TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/1 I421 2235133-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.10.2020
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Entscheidungsdatum

01.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I421 2235133-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX StA. Ägypten, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West vom 11.09.2020, Zl. 1266884600/200737227 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Am 03.08.2020 wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) beim unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes betreten und festgenommen. Dabei wurde dem BF zur Kenntnis gebracht, dass die Erlassung einer aufenthaltsbeendigenden Maßnahme beabsichtigt werde.

2.       Gegen den BF wurde am 07.08.2020 ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung eingeleitet und mittels Mandatsbescheid über ihn die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet.

3.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA, belangte Behörde) vom 11.08.2020, Zl. 1266884600/200691685, wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Ägypten zulässig sei. Gegen den BF wurde überdies ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen, wobei ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde.

4.       Am 17.08.2020 stellte der BF aus dem Stande seiner Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er am 18.08.2020 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe machte er geltend, die Familie des BF sei mit einer anderen Familie im Streit gelegen, wobei der Vater des BF getötet worden sei. Die andere Familie habe einen Sohn im Alter des BF gehabt, welcher im Zuge des Streites zwischen ihm und dem BF gestorben sei, weswegen den BF die Polizei suche. Im Falle einer Rückkehr befürchte der BF, festgenommen bzw. getötet zu werden. Überdies habe sich der BF für seine Ausreise Geld geborgt, welches er bei im Falle einer Rückkehr zurückgeben müsste.

5.       Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 24.08.2020 führte der BF befragt nach seinen Fluchtgründen aus, der Vater des BF sei ein Regimegegner gewesen und die andere Familie sei für dieses Regime gewesen. Diese hätte mit dem Vater des BF gestritten und diesen mit einem Schlag getötet. Die Polizei habe die Familie, welche den Vater getötet habe, verhaftet. Aus Rache habe der BF den Sohn der Familie geschlagen, weswegen dieser umgefallen und der BF geflüchtet sei. Später habe der BF erfahren, dass er gestorben sei und die Polizei nach dem BF suche. Überdies habe sich der BF Geld ausgeliehen, was er nicht zurückgezahlt habe und weswegen er schon verurteilt worden sei und ins Gefängnis müsse.

6.       Mit Schreiben vom 28.08.2020, beim BFA eingelangt am 31.08.2020, langte der Abschlussbericht des Stadtpolizeikommandos XXXX in Zusammenhang mit weiteren Ermittlungen hinsichtlich dem vom BF geschilderten Vorfall in Ägypten ein, wobei der BF als Beschuldigter vernommen wurde.

7.       Am 03.09.2020 erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme des BF vor der belangten Behörde. Befragt nach dem vermeintlichen Opfer führte der BF aus, seine Mutter sei nicht sicher gewesen, was mit dem Jungen gewesen sei, sie habe ihm nur gesagt, dass die Polizei nach dem BF suchen würde. Hinsichtlich seiner Rückkehr führte er aus, er habe Angst wegen seiner Geldsorgen, vor der Polizei und der Familie des Jungen.

8.       Mit dem Bescheid vom 11.09.2020, Zl. 1266884600/200737227, wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Ägypten (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.).

9.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die durch die Rechtsvertretung des BF fristgerecht erhobene Beschwerde vom 15.09.2020, bei der belangten Behörde eingelangt am selben Tag, mit welcher der Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, aufgrund mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung vollinhaltlich angefochten wurde. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, der BF habe seine persönliche Gefahrenlage und seine Beweismittel detailliert geschildert. Der ägyptische Staat sei nicht Willens und in der Lage, den BF vor den ihn drohenden Verfolgungen zu schützen und habe es die belangte Behörde unterlassen, auf das individuelle Vorbringen des BF einzugehen. Überdies sei die Sicherheitslage in Ägypten teilweise unsicher. Beantragt werde daher, das Bundesverwaltungsgericht möge Spruchpunkt I. dahingehend abändern, dass dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt und seine Flüchtlingseigenschaft festgestellt werde, in eventu Spruchpunkt II. dahingehend abzuändern, dass dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ägypten zuerkannt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverweisen sowie eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen. Zudem beantrage der BF der gegenständlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

10.      Mit Schriftsatz vom 15.09.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 17.09.2020, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Ägypten und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht nicht fest.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Er reiste legal mit gültigem Reisedokument aus Ägypten in die Türkei aus und gelangte schlepperunterstützt über Griechenland, Serbien, Bosnien und Slowenien nach Österreich. Seit (mindestens) 03.08.2020 hält sich der BF in Österreich auf.

Die Familie des BF, jedenfalls bestehend aus der Mutter S.T., der Schwester S.T. und dem Bruder A.T., lebt in Ägypten. In Österreich verfügt der BF über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Der BF besuchte in Ägypten die Grundschule, die Hauptschule sowie eine allgemeinbildende höhere Schule.

Er ist in Österreich nicht vorbestraft.

Im Zeitraum vom 03.08.2020 bis zum 14.08.20202 war der BF im PAZ XXXX melderechtlich erfasst, seit dem 14.08.2020 befindet sich der BF im AHZ XXXX .

Der BF weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

Mit Bescheid vom 11.08.2020, Zl. 1266884600/200691685, wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Ägypten zulässig sei. Gegen den BF wurde überdies ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen, wobei ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde. Mit 09.09.2020 erwuchs der Bescheid in Rechtskraft.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der BF ist in Ägypten keiner persönlichen Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Ägypten eine Verletzung von Art 2, Art 3 oder auch der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der BF ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

Im Falle einer Rückkehr nach Ägypten ist dem BF nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Ägypten:

Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat des BF (Stand 24.07.2019) stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

1.3.1 Sicherheitslage

Die terroristische Bedrohung ist auf ägyptischem Gebiet chronisch (FD 1.7.2019b). Es besteht landesweit weiterhin ein erhöhtes Risiko terroristischer Anschläge. Diese richten sich meist gegen ägyptische Sicherheitsbehörden, vereinzelt aber auch gegen ausländische Ziele und Staatsbürger (AA 1.7.2019; vgl. FD 1.7.2019a).

Das Risiko besteht auch bei politischen Kundgebungen, Demonstrationen und religiösen Veranstaltungen in Ballungsräumen. Insbesondere bei christlich-orthodoxen Feiertagen ist in der Umgebung von christlichen Einrichtungen erhöhte Vorsicht geboten (BMEIA 1.7.2019). Nach der Zündung eines Sprengkörpers am 19.5.2019 in Gizeh wird empfohlen wachsam zu sein und stark frequentierte Bereiche zu meiden (FD 1.7.2019a). In den letzten Jahren wurden mehrere Terroranschläge verübt. Nach einer Reihe von Anschlägen wurde im April 2017 für drei Monate der landesweite Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser wird seitdem regelmäßig alle drei Monate verlängert (AA 1.7.2019; AI 26.2.2019; vgl. FD 1.7.2019). Die Maßnahme geht mit erhöhten Eingriffsbefugnissen für Sicherheitskräfte und Militär einher. Es kommt vor allem nachts zu verstärkten Kontrollen durch Sicherheitskräfte (AA 1.7.2019). Zu Demonstrationen kommt es seit der Wahl von Staatspräsident Al-Sisi im Mai 2014 kaum noch (AA 1.7.2019).

