TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/26 95/11/0109

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Veröffentlicht am 26.06.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §58 Abs2;
KFG 1967 §66 Abs2 lite;
KFG 1967 §73 Abs3;
VStG §5 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 17. Februar 1995, Zl. VerkR-391.365/2-1994-Si, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 für vier Monate (ab Zustellung des Mandatsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land vom 17. August 1993) vorübergehend entzogen.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die bekämpfte Maßnahme beruht auf der - unbestrittenen - Annahme, der Beschwerdeführer habe am 9. August 1993 gegen

22.35 Uhr ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt (gemessener Alkoholgehalt der Atemluft 0,57 mg/l) und damit eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 gesetzt. Strittig ist die weitere Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe hiebei einen Verkehrsunfall mit Sachschaden (an dem von ihm gelenkten Kraftfahrzeug) verschuldet, sodaß entgegen seiner Ansicht trotz erstmaliger Begehung eines Alkoholdeliktes eine Entziehung für die Dauer von 4 Wochen nicht in Betracht komme.

Der Beschwerdeführer begründet wie schon im Verwaltungsverfahren das Fehlen eines Verschuldens damit, daß das Abkommen von der Fahrbahn durch ein ihm in Fahrbahnmitte mit Fernlicht entgegenkommendes Fahrzeug veranlaßt worden sei und ihn demnach am Verkehrsunfall kein Verschulden treffe. In diesem Zusammenhang bemängelt der Beschwerdeführer an sich zu Recht die durch die Aktenlage nicht gedeckte Feststellung der belangten Behörde, der an seinem Fahrzeug entstandene erhebliche Schaden sei darauf zurückzuführen, daß der Beschwerdeführer nach dem Abkommen von der Straße "gegen einen Baum geprallt" sei. Dieser Mangel ist jedoch nicht wesentlich, weil im gegebenen Zusammenhang die konkrete Ursache für den Schaden am Fahrzeug des Beschwerdeführers ohne Belang ist. Wesentlich ist insoweit nur, daß infolge Abkommens des Beschwerdeführers von der Fahrbahn an seinem Fahrzeug ein Schaden entstanden und somit vom Vorliegen eines Verkehrsunfalles auszugehen ist. Diese durch die Aktenlage gedeckte Annahme der belangten Behörde wird vom Beschwerdeführer nicht bekämpft.

Zur Frage des Verschuldens des Beschwerdeführers am Verkehrsunfall führte die Erstbehörde im Bescheid vom 19. April 1994 unter Bezugnahme auf das im Zuge eines Lokalaugenscheines am 10. Jänner 1994 erstattete Gutachten eines verkehrstechnischen Amtssachverständigen aus, zum Zeitpunkt der bei Straßenkilometer 0,906 anzunehmenden "Reaktionsaufforderung" habe sich das dem Beschwerdeführer in einer Linkskurve entgegenkommende Fahrzeug noch außerhalb seines Sichtbereiches befunden. Der Beschwerdeführer habe zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erkennen können, daß nur durch ein Auslenken seines Fahrzeuges über den Fahrbahnrand hinaus ein Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden Fahrzeug vermieden werden könne. Zu diesem Zeitpunkt wäre daher die Einleitung einer Bremsung und ein Anhalten am rechten Fahrbahnrand, nicht jedoch das Auslenken über diesen hinaus die den Umständen angemessene Reaktion gewesen.

Der Beschwerdeführer hielt dem in der Berufung entgegen, die zugrundeliegenden Darlegungen des Sachverständigen beträfen die Frage, ob seine Abwehrreaktion angemessen gewesen wäre, wenn bei "Reaktionsaufforderung" das entgegenkommende Fahrzeug noch außer Sichtweite gewesen wäre. Tatsächlich habe er durchgehend vorgebracht, er habe beim Erblicken der Lichtquellen des ihm mit Fernlicht in der Fahrbahnmitte entgegenkommenden Fahrzeuges mit dem Ausweichmanöver reagiert, und nicht auf ein noch außer Sichtweite befindliches Fahrzeug. Letzteres wäre nicht nur unsinnig, es widerspräche auch der Lebenserfahrung, weil eine derartige Ausweichreaktion erfahrungsgemäß erst nach dem Erkennen einer akuten Gefahr erfolge. Als er die Lichtquellen des entgegenkommenden Fahrzeuges gesehen habe, sei dieses ca. 72 m entfernt gewesen. Wenn es gleich schnell gefahren sei wie er (ca. 60 km/h), dann habe er, sofern man mit dem Sachverständigen den "Reaktionsaufforderungspunkt" bei etwa Straßenkilometer 0,906 annehme, ohne Reaktionsverzögerung eine Abwehrhandlung eingeleitet. Bei den genannten Geschwindigkeiten werde die Fahrstrecke von 72 m in 2,16 Sekunden zurückgelegt (bis zur Begegnung der Fahrzeuge). Dies bestätige die Richtigkeit der vom Sachverständigen geäußerten Ansicht, daß dann, wenn das andere Fahrzeug dem Beschwerdeführer innerhalb der Sichtstrecke von 72 m in der Fahrbahnmitte entgegengekommen sei, das Auslenken nach rechts über den Straßenrand hinaus die einzige Möglichkeit gewesen sei, einen Zusammenstoß zu verhindern.

Die belangte Behörde ist in der Begründung auf dieses Vorbringen in keiner Weise eingegangen; sie hat sich vielmehr im wesentlichen mit der Wiederholung des bereits von der Erstbehörde Gesagten begnügt. Darin liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel. Es kann nämlich mangels konkreter Feststellungen über die von der belangten Behörde als erwiesen angenommene Situation beim Ansichtigwerden des entgegenkommenden Fahrzeuges derzeit nicht beurteilt werden, ob das von ihr als angemessen erachtete Alternativverhalten (Abbremsen des Fahrzeuges und Anhalten am rechten Fahrbahnrand) genügt hätte, einen Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden Fahrzeug zu vermeiden, bzw. ob ein derartiges Verhalten angesichts der gegebenen Umstände dem Beschwerdeführer auch zumutbar war. Nur bei Bejahung beider Fragen wäre die Annahme eines Verschuldens des Beschwerdeführers am Abkommen von der Fahrbahn und damit am Verkehrsunfall berechtigt.

Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995110109.X00

Im RIS seit

19.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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