TE Vfgh Erkenntnis 1995/9/26 B1863/94

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Veröffentlicht am 26.09.1995
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
DSt 1990 §23 Abs2

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Mitwirkung an der Vergabe eines wucherischen Darlehens; keine willkürliche Fällung des Disziplinarerkenntnisses vor Abschluß des strafgerichtlichen, mit Freispruch beendeten Verfahrens aufgrund mangelnder Verständigung der Disziplinarbehörde; hinreichende Konkretisierung der disziplinarrechtlichen Vorwürfe im Einleitungsbeschluß; keine überlange Verfahrensdauer

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 7. Oktober 1991 wurde Dr. E P schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er im März und April 1988 a) an J K zwei Darlehen zu wucherischen Bedingungen vermittelt b) im Zusammenhang mit dieser Darlehnsvermittlung als Treuhänder des Darlehnsgebers aufgetreten und tätig geworden ist und c) schließlich im eigenen Namen und ohne Offenlegung des Treuhandverhältnisses die wucherischen Darlehen gegen J K gerichtlich geltend gemacht hat. Dr. E P wurde hiefür zu einer Geldstrafe von S 50.000,-- sowie zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

1.2. Das vor dem Landesgericht Steyr wegen des diesem Schuldspruch zugrundeliegenden Sachverhaltes bereits anhängige Strafverfahren endete am 30. März 1993 vor dem Oberlandesgericht Linz mit einem Freispruch des Angeklagten.

1.3. Gegen den Disziplinarbescheid vom 7. Oktober 1991 wurde sowohl vom Beschwerdeführer als auch vom Kammeranwalt fristgerecht Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) erhoben. Mit Erkenntnis vom 14. März 1994 wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben. Hingegen erachtete die OBDK die Berufung des Kammeranwaltes als berechtigt und erhöhte die verhängte Geldstrafe von S 50.000,-- auf S 70.000,--.

1.3.1. Die OBDK stützte sich auf folgenden von der ersten Instanz als erwiesen angenommenen Sachverhalt:

"I K betreibt einen Groß- und Einzelhandel mit Eisen. J K führt das Geschäft seiner Gattin und beauftragte den DB mit der Führung der sich aus diesem Geschäftsbetrieb ergebenden Rechtsstreitigkeiten. Aus diesem Grunde hatte der DB hauptsächlich mit J K Kontakt.

Im März 1988 trat J K an den DB heran, ihm für ein großen Gewinn versprechendes Geschäft, nämlich den Ankauf von Eisenwaren, ein Darlehen von S 250.000,-- zu verschaffen. K bot die Rückzahlung von S 400.000,-- nach drei Monaten an. Der DB sagte J K den gewünschten Betrag gegen Sicherheitsleistung durch eine Bankgarantie über S 250.000,-- und Unterfertigung eines Blankowechsels zu.

Am 11. März 1988 schlossen der DB und J K hierüber folgende Vereinbarung schriftlich ab:

'1.) Herr Dr. P wird lediglich als Treuhänder tätig;

2.)

Herr Dr. P übergibt Herrn J K einen Betrag von S 250.000,--, welchen dieser zu einem dringenden Geschäft benötigt; der Empfang dieses Betrages wird hiemit bestätigt.

3.)

Herr K verpflichtet sich, binnen drei Monaten an Dr. P

S 400.000,-- zurückzuzahlen. Zur Besicherung dieser Forderung wird ein Blankoscheck '(gemeint wohl: Blankowechsel)' übergeben.

4.)

zur weiteren Besicherung der übergebenen S 250.000,-- wird eine Haftungserklärung übergeben, die erst nach Fristablauf bei der entsprechenden Bank eingelöst werden darf.'

Bei Abschluß dieser Vereinbarung übergab J K dem DB die mit 30. Juni 1988 befristete, unwiderrufliche und abstrakte Bankgarantie der Raiffeisenkasse Rohr im Kremstal vom 10. März 1988 über S 250.000,--.

Im April 1988 trat J K nochmals an den DB wegen Verschaffung eines weiteren Darlehens von S 200.000,-- für die Anschaffung von Eisenwaren gegen Rückzahlung bis 9. Mai 1988 heran. Am 22. April 1988 schlossen der DB und J K über diese Darlehensvereinbarung einen ähnlich formulierten Vertrag wie jenen vom 11. März 1988 ab (Tätigwerden des DB als Treuhänder; Rückzahlung von S 270.000,-- bis 9. Mai 1988, Sicherung durch Blankowechsel und Bankgarantie).