Es kam auch zu einem erneuten religiös motivierten Angriff, auf einen koptischen Pilgerbus in Minya, bei dem 29 Menschen getötet wurden (FD 1.7.2019). Seit 2016 ist es wiederholt zu Anschlägen auf koptische Christen und koptische Kirchen gekommen. Dabei gab es zahlreiche Tote und Verletzte (AA 1.7.2019). Am 28.12.2018 wurden bei der Aktivierung eines Sprengsatzes in der Nähe der Pyramiden von Gizeh vier Menschen getötet. Am 15.2.2019 versuchten die Sicherheitskräfte, drei in Kairo gefundene Sprengsätze zu entschärfen, von denen einer explodierte. Am 18.2.2019 tötete eine Person mit einem Sprengstoffgürtel drei Menschen (FD 1.7.2019b).

Vor Reisen in den Norden der Sinai-Halbinsel und das ägyptisch-israelische Grenzgebiet wird gewarnt (AA 1.7.2019). Am 9.2.2019 begann die ägyptische Armee ihre umfassende Operation „Sinai 2018“ gegen militante Islamisten auf der Sinai Halbinsel (AA 24.6.2019a; AI 26.2.2019). Es kam zu Angriffen auf Touristen am Strand und in Hotels. Ein besonders schwerer terroristischer Anschlag nach dem Freitagsgebet in einer Moschee im November 2017 im Dorf Bir el Abed im Nord-Sinai forderte mehr als 300 Menschenleben (AA 1.7.2019; vgl. AA 24.6.2019a; FD 1.7.2019b) und zahlreiche weitere verletzt (AA 1.7.2019). Bereits im August 2013 wurde im Gouvernorat Nordsinai der Ausnahmezustand verhängt und seitdem immer wieder verlängert. Es gilt auch eine nächtliche Ausgangssperre (AA 1.7.2019). Bereits Im April 2017 wurden in Folge von Anschlägen auf zwei Kirchen in Alexandria und Tanta 45 Menschen getötet und über 100 verletzt. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ hat sich zu den Anschlägen bekannt. Staatspräsident Al-Sisi verhängte einen Tag später den Ausnahmezustand, der seitdem alle drei Monate verlängert wurde. Die Politik der Härte und des permanenten Ausnahmezustands hat die Terrorgefahr jedoch nicht beseitigen können (AA 24.6.2019a). Das Österreichische Außenministerium ruft für den Nordsinai ein partielles Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 5) aus wie auch für die Saharagebiete an den Grenzen zu Libyen (einschließlich Mittelmeergebiet) und zum Sudan (BMEIA 1.7.2019). Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) besteht in den restlichen Gebieten der Sinai-Halbinsel, inklusive der Ostküste im Bereich von Nuweiba bis Taba sowie auch für das Innere des Südsinai (BMEIA 1.7.2019). Es kommt auch weiterhin zu terroristischen Anschlägen, zuletzt am 2.11.2018 in der ägyptischen Provinz Minya, wo sieben koptische Pilger starben, und am 28.12.2018 sowie am 19.5.2019 in der Nähe der Pyramiden von Gizeh, wo ausländische Touristen zu Tode kamen oder verletzt wurden (AA 24.6.2019a). Am 24.6.2019 kam es auf dem Sinai zu einem Gefecht zwischen der Armee und Kämpfern des Islamischen Staates (IS). Laut Auskunft des Innenministeriums seien dabei sieben Polizisten und vier Kämpfer des IS getötet worden (BAMF 1.7.2019).

Vor Reisen in entlegene Gebiete der Sahara einschließlich der Grenzgebiete zu Libyen und Sudan wird gewarnt (AA 1.7.2019). Die ägyptischen Behörden haben die Grenzregionen zu Libyen und zum Sudan zu Sperrgebieten erklärt (AA 1.7.2019). Minenfelder sind häufig unzureichend gekennzeichnet, insbesondere auf dem Sinai, in einigen nicht erschlossenen Küstenbereichen des Roten Meeres, am nicht erschlossenen Mittelmeerküstenstreifen westlich von El Alamein und in Grenzregionen zu Sudan und Libyen (AA 1.7.2019).

Die Kriminalitätsrate ist in Ägypten vergleichsweise niedrig. Kleinkriminalität wie Taschendiebstähle und auch vereinzelte Übergriffe speziell auf Frauen haben etwas zugenommen (AA 1.7.2019).

1.3.2 Rechtsschutz / Justizwesen

Die Unabhängigkeit der Justiz ist vor allem im Bereich der äußerst weit verstandenen Terrorismusbekämpfung erheblich beeinträchtigt. Willkürliche Verhaftungen, Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen von Personen durch die Staatssicherheit und politisch motivierte Gerichtsverfahren sind an der Tagesordnung. Folter und Misshandlungen in Haft sind verbreitet. Die Sicherheitsdienste genießen de facto Straffreiheit. Sie agieren zunehmend außerhalb jedweder rechtlicher Vorgaben und entziehen sich der Kontrolle durch Justiz und Politik. (AA 22.2.2019).

