TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/21 I403 2229517-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.10.2020
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Entscheidungsdatum

21.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2229517-2/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Algerien, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt VII. zu lauten hat: „Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz wird gegen Sie ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“

II. Im Übrigen wird die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass es in Spruchpunkt V. zu lauten hat: „Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist.“

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer wurde am 30.01.2016 bei einer fremdenpolizeilichen Kontrolle festgenommen und ins Polizeianhaltezentrum (PAZ) eingeliefert. Dabei machte er falsche Angaben zu seiner Identität und seinem Herkunftsstaat (angeblich Libyen) und gab er vor, minderjährig zu sein. Tags darauf gab er dann die im Spruch genannten Personendaten an und stellte seinen Erstantrag auf internationalen Schutz, den er in seiner Erstbefragung mit finanziellen Problemen begründete. Aufgrund seines Untertauchens konnte er von der belangten Behörde nicht einvernommen werden. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2016 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist von zwei Wochen wurde für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.). Der Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

2. Dennoch verblieb der Beschwerdeführer in Österreich. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 14.10.2018 wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

3. Der Beschwerdeführer wurde am 28.02.2020 im Anschluss an eine Strafhaft in Schubhaft genommen, wo er nach drei Tagen einen Folgeantrag stellte. Bei seiner Erstbefragung am 02.03.2020 gab er an, im Zuge eines Telefonats mit seinem Vater vor etwa einem Jahr erfahren zu haben, dass die Brüder einer Frau, die ein uneheliches Kind von ihm bekommen habe, ihn suchen und ihn töten wollten. In seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 09.03.2020 gab er dagegen an, dass er seinen Vater zuletzt vor zwei Jahren gesprochen habe. 2014 habe er ein Mädchen namens Amira „geschwängert“, ihre beiden Brüder seien Islamisten und hätten ihn etwa sechs, sieben Monate später, als sie gesehen hatten, dass sie schwanger war, bedroht. Er sei auch von ihnen gefoltert worden und habe dann zwei Jahre in Tunesien gelebt, ehe er 2016 nach Europa gekommen sei.

3. Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 09.03.2020 hob die belangte Behörde gegenüber dem Beschwerdeführer den faktischen Abschiebeschutz auf und begründete dies sinngemäß damit, dass der Beschwerdeführer keinen neuen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht habe, der eine Asylrelevanz mit sich bringe. Die Rückkehrentscheidung sei aufrecht und würde keinen Eingriff in die durch Art. 2, 3 und 8 EMRK geschützten Rechte bedeuten. Der mündlich verkündete Bescheid wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.03.2020, GZ. I419 2229517-1/5E behoben, da zwar davon auszugehen sei, dass der Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei, nicht aber davon, dass ein Heimreisezertifikat zeitnah ausgestellt werden könne. Am 17.04.2020 wurde der Beschwerdeführer aufgrund von Haftunfähigkeit in Folge eines Hungerstreikes aus der Schubhaft entlassen.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde festgestellt, dass seine Abschiebung zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Fremdenpolizeigesetz wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Am 06.07.2020 wurde der Beschwerdeführer wieder in Schubhaft genommen.

5. Am 10.07.2020 wurde gegen den Bescheid Beschwerde erhoben und erklärt, dass sich der Sachverhalt seit dem Vorverfahren maßgeblich geändert habe und die belangte Behörde zudem keine Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, der im Übrigen nicht feststehe, getroffen habe.

6. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 28.07.2020 vorgelegt. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin am 01.10.2020 zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1.1 Der Beschwerdeführer ist algerischer Staatsangehöriger und Berber, er spricht Arabisch als Muttersprache und Französisch. Seine Identität steht nicht fest. Er ist ledig und volljährig. Er hat im Herkunftsstaat sieben Jahre die Schule besucht und als Bauarbeiter gearbeitet. Dort wohnen nach wie vor sein Vater, drei Brüder und eine Schwester. Ein weiterer Bruder lebt in Frankreich und einer in Tunesien.

1.1.2. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung über mehrere Jahre hinweg nicht nach, sondern verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet. Er gab zunächst eine falsche Identität an und entzog sich seinem ersten Asylverfahren. Der Beschwerdeführer ging im Bundesgebiet nie einer erlaubten Tätigkeit nach. Er führt im Bundesgebiet kein Familienleben und ist auch nicht nachhaltig integriert. Er war – abgesehen von seinen Aufenthalten in Justizanstalten und Polizeianhaltezentren – nie ordentlich gemeldet. Seit 06.07.2020 befindet er sich in Schubhaft.

