TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/22 I403 2236217-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

22.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2236217-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Tunesien, vertreten durch die „Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH“ und „Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH“, 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2020, Zl. XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Tunesiens, wurde am 01.08.2020 von der deutschen Polizei beim Versuch, in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, festgenommen und der österreichischen Polizei übergeben. Im Stande der Schubhaft stellte der Beschwerdeführer am 05.08.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er damit begründete, dass er in Tunesien diskriminiert werde, weil sein Vater Mitglied der früheren Regierungspartei RCD gewesen sei; er sei auch einmal ohne Angabe von Gründen 28 Tage festgenommen worden.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 17.09.2020, zugestellt am 18.09.2020, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tunesien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Ihm wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Zudem wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).

Am 22.09.2020 verließ der Beschwerdeführer seine Unterkunft und ist seither unbekannten Aufenthalts.

Gegen den Bescheid der belangten Behörde wurde fristgerecht am 16.10.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 20.10.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos, Staatangehöriger von Tunesien sowie Angehöriger der Volksgruppe der Araber. Seine Identität steht nicht fest. Er stammt aus Tunis. Seine Eltern leben in Tunis, seine Schwester ist verheiratet und lebt in Frankreich. Er ist in Kontakt mit seiner Familie und spricht zweimal wöchentlich mit seiner Mutter. Sein Vater bezieht eine Pension, die Mutter übernimmt Gelegenheitsarbeiten; davon kann die Familie „halbwegs gut“ leben.

Der Beschwerdeführer absolvierte nach der Matura eine zweieinhalbjährige Ausbildung an einem Tourismuscollege in XXXX . Um sein Studium zu finanzieren, arbeitete er in einer Küche und in einer Konditorei. Für die Studentenunterkunft hatte er monatlich nur 10 Euro zu bezahlen, da dies staatlich gefördert wurde.

Der Beschwerdeführer ist gesund und erwerbsfähig.

Der Beschwerdeführer beschloss Anfang 2019 Tunesien zu verlassen. Er reiste zunächst legal mit einem Flug aus Tunesien aus. Der Beschwerdeführer bezahlte insgesamt rund 4.000 Euro für die Reise, die ihn unter anderem durch Bosnien, den Kosovo, Serbien und Rumänien führte, wo er sich jeweils einige Monate aufhielt. Am 06.03.2020 stellte er in Rumänien einen Antrag auf internationalen Schutz, der am 10.03.2020 abgewiesen wurde. Am 12.06.2020 wurde er von den rumänischen Behörden an Serbien übergeben. Gegen den Beschwerdeführer besteht ein bis zum 15.06.2023 gültiges Einreiseverbot, das von Rumänien verhängt wurde.

Nach der Überstellung durch deutsche Polizisten am 01.08.2020 stellte der Beschwerdeführer am 05.08.2020 im Budnesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

In Österreich verfügt er über keine maßgeblichen privaten sowie über keine familiären Anknüpfungspunkte und weist er keine Integrationsmerkmale in sprachlicher, gesellschaftlicher oder beruflicher Hinsicht auf.

Am 22.09.2020 verließ der Beschwerdeführer seine Unterkunft und ist seither unbekannten Aufenthalts.

1.2. Zu einer Verfolgung bzw. Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wird in Tunesien nicht wegen der früheren Mitgliedschaft seines Vaters bei der RCD-Partei verfolgt. Es besteht keine reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:

1.3.1. Gemäß § 1 Z 11 der HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung) gilt Tunesien als sicherer Herkunftsstaat.

1.3.2. Zur aktuellen Lage in Tunesien werden auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (30.06.2020) folgende Feststellungen getroffen, die sich bereits im angefochtenen Bescheid finden:

Politische Lage

Tunesien ist gemäß der Verfassung von 2014 ein freier, unabhängiger und souveräner Staat, dessen Religion der Islam, dessen Sprache das Arabische und dessen Regierungsform die Republik ist. Die erste Phase nach der Flucht des Präsidenten Ben Ali am 14.1.2011 prägten Übergangsregierungen, unterstützt von einer Hohen Instanz zur Verwirklichung der Ziele der Revolution als Ersatzparlament. Ferner betont die Verfassung den zivilen und rechtsstaatlichen Charakter des Regierungssystems. Die Verfassung sieht ein gemischtes Regierungssystem vor, in dem sowohl der Präsident als auch das Parlament direkt vom Volk gewählt werden. Der Premierminister bestimmt die Richtlinien der Politik, mit Ausnahme der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die in der Zuständigkeit des Staatspräsidenten liegen (AA 15.11.2019a; vgl. AA 17.4.2020). Die Verfassung garantiert durch eine stärkere Gewaltenteilung und die Einrichtung eines Verfassungsgerichtshofs eine bessere Kontrolle der verschiedenen Gewalten. Außerdem wurde die Gleichstellung von Frauen festgeschrieben. Bezüglich der Rolle der Religion einigten sich die Abgeordneten auf einen zwiespältigen Text, der sowohl den zivilen Charakter des Staates sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert, als auch den Schutz des Sakralen festschreibt (GIZ 6.2020a).