Die Todesstrafe wird verhängt und gegenwärtig auch vollstreckt. Zu diskriminierender Strafverfolgung oder Strafzumessung aufgrund bestimmter Merkmale liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor. In diesem Bereich macht sich häufig der Druck der öffentlichen Meinung bemerkbar. Harte Strafen gegen Angehörige der Muslimbruderschaft und oppositionspolitische Aktivisten sind häufig Ausdruck einer politisierten Justiz, die nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verfährt. Vor dem Hintergrund allgemein harter und häufig menschenrechtswidriger Haftbedingungen gibt es Hinweise, dass insbesondere junge und unbekannte politische Straftäter besonders harten Haftbedingungen ausgesetzt sind. Amnestien werden wiederholt angekündigt und auch umgesetzt. Anlässlich ägyptischer Feiertage werden immer wieder Gefangene amnestiert bzw. im formellen Sinne begnadigt. Allerdings profitieren hiervon in der Regel keine politischen Gefangenen, sondern ausschließlich Strafgefangene. Allgemeine Voraussetzungen sind in der Regel die Verbüßung von mindestens der Hälfte der Haftzeit und gute Führung in Haft. Im November 2016 kam es jedoch zur Amnestierung von über 100 Studenten und Journalisten, die wegen Teilnahme an Demonstrationen oder wegen ihrer Berichterstattung festgenommen wurden (AA 22.2.2019). Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Andersdenkende inhaftieren zu können und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und Mitarbeiter ein. Die Behörden verwendeten Einzelhaft, Folter und andere Misshandlungen und ließen weiterhin Hunderter von Menschen ungestraft verschwinden. Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen wurden nicht untersucht. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten zahlreiche Menschen zum Tode (AI 26.2.2019; vgl. AI 23.5.2018). Sie hatten im August 2013 an Massenprotesten vor der al-Fateh-Moschee teilgenommen. Das Verfahren gegen die insgesamt 494 Angeklagten war grob unfair. Gerichte verließen sich bei der Urteilsfindung maßgeblich auf Berichte des nationalen Geheimdienstes und ließen Beweise zu, die nicht stichhaltig waren, darunter auch unter Folter erpresste »Geständnisse«. Zivilpersonen mussten nach wie vor mit unfairen Gerichtsverfahren vor Militärgerichten rechnen. Mindestens 384 Zivilpersonen wurde 2017 vor Militärgerichten der Prozess gemacht (AI 23.5.2018). Die Verfassung sieht die Unabhängigkeit und Immunität der Richter vor. Die Gerichte handelten in der Regel unabhängig, obwohl es einzelnen Gerichten manchmal an Unparteilichkeit fehlte und diese zu politisch motivierten Ergebnissen gelangten. Die Regierung respektierte in der Regel Gerichtsbeschlüsse. Das Gesetz geht von einer Unschuld der Angeklagten aus, und die Behörden informieren sie in der Regel unverzüglich und im Detail über die Anklagen gegen sie. Die Angeklagten haben das Recht, bei den Verfahren anwesend zu sein. Die Teilnahme ist verpflichtend für Personen, die eines Verbrechens angeklagt werden, und fakultativ für diejenigen, die wegen Vergehen angeklagt sind. Zivilverhandlungen sind in der Regel öffentlich. Die Angeklagten haben das Recht, einen Anwalt zu konsultieren, und die Regierung ist zuständig für den Rechtsbeistand, wenn der Angeklagte sich keinen Rechtsanwalt leisten kann. Verhandlungen vor dem Militärgericht sind nicht öffentlich (USDOS 13.3.2019). Die ägyptische Justiz ist in Zivil- und Strafgerichte einerseits und Verwaltungsgerichte andererseits unterteilt. Jeweils höchste Instanz ist das Kassationsgericht bzw. das Hohe Verwaltungsgericht. Darüber hinaus existieren Sonder- und Militärgerichte. Seit 1969 ist das Oberste Verfassungsgericht das höchste Gericht. Obwohl die Gerichte in Ägypten - mit gewissen Einschränkungen - als relativ unabhängig gelten und sich Richter immer wieder offen gegen den Präsidenten stellten, gab es immer wieder Vorwürfe gegen Richter, Prozesse im Sinn des Regimes zu manipulieren. Solche Vorwürfe werden auch heute noch in Bezug auf die Prozessführung gegen die angeklagten Spitzen des alten Regimes sowie hohe Offiziere der Sicherheitskräfte erhoben. Das Mubarak-Regime bediente sich immer wieder der durch den Ausnahmezustand legitimierten Militärgerichte, um politische Urteile durchzusetzen. Auch nach der Revolution wurden zahlreiche Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt (GIZ 12.2018).

1.3.3 Sicherheitsbehörden

Die primären Sicherheitskräfte des Innenministeriums sind die Polizei und die Zentralen Sicherheitskräfte. Die Polizei ist für die Strafverfolgung bundesweit verantwortlich. Die Zentralen Sicherheitskräfte sorgen für die Sicherheit der Infrastruktur und wichtigen in- und ausländischen Beamten. Zivile Behörden behielten die wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte bei (USDOS 13.3.2019). Lang andauernde Haft ohne Anklage ist auf Veranlassung der Sicherheitsbehörden weit verbreitet. Urteile in politisch motivierten Verfahren basieren in der Regel nicht auf rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 22.2.2019). In den meisten Fällen hat die Regierung Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, die zu einem Umfeld der Straflosigkeit beitragen, nicht umfassend untersucht. Die Regierung verfügt nicht über wirksame Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch. Die offizielle Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 13.3.2019). Militär und Sicherheitsbehörden nehmen im Staatsgefüge eine dominierende Position ein und verfügen über weitreichende Befugnisse und Einflussmöglichkeiten. Gerade auf dem Gebiet der begrifflich sehr weit verstandenen Terrorismusbekämpfung sind die Sicherheitsbehörden der Kontrolle durch die Justiz und andere Verfassungsorgane weitgehend entzogen. Polizei und Staatsschutz (National Security Services) sind formal getrennt, unterstehen jedoch gemeinsam dem Innenministerium (AA 22.2.2019).

1.3.4 Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung besagt, dass keine Folter, Einschüchterung, Nötigung oder körperlicher oder moralischer Schaden einer Person zugefügt werden darf, die Behörden inhaftiert oder festgenommen haben. Das Strafgesetzbuch verbietet die Folter, um ein Geständnis von einem festgenommenen oder inhaftierten Verdächtigen zu erlangen, berücksichtigt aber nicht den psychischen oder psychologischen Missbrauch (USDOS 13.3.2019).

Folter wird durch ägyptische Sicherheitsbehörden in unterschiedlichen Formen und Abstufungen praktiziert. In Polizeigewahrsam sind Folter und Misshandlungen weit verbreitet. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu Todesfällen in Haft. Menschenrechtsverteidiger kritisierten, dass Beweise, die zu Verurteilungen in Strafverfahren führten, unter Folter gewonnen werden (AA 22.2.2019; USDOS 13.3.2019). Die Praxis der Folter ist nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt, auch wenn politische Aktivisten besonders gefährdet sind. Folter wird als Mittel zur Abschreckung und Einschüchterung eingesetzt (AA 22.2.2019). Regierungsbeamte leugneten, dass die Anwendung von Folter systematisch sei. Laut Human Rights Watch (HRW) und lokalen NGOs war Folter am häufigsten auf Polizeistationen und anderen Inhaftierungsorten des Innenministeriums zu finden (USDOS 13.3.2019).

Extralegale Tötungen werden im Zusammenhang mit dem staatlichen Vorgehen gegen Islamisten verübt. Willkürliche Festnahmen und erzwungenes Verschwindenlassen. Inhaftierungen durch die Sicherheitsbehörden über längere Zeiträume ohne Anklage und Benachrichtigung von Angehörigen und Rechtsbeiständen sind verbreitet und üblich. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 22.2.2019).

Gefangene in Gewahrsam der Sicherheitskräfte wurden verprügelt und anderweitig misshandelt. Verhörbedienstete des nationalen Geheimdienstes folterten und misshandelten zahlreiche Personen, die Opfer des Verschwindenlassens geworden waren, um "Geständnisse" zu erpressen, die später vor Gericht als Beweismittel verwendet wurden. Das Ausmaß der Menschenrechtskrise in Ägypten hat sich erweitert. Die Behörden setzten weiterhin Folter und andere Misshandlungen in Haftanstalten ein (AI 26.2.2019).

Seitdem Präsident Abdel Fattah Al-Sisi im März 2018 eine zweite Amtszeit in einer weitgehend unfreien und unfairen Präsidentschaftswahl gewonnen hat, haben seine Sicherheitskräfte eine Kampagne der Einschüchterung, Gewalt und Verhaftungen gegen politische Gegner, Aktivisten der Zivilgesellschaft und viele andere geführt, die lediglich leichte Kritik an der Regierung geäußert haben (HRW 17.1.2019).

