Entscheidungsdatum
28.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I403 2211472-1/18Z
Teilerkenntnis
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Sierra Leone, vertreten durch die „Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH“ und „Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH“, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.11.2019 sowie am 17.09.2020,
A)
zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
den Beschluss gefasst:
II. Das Verfahren wird in Bezug auf die Spruchpunkte IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Bezirksgerichts XXXX im Verfahren zur Zl. XXXX hinsichtlich der Obsorge für die Tochter des Beschwerdeführers, XXXX , ausgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, stellte am 22.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen mit Familienstreitigkeiten sowie einer für ihn daraus resultierenden Gefahr einer Verfolgung durch Mitglieder des Oje-Kultes in seinem Herkunftsstaat begründete.
Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 16.11.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß „§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß „§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG“ wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Sierra Leone abgewiesen (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß „§ 57 AsylG“ nicht erteilt. Gemäß „§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß „§ 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß „§ 52 Abs. 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß „§ 46 FPG“ nach Sierra Leone zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde gemäß „§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG“ mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 13.12.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.
Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.09.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung I403 neu zugewiesen.
Am 29.11.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers sowie seiner zum damaligen Zeitpunkt von ihm schwangeren Lebensgefährtin als Zeugin abgehalten. Aufgrund von Verständigungsproblemen zwischen dem Beschwerdeführer und dem Dolmetscher wurden hierbei lediglich die Zeugin befragt sowie mit dem anwesenden Rechtsvertreter Beweisanträge sowie die allgemeine Lage im Herkunftsstaat erörtert.
Am 14.04.2020 kam die Tochter des Beschwerdeführers in Österreich zur Welt.
Am 17.09.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine weitere mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers sowie seiner Lebensgefährtin als Zeugin abgehalten und die Beschwerdesache erörtert. Hierbei gab der Beschwerdeführer erstmalig an, auch von den staatlichen Behörden in Sierra Leone gesucht zu werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person und zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Sierra Leone. Er ist ledig, Angehöriger der Volksgruppe der Limba und bekennt sich zum christlichen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.
Er leidet an keiner lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung und ist erwerbsfähig. Aufgrund eines Infekts der Atemwege verwendet er einen Spray mit den Wirkstoffen Beclometasondipropionat und Formoterolfumarat. Asthma-Erkrankungen sind in Freetown behandelbar.
Er stammt aus Freetown, wo er bis zu seiner Ausreise gelebt, sechs Jahre die Schule besucht und seinen Lebensunterhalt als Maurer und Elektriker sowie Betreiber eines Motorradverleihs bestritten hat. Zudem ist er gelernter Metallarbeiter. Die Stiefmutter sowie mehrere Halbgeschwister des Beschwerdeführers halten sich nach wie vor in Sierra Leone auf. Überdies steht er über soziale Medien in Kontakt zu Freunden in seinem Herkunftsstaat.
Der Beschwerdeführer hat eine am XXXX 2020 in Österreich geborene Tochter mit der österreichisch-polnischen Doppelstaatsbürgerin E. U., mit welcher er zu keinem Zeitpunkt in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Bei der gemeinsamen Tochter handelte es sich um eine Frühgeburt und hatte sie mit diversen medizinischen Komplikationen wie Hirnblutungen und Asphyxie (Anm.: Zustand mit Atemdepression bis –stillstand) zu kämpfen. Sie besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft, steht unter der vorläufigen Obsorge der Kinder- und Jugendhilfe und ist gegenwärtig in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. E. U. lebt mit zwei weiteren Kindern aus früheren Beziehungen bei ihrer Mutter in Polen und besucht die gemeinsame Tochter in Österreich mit dem Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt zweimal wöchentlich. Das Obsorgeverfahren hinsichtlich der Tochter ist nach wie vor unter der Zl. XXXX am Bezirksgericht XXXX anhängig. E. U. und der Beschwerdeführer sehen sich im Rahmen der wöchentlichen Österreich-Besuche von E. U. und stehen in regelmäßigem telefonischen Kontakt. Sowohl für E. U. als auch für den Beschwerdeführer kommt auch eine Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens in Polen in Betracht, nachdem dieser sich gut mit ihrer Mutter und ihren beiden weiteren Kindern versteht.
Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, gesellschaftlicher sowie kultureller Hinsicht auf. Er hat diverse Sprach- und Alphabetisierungskurse besucht, kann jedoch kein Deutsch-Zertifikat vorweisen. Überdies hat er sich ehrenamtlich in einer Caritas-Hilfseinrichtung betätigt und ist Mitglied der „Union XXXX “.
Er ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach und bestreitet seinen Lebensunterhalt seit seiner Einreise über die staatliche Grundversorgung.
Er ist strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer hat Sierra Leone nicht aufgrund der Gefahr einer Verfolgung durch Familienangehörige, Mitglieder des Oje-Kultes oder die staatlichen Behörden verlassen. Sein entsprechendes Vorbringen ist nicht glaubhaft. Er hat seinen Herkunftsstaat aus wirtschaftlichen Erwägungen verlassen.
Es besteht auch keine reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Zur aktuellen Lage in Sierra Leone werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:
Politische Lage
Sierra Leone ist eine Präsidialdemokratie mit einem Mehrparteiensystem. Der Präsident wird direkt vom Volk gewählt und ist zugleich Staatsoberhaupt und Regierungschef. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen finden gleichzeitig alle fünf Jahre statt (GIZ 6.2018a; vgl. AA 3.2017a). Die Verfassung aus dem Jahre 1991 gilt noch heute und setzt sich aus britischen und amerikanischen Elementen zusammen. Es gibt eine horizontale Gewaltenteilung mit Legislative, Exekutive und Judikative. Das Parlament als legislative Gewalt hat eine Kammer mit 144 Sitzen, von denen 132 Sitze für direkt gewählte Abgeordnete bestimmt sind (GIZ 6.2018a), zwölf Sitze sind für die Vertretung der Paramount Chiefs reserviert (GIZ 6.2018a; vgl. AA 3.2017a). Diese zwölf Abgeordneten vertreten die Paramount Chiefs der 190 Chiefdoms, wobei die Paramount Chiefs in den einzelnen Chiefdoms wiederum vom Volk auf Lebenszeit gewählt werden (GIZ 6.2018a).