1.1.3. Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet zweimal verurteilt:

?        Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 07.09.2018, Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon 6 Monate bedingt. Der Beschwerdeführer hatte am 26.07.2018 Marihuana an einen verdeckten Ermittler verkauft.

?        Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 03.07.2019, Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall, 27 Abs. 2 SMG und nach §§ 27 Abs. 1 erster und achter Fall, 27 Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten. Er hatte gewerbsmäßig zwischen Ende 2018 bis zum 28.02.2019 anderen in zahlreichen Angriffen insgesamt 250 Gramm Marihuana verkauft. Dabei ging es ihm nicht vorwiegend darum, sich dadurch selbst Suchtgift oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, sondern um die Finanzierung seines sonstigen Lebensunterhaltes. Daneben konsumierte er selbst Cannabisharz und erwarb und besaß daher Suchtgift zum persönlichen Gebrauch. Mildernd wurden bei der Strafbemessung das reumütige Geständnis, erschwerend die mehrfache Tatbegehung im Rahmen der Gewerbsmäßigkeit, das Zusammentreffen von Vergehen und der rasche Rückfall während offener Probezeit gewertet.

1.1.4. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er gehört keiner Covid 19 Risikogruppe an. Die Covid 19 Pandemie steht einer Rückkehr nach Algerien nicht entgegen.

1.1.5. Der Beschwerdeführer brachte keine Fluchtgründe vor, die nach dem ersten Asylverfahren entstanden oder hervorgekommen sind. Soweit er behauptet, wegen einer außerehelichen Beziehung in Algerien verfolgt zu werden, war ihm dieser Sachverhalt während des ersten Asylverfahrens bekannt und weist das Vorbringen im Übrigen auch keinen glaubhaften Kern auf.

1.1.6. Die Situation in Algerien hat sich seit dem Vorverfahren nicht maßgeblich geändert.

1.2. Zur Lage in Algerien:

1.2.1. Politische Lage

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik (AA 20.6.2019). Algerien, das größte Land Afrikas, gilt als wichtiger Stabilitätsanker in der Region (KAS 27.2.2019). Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist seit der letzten Verfassungsreform im Jahr 2016 auf zwei Mandate begrenzt. Neben der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünfprozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assemblée Populaire Nationale) besteht eine zweite Kammer (Conseil de la Nation oder Sénat), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden (AA 20.6.2019). Die Gewaltenteilung ist durch die algerische Verfassung von 1996 gewährleistet, jedoch initiiert oder hinterfragt das Parlament seither selten Gesetzesvorschläge der Regierung und die Macht hat sich innerhalb der Exekutive zunehmend gefestigt. Präsident Bouteflika regierte weitgehend durch Präsidialdekret (BS 29.4.2020). Der Senatspräsident vertritt den Staatspräsidenten (AA 20.6.2019).

Im Februar 2019 entstand in Algerien eine Massenbewegung, welche sich mit dem arabischen Wort für Bewegung „Hirak“ beschreibt. Die algerischen Proteste begannen, nachdem der damals amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika seine fünfte Kandidatur für die Präsidentschaftswahl ankündigte. Zunächst forderten die Demonstrierenden den Rücktritt des Präsidenten, welcher dieser Forderung schließlich nachkam. Die Proteste endeten jedoch nicht mit dem Rücktritt Bouteflikas, bis Ende März 2020 wurde jeden Freitag auf den Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo demonstriert und die Veränderung des gesamten politischen Systems gefordert (IPB 12.6.2020; vgl. RLS 7.4.2020, HRW 14.1.2020, AA 17.4.2019, BAMF 18.2.2019). Die Proteste gingen ungemindert weiter (RLS 7.4.2020 vgl. Standard 18.2.2020, Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019) und verliefen meist friedlich (IPB 12.6.2020; vgl. BAMF 25.2.2019 Standard 13.12.2019, DF 9.12.2019), dennoch setzte die Polizei Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, um die Menge zu zerstreuen (BAMF 25.2.2019; vgl. TB 22.2.2019, AI 18.2.2020). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die Hirak-Märsche ab Ende März 2020 ausgesetzt, der Aktivismus wurde ins Internet verlagert (IPB 12.6.2020; vgl. ARI 7.4.2020, RLS 7.4.2020).