J K übergab dem DB ebenso wie bei der ersten Vereinbarung einen von ihm unterfertigten Blankowechsel und die mit 11. Mai 1988 befristete unwiderrufliche und abstrakte Bankgarantie der Raiffeisenkasse Rohr im Kremstal vom 21. April 1988 über

S 200.000,--.

Die Darlehensbeträge von S 250.000,-- und S 200.000,-- wurden J K zugezählt. Wegen Verzögerungen bei der Abwicklung des Geschäftes wurde die Bankgarantie über S 200.000,-- zunächst bis 27. Mai und schließlich bis 16. Juni 1988 verlängert. Bei der ersten Verlängerung vermerkte J K auf der Bankgarantie vom 21. April 1988 handschriftlich: 'S 270.000,-- retour zum genannten Zeitpunkt'.

In der Folge hat der DB die beiden Bankgarantien eingelöst. Weil das Geschäft nicht so gut wie erwartet lief, einigten sich der DB und J K im Juli 1988 darauf, daß Kiesler für die Zuzählung von insgesamt S 450.000,-- nicht den vereinbarten Mehrbetrag von S 220.000,--, sondern nur einen solchen von S 100.000,-- zu zahlen hatte. Zur Sicherung dieser Zahlungen übergab J K dem DB zwei mit 23. September und 30. September 1988 vordatierte Schecks über S 47.985,-- und S 52.015,--. Im Oktober 1988 erklärte J K, daß sich der DB die S 100.000,-- von Forderungseingängen seiner Gattin abziehen solle. Der DB lehnte dies ab, kündigte am 24. Oktober 1988 I K die Vollmacht und klagte nach Nichteinlösung der beiden Schecks einen der ihm von J K übergebenen Blankowechsel, den er auf eine Summe von S 100.000,-- ausfüllte, zu 3 Cg 321/88 Kreisgericht Steyr ein. J K erhob gegen den Wechselzahlungsauftrag vom 18. November 1988 Einwendungen. Das Erstgericht hielt den Wechselzahlungsauftrag mit Urteil vom 16. August 1990 aufrecht. Das Oberlandesgericht Linz änderte diese Entscheidung mit Urteil vom 14. Mai 1991 dahin, daß der Wechselzahlungsauftrag aufgehoben und das Begehren des Klägers auf Zahlung von S 100.000,-- s.A abgewiesen wurde, weil das gegenständliche Geschäft gemäß §879 Abs2 Z4 ABGB wucherisch und daher nichtig sei."

1.3.2. Ihre Entscheidung begründete die OBDK im wesentlichen wie folgt:

"Der Berufungswerber macht zunächst geltend, daß der Einleitungsbeschluß vom Schuldspruch abweiche; dieser Verstoß verletze sein rechtliches Gehör, da er nicht in der Lage gewesen sei, sich zu dem Sachverhalt der Darlehensvermittlung und des Auftretens als Treuhänder zu verantworten. Eine Zustimmung nach §36 Abs2 DSt 1990 habe er nicht erteilt.

Der Vorwurf ist nicht berechtigt:

Der gegen den DB gefaßte Einleitungsbeschluß lautet dahin, daß der Verdacht bestehe, er habe dadurch, daß er am 11. März 1988 J K S 250.000,-- rückzahlbar innerhalb von 3 Monaten darlehensweise überließ und für die Rückzahlung einen Mehrbetrag von S 150.000,-- vereinbarte und am 22. April 1988 einen Betrag von S 200.000,-- darlehensweise überließ, wobei er für die Rückzahlung bis 9. Mai 1988 einen Betrag von S 270.000,--, somit einen Mehrbetrag von S 70.000,-- vereinbarte, gegen Ehre und Ansehen des Standes verstoßen.