Die Präsidentschaftswahl gewann 2018 Julius Maada Bio von der Sierra Leone People's Party (SLPP) im 2. Wahlgang. Er wurde am 4. April 2018 zum neuen Präsidenten Sierra Leones ernannt. Er löst Ernest Bai Koroma vom All People's Congress (APC) ab, der nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal kandidieren durfte. Parteipolitisch ist Sierra Leone hauptsächlich in zwei Lager geteilt. Während der APC tendenziell als Partei der Temne im Norden gilt, hat die SLPP ihr Wählerklientel vorwiegend bei den Mende im Süden und Südosten des Landes. Beide Parteien sind politisch vorbelastet. Das Einparteiensystem und die Misswirtschaft der APC haben letztlich zum Bürgerkrieg geführt. Die SLPP stand danach zunächst für eine Erneuerung und den Frieden. Allerdings wird auch ihr vorgeworfen, dass sich ihre Führung während der Regierungszeit hemmungslos bereichert hat (GIZ 6.2018a).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (3.2017a): Sierra Leone – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 26.6.2018
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 26.6.2018
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage ist im ganzen Land stabil (AA 3.2017a). Das französische Außenministerium bewertet lediglich die Lage im direkten Grenzgebiet zu Liberia als instabil (FD 27.6.2018). Das deutsche Auswärtige Amt nennt keine relevanten Sicherheitsprobleme (AA 26.6.2018). Laut österreichischem Außenministerium herrscht im ganzen Land ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 27.6.2018). Armee und Polizei sind landesweit stationiert und haben nach dem vollständigen Abzug der UN-Friedenstruppen die Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit übernommen (AA 3.2017a; vgl. EDA 27.6.2018).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (3.2017a): Sierra Leone – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 27.6.2018
- AA – Auswärtiges Amt (26.6.2018): Sierra Leone: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/sierraleonesicherheit/203500, Zugriff 26.6.2018
- BMEIA – Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (27.6.2018): Reiseinformationen Sierra Leone, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/sierra-leone/, Zugriff 27.6.2018
- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (27.6.2018): Reisehinweise Sierra Leone, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/sierra-leone/reisehinweise-fuersierraleone.html, Zugriff 27.6.2018
- FD – France Diplomatie (27.6.2018): Conseils aux voyageurs – Sierra Leone – Sécurité, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/sierra-leone/, Zugriff 27.6.2018
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassung gewährleistet eine unabhängige Justiz, diese ist jedoch zeitweise der Einflussnahme seitens der Exekutive ausgesetzt (USDOS 20.4.2018; vgl. GIZ 6.2018a). Bei Gerichtsverfahren kommt es immer wieder zu Einmischungsversuchen durch die Politik (GIZ 6.2018a).
Das Rechtssystem Sierra Leones ist im Wesentlichen geprägt von der Koexistenz dreier Systeme: dem staatlichen (Ebene der Distrikte); dem traditionellen (Ebene der Chiefdoms); und vereinzelt dem islamischen Recht. Das staatliche Justizsystem basiert auf dem britischen Common Law und besteht aus einem mehrstufigen Instanzenzug. Die Richter für die drei höchsten Gerichte werden vom Präsidenten ernannt, müssen aber vom Parlament bestätigt werden. Die Gerichte auf der Ebene der Chiefdoms sind mit Laienrichtern besetzt. Gegen Urteile kann Berufung eingelegt werden (GIZ 6.2018a). Die traditionelle Justiz funktioniert – v.a. in ländlichen Gebieten. Die dort geführten Prozesse sind generell fair, es kommt aber in vielen Fällen zu Bestechung und Korruption (USDOS 20.4.2018).
Die Judikative befindet sich seit dem Ende des Bürgerkrieges in einer Reform. Sie leidet unter zu wenig Personal und materiellen Ressourcen. Außerdem sind Korruption und Vetternwirtschaft auf allen politischen Ebenen weit verbreitet (GIZ 6.2018a).
Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen. Gerichtsverfahren sind öffentlich. Für Angeklagte gilt generell die Unschuldsvermutung. Sie haben das Recht auf Vertretung durch und rechtzeitige Konsultation mit einem Anwalt. Gesetzlich müssen Anwälte auf Staatskosten zur Verfügung gestellt werden, sofern sich der Angeklagte keinen Anwalt leisten kann. In der Praxis funktionierte dies nicht durchwegs. Angeklagte haben üblicherweise nicht die Möglichkeit, ihre Verteidigung angemessen vorzubereiten (USDOS 20.4.2018). Der Zugang der Bevölkerung zu den Justizbehörden wird generell durch einen Mangel an Richtern, langwierige Verfahren und allgemein zu geringe Kapazitäten im Bereich der Strafverfolgung und der örtlichen Gerichte behindert (GIZ 6.2018a).
Quellen:
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 26.6.2018
- USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 26.6.2018
Sicherheitsbehörden
Die Polizei (SLP/Sierra Leone Police) unter dem Ministry of Internal Affairs ist für die innere Sicherheit zuständig (GIZ 6.2018a; vgl. USDOS 20.4.2018). Allerdings herrschen auch hier korrupte Strukturen vor (GIZ 6.2018a). Die Polizei ist schlecht ausgerüstet und es mangelt ihr an ausreichenden investigativen und kriminalistischen Kapazitäten sowie der Fähigkeit zur Eindämmung von Unruhen (USDOS 20.4.2018).
Für die äußere Sicherheit ist die Armee (RSLAF/Republic of Sierra Leone Armed Forces) unter dem Ministry of Defence and National Security zuständig (GIZ 6.2018a; vgl. USDOS 20.4.2018). Sie hat aber auch einige Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit durch das Programm "Military Aid to Civil Power", welches auf Anfrage die Unterstützung der Polizei unter außergewöhnlichen Umständen genehmigt. Zivile Behörden kontrollieren SLP und RSLAF und die Regierung verfügt über Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Korruption und Misshandlungen. Trotzdem ist Straffreiheit weiterhin ein Problem (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 26.6.2018
- USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 26.6.2018
Folter und unmenschliche Behandlung
Verfassung und Gesetze verbieten Folter und unmenschliche Behandlung, es gibt allerdings Berichte, wonach Polizei und andere Sicherheitskräfte exzessive Gewalt anwenden. Es gibt Berichte, wonach Beamte für mehrere willkürliche oder extralegale Tötungen verantwortlich ist. Die Regierung unternahm Schritte, um die Verantwortlichkeit der Polizei zu stärken. In der Praxis werden jedoch seitens der Regierung Polizeibeamte nicht zur Verantwortung gezogen, so willkürlich oder übermäßig diese Gewalt anwenden (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 28.4.2017
Korruption
Gesetzlich sind Strafen für behördliche Korruption vorgesehen. Die Regierung schafft es jedoch nicht, das Gesetz wirksam umzusetzen. Trotz einiger gut dokumentierter Korruptionsfälle sind Beamte häufig korrupt und gehen straffrei aus. Korruption bleibt somit weiterhin ein ernstes Problem (USDOS 20.4.2018).