Die Kampagne Stop Enforced Disappearance hat von Juli 2013 bis August 2018 1.530 Fälle dokumentiert. Mindestens 230 davon ereigneten sich zwischen August 2017 und August 2018. Der Aufenthaltsort von mindestens 32 der im Jahr 2018 verschwundenen Personen blieb bis August 2018 unbekannt (HRW 17.1.2019).

1.3.5 Korruption

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption vor, aber die Regierung setzte das Gesetz nicht konsequent um (USDOS 13.3.2019).

Korruption ist auf allen Ebenen der Regierung weit verbreitet. Offizielle Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung korrupter Aktivitäten sind nach wie vor schwach und ineffektiv. Nach einer Änderung des Strafgesetzbuches im Jahr 2015 können Angeklagte in Fällen finanzieller Veruntreuung die Inhaftierung durch Zahlung von Entschädigung vermeiden; die Strafen sind meist gering. Die Administrative Control Authority (ACA), die für die meisten Antikorruptionsinitiativen zuständige Stelle, verfolgt oft politisch motivierte Korruptionsfälle, operiert allerdings undurchsichtig (FH 4.2.2019). Die Korruptionsbehörde der Regierung (Central Agency for Auditing and Accounting) legte dem Präsidenten und dem Premierminister Berichte vor, die der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung standen (USDOS 13.3.2019). Laut Corruption Perceptions Index 2018 befindet sich Ägypten auf Platz 105 von 180 Ländern (TI 2018). Ägypten erreichte in diesem Jahr nur 35 von 100 Punkten im Index und lag damit deutlich unter dem globalen Durchschnitt von 43 (TI 13.2.2019).

1.3.6 Allgemeine Menschenrechtslage

Die Lage der Menschenrechte ist besorgniserregend (AA 24.6.2019a). Die im Januar 2014 angenommene Verfassung enthält einen im Vergleich zu früheren Verfassungen erweiterten Grundrechtskatalog, der sowohl bürgerlich-politische wie auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Viele dieser Grundrechte stehen jedoch unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt. In der Praxis werden diese Rechte immer weiter eingeschränkt, vor allem bürgerlich-politische Rechte. Allerdings hat Ägypten den Kernbestand internationaler Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, so etwa den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die UN-Folterkonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention, wie auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Erhebliche Vorbehalte zu diesen Instrumenten betreffen unter anderem Bestimmungen betreffend die Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund islamischen Rechts (Scharia-Vorbehalt) (AA 22.2.2018).

Obwohl Ägypten alle wichtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnete und Personen- und Freiheitsrechte in der Verfassung geschützt sind, wurde und wird das Land regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen stark kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie viele der über 30 ägyptischen Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen regelmäßig englisch- und arabischsprachige Berichte zur Menschenrechtslage in Ägypten, darunter die Egyptian Organization for Human Rights EOHR, das Nadim Zentrum für Gewaltopfer, die Egyptian Initiative for Personal Rights EIPR und das Budgetary and Human Rights Observatory (GIZ 12.2018).

Das Ausmaß der ägyptischen Menschenrechtskrise weitete sich aus, da die Behörden Gegner, Kritiker, Satiriker, aktuelle und ehemalige Menschenrechts- und Arbeitsrechtsaktivisten, Journalisten, Präsidentschaftskandidaten und Überlebende sexueller Belästigung verhafteten. Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Gegner zu inhaftieren, und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Mitarbeiter ein. Die Behörden wandten Einzelhaft, Folter und weitere Arten von Misshandlungen an und ließen Hunderte von Menschen ungestraft verschwinden. Untersuchungen von Fällen außergerichtlicher Hinrichtungen wurden unterlassen. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten Hunderte von Menschen zum Tode. Menschen wurden aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung verhaftet. Die Behörden hinderten Christen daran, ihren Glauben frei auszuüben, und verabsäumten es, die Verantwortlichen für sektiererische Gewalt zur Verantwortung zu ziehen. Die Streitkräfte setzten bei einer laufenden Militäroperation im Sinai verbotene Streubomben ein (AI 26.2.2019).

Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme waren der übermäßige Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte, Defizite in ordentlichen Gerichtsverfahren und die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten. Übermäßiger Einsatz von Gewalt umfasste rechtswidrige Tötungen und Folter. Zu den prozessbedingten Problemen gehörten die übermäßige Verwendung von präventiver Haft und Untersuchungshaft. Das Problemfeld bei den bürgerlichen Freiheiten beinhaltet gesellschaftliche und staatliche Beschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit, sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Andere Menschenrechtsprobleme beinhalteten das Verschwindenlassen, harte Gefängnisbedingungen, willkürliche Verhaftungen, eine Justiz, die in einigen Fällen zu Ergebnissen kam, die nicht durch öffentlich zugängliche Beweise gestützt wurden oder die politische Motivationen zu reflektieren schienen, Straflosigkeit für Sicherheitskräfte, Begrenzung der Religionsfreiheit, Korruption, Gewalt, Belästigung und gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen und Mädchen, einschließlich weiblicher Genitalverstümmelung, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Menschenhandel, gesellschaftliche Diskriminierung religiöser Minderheiten, Diskriminierung und Verhaftungen auf der Grundlage sexueller Orientierung (USDOS 13.3.2019).

Weiters gibt es glaubhafte Berichte über Folter und Misshandlungen auch mit Todesfolge in Haftanstalten der Staatssicherheit und Polizeistationen. Die Todesstrafe kommt unter Staatspräsident Al-Sisi wieder verstärkt zur Anwendung und wird seit Dezember 2017 auch vermehrt vollstreckt. Im Namen der Terrorismusbekämpfung und Sicherung der Stabilität geht die staatliche Repression mit erheblichen Verletzungen grundlegender Menschenrechte einher. (AA 24.6.2019a).

1.3.7 Todesstrafe

Das ägyptische Strafrecht sieht die Möglichkeit, die Todesstrafe zu verhängen. Die Verhängung, Aufrechterhaltung und Durchführung der Todesstrafe haben in Ägypten seit 2017 deutlich zugenommen. Im Juni 2014 wurde nach einem seit 2011 bestehenden de-facto Moratorium die Vollstreckung der Todesstrafe wieder aufgenommen. Öffentlichkeitswirksam wurden zahlreiche Führungskader der Muslimbrüder erstinstanzlich zum Tode verurteilt. Die Verfahren entsprachen nicht rechtsstaatlichen Prinzipien, sondern sind das Instrument einer politisierten Justiz, sich an der staatlichen Repression gegen die Muslimbrüder zu beteiligen und diese unter zusätzlichen Druck zu setzen. Auch bei schweren Verbrechen ohne politischen Hintergrund wird die Todesstrafe verhängt (AA 22.2.2019). Ägypten lag 2017 mit der höchsten Zahl an Hinrichtungen an sechster Stelle und lag an dritter Stelle mit der Zahl an Todesurteilen weltweit. Allein im September 2018 verhängte ein Strafgericht in Kairo in einem Massenprozess 75 Todesurteil (HRW 17.1.2019). Seit Dezember 2017 ist die Zahl der Hinrichtungen drastisch gestiegen. Die Zivilgesellschaft geht 2018 von mindestens 612 erstinstanzlichen Todesurteilen und 38 Hinrichtungen aus. In der ägyptischen Gesellschaft besteht breite Zustimmung zur Verhängung der Todesstrafe (AA 22.2.2019). Zwischen Dezember 2017 und März 2018 hat das Cairo Institute for Human Rights Studies (CIHRS) die Hinrichtung von 39 Personen dokumentiert, die meisten davon Zivilisten, die von Militärgerichten verurteilt wurden (HRW 17.1.2019).