Während die Staatsführung mit behutsamen Konzessionen und vom Hirak misstrauisch beäugten Reformversprechen versuchte, die Bewegung auszubremsen, geht der Sicherheitsapparat weiter mit Repressalien gegen Demonstranten und Oppositionelle vor (Standard 18.2.2020; vgl. AI 18.2.2020, IPB 12.6.2020). Fast 1.400 Hirak-Aktivisten müssen sich mittlerweile vor Gericht verantworten, mehrere hundert sitzen schon hinter Gittern (Standard 18.2.2020; vgl. AI 18.2.2020). Der konsequent friedlich agierende Hirak war führungslos und nur partiell strukturiert. Das Regime verfolgte die Strategie des Aussitzens (Standard 18.2.2020). Versuche der Regierung, Teile der Bewegung zu kooptieren oder untereinander aufzuspalten (IPB 12.6.2020), oder die friedlichen Proteste in offene Gewalt umschlagen zu lassen, waren nicht erfolgreich (Standard 13.12.2019).

Eine neue Präsidentschaftswahl wurde für den 4.7.2019 angesetzt und wegen der Proteste verschoben (HRW 14.1.2020; vgl. FAZ 12.12.2019). Schließlich wurde am 12.12.2019 Abdelmadjid Tebboune mit 58,15% der Stimmen zum neuen Präsidenten der Republik gewählt (TSA 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, Spiegel 13.12.2019, BBC 13.12.2019). Von den fünf zugelassenen Kandidaten waren drei in früheren Regierungen unter dem ehemaligen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika vertreten (Spiegel 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, ARTE 14.12.2019). Auch der Wahlsieger Tebboune war unter Bouteflika mehrfach Minister und im Jahr 2017 drei Monate lang Ministerpräsident (DF 14.12.2019; vgl. ARTE 14.12.2019).

Etwa 24 Millionen Menschen waren wahlberechtigt (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019). Viele Menschen boykottierten den Urnengang, weil die zugelassenen Kandidaten in ihren Augen Marionetten des alten Bouteflika-Regimes waren (ARTE 14.12.2019; vgl. Guardian 13.12.2019). Mehrere Oppositionsparteien wollten einen gemeinsamen Gegenkandidaten aufstellen - konnten sich allerdings nicht einigen (TB 22.2.2019; vgl. TS 26.3.2019). Die Wahlbeteiligung lag bei ca. 40 Prozent (TSA 13.12.2019; vgl. BBC 13.12.2019, ARTE 14.12.2019, Guardian 13.12.2019). Das ist die niedrigste Wahlbeteiligung, die je bei einer Präsidentschaftswahl in Algerien verzeichnet wurde (Guardian 13.12.2019). Die Wahlbehörde zeigte sich mit dem Verlauf des Wahltages zunächst zufrieden; in 95 Prozent der Wahllokale sei der Betrieb reibungslos angelaufen (FAZ 12.12.2019). Es waren keine ausländischen Wahlbeobachtermissionen zugelassen (Reuters 12.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019).

Der Wahltag selbst wurde durch Proteste und Aufrufe zum Boykott der Wahlen beeinträchtigt (BBC 13.12.2019; vgl. ARTE 14.12.2019, Guardian 13.12.2019). Lokale Medien berichteten von zahlreichen Zwischenfällen. In der Hauptstadt Algier waren Tausende Menschen auf den Straßen, um gegen die Wahl zu protestieren (FAZ 12.12.2019; vgl. Spiegel 13.12.2019). Zentrum des Widerstandes gegen die Abstimmung war die Berberregion Kabylei im Osten des Landes (Standard 13.12.2019), wo es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Wahllokale wurden mit Backsteinen und Zement verschlossen, Wahlunterlagen in Brand gesetzt. Laut Medienberichten griffen die Sicherheitskräfte hart durch. Die Polizei setzte Tränengas ein. Vertreter der sogenannten Hirak-Protestbewegung beklagten Hunderte verhaftete und verletzte Menschen (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019; BBC 13.12.2019).

In Tizi Ouzou und Bejaia sind die Wahlbüros aus Sicherheitsgründen geschlossen worden (FAZ 12.12.2019; vgl. Spiegel 13.12.2019, TSA 13.12.2019). Der Wahlvorgang wurde auch in Boumerdès, Bouira, Bordj Bou Arreridj, Sétif und Jijel unterbrochen (TSA 13.12.2019). In Bouira hatten Demonstranten das Büro der Wahlkommission in Brand gesetzt (Spiegel 13.12.2019). In Béjaïa wurde ein Wahllokal überfallen und die Urnen zerstört (Reuters 12.12.2019; vgl. Standard 13.12.2019). Die Staatsführung um Armeechef Gaïd Salah sah die Wahlen als Mittel, die politische Krise zu beenden und die Legitimität der politischen Führung zu erneuern (Standard 12.12.2019; vgl. Reuters 12.12.2019, Guardian 13.12.2019).