Gemäß §28 Abs2 DSt 1990 hat der Einleitungsbeschluß unter Angabe der näheren Umstände die Tathandlungen, deren der Beschuldigte verdächtigt wird, anzuführen. Die rechtliche Bedeutung des Einleitungsbeschlusses liegt allein darin, daß ein Disziplinarverfahren auf Grund einer für die disziplinäre Ahndung vorausgesetzten konkretisierten Anschuldigung seinen Fortgang nehmen kann. Anders als im gerichtlichen Strafverfahren, in dem der in der StPO normierte Grundsatz gilt, daß die Anklage bei sonstiger Nichtigkeit nicht überschritten werden darf, gibt es im Disziplinarverfahren keine Bindung an den Einleitungsbeschluß (VfGH Slg 4557, 5697). Anschuldigungspunkte, die im Einleitungsbeschluß nicht enthalten sind, in der mündlichen Disziplinarverhandlung aber 'erweitert' und verhandelt wurden, können Gegenstand eines Schuldspruches sein (AnwBl 1983, 706). Der im Einleitungsbeschluß (noch) nicht erwähnte Sachverhalt über Standesrechtsfragen kann zum Gegenstand der Verhandlung und damit des Erkenntnisses gemacht werden, wenn der Beschuldigte die Tatsache und den Inhalt eines daraus abzuleitenden standesrechtlichen Vorwurfes erkannt, und sich dazu auch verantwortet hat (AnwBl 1991, 473). Wesentlich ist die rechtzeitige Information des Disziplinarbeschuldigten, der keine Schwierigkeiten haben darf, seine Verantwortung auch zu dem nur scheinbar 'neuen' Faktum auszuführen.

Im vorliegenden Fall war dem DB vom Anfang an klar, daß die beiden Darlehensvereinbarungen vom 11. März und 22. April 1988 und die Umstände, die dazu geführt haben, Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind. Daß die Verhaltensumschreibung im Schuldspruch von jener des Einleitungsbeschlusses abweicht, ist darauf zurückzuführen, daß ein Teil des Verteidigungsvorbringens des DB als wahr angesehen wurde. Schon im Hinblick darauf, daß damit der Verteidigungsposition des DB Rechnung getragen wurde und er dadurch auch nicht überrascht werden konnte, ist er durch die Sachverhaltsmodifizierung und die teilweise geänderte rechtliche Beurteilung nicht beschwert.

Ferner rügt der DB eine Verletzung des §23 Abs2 DSt 1990, weil das Disziplinarerkenntnis erster Instanz vor rechtskräftigem Abschluß des Strafverfahrens 14 E Vr 252/91 des Kreisgerichtes Steyr gefällt wurde. Es trifft zwar zu, daß dann, wenn wegen eines dem angelasteten Disziplinarvergehen zugrundeliegenden Sachverhalts ein gerichtliches Strafverfahren anhängig ist, gemäß §23 Abs2 DSt 1990 bis zu dessen rechtskräftigen Abschluß wegen dieses Vergehens kein Disziplinarerkenntnis gefällt werden darf. Der Disziplinarrat wäre daher tunlichst schon früher vom Strafverfahren zu verständigen gewesen. Auch aus diesem Verstoß vermag jedoch der Berufungswerber nichts für sich abzuleiten. Ob es sich bei §23 Abs2 DSt 1990 um eine sanktionslose Ordnungsvorschrift handelt oder bei einem solchen Verstoß sogar mit der Aufhebung eines verfrüht gefällten Disziplinarerkenntnisses vorzugehen wäre, kann dahingestellt bleiben, weil durch den rechtskräftigen Abschluß des gerichtlichen Strafverfahrens jedenfalls eine Heilung dieses Mangels eingetreten ist. §23 Abs2 DSt 1990 soll ja nur verhindern, daß vor dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens über ein denselben Sachverhalt betreffendes Disziplinarvergehen erkannt wird. Da die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter die inzwischen vorliegende Entscheidung im Strafverfahren ohnehin zu berücksichtigen hat, ist der DB durch die Fällung des Disziplinarerkenntnisses erster Instanz vor rechtskräftigem Abschluß des Strafverfahrens in seiner Verfahrensposition nicht beeinträchtigt.

Ferner bekämpft der DB das Vorliegen des Wuchertatbestandes und des Tätigwerdens als Treuhänder und verweist dazu auf die Entscheidungsgründe des Ersturteils im Zivilverfahren, sowie (in der mündlichen Berufungsverhandlung vor der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter) schließlich auch auf seinen Freispruch im Strafverfahren.