Die Anti-Corruption Commission (ACC) beschuldigte im August 2016 zwei Beamte wegen Verschwörung, der Begehung eines Korruptionsdeliktes und der Unterschlagung von öffentlichem Eigentum. Einer der Beamten wurde verurteilt und mit einer Geldstrafe von 30 Millionen Leones (4.000 Dollar) belegt, und der andere Fall wurde fortgeführt. Am 31. August 2017 beschuldigte die ACC auch Beamte der NGOs PLAN International Sierra Leone und The Needy Today mit der Unterschlagung von Geldern für Ebola-Überlebende (USDOS 20.4.2018). Auf dem Index von Transparency International befand sich Sierra Leone im Jahr 2016 auf Rang 130 von 180 untersuchten Ländern (TI 2017).
Quellen:
- TI – Transparency International (21.2.2018): Corruption Perceptions Index 2017, Sierra Leone, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017, Zugriff 26.6.2018
- USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 26.6.2018
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
In Sierra Leone entwickelte sich eine umfangreiche Szene zivilgesellschaftlich aktiver Gruppen. NGOs bemühten sich schon während des Bürgerkrieges um die Wiederherstellung des Friedens. Auch bei der kritischen Begleitung des darauffolgenden Versöhnungsprozesses spielte die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Die Zivilgesellschaft in Sierra Leone beinhaltet zum einen spezifische, historisch gewachsene Strukturen wie Geheimbünde, zum anderen neuere Strukturen wie die oben angesprochenen NGOs (GIZ 6.2018a). Eine Reihe von inländischen und internationalen Menschenrechtsgruppen arbeitet im Allgemeinen ohne staatliche Einschränkungen, untersuchen Menschenrechtsfälle und veröffentlichen ihre Ergebnisse. Beamte sind oft kooperativ, gehen auf Ansichten lokaler und internationaler NGOs ein und erkennen angesprochene Probleme an (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 27.6.2018
- USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018
Ombudsmann
Das parlamentarische Menschenrechtskomitee arbeitet ohne Einmischung der Regierung oder der Parteien und soll die Menschenrechte fördern und Vergehen aufzeigen. Das Komitee bemüht sich, Menschenrechtsfragen auf der parlamentarischen Agenda zu halten und ebnet den Weg für Gesetzesänderungen oder die Ratifizierung internationaler Konventionen. (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 28.4.2017
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Menschenrechtelage hat sich nach dem Ende des Bürgerkriegs in vielen Bereichen deutlich verbessert. Die Regierung Sierra Leones hat 2006 die "Human Rights Commission of Sierra Leone" ins Leben gerufen. Eine Ausnahme im Hinblick auf die insgesamt positive Menschenrechtsentwicklung ist vor allem die in Gesellschaft und Rechtsordnung verankerte, in Religion und Tradition wurzelnde, Benachteiligung von Frauen und Kindern (AA 3.2017a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen zählen unter anderem: rechtswidrige Tötungen und Misshandlungen durch die Polizei; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; weitverbreitete behördliche Korruption auf allen Ebenen. Weitere Probleme sind: mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen, einschließlich FGM; Zwangsheirat; behördliche und gesellschaftliche Diskriminierung von Homosexuellen und Kinderarbeit (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt Deutschland (3.2017a): Sierra Leone – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 27.6.2018
- USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018
Haftbedingungen
Gefängnis- und Haftbedingungen sind hart und manchmal lebensbedrohlich (USDOS 20.4.2018; vgl. AI 22.2.2018). Überbelegung ist eines der größten Probleme (USDOS 20.4.2018), neben unhygienischen Lebensbedingungen und ungenügender medizinischer Versorgung (USDOS 20.4.2018). Zudem äußerten NGOs Bedenken hinsichtlich des verzögerten Zugangs zu medizinischer Versorgung für Häftlinge, unzureichender Nahrung und Grundausstattung, schlechter Bedingungen in den Polizeizellen, einschließlich unzureichender sanitärer Einrichtungen, und längerer Haftzeiten, die die verfassungsmäßigen Rechte der Häftlinge verletzen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtskommission von Sierra Leone (HRCSL) berichtet, dass seit Oktober 2016 Männer und Frauen in Gefängnissen separat untergebracht werden. Minderjährige werden allerdings häufig mit Erwachsenen inhaftiert (USDOS 20.4.2018).
Strafvollzugsgruppen berichteten, dass die Behörden im Allgemeinen Vorwürfe der Misshandlung von Gefangenen untersuchten. Die Regierung erlaubte zudem auch die Überwachung durch unabhängige, nichtstaatliche Beobachter. Internationale Beobachter hatten uneingeschränkten Zugang zu den Gefängnissen, Haftanstalten und Polizeizellen. Die Menschenrechtskommission von Sierra Leone (HRCSL) überwacht monatlich die Gefängnisse (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1425636.html, Zugriff 27.6.2018
- USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018
Todesstrafe
Die Todesstrafe existiert zwar weiterhin, wird aber seit 1998 nicht mehr vollstreckt. Der ehemalige Präsident Koroma hat auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2011 ein Moratorium verkündet (AA 3.2017a). Als Antwort auf die Empfehlungen des Constitutional Review Committee, lehnte die Regierung unter anderem die Abschaffung der Todesstrafe ab (AI 22.2.2018). NGOs wie Human Rights Watch kritisieren, dass die Todesstrafe in Sierra Leone nach wie vor im Gesetz und im öffentlichen Diskurs existiert, auch wenn sie seit 1998 nicht mehr praktiziert worden ist (GIZ 6.2018a).
Es werden weiterhin Todesurteile verhängt. Im September 2017 wurden sechs Polizisten wegen Verschwörung und Raubüberfall zum Tode verurteilt (AI 22.2.2018).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt Deutschland (3.2017a): Sierra Leone – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 27.6.2018
- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1425636.html, Zugriff 27.6.2018
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 27.6.2018
Bewegungsfreiheit
In der Verfassung sind uneingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr verankert. Die Regierung respektiert diese Rechte üblicherweise. Jedoch gibt es Berichte, wonach Sicherheitskräfte bei Straßensperren außerhalb der Hauptstadt Bestechungsgelder von Fahrzeuglenkern verlangen. Auch Polizei, Zöllner und Militär verlangen Bestechungsgelder (USDOS 20.2018).
