Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart des Schriftführers Dr. Koller in der Strafsache gegen Sascha S***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Jugendschöffengericht vom 26. Mai 2020, GZ 10 Hv 9/20a-16, sowie über dessen Beschwerde gegen einen zugleich gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Ulrich, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Dr. Mauhart
I./ zu Recht erkannt:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Hinsichtlich des im Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 26. Mai 2020, GZ 10 Hv 9/20a-16, ergangenen Schuldspruchs I./ wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Strafverfahrens verfügt.
Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in der den Schuldspruch I./ betreffenden Annahme gewerbsmäßiger Tatbegehung und somit in der darauf gegründeten Subsumtion der Tat auch unter § 28a Abs 2 Z 1 SMG (ersatzlos), demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich des Beschlusses auf Widerruf einer bedingten Entlassung) aufgehoben und insoweit in der Sache selbst erkannt:
Spruch
Sascha S***** wird für das ihm nach den unberührt bleibenden Schuldsprüchen wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (I./) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 28a Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von
16 (sechzehn) Monaten
verurteilt.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
II./ den
B e s c h l u s s
gefasst:
Gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO wird die dem Angeklagten zu AZ 38 BE 61/18x des Landesgerichts Steyr gewährte bedingte Entlassung widerrufen.
Mit seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Freisprüche des Angeklagten enthält, wurde Sascha S***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG (I./) und mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in S***** vorschriftswidrig Suchtgift
I./ gewerbsmäßig in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) 9,42-fach übersteigenden Menge anderen überlassen, wobei er schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt wurde, indem er
1./ von 19. Oktober 2018 bis Februar 2019 in mehreren Angriffen insgesamt 250 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 10,33 % THCA und 0,79 % Delta-9-THC Benjamin W***** überließ;
2./ von März 2019 bis 25. November 2019 in zahlreichen Angriffen insgesamt 2.915 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 10,33 % THCA und 0,79 % Delta-9-THC an Benjamin W*****, Lukas H*****, Christoph Wi***** und weitere namentlich nicht bekannte Abnehmer zu einem Grammpreis von 10 Euro überließ;
II./ von 19. Oktober 2018 bis 16. März 2020 insgesamt zumindest 403 Gramm 10,33 % THCA und 0,79 % Delta-9-THC-hältiges Cannabiskraut und Kokain in unbekannter Menge erworben und ausschließlich zum persönlichen Gebrauch in Form des Eigenkonsums bzw bis zur Sicherstellung besessen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus Z 5a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.
[4] Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich darin, die beweiswürdigenden Überlegungen des Schöffensenats, wonach der Angeklagte zwar an Suchtmittel gewöhnt war, aber den Suchtgifthandel nicht vorwiegend deshalb betrieb, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen (US 9 f), mit eigenständigen Spekulationen zu bemängeln. Solcherart weckt sie aber keine erheblichen Bedenken gegen den Ausspruch über entscheidende Tatsachen.
[5] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) die Nichtannahme der Privilegierungsvoraussetzungen nach § 28a Abs 3 zweiter Fall SMG mit dem Argument kritisiert, das Erstgericht hätte „in dubio pro reo“ Feststellungen dazu treffen müssen, dass der Angeklagte den Suchtgifthandel zur Deckung seines Eigenbedarfs durchgeführt hat, verfehlt sie eine prozesskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit (vgl RIS-Justiz RS0099756).
[6] Der Einwand der Sanktionsrüge (Z 11 dritter Fall), das Erstgericht habe die Anwendung des § 43a Abs 4 StGB „generell verneint“, trifft nicht zu (vgl US 12 f). Die Kritik, wonach der Schöffensenat trotz positiver Bewertung des Nachtatverhaltens des Angeklagten über diesen eine negative Spezialprognose ausgestellt hat, richtet sich gegen richterliches Strafzumessungsermessen und enthält solcherart ein bloßes Berufungsvorbringen (vgl Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.238).
[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.