Dazu trifft die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter folgende ergänzende Feststellungen:

Im Zivilrechtsstreit wegen Zahlung der Wechselsumme von S 100.000,-- (3 Cg 321/88 des Kreisgerichtes Steyr) hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 29. August 1991, 8 Ob 1007/91, die außerordentliche Revision des DB gemäß §508 a Abs2 ZPO mangels der Voraussetzungen des §502 Abs1 EO

zurückgewiesen, weil Ausbeutung im Sinne des §879 Abs2 Z4 ABGB lediglich das Bewußtsein des Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung voraussetze und die Initiative nicht vom Wucherer ausgehen müsse, der gegenständliche Wechsel nicht der Sicherung der Forderung aus einem Vergleich, sondern der aus einem wegen Wuchers nichtigen Rechtsgeschäft diente und sich das Berufungsgericht mit dem Erfordernis des subjektiven Elementes des Wuchertatbestandes und des Tatbestandes der Nichtigkeit nach §879 Abs1 ABGB zutreffend auseinandergesetzt habe.

In dem wegen des Vergehens des Geldwuchers nach §154 Abs1 StGB eingeleiteten Strafverfahren wurde der DB im zweiten Rechtsgang mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 30. März 1993, AZ 7 Bs 323/92, freigesprochen.

Dieses Urteil beruht insbesondere auf der Verantwortung des DB, 'daß er sich mit J K im Fall des Platzens des Schraubengeschäftes noch zusammenreden wollte, um den Vermögensvorteil neu auszuhandeln'. Diese Version hat jedoch der DB erstmals in der Hauptverhandlung vor dem Erstgericht am 7. September 1992 im zweiten Rechtsgang des Strafverfahrens vorgetragen. Das Kreisgericht Steyr hat diese Darstellung des Angeklagten als reine Schutzbehauptung qualifiziert.

Auf Grund dieser ergänzenden Feststellungen ist den Ausführungen des Berufungswerbers nicht zu folgen:

Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter ist bei der Feststellung und Beurteilung des Sachverhaltes weder an zivilrechtliche noch an strafrechtliche Vorerkenntnisse gebunden; sie hat vielmehr nach freier Überzeugung zu entscheiden. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter übernimmt die Feststellungen, die der Disziplinarrat zu diesem Sachverhalt getroffen hat. Diese decken sich nicht nur mit den zitierten Urkunden, die über die beiden Darlehensgeschäfte errichtet worden sind, sondern auch mit der ausführlichen und überzeugenden Begründung des Strafurteiles des Kreisgerichtes Steyr vom 7. September 1992. Den Ausführungen des Oberlandesgerichtes Linz im Strafverfahren vermag hingegen die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter nicht zu folgen.

Aus den beiden Urkunden über die Darlehensgewährung ergibt sich für den Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsabschlusses ein auffallendes Mißverhältnis zwischen dem Darlehen und der Gegenleistung (Verzinsung) im Sinne des §879 Abs2 Z4 ABGB, das im vorliegenden Fall geradezu exemplarisch ist. Beim ersten Darlehensgeschäft waren für ein auf drei Monate gewährtes Darlehen in Höhe von 250.000,-- S 150.000,-- S Zinsen zu zahlen, obwohl infolge Übergabe einer Bankgarantie über den Hauptsachenbetrag insofern keinerlei Ausfallsrisiko bestand. Daraus errechnen sich Jahreszinsen von S 600.000,--, also mehr als 200 % Zinsen. Beim zweiten Darlehen war das Mißverhältnis noch krasser. Auch hier war die Hauptforderung durch eine Bankgarantie gesichert, so daß keine Ausfallsgefahr bestand. Die Zinsen für ein Kapital von S 200.000,-- wurden für die Zeit vom 22. April 1988 bis 9. Mai 1988 (17 Tage) mit S 70.000,-- festgesetzt; auf das Jahr umgerechnet, wären dies ca. 1,5 Mio S Zinsen für ein Kapital von 200.000,-- S.

Bei diesem Sachverhalt kann nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß außer den objektiven Voraussetzungen des Wuchers auch die subjektiven Voraussetzungen, nämlich ein Willensmangel des Vertragspartners im Sinne des §879 Abs2 Z4 ABGB, zumindest aber ein zusätzliches Element der Sittenwidrigkeit im Sinne des §879 Abs1 ABGB vorlag. Dem DB fällt daher Mitwirkung an Geldwucher im gröbsten Ausmaß zur Last. Ein solches wucherisches oder sittenwidriges Geschäft durfte der DB weder im eigenen Namen und auf eigene Rechnung abschließen noch daran im eigenen Namen auf Rechnung eines von ihm nicht genannten (angeblich nahestehenden) Treugebers als Treuhänder abschließen. Daß der DB später dem Darlehensnehmer einen erheblichen Teil der vereinbarten Zinsen nachgelassen hat, kann ihn nicht vom Vorwurf der disziplinarwidrigen Mitwirkung an einem grob wucherischen Geschäft befreien; im übrigen waren auch die auf S 100.000,-- verringerten Zinsen immer noch wucherisch.