Viele Demonstranten kündigten an, die offiziellen Ergebnisse nicht anzuerkennen (Reuters 12.12.2019). Der Wahlsieg von Tebboune löste erneut Massenproteste aus (ARTE 14.12.2019; vgl. BBC 13.12.2019). Der neue Präsident ist bei den vielen Demonstranten genauso verhasst wie seine vier Kontrahenten bei der Präsidentschaftswahl. Die Protestbewegung will weitermachen, bis das Regime aus Vertrauten des ehemaligen Machthabers Bouteflika tatsächlich fällt (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019).

1.2.2. Sicherheitslage

Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (AA 5.5.2020; vgl. Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019, IPB 12.6.2020). Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt. Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 11.2019; vgl. BS 29.4.2020). Es gibt nach wie vor bewaffnete Splittergruppen, und es herrscht nach wie vor eine Sicherheitswarnung, insbesondere für die Süd- und Ostgrenze, für den Süden und die Berberregionen des Landes. Seit 2014 hat es keine Entführungen mehr gegeben (BS 29.4.2020; vgl. BMEIA 8.5.2020, AA 5.5.2020), In den vergangenen zwei Jahren gab es keine größeren terroristischen Vorfälle (BS 29.4.2020).

Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden Großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben oft das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, führte. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara (so z.B. angeblich Iyad ag Ghali) vorhanden. Gruppen, wie die groupe salafiste pour la prédication et le combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al Qaida zur AQIM verband, sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d’unité pour je jihad en Afrique occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des „Islamischen Staates“ (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 11.2019).

Der interkommunale Konflikt in der Region Ghardaia mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen 2013 und 2015 wurde durch eine starke Militärpräsenz unter Kontrolle gebracht. Islamistische Extremisten, die eine echte Bedrohung für die staatliche Identität darstellen, sind nach wie vor eine sehr kleine Minderheit. Sie werden von der Bevölkerung kaum oder gar nicht unterstützt (BS 29.4.2020).

Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich inzwischen weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali. Es kommt mehrmals wöchentlich zu Razzien und Aktionen gegen Terroristen oder deren Unterstützer (ÖB 11.2019).

Nach Angaben der offiziellen Armeepublikation „El Djeich“ (andere Quellen sind nicht öffentlich zugänglich) wurden 2018 32 Terroristen getötet, 25 festgenommen, 132 ergaben sich, weiters wurden 170 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2019; vgl. ÖB 12.2019). Dieselbe Quelle gibt für das Jahr 2019 an, dass 15 Terroristen getötet und 25 festgenommen wurden, 44 ergaben sich; weiters wurden 245 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2020). Wie in den Vorjahren kam es auch 2019 zu bewaffneten Vorfällen zwischen Sicherheitskräften und Terroristen, bei denen inoffiziellen Angaben zufolge auch aufseiten der Armee Tote verzeichnet wurden, was jedoch nicht öffentlich gemacht wird (ÖB 11.2019).

1.2.3. Grundversorgung

Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90 Prozent der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund des sinkenden Öl- und Gaspreises drastisch zurückgegangen (RLS 17.12.2019; vgl. BS 29.4.2020).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Algerien ist eines der wenigen Länder, die in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht hat. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2019).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 25.6.2019).

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 12 bis 17%, die Jugendarbeitslosigkeit (15-24-jährige) bei 30 bis 50% (WKO 10.2019 [jeweils niedrigerer Wert], RLS 17.12.2019 [jeweils höherer Wert]). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie werden an vulnerable Familien in isolierten und vom Lockdown besonders betroffenen Gebieten Lebensmittel und Hygieneprodukte verteilt (Gentilini et al 12.6.2020: 29f).

1.2.4. Medizinische Versorgung

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei. Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019, BS 29.4.2020) Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 25.6.2019).

Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Oft greift man zu Bestechung, um ein Intensivbett zu bekommen oder zu behalten. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960er-Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 11.2019).

Es sind Privatspitäler, v.a. in Algier, entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und von Behinderten (ÖB 11.2019).

Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und die Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich (ÖB 11.2019).

In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 25.6.2019).

Die COVID-19-Pandemie traf Algerien hart, das öffentliche Gesundheitswesen im Land war nicht annähernd auf eine Krise solchen Ausmaßes vorbereitet (RLS 7.4.2020; vgl. GTAI 15.5.2020). Es gab Berichte von überfüllten Krankenhäusern in Algier und in Blida (GTAI 15.5.2020) und es gab einen Mangel an Ausrüstung und Medikamenten. Im März 2020 wurde Lokalbehörden untersagt, statistische Angaben zu COVID-19-Entwicklungen zu machen und die Öffentlichkeitsarbeit wurde bei den Ministerien in Algier gebündelt (RLS 7.4.2020). Die Regierung hat eilig Maßnahmen gesetzt, um mehr Intensivbetten anzubieten. Präsident Tebboune kündigte Anfang April 2020 an, nach der Pandemie den Gesundheitssektor umzustrukturieren. Mitte Mai war die Zahl der Erkrankten für die Krankenhäuser bewältigbar (GTAI 15.5.2020).