Trotz des offiziellen Kriegsendes 2002 ist das Land von den Jahren des Bürgerkrieges noch schwer gezeichnet. Die Infrastruktur ist in vielen Gebieten im Landesinneren weiterhin zerstört und erholt sich nur langsam (BMEIA 28.4.2017).
Quellen:
- BMEIA – Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (27.6.2018): Reiseinformationen Sierra Leone, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/sierra-leone/, Zugriff 27.6.2018
- USDOS – U.S. Department of State (20.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018
IDPs und Flüchtlinge
Die Regierung arbeitete mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, Rückkehrern, Asylsuchenden, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Unterstützung zu gewähren. Im August 2017 beherbergte Sierra Leone ca. 700 anerkannte Flüchtlinge (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- USDOS – U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018
Grundversorgung
Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung (GIZ 6.2018c; vgl. AA 3.2017b). Rund 51,4 Prozent des BIP werden vom landwirtschaftlichen Sektor erwirtschaftet. Der Dienstleistungssektor trägt 26,6 Prozent und der Industriesektor 22,1 Prozent zum BIP bei (GIZ 6.2018c).
Sierra Leone ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 eines der ärmsten Länder der Welt (AA 3.2017b) und belegt auf dem Human Development Index von 2016 Rang 179 der 188 untersuchten Ländern. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77 Prozent) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2018c).
Ein schwach strukturierter privater Sektor, schlecht ausgebildete Arbeitskräfte, Korruption und wenig Rechtssicherheit behindern ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Die kaum ausgebaute Infrastruktur behindert zudem den Handel außerhalb der größeren Städte. Während der Regenzeit sind viele Straßen unpassierbar und die Erreichbarkeit ländlicher Gebiete ist schwierig. Die wirtschaftliche Entwicklung unterscheidet sich jedoch auch zwischen Stadt und Land. Zudem beeinflussen die Nachwirkungen des Bürgerkrieges (1991 bis 2002), die weit verbreitete Korruption und die unzureichend ausgebaute Infrastruktur die Wirtschaftslage Sierra Leones (GIZ 6.2018c).
In Sierra Leone gibt es einen extremen Mangel an formaler Beschäftigung, wobei bisher keine verlässlichen statistischen Daten erhoben wurden. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit stellt ein besonders gravierendes soziales Problem dar. Dabei gibt es einige wenige Projekte, die versuchen, die Jugendlichen in die Gesellschaft zu integrieren. Es gibt Projekte, die sich auf lokaler Ebene direkt an Kinder und Jugendliche wenden, die kein zu Hause haben und auf der Straße leben müssen (GIZ 6.2018b).
Der Bürgerkrieg brachte die wirtschaftlichen Aktivitäten vollkommen zum Erliegen. Seitdem ist es noch nicht im notwendigen Umfang gelungen, einen beschäftigungswirksamen Aufschwung zu erzeugen (GIZ 6.2018b).
Im Jahr 2016 ist die Wirtschaft dank anziehender Rohstoffpreise und hierdurch belebter Wirtschaftsaktivität wieder um knapp 5 Prozent gewachsen. Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik des ehemaligen Präsidenten Koroma war die Förderung großer ausländischer Investitionen mit dem Ziel, rasch neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Staatseinnahmen deutlich zu steigern, insbesondere in den Bereichen Tourismus, Bergbau, Agrobusiness, Fischereiwirtschaft, Energiewirtschaft (auch erneuerbare Energien) und Ausbau der Infrastruktur (Häfen, Flughäfen, Straßen, Telekommunikation). Sierra Leone ist reich an Bodenschätzen und mit seinen schönen Stränden ein potenzielles Ziel für Touristen in Westafrika (AA 3.2017b).
Das Entwicklungsprogramm "Agenda for Prosperity" für den Zeitraum 2013 bis 2018 soll dazu beitragen, dass Sierra Leone bis 2035 das Niveau eines Landes mit mittlerem Einkommen erreicht (AA 3.2017b).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (3.2017b): Sierra Leone – Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203486, Zugriff 28.4.2017
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018b): Sierra Leone – Gesellschaft, http://liportal.giz.de/sierra-leone/gesellschaft/, Zugriff 27.6.2018
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018c): Sierra Leone – Wirtschaft, https://www.liportal.de/sierra-leone/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 27.6.2018
Medizinische Versorgung
Die Gesundheitsversorgung in Sierra Leone wird zum Teil vom Staat, zum Teil von NGOs gestellt (GIZ 6.2018b). Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen und vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch äußerst problematisch (AA 27.6.2018).
Es besteht ein ausgeprägter Mangel an Fachärzten, der sich durch die Ebola-Epidemie weiter verschärft hat. Selbst in Freetown ist die ärztliche Versorgung gegenwärtig sehr begrenzt (AA 27.6.2018).
2010 wurde mit der Unterstützung des Vereinigten Königreiches und der UN ein Programm zur kostenlosen Versorgung von schwangeren Frauen und Müttern mit Kindern unter fünf Jahren eingeführt, um die hohe Mütter- und Kindersterblichkeit zu reduzieren. Die Situation der Frauen und Kleinkinder hat sich verbessert, auch wenn sie nach wie vor nicht befriedigend ist. Der Rest der Bevölkerung bleibt allerdings immer noch ohne ausreichenden Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung, zum einen, weil es an Geldern fehlt, zum anderen, weil Teile des Gesundheitssystems unter Korruption leiden. Insbesondere die ländlichen Gebiete sind äußerst unzureichend ausgestattet. Die Bevölkerung bezahlt dies mit einem insgesamt schlechten Gesundheitszustand und einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 57 Jahren (GIZ 6.2018b).
Vom Ausbruch einer Ebola-Epidemie in Westafrika war auch Sierra Leone betroffen. Bis zum 16.1.2016 gab es dabei in Sierra Leone 3.955 Todesfälle. Im Zuge des Ebola Ausbruchs wurde die Notwendigkeit offensichtlich, die traditionelle Medizin stärker in das Gesundheitssystem einzubinden. Dafür setzt sich jetzt unter anderem der Verband der traditionellen Heiler ein (GIZ 6.2018b).