Auch die Rüge des Disziplinarbeschuldigten, daß keine Feststellungen über das Treuhandverhältnis getroffen wurden, ist unberechtigt; sie widerspricht der Aktenlage. Daß der DB als Treuhänder tätig wurde, ergibt sich aus beiden Darlehensvereinbarungen. Auf Grund der eigenen Verantwortung des DB wurde zu seinen Gunsten angenommen, daß er nicht selbst der geheimgehaltene Darlehensgeber war, in welchem Fall kein Treuhandverhältnis vorgelegen wäre. Damit konnte aber der DB bei der gerichtlichen Geltendmachung der Wechselforderung im eigenen Namen für einen unbekannten Treugeber nur als Treuhänder tätig werden.

Die anwaltlichen Standesbehörden (OGH, Disziplinarrat, zuletzt auch OBDK) haben wiederholt ausgesprochen, daß die Vermittlung wucherischer Geldgeschäfte und die Mitwirkung bei wucherischen Abmachungen sowie das Vereinbaren wucherischer Bedingungen bei Gewährung eines Darlehens eine schwere Beeinträchtigung des Standesansehens bildet und daß es den Anwalt auch nicht entschuldigt, wenn sich der Dritte (Klient) mit den drückenden Kreditbedingungen einverstanden erklärt. Beispielsweise hat der Oberste Gerichtshof am 10. Juni 1937 ausgesprochen, daß es gegen Ehre und Ansehen des Standes verstößt, wenn ein Rechtsanwalt bei einem Geschäft mitwirkt, bei dem sein Klient 120 % Zinsen (in Form einer Gewinnbeteiligung) erhalten soll. Abraten vom Geschäft entschuldige ihn nicht, bei Nichtbefolgung des Rates müsse der Anwalt die Mitwirkung versagen (AnwBl 1938, 96). Ebensowenig darf sich der Anwalt in eigenen Darlehenssachen Zinsen in übermäßiger Höhe ausbedingen. Die Entgegennahme eines unverhältnismäßig hohen Versprechens für einen als Darlehen oder als Beteiligung an einem Geschäft für eine ganz kurze Zeit hingegebenen Betrag verstößt gegen Ehre und Ansehen des Standes (AnwBl 1962, 24).

Da der DB als Treuhänder aufgetreten ist, obwohl er verpflichtet gewesen wäre, den Treugeber auf die Strafbarkeit und die zivilrechtliche Nichtigkeit solcher Vereinbarungen hinzuweisen und, falls dies nichts fruchtete, seine Mitwirkung an solchen dubiosen Geschäften abzulehnen, hat der DB mit der Mitwirkung an den Darlehensvereinbarungen und der gerichtlichen Geltendmachung der Darlehenszinsen nicht nur Ehre und Ansehen des Standes, sondern auch seine Berufspflichten gröblich verletzt."

2.1. Dagegen wendet sich vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf Durchführung eines fairen Verfahrens geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

2.2. Die OBDK als belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Beschwerde als "unbegründet zurückzuweisen".

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (der auf als "unbegründet zurückzuweisen" lautende Antrag der OBDK beruht offensichtlich auf einem Schreibfehler und sollte richtig heißen "unbegründet abzuweisen") - Beschwerde erwogen:

3.1.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich zunächst im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt und führt diesbezüglich im wesentlichen folgendes aus:

"Das angefochtene Erkenntnis setzt sich völlig darüber hinweg, daß das Strafverfahren mit meinem Freispruch geendet hat und diesbezüglich vom OLG Linz aufgrund weiterer Beweisergebnisse zusätzliche Feststellungen getroffen worden sind, wodurch der Tatbestand des Wuchers verneint worden ist ... Dabei ist es der OBDK auch völlig egal, daß sie sich auf Feststellungen bezieht die entgegen der Bestimmung des §23 Abs2 DSt getroffen wurden, da ja ein Disziplinarerkenntnis vor Abschluß des Strafverfahrens nicht zu fassen ist. Dies ausschließlich zu dem Grund, daß ja die strafrechtliche Würdigung abgeschlossen sein soll.

Dies gipfelt darin, daß die OBDK ausspricht, durch die Abhandlung trotz Strafverfahren wäre ich nicht benachteiligt und meinem Freispruch sei Rechnung getragen worden, obwohl sie ausdrücklich die für mich günstigen Feststellungen nicht übernimmt."