1.2.5. Rückkehr

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor (ÖB 11.2019)

Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 25.6.2019).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Algerien erklärt sich bei Treffen mit div. EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden am 17.3.2020 alle Luft-, See- und Landgrenzübergänge geschlossen. Über eine mögliche Aufhebung der Sperren soll im Juli 2020 entschieden werden (National 14.6.2020; vgl. USEMB 16.6.2020, IATA 17.4.2020/17.6.2020, Garda 13.6.2020).

1.2.6. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei etwa 80% der Betroffenen leicht bzw. symptomlos und bei ca. 20% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Sehr schwere oder tödliche Krankheitsverläufe treten am häufigsten bei Risikogruppen auf, zum Beispiel bei älteren Personen und Personen mit medizinischen Problemen oder Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses).

Die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung listet die medizinischen Gründe (Indikationen) für die Zugehörigkeit einer Person zur COVID-19-Risikogruppe.

In Österreich gibt es mit Stand 14.10.2020 Uhr insgesamt 59.368 positiv getestete Fälle, aktuell 14.867 aktive Fälle und 888 gemeldete Todesfälle (https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_Epidem.html?l=de).

In Algerien gibt es mit Stand 16.08.2020 insgesamt 53.225 bestätigte Fälle und insgesamt 1.809 bestätigte Todesfälle (https://covid19.who.int/region/afro/country/dz).

Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10. Juni 2020 zur aktuellen Covid 19 Lage in Afrika:

In Algerien weisen die Kurven signifikante Abweichungen auf (Wachstum eher linear als exponentiell). Insgesamt sind in Algerien bis dato sehr wenige Tests durchgeführt worden, jeder zweite Test war positiv. Dies deutet darauf hin, dass nur Personen mit Symptomen getestet worden sind (AU-ACDC 2020; vgl. ÖB Algier 5.2020). Laut österreichischer Botschaft dürfte die Dunkelziffer sehr hoch sein (ÖB Algier 5.2020).

Der große, bis zu 50% der Wirtschaft ausmachende, informelle Sektor ist schwer getroffen. Es wurden Ausgleichsmaßnahmen zur Unterstützung notleidender Bevölkerungsteile geschaffen. Zum Aid-Fest wurden ca. 1,2 Millionen Bürger mit ca. 70 Euro unterstützt. Hilfsmaßnahmen kommen vor allem aus der Zivilgesellschaft. Außerdem kommt es zur Stundung von Steuerzahlungen und Krediten (ÖB Algier 5.2020). Seriöse Angaben zu den Auswirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt können nicht gemacht werden. Der Staatshaushalt wird jedenfalls vom niedrigen Ölpreis belastet. Das Budget soll demnach um 50% reduziert werden (ÖB Algier 5.2020). Die Masse der Bevölkerung scheint die Covid-19-Maßnahmen zumindest zu akzeptieren, die Einhaltung ist nicht immer gegeben (ÖB Algier 5.2020).

Der gesamte internationale Personenverkehr wurde eingestellt, alle Grenzen sind geschlossen. Es gibt keine Einreisemöglichkeit. Selbst der innerstaatliche öffentliche Personentransport ist nur eingeschränkt erlaubt (Taxis innerhalb von Provinzgrenzen, privat auch über Provinzgrenzen hinaus) (ÖB Algier 5.2020). Eine Überbelastung des Gesundheitssystems ist derzeit nicht erkennbar bzw. überprüfbar. 2.500 Spitalsbetten sind derzeit für Covid-19-Patienten reserviert, es gibt mehr als 5.800 Beatmungsgeräte. Es gibt kein Anzeichen für eine Wasser- oder Lebensmittelknappheit (ÖB Algier 5.2020).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Algerien.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Familie, seiner Herkunft, seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf seine Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde. Die belangte Behörde blieb im angefochtenen Bescheid (im Gegensatz zu den früheren Entscheidungen) diffus hinsichtlich der Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers und sprach von „Algerien alias Marokko alias ungeklärt“. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes besteht aber kein Anlass, an der algerischen Staatsbürgerschaft zu zweifeln, hatte der Beschwerdeführer zwar während einer Befragung vor dem ersten Asylverfahren einmal angegeben, libyscher Staatsbürger zu sein, seither aber immer wieder von einer Herkunft aus Algerien gesprochen. In den letzten zwei rechtskräftig gewordenen Entscheidungen der belangten Behörde ging diese ebenfalls von einer algerischen Staatsbürgerschaft aus und haben sich die Umstände nicht geändert bzw. liegen dem Gericht diesbezüglich keine neuen Informationen vor. Eine Festlegung auf einen Herkunftsstaat erscheint in einem Asylverfahren jedenfalls notwendig, um eine sachgerechte Prüfung des internationalen Schutzes zu erlauben. Im gegenständlichen Fall geht das Gericht von der algerischen Staatsbürgerschaft aus.