1.3.8 Haftbedingungen

Die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten bleiben hart und potenziell lebensbedrohlich (USDOS 13.3.2019) und entsprechen nicht internationalen Standards. Haftanstalten sind gegenwärtig überfüllt. Folter und Misshandlungen sowie Todesfälle in Haft sind verbreitet. Zwangsarbeit kann in Verbindung mit Haftstrafen als Teil der Strafe verhängt werden, ausdrücklich auch in Form von schwerer körperlicher Arbeit („hard labour“) (AA 22.2.2019). Es gab Fälle von zu Tode gefolterten Personen und andere Vorwürfe von Morden in Gefängnissen und Haftanstalten. Die Regierung hat in einigen Fällen Täter angeklagt, verfolgt und verurteilt (USDOS 13.3.2019). Folter und andere Misshandlungen blieben in den offiziellen Hafteinrichtungen an der Tagesordnung und werden systematisch in den Haftzentren des nationalen Geheimdienstes praktiziert. Gefangene, die aus politischen Gründen inhaftiert wurden, werden mit unbegrenzter oder lang andauernder Einzelhaft bestraft. Im Februar 2017 änderte das Innenministerium die Gefängnisbestimmungen dahingehend, dass die Dauer der Einzelhaft auf bis zu sechs Monate verlängert werden kann. Andere Formen von Misshandlungen und mangelnde medizinische Versorgung bleiben in Gefängnissen weiterhin an der Tagesordnung (AI 23.5.2019; AI 26.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In einigen Fällen hielten Gefängnisbehörden Gefangene in kleinen Zellen fest, denen es an angemessener Beleuchtung, Belüftung oder Betten fehlte, oder Überbelegung aufwiesen (AI 26.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Mangel herrscht auch an ausreichender Nahrung. In einem Fall hielten die Behörden ein zwölfjähriges Kind mehr als sechs Monate lang in Einzelhaft (AI 26.2.2019). Zahlreiche Inhaftierte starben, weil die Gefängnisbehörden sich weigerten, sie zur medizinischen Behandlung in ein Krankenhaus zu verlegen (AI 23.5.2019; vgl. AI 26.2.2019). Im September 2017 starb der ehemalige Anführer der Muslimbruderschaft Mohamed Mahdi Akef im Gefängnis an Bauchspeicheldrüsenkrebs (AI 23.5.2018). Mursi litt seit langem an Diabetes und Hepatopathie und wurde nach Angaben seines Sohnes nicht adäquat behandelt. Dies wurde auch von britischen Parlamentsabgeordneten bestätigt, die ihn im Jahre 2018 besuchten. Mursi befand sich seit Jahren in Einzelhaft und war bereits 2018 auf einem Auge erblindet. Die wenigen Berichte über seine Haftbedingungen sprechen von nicht ausreichender und teilweise verdorbener Nahrung sowie dem Fehlen eines Bettes. Tod in Haft, vermutlich aufgrund unmenschlicher Haftbedingungen, ist kein seltenes Ereignis (BAMF 24.6.2019). Das Strafgesetzbuch sieht einen angemessenen Zugang zu den Gefangenen vor. Nach Angaben von NGO-Beobachtern und Verwandten verhinderte die Regierung manchmal den Zugang von Besuchern zu Gefangenen (USDOS 13.3.2019).

1.3.9 Bewegungsfreiheit

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Wiedereinbürgerung vor. Zudem darf laut Verfassung kein Bürger daran gehindert werden, das Staatsgebiet zu verlassen. Dennoch dürfen Männer, die den Wehrdienst nicht absolviert und keine Ausnahmegenehmigung erhalten haben, nicht ins Ausland reisen oder auswandern. Nationale Personalausweise belegen den Abschluss des Militärdienstes (USDOS 13.3.2019). Die Behörden verlangten sporadisch von Bürgern im Alter von 18 bis 40 Jahren, eine Erlaubnis des Innenministeriums, um in bestimmte Länder zu reisen, um so den Beitritt zu terroristischen Gruppen zu erschweren und die Flucht von Kriminellen zu verhindern (USDOS 13.3.2019). Die Regierung verhängte zunehmend Reiseverbote für Menschenrechtsverteidiger und politische Aktivisten, die wegen Straftaten angeklagt oder untersucht wurden. Weiters gibt es kein von der Regierung auferlegtes Exil, und die Verfassung verbietet der Regierung, Bürger auszuweisen oder Bürgern die Rückkehr ins Land zu verbieten. Einige Politiker leben freiwillig außerhalb des Landes, da sie von der Regierung mit Strafverfolgung bedroht wurden (USDOS 13.3.2019).

1.3.9.1 Meldewesen

Für ägyptische Staatsangehörige besteht keine zentrale Meldepflicht. Bei Forderungen gegen unbekannt verzogene ägyptische Staatsangehörige ist daher der Versuch einer Aufenthaltsermittlung nahezu aussichtslos (DBK 3.2014)

1.3.10 Grundversorgung

Subventionen zur Absicherung der Grundversorgung der ägyptischen Bevölkerung haben eine lange Tradition und zehren einen erheblichen Teil des Staatshaushaltes auf. Daran ändert auch das mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte Reformprogramm, das Kürzungen der staatlichen Subventionen für Elektrizität, Treibstoff, aber auch für Brotgetreide einschließt, nichts. So wurde z.B. nach Kürzung von Subventionen im Sommer 2017 und damit verbundenen Preissteigerungen die Zahl der Berechtigten für Lebensmittelkarten erhöht (bisher schon ca. 70 Mio. Personen) und auch der Umfang der über diese Karten zu beziehenden Güter nochmals ausgedehnt. Nicht-Ägypter haben nach hiesiger Kenntnis keinen Zugang zu diesem System (AA 22.2.2019). Im Rahmen des mit dem IWF verhandelten Reformprogramms versucht die Regierung, den notwendigen Strukturwandel in die Wege zu leiten. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 4,2 % und 2018 bei 5,3 %. Subventionen für Benzin, Diesel und Elektrizität werden von der Regierung sukzessive reduziert. Bis Juni 2021 ist eine vollständige Eliminierung aller Energiesubventionen vorgesehen (AA 24.6.2019c).

Ein weiteres Instrument der sozialen Sicherung liegt im Mietrecht begründet. Für einen Großteil von Mietverträgen, die in den 1950er und 1960er Jahren geschlossen wurden und seitdem innerhalb der Großfamilie weitergegeben wurden, gilt noch eine Mietpreisbindung, die im Altbestand zu teilweise grotesk niedrigen Mieten führt. Für neue Verträge seit ca. 1990 gelten ohnehin die Gesetze des Marktes. Im Rahmen der Erschließung von Wüstenregionen wird ein gewisser Prozentsatz an Land und Wohnungen an arme Bevölkerungsteile verlost (AA 22.2.2019).