Sierra Leone hat eine HIV/AIDS-Infektionsrate von 1,5 Prozent. Damit liegt es etwas über dem internationalen Durchschnitt von einem Prozent und gehört damit (noch) nicht zu den Hochprävalenzländern. Die Prävalenz von HIV/AIDS wird vom National HIV/AIDS Sekretariat statistisch erfasst und es werden verschiedene Präventionsprogramme koordiniert. Die Durchführung der Programme liegt bei NGOs. Sierra Leone erhielt im Jahr 2010 das sechste Millennium Development Goal, eine Auszeichnung für seine bisherigen Bemühungen, eine weitere Verbreitung von HIV aufzuhalten (GIZ 6.2018b).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (27.6.2018): Sierra Leone – Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/sierraleonesicherheit/203500#content_5, Zugriff 27.6.2018
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018b): Sierra Leone – Gesellschaft, http://liportal.giz.de/sierra-leone/gesellschaft/, Zugriff 27.6.2018
COVID-19-Pandemie
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 24.09.2020, 11:15 Uhr, 39.984 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierter Personen und 777 Todesfälle. In Sierra Leone wurden bislang 2.183 Infektionen bestätigt, davon sind 1.665 Personen bereits wieder genesen, 72 Personen sind gestorben (Stand: 24.09.2020, 11:15 Uhr). In Relation zur Einwohnerzahl liegt die Infektions- sowie die Sterberate in Sierra Leone somit prozentual noch weit unter jener von Österreich.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie zB Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID-19 zudem mit nur geringen Symptomen vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 39 Jahre ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt unter 1%.
Quellen:
- AGES: FAQ Coronavirus, https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/, Zugriff 24.9.2020
- BMSGPK: Informationen zum Coronavirus, https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html, Zugriff 24.9.2020
- Coronavirus: COVID-19 Fälle in Österreich, https://coronavirus.datenfakten.at/, Zugriff 24.9.2020
- Google News, https://news.google.com/covid19/map?hl=de&gl=AT&ceid=AT:de; Zugriff 24.9.2020
Rückkehr
Ein vom United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) initiiertes Repatriierungsprogramm für Bürgerkriegsflüchtlinge wurde im Juli 2004 abgeschlossen: Insgesamt 270.000 Flüchtlinge aus Sierra Leone konnten so in ihre Heimat zurückkehren. Auch die Menschen, die nach Liberia geflüchtet waren, wurden in ihre Heimat repatriiert (GIZ 6.2018a).
Quellen:
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 27.6.2018
Der Oje-Kult
In Sierra Leone sind die Ojeh oder Oje der Name einer Geheimgesellschaft yorubischen Ursprungs. In seinem Buch "The Krio of West Africa: Islam, Culture, Creolization, and Colonialism in the Nineteenth Century" schrieb Gibril Cole über die Gründung der Ojeh-Gesellschaft folgendes: „Zu den frühesten Egugu-Gesellschaften in Freetown gehörten die Oke Mauri und die Aswodie in Fula Town bzw. Foutah Bay. Während beide Gruppierungen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts existierten, wenn auch als Tochtergesellschaften der Ojeh aus Hasting und Waterloo, tauchten sie in den 1880er Jahren in Freetown auf, aber erst, als ihre Führer sich ausreichend sicher fühlten, dass ihre Aktivitäten von den örtlichen Behörden nicht behindert werden würden“.
In einem Video über die Ojeh, das auf der Website SierraLeoneHeritage.org veröffentlicht wurde, heißt es: „Die Hastings Ojeh-Gesellschaft war die erste in Sierra Leone und bestand seit etwa 160 Jahren“. Unter Bezugnahme auf das Buch "Moving with the Face of the Devil" des Kunsthistorikers John Nunely wird auf derselben Website auch erwähnt, dass der Yoruba-Name "Egungun" der Ojeh-Gesellschaft „von Missionsschriftstellern zu Egugu oder Agoogoo korrumpiert wurde“. Mehrere Quellen berichten, dass die Ojeh-Gesellschaft von befreiten Sklaven yorubischer Abstammung, die nach Freetown umgesiedelt sind, importiert wurde. Menard zufolge „ist die Ojeh-Gesellschaft ein Zweig der Agugu, einer Geheimgesellschaft, die auf einem Yoruba-Erbe basiert, das um 1850 in der Bevölkerung von Freetown auftauchte“, während Davies erklärte, dass die Ojeh-Gesellschaft „als der kleinere Bruder der Jagdgesellschaft angesehen wird“, da „beide ähnliche Symbole und Sprache verwenden und eine ähnliche geheimnisvolle Atmosphäre aufweisen“.
Der Zweck der Ojeh-Gesellschaft ist divergent und nicht immer offensichtlich. Ursprünglich entwickelten die Ojeh einen Ruf für ihre Fähigkeit, Kranke und Leidende zu heilen, vor allem aber für die bösartigen Kräfte des in den jeweiligen Gesellschaften angehörigen "Merecin-Man". Auch Kingned bemerkte, dass „alle Mitglieder der städtischen Geheimbünde mit Sitz in Yoruba ihre Maskeraden als Verkörperung der Medizinmystik veröffentlichen“. Heutzutage operieren die Ojeh-Gesellschaften in einigen Gebieten als soziale Eliteclubs, während Versionen dieser Gesellschaften auch von unterbeschäftigten Stadtjugendlichen zu ihrer eigenen Unterhaltung und politischen Meinungsäußerung entwickelt wurden. In Bezug auf Letzteres stellte Fanthorpe fest, dass Führungspersönlichkeiten des All People's Congress (APC) Mitglieder der Ojeh-Gesellschaft seien und dass sowohl die Poro- als auch die Ojeh-Gesellschaft in einigen Bezirken Maskeraden in dem Versuch durchgeführt hätten, die Wahlen [zur Kommunalverwaltung 2014] zu verhindern.