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Die Corona Krise steht einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Algerien aufgrund folgender Gründe nicht entgegen. Zunächst ist (aktuell) angesichts der geringen Zahl an Infizierten im Vergleich zur gesamten Bevölkerung in Algerien das Risiko einer Infektion gering. Der typische Krankheitsverlauf des Corona Virus zeigt zudem, dass Infizierte in der Regel keine Symptome haben und nur in wenigen Ausnahmefällen eine Intensivbehandlung notwendig ist. Außerdem handelt es sich beim Beschwerdeführer um eine gesunde sowie junge Person, er gehört daher keiner Risikogruppe an. Ferner kann durch das eigenverantwortliche Tragen von Masken und durch das Halten eines Abstands das Risiko einer Infektion minimiert werden. Der Beschwerdeführer ist sohin im Falle einer Rückkehr aufgrund der Pandemie nicht einer lebensbedrohlichen Gefahr ausgesetzt.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen verfügt, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers anlässlich seiner Einvernahme durch die belangte Behörde sowie aus dem Umstand, dass keinerlei Unterlagen zur Integration vorgelegt wurden.

Die Feststellung über die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich und den vom BVwG eingeholten Strafurteilen.

2.3. Zu den Gründen für die Ausreise und zur behaupteten Verfolgung des Beschwerdeführers in Algerien:

Der Beschwerdeführer hatte im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz erklärt, Algerien aus wirtschaftlichen Gründen verlassen zu haben. Sein Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2016 abgewiesen und festgestellt, dass keine Gefährdung für den Fall einer Rückkehr nach Algerien gegeben ist.

Im nunmehrigen Verfahren erklärte der Beschwerdeführer gegenüber der belangten Behörde, dass ein Mädchen namens Amira 2014 von ihm schwanger geworden sei und er von deren Brüdern verfolgt werde. Er habe dann bis 2016 in Tunesien gelebt. Damit steht fest, dass der Beschwerdeführer bereits bei seiner ersten Antragstellung von diesem Sachverhalt gewusst haben müsste. Dennoch fand er keinen Eingang ins erste Verfahren.

In der Beschwerde wird behauptet, dass sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens entscheidungswesentlich geändert habe, doch wurde dies in Bezug auf das Fluchtvorbringen nicht näher ausgeführt.

Grundsätzlich ist es in Anbetracht der Mitwirkungspflichten im Asylverfahren Sache des Asylwerbers vor der belangten Behörde ein entsprechendes Fluchtvorbringen spätestens bei der niederschriftlichen Einvernahme zu erstatten und glaubhaft zu machen, dass er in seinem Herkunftsstaat verfolgt wird. Der Beschwerdeführer hätte die Verfolgung durch die Brüder seiner Freundin daher bereits im ersten Verfahren geltend machen müssen. In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 09.03.2020 versuchte er dies damit zu begründen, dass er Angst gehabt habe, dass jemand herausfinden könne, wo er sich befindet. Dies erscheint nicht plausibel. Wenn der Beschwerdeführer in Algerien tatsächlich Verfolgung befürchten würde, wäre vielmehr davon auszugehen, dass er durch Mitwirken an seinem Asylverfahren versucht hätte, internationalen Schutz zu erlangen. Stattdessen berichtete er nichts von einer Verfolgung und entzog sich dem Verfahren, indem er untertauchte.

Das Vorbringen, dass er wegen einer außerehelichen Beziehung in Algerien bedroht wird, stellt daher weder einen (nach dem ersten Asylverfahren) neu entstandenen Sachverhalt dar noch weist es einen glaubhaften Kern auf. Im Übrigen wurde auch nicht dargelegt, warum kein staatlicher Schutz gegeben sein sollte.

Eine maßgebliche Änderung in der allgemeinen Situation in Algerien entspricht weder dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes noch ergibt sich eine solche auch nicht aus einem Vergleich der Länderfeststellungen im Bescheid vom 07.03.2016 mit dem aktuellen Länderinformationsblatt.