Im Rahmen von zwei Sozialhilfeprogrammen KARAMA und TAKAFUL werden zudem verstärkte Schritte für eine gezielte Unterstützung der Ärmsten vorgenommen. Das Karama Projekt sieht monatliche Geldleistungen im Umfang von 40-80 USD an die Ärmsten der Armen sowie an ältere Menschen und Behinderte vor. Das konditionierte Takaful Projekt zielt auf die finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern ab, vorausgesetzt diese besuchen regelmäßig eine Schule (AA 22.2.2019).

Darüber hinaus existiert ein zwar in seiner Leistungsfähigkeit beschränktes, aber funktionierendes Sozialversicherungssystem, welches Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Unfallversicherungselemente enthält und von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bezahlt wird. Die größten Probleme ergeben sich hier aus relativ geringen tatsächlichen Auszahlungen und der Nichterfassung der großen Anzahl an Personen ohne formelle Erwerbsaktivitäten (informeller Sektor) bzw. solche die arbeitslos sind. Einen erheblichen Beitrag zur sozialen Sicherung leisten karitative Einrichtungen, vornehmlich auf religiöser Basis und finanziert aus Spenden und wohltätigen Stiftungen (AA 22.2.2019).

Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind hier nicht bekannt. Subventionsabbau droht – trotz langsam sinkender Inflation und sozialen Gegenmaßnahmen der Regierung die wirtschaftliche Situation vor allem der armen Segmente der Gesellschaft weiter zu verschlechtern. Bisher hat sich der latent in der Bevölkerung vorhandene Unmut nur punktuell manifestiert. Viel wird davon abhängen, wie schnell eine wirtschaftliche Erholung auch diese Schichten erfasst. Daneben zeichnet sich ab, dass Militär und auch Sicherheitsdienste in sozialen Bereichen, beispielsweise in der Verteilung von Lebensmitteln, einspringen und staatliche Aufgaben verstärkt substituieren (AA 22.2.2019).

Ägypten ist das nach Südafrika am stärksten industrialisierte Land Afrikas. Die Landwirtschaft spielt eine erhebliche Rolle. Der große informelle Sektor (v.a. Dienstleistungen; Schätzungen gehen von 30-40 % des BIP aus) nimmt zudem einen Großteil der Arbeitskräfte auf. Bei einem Netto-Bevölkerungswachstum von jährlich rund 2,5 Millionen Menschen ist die Arbeitslosigkeit und insbesondere Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch (offiziell wird die Jugendarbeitslosigkeit mit 28 % angegeben, Schätzungen gehen von höheren Zahlen aus). Ägypten hat ein großes Interesse an ausländischen Direktinvestitionen und fördert diese gezielt. Zahlreiche Handelshemmnisse und Bürokratie schrecken potenzielle Investoren jedoch ab. Staatliche Unternehmen sowie das ägyptische Militär spielen im Wirtschaftsleben eine starke Rolle. Jeder dritte Ägypter ist in der Landwirtschaft beschäftigt. Die landwirtschaftliche Nutzfläche erstreckt sich vor allem entlang des Nils sowie im Nildelta, macht aber nur rund 4 % der Gesamtfläche des Landes aus (AA 24.6.2019c).

Der Dienstleistungssektor absorbiert einen erheblichen Teil der Erwerbstätigen und erwirtschaftet große Teile des Bruttoinlandsproduktes. Einen maßgeblichen Beitrag leistet hierbei der Tourismusbereich (AA 24.6.2019c). Der Dienstleistungssektor ist der größte Wirtschaftssektor (GIZ 9.2018c). Er bietet rund 50 % der ägyptischen Arbeitskräfte eine Beschäftigung und trägt mit rund 49 % etwa die Hälfte zum BIP bei (GIZ 9.2018c). Ein schwer zu erfassender und vermutlich erheblicher Teil des Dienstleistungsbereichs arbeitet informell (AA 24.6.2019c).

Nach einer Studie der staatlichen Statistikbehörde CAPMAS gibt eine ägyptische Durchschnittsfamilie rund 40 % ihres Einkommens nur für Nahrungsmittel aus, Familien aus ärmeren Schichten bis zu 63 %. Die Einkommensverteilung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten immer stärker zuungunsten der unteren Einkommensschichten entwickelt. Die meisten Ägypter verdienen jedoch wesentlich weniger als die Durchschnittslöhne und nur 60 % aller Lohnabhängigen haben überhaupt geregeltes Einkommen. Die dramatischen Preiserhöhungen für Grundlebensmittel in den letzten Jahren verschärften den Kaufkraftverlust und trafen vor allem die unteren Einkommensschichten, die nach Angaben von CAPMAS mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben (GIZ 9.2018).

Die staatlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung werden heute weithin als unzulänglich kritisiert. Sie bestehen im Wesentlichen aus nicht zielgruppenorientierten Subventionen für Grundnahrungsmittel und Energie, extrem niedrigen Sozialhilfe- und Pensionszahlungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen sowie Kredit-, und Entwicklungsprogrammen des Sozialfonds für Entwicklung (SfD), die jedoch weit hinter dem Bedarf zurückbleiben (GIZ 9.2018).

Die Armutsquote (2016/17) ist auf 27 % gestiegen (die höchste seit 2000). Über 10 Millionen Menschen in Ägypten haben weniger als 1 $ am Tag zur Verfügung. Rund 12,5 % der Bevölkerung sind arbeitslos und ca. 17 % der Familien werden von Frauenarbeit (im informellen Sektor) unterstützt (GIZ 9.2018).

1.3.11 Medizinische Versorgung

In Kairo ist eine ausreichende Versorgung gewährleistet. Die medizinische Versorgung außerhalb Kairos hat sich in den letzten Jahren zwar deutlich verbessert, dennoch entspricht sie nach wie vor oft nicht westeuropäischem Standard (AA 9.7.2019). Es kommt zu gravierenden Qualitätsmängel in der staatlichen Versorgung - mangelnde Hygiene oder vernachlässigte Wartung von Geräten ebenso wie unterbezahltes Personal (GIZ 2.2018).

Das grundlegend funktionierende Sozialversicherungssystem mit Elementen der Kranken- und Unfallversicherung ist eingeschränkt leistungsfähig. Eine minimale kostenlose Grundversorgung ist gegeben. Notfälle werden behandelt; die Grundversorgung chronischer Krankheiten ist minimal und oft nur mit Zuzahlungen gegeben (AA 22.2.2019). Der Großteil der ägyptischen Bevölkerung ist über den Staat versichert. Problematisch ist, dass diese Versicherung an Ausbildung oder Arbeitsplatz gekoppelt ist, und Arbeitslose oder Arme daher ausschließt (GIZ 2.2018).