Was die ethnische Zugehörigkeit betrifft, so waren die Ojeh eine der wichtigsten Geheimgesellschaften unter den Krio. Laut Thompson sind die Ojeh-Gesellschaften „ausschließlich Krio-basierte Geheimorganisationen“, aber andererseits erklärte Wyse bereits 1979, dass die Ojeh-Gesellschaft nicht mehr ausschließlich Krio ist. Möglicherweise weil die Hauptinitiatoren dieser Gesellschaft muslimische Aku oder muslimische Krio waren, wurde die Gesellschaft auf Nicht-Krio-Völker derselben religiösen Überzeugung ausgedehnt. Fanthorp schreibt auch, dass die Ojeh-Gesellschaften „Mitglieder aus allen wichtigen ethnischen Gruppen zählen“. In Bezug auf die Religion schrieb Menar, dass die Ojeh-Gesellschaft der Halbinsel Freetown „immer noch als überwiegend muslimisch angesehen wird“. Die Ojeh sind überwiegend männliche Mitglieder der Gesellschaft. Laut Davies ist die Rolle der Frauen darauf beschränkt, bei besonderen Anlässen zur Musik beizutragen und das Essen zuzubereiten, aber sie „sind nicht berechtigt, den Schrein der Ogun zu betreten, aus Angst, sie könnten eine Kontaminierung der "Gottheit" verursachen“. Auch Cole betont, dass Ojeh eine ausschließlich männliche Geheimgesellschaft ist und dass Frauen nur bei öffentlichen Auftritten singen. Auch andere Quellen bestätigen, dass es sich bei den Ojeh um eine Männergesellschaft handelt.
Über die Rekrutierung, Initiation und Struktur der Ojeh-Gesellschaft konnten nicht viele Informationen gesammelt werden. Laut Frost werden diese Initiationen im Geheimen durchgeführt. Fanthorpe stellt fest, dass die Ojeh-Gesellschaften „Erwachsene auf Antrag aufnehmen und die Initiation keine Form des Genitalbeschneidens beinhaltet“. Für ihre Masterarbeit machte Marfutdid einige Feldforschungen in einer kleinen Gemeinde, wobei sie feststellte, dass Männer sowohl in das "Poro" als auch in das "Oujeh" eingeweiht werden können. Darüber hinaus berichtete sie: „Obwohl öffentlich bekannt ist, wer zu welcher Gesellschaft gehört, schwören die Mitglieder, gegenüber Nicht-Initiierten nicht über die Gesetze und Rituale zu sprechen, die innerhalb der Gesellschaft stattfinden. Wenn sie dies tun, wird die soziale Ordnung gestört, und sie werden sterben (Pers. Comm. 16.10.13)“. Nicht-Initiierte dürfen nicht Zeuge von gesellschaftlichen Ritualen werden, die in abgelegenen Waldgebieten stattfinden, und werden auch durch lautes Trommeln und Singen gewarnt. In einem von The Vatriotic Vanguard veröffentlichten Artikel über Geheimgesellschaften wurde auch erwähnt, dass Nicht-Initiierte keine Rituale der Geheimgesellschaften sehen oder gar öffentlich darüber sprechen sollten. In extremen Fällen kann dies zum Tode führen.
Laut Thompson haben die Ojeh eine hierarchische Struktur und ihre Überzeugungen, Praktiken und Rituale basieren auf der sozialen und religiösen Organisation der Yoruba. King bemerkte: „Während die Mitgliedschaft in traditionellen Geheimbünden im Hinterland obligatorisch ist, ist die Mitgliedschaft in den alten und neuen städtischen Geheimbünden von Freetown nicht obligatorisch; es handelt sich vielmehr um eine strategische oder taktische Entscheidung. Carey berichtete, dass im Bombali Sebora Chiefdomin im Norden Sierra Leones fast alle Dorfbewohner Mitglieder von geheimen heiligen Gesellschaften sind, darunter die Ojeh-Gesellschaften. Wie bereits oben erwähnt, haben die Ojeh-Gesellschaften ihren Ursprung in Freetown, aber „die Ojeh-Gesellschaften haben sich in den Städten, im Bergbau und in Fluss-/Seehafengebieten in ganz Sierra Leone ausgebreitet“. Nach Angaben des ehemaligen Bezirksdirektors von Plan International Sierra Leone, Casely Ato Coleman, gibt es im Allgemeinen vier dominierende Geheimbünde, einen für jede der vier Regionen: Im Westen dominiert die Ojeh-Gesellschaft, im Norden und Osten Sande/Bondo und im Süden Poro. Heutzutage gibt es viele Ojeh-Gesellschaften. Die Zeitung Critique Echo Newspaper gibt nur einen kurzen Überblick über die Gesellschaften in Freetown: „Awodi Ojeh Society, Tourist Ojeh Society, Agba Kolleh Ojeh Society, Seaside Ojeh Society, Independent Ojeh Society, Okaymorie Ojeh Society, Big Oba Sai Ojeh Society, Navy Ojeh Society, Republic Ojeh Society, Limba Ojeh 1, Limba Ojeh 2, etc.“
Fanthorpe stellte fest, dass im Gegensatz zur Odelay Gesellschaft, die „häufig öffentliche Maskeraden an nationalen Feiertagen inszeniert“, Ojeh als "tiefer" angesehen wird und versucht, ihren Mitgliedern sowohl moralische Disziplin als auch die Befugnis zur Aufdeckung und Bestrafung von Kriminellen einzuprägen. Auch Frost stellte fest, dass Organisationen wie die Ojeh in der Regel keine öffentlichen Auftritte oder Paraden veranstalten, wohl aber an Feiertagen. Laut King: „Alle in Freetown ansässigen Geheimbünde mit historischen Verbindungen zum Yorubaland in Nigeria haben ungeachtet ihres in Geheimnisse eingebetteten Kerns eine öffentliche Seite in Form ihrer öffentlichen Maskeraden-Auftritte. In diesem Zusammenhang ist eine "Maskerade" eine maskierte Figur, die den Geist und das Wesen eines Geheimbundes symbolisiert und dessen öffentlichen Auftritt leitet. Diese maskierte Figur wird normalerweise als "Teufel" bezeichnet“. Das oben erwähnte Video über die Ojeh-Gesellschaft zeigt eine öffentliche Maskerade, die „der einzige feierliche Vorgang auf den Straßen“ ist. Während der Maskerade tragen die "Maskenteufel" teure Kleidung und die Mitglieder tragen spezielle Kleidung und haben einen Spazierstock. Darüber hinaus heißt es, dass die Ojeh-Gesellschaft während aller Auftritte nur drei Trommeln benutzt und mehrere Masken hat; die "Aegus" mit roten Farben auf dem Rücken, die "Arede" mit Kaurischnecken im Gesicht, die "Kokos", die wie ein Bote immer zuerst herauskommen, und die "Agbada-Ogbodo". Unter allen konsultierten Quellen und innerhalb des Zeitrahmens, der für die Beantwortung dieser Anfrage vorgesehen war, konnten keine weiteren Informationen über Rituale und Hauptfeierlichkeiten ermittelt werden.