Soweit in der Beschwerde behauptet wird, dass sich „die humanitäre Lage in allen Ländern der Welt, ebenso in Marokko und Algerien seit der Rechtskraft des ersten Asylverfahrens des BF am 7.3.2016 aufgrund der Covid-19-Pandemie deutlich verschlechtert habe“, wird von der erkennenden Richterin nicht verkannt, dass die Pandemie weltweit Auswirkungen auf Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum hat, doch reicht dies nicht aus, um in Hinblick auf die Gewährung von internationalem Schutz von einer maßgeblichen Änderung auszugehen. Dass alleine aufgrund der Covid-19-Pandemie jeder nach Algerien Zurückkehrende in seinem Leben und seiner Existenz bedroht ist, kann auch der unter Punkt 1.2.6. zitierten Kurzinformation der Staatendokumentation nicht entnommen werden. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher auch unter Berücksichtigung der Covid-19-Pandemie von keiner maßgeblichen Änderung des Sachverhalts gegenüber dem Vorverfahren aus.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Algerien samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen.

Die Feststellungen hinsichtlich der Covid 19 Pandemie ergeben sich zum einen aus den zitierten und verlässlichen Internetquellen und zum anderen aus der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10. Juni 2020 zur Covid 19 Lage in Afrika.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Soweit in der Beschwerde moniert wurde, dass der Beschwerdeführer im Bescheid als „Algerier alias Marokkaner alias ungeklärt“ bezeichnet werde und die belangte Behörde sich nicht ausreichend mit der Herkunft des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe und nicht einmal ein Sprachgutachten eingeholt habe, ist dem entgegenzuhalten, dass es nicht Aufgabe der Behörde sein kann, in jedem Fall ein Sprachgutachten zu veranlassen. Der Beschwerdeführer hatte sich selber (abgesehen von seiner ersten polizeilichen Befragung, als er sich als minderjähriger Libyer ausgegeben hatte) immer als algerischen Staatsbürger bezeichnet und bestand daher für die belangte Behörde, keine Veranlassung von einem anderen Herkunftsstaat auszugehen. Der Beschwerde ist allerdings zuzustimmen, dass es die belangte Behörde unterlassen hat, eindeutig von einem bestimmten Herkunftsstaat auszugehen, was für das gegenständliche Verfahren jedenfalls notwendig gewesen wäre. Das Bundesverwaltungsgericht sieht keinen Grund, von der gleichbleibenden Angabe des Beschwerdeführers, er sei algerischer Staatsbürger, abzugehen bzw. diese anzuzweifeln. Auch in der Beschwerde wurde nicht konkret behauptet, dass der Beschwerdeführer Staatsbürger eines anderen Landes sei; die algerische Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers war auch in allen anderen Vorverfahren festgestellt worden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Zurückweisung des Antrages wegen entschiedener Sache (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):

Da das Bundesamt mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen hat, ist Prozessgegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst.

Die Rechtskraft einer in der gleichen Angelegenheit ergangenen Erledigung steht einer neuen Sachentscheidung gem § 68 Abs 1 AVG nur dann nicht entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgebenden Umständen eine Änderung eingetreten ist. Identität der Sache liegt dann vor, wenn weder in der Rechtslage noch in den tatsächlichen Umständen, die für die Beurteilung in der Vorentscheidung maßgebend waren, eine Änderung eingetreten ist.

Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz kann nur eine solche Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder iVm anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags aufgrund geänderten Sachverhalts hat – von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen – im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden (VwGH, 02.08.2018, Ra 2018/19/0294).

Der Beschwerdeführer hatte im gegenständlichen Verfahren vorgebracht, in Algerien von den Brüdern seiner Freundin, die von ihm 2014 schwanger geworden sei, verfolgt zu werden. Der Asylfolgeantrag stützt sich somit auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt, dem die Rechtskraft des Bescheides der belangten Behörde über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz entgegensteht.

Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann zudem nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0066; VwGH, 14.01.2020, Ra 2019/18/0311). Dies ist gegenständlich nicht gegeben, das Vorbringen des Beschwerdeführers weist keinen glaubhaften Kern auf. Zudem wäre selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens von keiner anderen rechtlichen Beurteilung des Antrages auszugehen, da Algerien als sicherer Herkunftsstaat über ein funktionierendes Staatswesen verfügt, das dem Beschwerdeführer Schutz bieten kann.

Wesentliche Änderungen in der Person des Beschwerdeführers bzw. in der Lage in Algerien kamen ebenso nicht hervor, so dass auch unter dem Blickwinkel des subsidiären Schutzes keine neue inhaltliche Prüfung notwendig war.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat daher völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass entschiedene Sache vorliegt. Da weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden kann.

Die angefochtenen Spruchpunkte I. und II. waren sohin vollinhaltlich zu bestätigen.