[8] Gemäß § 362 Abs 1 Z 1 StPO ergaben sich jedoch für den Obersten Gerichtshof schon bei der vorläufigen Beratung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil in Bezug auf die gewerbsmäßige Begehungsweise (§ 28a Abs 2 Z 1 SMG) zugrunde gelegten Tatsachen:
[9] Denn das Erstgericht stellte einerseits (in Übereinstimmung mit der Aktenlage) fest, dass der – mit Additionsvorsatz handelnde – Angeklagte das Suchtgift kontinuierlich über einen Tatzeitraum von mehr als einem Jahr in – die Grenzmenge (§ 28b SMG) jeweils nicht übersteigenden – Teilmengen anderen überlassen hat, wobei er auf diese Weise (insgesamt) ein die Grenzmenge mehr als 9-fach übersteigendes Suchtgiftquantum in Verkehr setzte (US 6).
[10] Andererseits gingen die Tatrichter (mit Blick auf die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG) davon aus, dass der Angeklagte die „nunmehrigen Taten“ (im Hinblick auf die festgestellte tatbestandliche Handlungseinheit ersichtlich gemeint: die Tat [vgl dazu Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.204 mwN]) in der Absicht beging, sich durch wiederkehrendes Inverkehrsetzen von „bereits je für sich“ die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Suchtgiftquanten über längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen (US 6). Diese Annahme leitete das Erstgericht im Wesentlichen aus dem objektiven Tatgeschehen (langer Tatzeitraum, mehr als 9-faches Überschreiten der Grenzmenge) ab (US 10).
[11] Die auf einer solchen Sachverhaltsbasis getroffene (vom Angeklagten unangefochten gebliebene) Konstatierung einer qualifizierten Gewinnerzielungsabsicht iSd § 28a Abs 2 Z 1 erster Halbsatz SMG begegnet (in Ermangelung anderer, in diese Richtung weisender Verfahrensergebnisse) erheblichen Bedenken, weil sie allein vom Umstand, dass der Angeklagte seinen Suchtgifthandel über ein Jahr lang stets nur mit kleineren Mengen betrieb, gerade nicht getragen, sondern vielmehr konterkariert wird.
[12] Es war daher im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Angeklagten zu verfügen und das Urteil wie im Spruch ersichtlich aufzuheben.
[13] Da die Feststellung gewerbsmäßiger Tatbegehung (§ 28a Abs 2 Z 1 erster Halbsatz SMG) nach der Aktenlage auch nach Abführung eines abermaligen Ermittlungsverfahrens (§ 362 Abs 4 iVm § 358 Abs 2 StPO; RIS-Justiz RS0131440) keinesfalls zu erwarten ist (vgl RIS-Justiz RS0100239), konnte sofort mit einer Verurteilung nach einem milderen Strafsatz (§ 28a Abs 1 SMG) vorgegangen werden (§ 362 Abs 2 StPO).
[14] Bei der erforderlichen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen strafbarer Handlungen sowie den langen Tatzeitraum (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und die einschlägige Vorstrafenbelastung des Angeklagten samt raschem Rückfall (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB). Mildernd wirkten das Alter unter 21 Jahren (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB) und die geständige Verantwortung des Angeklagten (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB).
[15] Unter Berücksichtigung des Gewinnstrebens (§ 32 Abs 2 StGB), das der Angeklagte im Zusammenhang mit dem ihm laut Schuldspruch I./ zur Last liegenden Verhalten an den Tag legte, sah sich der Oberste Gerichtshof zur Verhängung einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten bestimmt.
[16] Schon mit Blick auf die bereits mehrfach erfolgten Verlängerungen von Probezeiten bedurfte es aus spezialpräventiven Gründen zusätzlich des Widerrufs der dem Angeklagten zu AZ 38 BE 61/18x des Landesgerichts Steyr gewährten bedingten Entlassung.
[17] Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Angeklagte auf diese Entscheidungen zu verweisen.
[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Die außerordentliche Wiederaufnahme ist davon nicht betroffen.
Textnummer
E130402European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00082.20F.1216.000Im RIS seit
27.01.2021Zuletzt aktualisiert am
27.01.2021