Ein angesehenes Mitglied der führenden Ojeh-Gesellschaft Sierra Leones gab Informationen über den Erfolg einer kulturellen Veranstaltung in den Vereinigten Staaten preis. Der Mann "bat aus Furcht [vor] einer Gegenreaktion darum, nicht identifiziert zu werden". Dies fiel auch King bei seinen Nachforschungen auf, die Informationen über eine Geheimgesellschaft enthüllten. Obwohl sein Beispiel nicht die Ojeh betrifft, sondern eine Odelaysociety, in der ein älteres Mitglied „organisiert isoliert“ wurde, weil es „als zu kooperativ mit einem ausländischen Forscher angesehen wurde“. Der Status des Mannes war erheblich reduziert worden, weil er dem Forscher Informationen und Bilder gegeben hatte, der daraufhin ein Buch mit den offenbarten Informationen und Bildern veröffentlichte. Andere ältere Mitglieder, so sagte er, hätten ihn beschuldigt, zu viel zu sprechen und zu viel zu zeigen, vor allem gegenüber einem Weissen: „Sie sagten, ich hätte das Innere nach aussen gebracht; aber ich weiss, dass ich dem Forscher nichts gesagt oder gegeben habe, was unsere Gesellschaft weniger respektiert oder weniger gefürchtet hätte. Gott bewahre“, schloss er. Doch seine relative Isolation, die auf dieser vermeintlichen Indiskretion von vor etwa dreißig Jahren beruht, dauert bis heute an. Unter allen konsultierten Quellen und innerhalb des für die Beantwortung dieser Anfrage vorgesehenen Zeitrahmens konnten keine weiteren spezifischen Informationen gefunden werden, in denen ein Mitglied einer Ojeh-Gesellschaft staatlichen Schutz brauchte, nachdem es die Regeln der Gesellschaft gebrochen hatte.
Im Mai 2008 berichtete das Nachrichtenmedium Awoko über einen Fall, in dem sich der älteste Sohn eines verstorbenen Führers der Gbagbani-Gesellschaft, einer männlichen Geheimgesellschaft im Norden Sierra Leones, weigerte, seinen Vater zu ersetzen. Dem Onkel des Mannes zufolge war die Polizei nicht in der Lage, den Mann vor den Absichten der Gesellschaft zu schützen, den Mann als neuen Führer einzusetzen. Im August 2010 berichtete The Patriotic Vanguard über einen Fall im nördlichen Teil des Landes. Eine Frau wurde von Mitgliedern der Gbangbani-Geheimgesellschaft mit Macheten abgeschlachtet, nachdem sie unerwartet auf einem Buschpfad, der „den maskierten Geist umgibt“, Mitglieder der genannten Gesellschaft getroffen hatte. Obwohl ihr Mann den Fall bei der Polizei meldete, kam nichts dabei heraus. Die Patriotische Vanguard berichtete im selben Artikel über einen anderen Fall in Fullahtown im Osten von Freetown. Obwohl es „einen Gerichtsbeschluss gab, eine Ojeh-Gesellschaft aus den Räumlichkeiten einer Vermieterin zu vertreiben“, hat sich nie ein Gerichtsvollzieher dorthin begeben, um den Beschluss „aus Angst oder aus anderen Gründen“ auszuführen. Dem Bericht zufolge war auch die Vermieterin selbst „in ständiger Furcht vor dem, was ihr zustoßen könnte, insbesondere, wenn Geheimbünde dafür berüchtigt sind, Menschen mit bösen Zaubersprüchen und unheilbaren Krankheiten zu belegen“. Im Juli 2016 berichtete die Concord Times, dass 12 Personen des Geheimbundes Poro, darunter der Anführer, verhaftet wurden, nachdem ein Stützpunkt der Marinegruppe in der Küstenstadt Bonthe angegriffen wurde. Am 16. April 2018 verurteilte der Hohe Gerichtshof von Sierra Leone einen Unterstützer der regierenden Sierra Leone Peoples Party (SLPP) nach der außergerichtlichen Ermordung eines jugendlichen Aktivisten des oppositionellen All People Congress (APC). Der Mann wurde zu einer Gefängnisstrafe von 40 Jahren verurteilt. Der Jugendaktivist wurde getötet, weil er sich weigerte, sich dem Poro-Geheimbund in Kenema, der zweitgrößten Stadt des Landes, anzuschließen.
Quellen:
- EASO – COI QUERY RESPONSE (29.10.2018): The Ojeh/Oje society, https://www.ecoi.net/en/file/local/1448965/1226_1541495929_sle-123.pdf, Zugriff 24.9.2020
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in die zitierten Länderberichte zu Sierra Leone.
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Hauptverband österreichsicher Sozialversicherungsträger (AJWEB-P), der Betreuungsinformation Grundversorgung (GVS) und dem Strafregister (SA) eingeholt.
Überdies wurde Beweis aufgenommen durch die Abhaltung zweier mündlicher Beschwerdeverhandlungen am 29.11.2019 und am 17.09.2020 in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin E. U. als Zeugin und hierbei die Beschwerdesache erörtert.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht fest.
Die Feststellungen zu seiner Herkunft, seinen Lebensumständen, seinen Familienverhältnissen in Sierra Leone, seiner Schulbildung, seiner Berufserfahrung, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Konfession sowie zu seiner fehlenden Integration in Österreich gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.