3.2. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.3. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Im gegenständlichen Fall verfügt der Beschwerdeführer über kein Familienleben in Österreich. Zu prüfen wäre daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hält sich seit etwas über vier Jahren im Bundesgebiet auf. Allerdings stellte der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum zwei unbegründete Anträge auf internationalen Schutz, war nie gemeldet, ging nie einer erlaubten Erwerbstätigkeit nach und wurde zweimal straffällig. Es liegen auch keine Aspekte einer außerordentlichen Integration vor und kann von einer nachhaltigen Aufenthaltsverfestigung im Fall des Beschwerdeführers keinesfalls gesprochen werden.

Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt aber nicht vor; bei dem Beschwerdeführer sind keine besonderen Vulnerabilitäten gegeben.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.4. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides):

Im angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 52 Abs. 9 Fremdenpolizeigesetz (FPG) festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat zulässig ist.

Diesbezüglich ist darauf zu verweisen, dass ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ausgeschlossen ist, was es verunmöglicht, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse vom 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und vom 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 – 0062).

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen, allerdings war durch eine entsprechende Anpassung des Spruches klarzustellen, dass Algerien der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist und daher die Abschiebung nach Algerien für zulässig zu erklären.

3.5. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht keine Frist für eine freiwillige Ausreise in Fällen einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG.

Die Beschwerde war somit auch hinsichtlich des Spruchpunktes VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.6. Zum Einreiseverbot (Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides):

Die belangte Behörde erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung vom BFA mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

Nach § 53 Abs. 3 FPG kann ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG hat als „bestimmte Tatsache“, die (u.a.) bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes von Relevanz ist, insbesondere zu gelten, wenn „ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist“. Mit seiner zweimaligen Verurteilung wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen und seiner unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten erfüllt der Beschwerdeführer diesen Tatbestand.

Dass die Tatbestände des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG verwirklicht worden sind, wurde vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten.

Eine Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK wurde bereits unter Punkt 3.2. des gegenständlichen Erkenntnisses durchgeführt.

Der Ansicht des BFA, dass das Verhalten des Beschwerdeführers eine tatsächliche und gegenwärtige schwerwiegende Gefahr darstellt und somit auch das öffentliche Interesse der Verhinderung weiterer Straftaten besteht, ist beizutreten. Aufgrund der wiederholten Straftaten innerhalb kürzester Zeit erscheint es berechtigt, davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch in Zukunft bereit wäre, sich seinen Lebensunterhalt bzw. seinen Suchtgiftbedarf durch das Begehen von kriminellen Handlungen zu „verdienen“ und dass somit von ihm eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgeht. Zudem ist insbesondere zu beachten, dass Suchtgiftkriminalität besonders gefährlich ist und der Beschwerdeführer durch diese Delikte auch das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtmittelkriminalität in gravierender Weise beeinträchtigt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH, 10.09.2018, Ra 2018/19/0169; 05.10.2017, Ra 2017/21/0033; 23.02.2016, Ra 2015/01/0249).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug der Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 22.5.2014, Ro 2014/21/0014). Von einem Gesinnungswandel kann beim Beschwerdeführer nicht ausgegangen werden.

Unter Berücksichtigung aller genannten Umstände und in Ansehung des bisherigen Fehlverhaltens und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers kann eine Gefährdung von öffentlichen Interessen, insbesondere zur Wahrung des gesundheitlichen und wirtschaftlichen Wohls Österreichs, an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt regelnden Vorschriften sowie an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, als gegeben angenommen werden (vgl. VwGH 19.05.2004, 2001/18/0074). Die Verhängung des Einreiseverbotes war daher jedenfalls gerechtfertigt.

Zu überprüfen ist aber auch die Dauer des verhängten Einreiseverbotes. Im gegenständlichen Fall war ein Einreiseverbot in der Dauer von acht Jahren (bei einer möglichen Höchstdauer von zehn Jahren) verhängt worden. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass das Strafgericht beide Male eine relativ geringe Strafe als ausreichend erachtete und es sich um Vergehen (und nicht um Verbrechen) handelte. Es erscheint daher gerechtfertigt, die Dauer des Einreiseverbotes um drei Jahre – auf die Hälfte der möglichen Höchstdauer - abzusenken. Eine weitere Reduzierung der Dauer des Einreiseverbotes verbietet sich angesichts der erst kurz zurückliegenden Verurteilungen, zumal der Beschwerdeführer über kein Familienleben bzw. kein besonders schützenswertes Privatleben in Österreich oder einem anderen Mitgliedstaat verfügt.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides war daher dahingehend stattzugeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf fünf Jahre reduziert wird.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Recht

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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