Aktuell soll ein neuer Gesetzesentwurf das Problem angehen und eine adäquate Krankenversicherung schrittweise auf alle Bevölkerungsgruppen ausdehnen (GIZ 2.2018). Ein Gesetz über umfassende Gesundheitsvorsorge wurde im Herbst 2017 verabschiedet, aber dessen Finanzierung ist noch nicht abschließend geregelt. Es gibt im Großraum Kairo über 100 staatliche Krankenhäuser, u. a. die Uni-Kliniken Kasr El Aini und Ain Shams. Die Versorgung mit Medikamenten im örtlichen Markt ist ausreichend. Importe werden staatlich kontrolliert (AA 22.2.2019).

Im September 2017 kam es zum ersten Ausbruch von Dengue-Fieber am Roten Meer (Alquaseer) seit mehreren Jahren. Inzwischen wurden auch Fälle aus Hurghada gemeldet (AA 9.7.2019).

1.3.12 Rückkehr

Es gibt keine gesonderten Aufnahmeeinrichtungen. Zur Situation von Rückkehrern liegen keine Erkenntnisse vor. Staatliche Maßnahmen als Reaktion auf Asylanträge im Ausland sind nicht bekannt. Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind nicht bekannt (AA 22.2.2019).

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den Abschluss-Bericht des Stadtpolizeikommandos XXXX vom 28.08.2020, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Ägypten (Stand 24.07.2019). Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Zentralen Fremdenregister wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.3. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seiner Herkunft und Staatsangehörigkeit, seiner Glaubenszugehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Schulbildung gründen auf den diesbezüglichen glaubhaften Angaben des BF vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Protokoll vom 18.08.2020, AS 19 ff). Da der BF den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Dass der BF gesund ist, ergibt sich aus den diesbezüglich Ausführungen des BF, wobei er zu Protokoll gab, an keinen die Einvernahme hindernden Krankheiten zu leiden und keine Medikamente einzunehmen (Protokoll vom 18.08.2020, AS 25; Protokoll vom 24.08.2020, AS 95; Protokoll vom 03.09.2020, AS 155) und ergeben sich auch aus dem Akteninhalt keine gegenteiligen Hinweise. Aufgrund des Gesundheitszustands und des erwerbsfähigen Alters konnte die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit des BF getroffen werden.

Die Feststellungen zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich lassen sich dem vorliegenden Verwaltungsakt und einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person des BF entnehmen. Die Ausreise aus Ägypten und die Reiseroute bis nach Österreich ergibt sich aus den gleichbleibenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Rahmen der Erstbefragung (Protokoll vom 18.08.2020, AS 27) und der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde (Protokolle vom 24.08.2020, AS 99). Dass der BF seit (mindestens) 03.08.2020 in Österreich aufhältig ist, ergibt sich aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Hinsichtlich der Feststellung zu den in Ägypten jedenfalls aufhältigen Familienmitgliedern gilt es, auf die entsprechenden Angaben des BF vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu verweisen (Protokoll vom 18.08.2020, AS 23). Dass der BF über keine maßgeblichen familiären und privaten Beziehungen in Österreich verfügt, ergibt sich einerseits aus den Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zuge der Erstbefragung (Protokoll vom 18.08.2020, AS 23), andererseits aus den Ausführungen vor der belangten Behörde im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme (Protokoll vom 24.08.2020, AS 97). Dass der BF über keine maßgeblichen privaten Beziehungen verfügt, ist überdies seinem sehr kurzen Aufenthalt im Bundesgebiet geschuldet.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 18.09.2020.

Aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person des BF wird dessen Aufenthalt im PAZ XXXX sowie im AHZ XXXX ersichtlich.

Dass der BF keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht aufweist, ist dem Umstand geschuldet, dass der BF erst seit (mindestens) 03.08.2020 im Bundesgebiet aufhältig war und eine Integration in derart kurzer Zeit realistischerweise nicht möglich ist, zudem auch nicht vorgebracht wurde.

Dass gegen den BF mit Bescheid vom 11.08.2020 eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister zur Person des BF, ebenso das Datum seiner Rechtskraft.

2.4. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Bei der Erstbefragung gab der BF zu Protokoll, seine Familie sei mit einer anderen Familie im Streit gelegen, wobei der Vater des BF getötet worden sei. Die andere Familie habe einen Sohn im Alter des BF gehabt, welcher im Zuge des Streites zwischen ihm und dem BF gestorben sei, weswegen die Polizei den BF suche. Im Falle einer Rückkehr befürchte der BF, festgenommen bzw. getötet zu werden. Überdies habe er sich für seine Ausreise Geld geborgt, welches er bei im Falle einer Rückkehr zurückgeben müsse.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme führte der BF vor der belangten Behörde aus, sein Vater sei ein Regimegegner und die andere Familie für dieses Regime gewesen. Diese Familie hätte mit dem Vater des BF gestritten und diesen mit einem Schlag getötet. Die Polizei habe die Familie, welche den Vater getötet habe, verhaftet. Aus Rache habe der BF dann den Sohn der Familie geschlagen, weswegen dieser umgefallen und der BF geflüchtet sei. Später habe der BF erfahren, dass er gestorben sei und die Polizei nach dem BF suche. Überdies habe er sich Geld ausgeliehen, was er nicht zurückgezahlt habe und weswegen er schon verurteilt sei und ins Gefängnis müsse.

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

Generell ist zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der BF sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der BF den seiner Meinung nach seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der BF nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen.

Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines BF und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) – zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es dem BF nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen glaubwürdig und in sich schlüssig darzulegen.

Vorab gilt es anzumerken, dass der BF bereits hinsichtlich seiner Reisedokumente keine gleichbleibenden Angaben machte bzw. widersprüchliche Angaben tätigte. So führte er noch vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aus, seinen Reisepass in Griechenland verloren zu haben (Protokoll vom 18.08.2020, AS 25), im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde steigerte er sein Vorbringen dahingehend, dass sein Pass von der Polizei in Griechenland zerrissen worden sei (Protokoll vom 24.08.2020, AS 97).

Auch hinsichtlich etwaiger Vorstrafen verstrickte sich der BF in Widersprüche. So führte er im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde zu Beginn noch aus, er sei weder in Österreich, im Herkunftsstaat, noch in anderen Staaten vorbestraft, wobei in Ägypten eine Anzeige gegen ihn laufe, es aber kein Urteil gebe (Protokoll vom 24.08.2020, AS 97). Einige Fragen später gab der BF im Gegensatz dazu jedoch zu Protokoll, er sei schon in Ägypten verurteilt worden, weil er ausgeliehenes Geld nicht habe zurückzahlen können und er deswegen „sitzen“ müsse (Protokoll vom 24.08.2020, AS 99 und AS 101). Auf diesen Widerspruch angesprochen brachte der BF vor, dass wenn er das Geld nicht zahle, angezeigt werde und er dann ins Gefängnis müsse. Zumal sich dieses Vorbringen auf ein etwaiges Szenario in der Zukunft bezieht, verstrickte sich der BF dadurch neuerlich in einen Widerspruch im Vergleich zu seiner vorherigen Aussage, nämlich, dass eine Verurteilung in Ägypten bereits stattgefunden habe (Protokoll vom 24.08.2020, AS 103).