Die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich überdies aus einem seitens der belangten Behörde im Administrativverfahren eingeholten linguistischen sowie landeskundlichen Sachverständigengutachten des nichtamtlichen Sachverständigen Dr. P. G. vom 22.11.2015, welches in Einklang mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zum Ergebnis gelangte, dass angesichts seiner demonstrierten Sprach- und Landeskenntnisse nur auf seine Hauptsozialisierung in Sierra Leone geschlossen werden könne. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den getroffenen Feststellungen im vollständigen, schlüssigen und widerspruchsfreien Sachverständigengutachten, welchem seitens des Beschwerdeführers auch nicht entgegengetreten wurde, vollinhaltlich an. Es sind im Verfahren auch keine Umstände hervorgekommen, welche seine sierra-leonische Staatsbürgerschaft in Zweifel ziehen würden.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus einem im Administrativverfahren in Vorlage gebrachten Befund eines Allgemeinmediziners vom 05.07.2018, wonach er im Oktober 2015 erstmals in Behandlung aufgrund eines Infekts der Atemwege gewesen sei. Zudem brachte er im Rahmen seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 03.07.2018 einen Spray für die Atemwege mit den Wirkstoffen Beclometasondipropionat und Formoterolfumarat in Vorlage und war dem Beschwerdeschriftsatz ein weiterer Befund einer Gruppenpraxis für Radiologie vom 24.07.2018 angeschlossen, welchem als Ergebnis einer Röntgenuntersuchung des Thorax entnommen werden kann: „Unverändert zu 2016 Granulome im rechten Oberfeld sowie Adhäsion im linken Oberfeld. Zeichen einer Peribronchitis der Unterfelder“. Eine weiterführende Behandlungsbedürftigkeit ist dem Befund nicht zu entnehmen und wurden auch keine aktuelleren Befunde mehr in Vorlage gebracht. In der Beschwerdeverhandlung am 17.09.2020 gab der Beschwerdeführer zuletzt an, „soweit gesund“ zu sein, jedoch an Asthma zu leiden und aufgrund dessen einen Spray zu verwenden. Aufgrund einer „Infektion der Lunge“ habe er Probleme beim Laufen und Treppensteigen, der Spray würde ihm hierbei helfen. Da eine COVID-19-Infektion ihn wohl schlimmer treffen würde, passe er diesbezüglich sehr auf. Er sei arbeitsfähig und -willig und könne in Österreich vielseitigen Erwerbstätigkeiten nachgehen, sofern er eine „Aufenthaltskarte“ bekomme. Vor dem BFA gab er zu Protokoll, gerne am Bau oder als Metallarbeiter oder Elektriker arbeiten zu wollen. Aufgrund des erhobenen Sachverhaltes war sohin die Feststellung zu treffen, dass der Beschwerdeführer an keiner lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung leidet und erwerbsfähig ist. Dass Asthma-Erkrankungen in Freetown, der Heimatstadt des Beschwerdeführers, behandelbar sind, ergibt sich aus der Website des „Global Asthma Network“, einer im Jahr 2012 etablierten Kollaboration internationaler Organisationen zur weltweiten Versorgung von Asthma-Patienten mit einem Fokus auf ärmere Länder, wonach sich in Freetown auch eine diesem Netzwerk angeschlossene Klinik befindet („Dr. Gibrilla Fadlu-Deen, Connaught Teaching Hospital“; vgl. http://www.globalasthmanetwork.org/about/centres.php?region=africa, Zugriff 24.09.2020). Eine „fortgeschrittene funktionelle oder strukturelle chronische Lungenkrankheit“, welche nach der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung) als Covid-19-Risikoggruppe anzusehen wäre, ergibt sich aus dem vorgelegten Befund nicht.
Die Feststellungen hinsichtlich der Vaterschaft des Beschwerdeführers zu einer am XXXX 2020 in Österreich geborenen Tochter österreichischer Staatsbürgerschaft ergeben sich aus ihrer in Vorlage gebrachten Geburtsurkunde sowie ihrem vorgelegten Staatsbürgerschaftsnachweis, beides ausgestellt durch das Standesamt XXXX am 28.05.2020. Die Feststellungen hinsichtlich der Gesundheitsbeeinträchtigungen der Tochter ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Kindesmutter E. U. vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie einem in Vorlage gebrachten Patientenbrief des SMZ XXXX vom 02.06.2020. Der Umstand, dass die Kinder- und Jugendhilfe mit der vorläufigen Obsorge für die gemeinsame Tochter betraut wurde, ergibt sich aus einem in Vorlage gebrachten Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 01.09.2020, Zl. XXXX , mit welchem E. U. und dem Beschwerdeführer ein Besuchsrecht im Umfang von zweimal in der Woche an aufeinanderfolgenden Tagen im Ausmaß von einer Stunde eingeräumt wurde. Dass das Obsorgeverfahren hinsichtlich der Tochter nach wie vor unter der Zl. XXXX am Bezirksgericht XXXX anhängig ist, ergibt sich aus einer telefonischen Erhebung des Bundesverwaltungsgerichtes bei der zuständigen Richterin des Pflegschaftsgerichtes vom 22.09.2020.
Die Feststellungen zur Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und der Kindesmutter E. U. (als auch zu seiner Tochter und ihrer übrigen Familie) ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben beider in den Beschwerdeverhandlungen, wobei sie in der letzten Verhandlung am 17.09.2020 unisono zu Protokoll gaben, sich auch eine Fortführung ihres gemeinsamen Familienlebens in Polen vorstellen zu können. Dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt mit E. U. oder seiner Tochter in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat, ergibt sich aus einer Abfrage im zentralen Melderegister der Republik.
Dass der Beschwerdeführer in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nachging, ergibt sich aus einer Abfrage im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger.
Dass er seinen Lebensunterhalt seit seiner Einreise über die staatliche Grundversorgung bestreitet, ergibt sich aus einer Abfrage in der Applikation „Betreuungsinformation (Grundversorgung)“.
Sein Besuch diverser Sprach- und Alphabetisierungskurse, seine ehrenamtliche Betätigung in einer Caritas-Hilfseinrichtung sowie seine Mitgliedschaft in der „Union XXXX “ ergeben sich aus diesbezüglich in Vorlage gebrachter Bestätigungsschreiben.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
2.2. Zu den Fluchtgründen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer begründete seinen verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.09.2015 damit, dass es innerhalb seiner Familie einen Streit um das Grundstück seines leiblichen Vaters gegeben habe. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, von seinem Ziehbruder aufgrund dieses Grundstückes umgebracht zu werden und habe dieser überdies „auch schon irgendwas gemacht, dass meine Ziehmutter teilweise gelähmt ist“ (Protokoll S 5).
In seiner Einvernahme vor dem BFA am 03.07.2018 gab der Beschwerdeführer hingegen ein im Kern gänzlich geändertes Fluchtvorbringen zu Protokoll. Er behauptete, durch Mitglieder des Kultes Oje, welcher überall in Sierra Leone aktiv sei, entführt worden zu sein. Er sei schließlich entkommen, indem er eine Laterne, welche mit Benzin gefüllt war, angezündet und die Hütte, in welcher man ihn festgehalten habe, in Brand gesteckt habe. Im Anschluss sei er zu seiner Schwester Tabe geflüchtet, doch wären Männer zu ihrer Wohnadresse gekommen und hätten sie an der Tür erschossen. Die Kultisten würden Rituale mit Opfern durchführen und hätten Beziehungen in höchste Regierungskreise, sodass die staatlichen Behörden keinen Schutz vor einer diesbezüglichen Verfolgung bieten würden. Auch von seiner Familie könne der Beschwerdeführer