3.1.2. Der Vorwurf trifft offenkundig nicht zu. Nach §23 Abs2 DSt darf, wenn wegen eines dem angelasteten Disziplinarvergehen zugrunde liegenden Sachverhalts ein gerichtliches Strafverfahren anhängig ist, bis zu dessen rechtskräftigem Abschluß kein Disziplinarerkenntnis gefällt werden. Diese Vorschrift wurde im Zuge des erstinstanzlichen Disziplinarverfahrens - aufgrund der mangelnden Verständigung der Disziplinarbehörde vom anhängigen Gerichtsverfahren - zwar tatsächlich nicht beachtet, doch kann in der Verletzung dieser Verfahrensvorschrift dennoch unter den gegebenen Umständen keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz erblickt werden; die belangte Behörde hat dies im angefochtenen Bescheid in ausführlicher und vertretbarer Weise begründet.

Auch der Vorwurf, die OBDK habe sich willkürlich über Feststellungen des Oberlandesgerichtes Linz hinweggesetzt, ist nicht begründet: Der Umstand, daß das strafgerichtliche Verfahren mit einem Freispruch endete, schließt eine disziplinäre Verurteilung des Beschwerdeführers nicht aus. Die OBDK hat sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides mit der Sach- und Rechtslage ausführlich und sorgfältig auseinandergesetzt; Willkür liegt offenkundig nicht vor.

3.2.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Er begründet dies damit, daß die Behörde über Anschuldigungen abgesprochen habe, die nicht Gegenstand des Einleitungsbeschlusses waren.

3.2.2. Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter unter anderem dann verletzt, wenn die Behörde eine Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Sache in Anspruch nimmt, die ihr nicht zusteht (vgl. VfSlg. 8176/1977, 9696/1983 und 13419/1993). Der Gerichtshof hat für anwaltliche Disziplinarverfahren auch bereits klargestellt, daß nur die im Einleitungsbeschluß konkret umschriebene Tat Gegenstand eines Disziplinarverfahrens sein kann (vgl. VfSlg. 5523/1967), weil mit Zustellung dieses Beschlusses der Verfahrensgegenstand des Disziplinarverfahrens eröffnet wird, was aber eine spätere Erweiterung der Anschuldigungspunkte nicht auschließt (vgl. VfSlg. 9425/1982). Dem Einleitungsbeschluß kommt daher, wie der Verfassungsgerichtshof im eben zitierten Erkenntnis dargelegt hat, nicht die Funktion einer Anklageschrift nach der StPO zu. Es trifft aber auch der Beschwerdevorwurf, daß der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid wegen eines Verhaltens verurteilt wurde, das nicht Gegenstand des Einleitungsbeschlusses war, keineswegs zu. Im Einleitungsbeschluß wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe gegen Ehre und Ansehen des Standes verstoßen, weil er ein Darlehen zu wucherischen Bedingungen vermittelt habe. Damit mußte es dem Beschwerdeführer klar sein, daß Gegenstand des Disziplinarverfahrens alle Umstände waren, die im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit standen. Vor diesem Hintergrund vermag der Verfassungsgerichtshof auch insofern keinen in die Verfassungssphäre reichenden Mangel des Disziplinarverfahrens zu erkennen.

3.3.1. Der Beschwerdeführer behauptet schließlich eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren im Sinne des Art6 EMRK und begründet dies mit der Verfahrensdauer des zweitinstanzlichen Disziplinarverfahrens.

3.3.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag auch diesen Ausführungen nicht zu folgen: Da die OBDK während des Berufungsverfahrens vom Strafverfahren Kenntnis erlangt hat, war sie gemäß §23 Abs2 DSt verpflichtet, die Erledigung dieses Verfahrens abzuwarten. Schon im Hinblick darauf, daß der Gerichtsakt der OBDK nicht sofort nach der Verkündung des Urteils, sondern erst im Juli 1993 zur Verfügung stand, kann in der Dauer des gegenständlichen Verfahrens - von der Urteilsausfertigung des Gerichtes bis zur Entscheidung der OBDK sind nur knapp acht Monate vergangen - eine Verletzung des Art6 EMRK nicht erblickt werden.

3.3.3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3.3.4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, fair trial, Einleitungsbeschluß (Disziplinarverfahren)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B1863.1994

Dokumentnummer

JFT_10049074_94B01863_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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