Das Fluchtvorbringen selbst weist – wie die belangte Behörde in ihrem Bescheid bereits zutreffender Weise ausgeführt hat – zahlreiche Widersprüche auf und kann dem BF diesbezüglich kein Glauben geschenkt werden.

Während der BF im Zuge seiner Erstbefragung noch ausführte, der Sohn der anderen Familie sei im Zuge eines Streites zwischen ihm und dem BF verstorben (Protokoll vom 18.08.2020, AS 38), so gab er dazu im Widerspruch vor der belangten Behörde – erst auf explizite Nachfrage – zu Protokoll, dass er vor dessen Haus gewartet und diesen geschlagen habe (Protokoll vom 24.08.2020, AS 101). Von einem vorangegangenen etwaigen Streit mit diesem, wie noch im Zuge der Erstbefragung angeführt, vermochte der BF vor der belangten Behörde von sich aus nichts zu berichten. Vor den Beamten des Kriminalreferats XXXX steigerte der BF schließlich sein Vorbringen und gab nunmehr an, zuvor vom Opfer mit einem Messer bedroht worden zu sein, woraufhin er sich lediglich verteidigt und den Jungen zweimal mit einem Brett auf den Kopf geschlagen habe (Protokoll vom 28.08.2020, AS 147). Wenn der BF vor den vernehmenden Beamten vermeinte, im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde vergessen zu haben, dass er vom Opfer bedroht worden sei, so ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde den BF explizit aufgefordert hat, genau zu beschreiben, was der BF vom Zeitpunkt des vermeintlichen Streits zwischen ihm und dem vermeintlichen Opfer bis zur Ausreise getan habe, worauf der BF lediglich pauschal und vage antwortete: „Ich bin nach Kairo und bin geflüchtet.“ Auf neuerliche Nachfrage, das fluchtauslösende Ereignisses detailreicher zu schildern, führte der BF aus: „Ich wartete, bis er aus dem Haus kam. Als er aus dem Haus kam schlug ich ihn. Ich bin dann gelaufen und mit einem Bus bis zur Almansoura Station gefahren [...].“ Die Frage, ob ihm ausreichend Zeit eingeräumt wurde, seine Angaben vollständig und so ausführlich, wie er es wollte, zu machen, beantwortete der BF mit „Ja“. Auf weitere Nachfrage, ob er noch etwas angeben wolle, was ihm besonders wichtig erscheine, antwortete der BF mit „nein“. Der BF hätte somit genügend Gelegenheiten und im Zuge der eineinhalbstündigen Einvernahme auch hinreichend Zeit gehabt, ein vermeintliches Bedrohungsszenario zu schildern. Dazu gilt es noch anzumerken, dass der BF auch bereits im Zuge seiner Erstbefragung die Gelegenheit gehabt hätte, dieses doch zentral entscheidungsrelevante Vorbringen zu erstatten, wobei nicht verkannt wird, dass die Erstbefragung der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich diese nicht auf die näheren Fluchtgründe bezieht, und auch nicht unreflektiert übernommen werden dürfen (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Jedoch verstärkt das Verstreichenlassen gleich zwei sich bietender Gelegenheiten die Nichtglaubhaftigkeit des Vorbringens, zumal wohl kein Asylwerber eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (vgl. VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250) und ist nach ständiger Rechtsprechung ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubhaft anzusehen. Dazu ergänzend beantwortete der BF im Zuge seiner Erstbefragung die Frage, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihm bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe bzw. ob er im Falle einer Rückkehr mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen habe, mit „nein“, obwohl er zuvor die Frage, was er bei einer Rückkehr in die Heimat befürchte, noch mit „Ich befürchte, dass ich festgenommen bzw. getötet werde“ beantwortete (Protokoll vom 18.08.2020, AS 29). Der diesbezügliche Erklärungsversuch vor den Beamten des Kriminaldienstes XXXX , sich erst im Zuge derer Einvernahme an die Bedrohung mit einem Messer zu erinnern, stellt sich für das erkennende Gericht als reine Schutzbehauptung dar.

Auch hinsichtlich dem vermeintlichen Versterben des Opfers konnte der BF keine gleichbleibenden Angaben tätigen. Während er im Zuge seiner Erstbefragung noch behauptet hat, der Sohn der anderen Familie sei verstorben (Protokoll vom 18.08.2020, AS 38), so relativierte er dies bereits im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme dahingehend, dass er nur gesehen habe, wie dieser umgefallen sei und er erst von seiner Mutter erfahren habe, dass das Opfer verstorben sei (Protokoll vom 24.08.2020, AS 99). Im Zuge seiner zweiten niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde änderte der BF auf Vorhalt der belangten Behörde sein bisher Vorgebrachtes nochmals ab und behauptete nunmehr, auch seine Mutter habe nicht gewusst, was mit dem Jungen gewesen wäre (Protokoll vom 03.09.2020, AS 158).

Überdies vermochte der BF den fluchtauslösenden Vorfall – neben den soeben beschriebenen Widersprüchen – nur sehr vage, allgemein und oberflächlich zu schildern, wobei das Vorbringen jegliche Details vermissen lässt. Während der BF zum Zeitpunkt seiner Erstbefragung noch seinen Entschluss zur Ausreise aus Ägypten zeitlich mit Oktober 2019 einzuordnen vermochte (Protokoll vom 18.08.2020, AS 36), brachte der BF im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde sechs Tage später vor, der Vorfall habe sich vor einem Jahr (somit wohl im August 2019) ereignet, was mit dem angeführten Datum im Zuge der Erstbefragung nicht in Einklang zu bringen ist, zumal der BF selbst ausgeführt hat, am Tag des Vorfalls direkt ausgereist zu sein (Protokoll vom 24.08.2020, AS 99). Dass sich der BF weder an das Datum des Vorfalles erinnern könne, noch an jenes seiner Ausreise (Protokoll vom 24.08.2020, AS 101), lässt insbesondere in Anbetracht dessen, dass sich der BF hingegen sehr gut an den angeblichen weiteren Verlauf seiner Ausreise erinnern und anzugeben vermochte, von einem Freund seinen Reisepass erhalten und sich etwa sieben Stunden in Kairo aufgehalten zu haben, erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des BF aufkommen.

Damit im Einklang steht auch der Abschluss-Bericht des Stadtpolizeikommandos XXXX vom 28.08.2020, wobei die vernehmenden Beamten im Zuge der Einvernahme des BF als Beschuldigten Wiedersprüche in dessen Ausführungen wahrnehmen konnten und welche der BF vor den vernehmenden Beamten nicht aufzuklären vermochte (Protokoll vom 28.08.2020, AS 141 ff).

Für das erkennende Gericht besteht somit kein Zweifel daran, dass das Vorbringen des BF nicht auf wahren Tatsachen basiert, sondern vielmehr konstruiert wurde.

Bereits aus den Angaben des BF vor der belangten Behörde geht hervor, dass der BF ausschließlich aus taktischen Gründen um Asyl angesucht hat, was auch dadurch indiziert wird, dass der BF erst nachdem gegen ihn eine Rückkehrentscheidung mit 11.08.2020 erlassen wur

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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