 In der Entscheidung 7 Ob 249/01w beschäftigte sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, ob der Geschädigte verpflichtet ist, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Demnach setzt eine solche Verpflichtung voraus, dass die Annahme eines durch ein Sachverständigengutachten auch tatsächlich beweisbaren Verschuldens des späteren Beklagten so nahelag, dass das Kostenrisiko dem späteren Kläger auch zumutbar ist. Dies wurde im Anlassfall verneint.
[16] Für den Standpunkt der Beklagten ist daraus nichts abzuleiten. Die Vorinstanzen sind jedenfalls vertretbar davon ausgegangen, dass die Klägerin durch die Beiziehung eines Gutachters und die anschließende Klagseinbringung gegen die T***** GmbH nicht gegen eine allfällige Erkundungsobliegenheit verstoßen hat.
[17] 2.2.2 Auch die Entscheidung 10 Ob 22/03p kann den Standpunkt der Beklagten nicht stützen. Hier wurde klargestellt, dass der Geschädigte nach einer gewissen Überlegungsfrist auch verpflichtet sein kann, ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn davon die Beweisbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen zu erwarten ist und ihm das Kostenrisiko zumutbar ist. Eine solche Verpflichtung wurde in der zitierten Entscheidung für die dort vorgelegene Konstellation (jahrelange, erfolglose Versuche, die Schadensursachen zu klären und zu beseitigen) bejaht. Der Oberste Gerichtshof betonte dabei, es ist nicht zu erwarten, dass durch bloßes weiteres Zuwarten der Wissensstand über die Schadensursachen erhöht werden hätte können.
[18] Auch diese Entscheidung ist nicht einschlägig. Die Vorgangsweise der Klägerin (Beziehung eines Gutachters mit anschließender Klage gegen einen wahrscheinlichen Schädiger), die im April 2017 zur Klärung der Ursache geführt hat, war jedenfalls kein „bloßes weiteres Zuwarten“.
[19] 2.2.3 Der Entscheidung 4 Ob 92/19m lag entgegen der Ansicht der Beklagten nicht der „nahezu idente Sachverhalt“ zugrunde. Vielmehr trat der dortige Wasserschaden wegen des Fehlens von Abdichtungen ein, wobei der dortigen Geschädigten dieses Fehlen bereits zwei Jahre vor dem Auftreten der Schäden bekannt war. Deshalb wäre der Geschädigten der Kausalzusammenhang zwischen dem Planungs- und Ausführungsmangel und den Wassereintritten bereits aufgrund der aufgetretenen Schäden erkennbar gewesen.
[20] Im hier vorliegenden Fall ist die Klägerin wohl zunächst (ebenfalls) davon ausgegangen, dass der Wasserschaden wegen einer mangelhaften Abdichtung erfolgt ist. Sie konnte aber aufgrund des Schadensbilds nicht auf die wahre Schadensursache schließen (Schnitte in der wasserführenden Ebene), sodass für den Standpunkt der Beklagten auch aus 4 Ob 92/19m nichts abzuleiten ist.
[21] 3.1 Die Beklagte vermisst Feststellungen zum Vorbringen der Klägerin im Vorprozess. Der geltend gemachte Feststellungsmangel liegt nicht vor. Den begehrten Feststellungen fehlt die Relevanz, weil sich auch aus dem im Rechtsmittel referierten Vorbringen der Klägerin im Vorprozess kein Verstoß gegen eine Erkundigungsobliegenheit im Zusammenhang mit einem (möglichen) schadensursächlichen Verhalten der Beklagten oder ihrer Erfüllungsgehilfin ableiten lässt.
[22] 3.2 Das gilt auch für den Zeitpunkt des Beitritts der Beklagten als Nebenintervenientin im Vorprozess. Abgesehen davon, dass der Zeitpunkt ihres Beitritts im Juli 2017 unstrittig ist und daher nicht festgestellt werden musste, vermag die Beklagte durch den Hinweis auf den Zeitpunkt ihres Beitritts im Vorprozess einen Verstoß gegen eine Erkundungsobliegenheit nicht schlüssig erklären. Entsprechendes gilt für den Zeitpunkt ihres Ablehnungsschreibens.
Textnummer
E130418European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00195.20B.1210.000Im RIS seit
27.01.2021Zuletzt aktualisiert am
27.01.2021