Tunesien hatte nach dem sogenannten Arabischen Frühling vor acht Jahren zwar tiefgreifende demokratische Reformen eingeleitet. Das Land kämpft aber mit großen wirtschaftlichen Problemen und hoher Arbeitslosigkeit. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist groß (DP 14.10.2019; vgl. TS 14.10.2019). Innerhalb weniger Wochen wurden im Herbst 2019 sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt (DP 14.10.2019; vgl. TS 14.10.2019).

Der neue Präsident Kaïes Saïed gilt als unbestechlich und politisch unerfahren. Den Tunesiern verspricht er neben der Bekämpfung der Korruption eine rigorose Überarbeitung der Verfassung und des Wahlsystems sowie mehr Demokratie auf lokaler Ebene. Saïed ist zudem für seine sehr konservativen Ansichten in gesellschaftlichen Fragen bekannt (BAMF 21.10.2019).

Bei der Parlamentswahl wurden die bislang etablierten Parteien deutlich abgestraft (DP 14.10.2019; vgl. TS 14.10.2019). Laut dem am 9.10.2019 veröffentlichten vorläufigen Wahlergebnis sicherte sich die moderat islamistische Partei Ennahda die meisten Stimmen bei den Parlamentswahlen (BAMF 14.10.2019; vgl. DP 14.10.2019) und 52 der insgesamt 217 Sitze im Parlament. Auf Platz zwei landete die Partei Qalb Tounes (Herz von Tunesien), geführt vom Präsidentschaftskandidaten Nabil Karoui, mit 38 Sitzen (BAMF 14.10.2019; vgl. DP 14.10.2019). Beide Parteien schließen eine Koalition aus. Das Parlament ist stark zersplittert, was eine Regierungsbildung nach Ansicht von Beobachtern schwierig machen könnte (DP 14.10.2019).

Tunesiens designierter Ministerpräsident Habib Jemli hat Anfang 2020 eine Regierung aus unabhängigen Technokraten gebildet, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen (DS 10.1.2020). Regierungschef Jemli hatte aber nicht genügend Unterstützung für eine Koalitionsbildung bekommen (DW 21.1.2020). Daher wurde der frühere Tourismus- und Finanzminister Elyes Fakhfakh vom Präsidenten zum designierten Ministerpräsidenten ernannt (DW 21.1.2020; vgl. BAMF 18.11.2019).

Knapp fünf Monate nach der Parlamentswahl hat Tunesien eine neue Regierung. In der Vertrauensabstimmung bestätigte das Parlament in Tunis mit 129 von 217 möglichen Stimmen Premierminister Elyes Fakhfakh und dessen Ministerriege im Amt (DS 27.2.2020; vgl. DW 27.2.2020, NZZ 27.2.2020). Die Partei übernimmt in der Regierung die Leitung von sechs Ressorts. 17 der 32 Posten im neuen Kabinett werden von parteiunabhängigen Persönlichkeiten besetzt (DW 27.2.2020; vgl. BAMF 2.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (15.11.2019a): Tunesien – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/politisches-portrait/219068, Zugriff 30.6.2020

-        AA - Auswärtiges Amt Deutschland (17.4.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (2.3.2020): Briefing Notes 2. März 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027815/briefingnotes-kw10-2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (18.11.2019): Briefing Notes 18 November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2020354/briefingnotes-kw47-2019.pdf, Zugriff 23.6.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (21.10.2019): Briefing Notes 21. Oktober 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2020341/briefingnotes-kw43-2019.pdf, Zugriff 27.1.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (14.10.2019): Briefing Notes 14 Oktober 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018357/briefingnotes-kw42-2019.pdf, Zugriff 24.10.2019

-        DP - die Presse (14.10.2019): Erdrutschsieg von Parteilosem Saied bei Präsidentschaftswahl, https://www.diepresse.com/5705812/erdrutschsieg-von-parteilosem-saied-bei-prasidentschaftswahl, Zugriff 24.10.2019

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 23.6.2020

-        DS - der Standard (27.2.2020): Tunesien trotz bestätigter Regierung in instabilen Verhältnissen, https://www.derstandard.at/story/2000115110703/tunesien-trotz-bestaetigter-regierung-in-instabilen-verhaeltnissen?ref=rss, Zugriff 23.6.2020

-        DS - der Standard (10.1.2020): Tunesisches Parlament stimmt gegen Technokraten-Kabinett von designiertem Regierungschef, https://www.derstandard.at/story/2000113173373/tunesisches-parlament-stimmt-gegen-technokraten-kabinett-von-designiertem-regierungschef, Zugriff 13.1.2020

-        DW - Deutsche Welle (27.2.2020): Parlament in Tunis spricht neuer Regierung Vertrauen aus, https://www.dw.com/de/parlament-in-tunis-spricht-neuer-regierung-vertrauen-aus/a-52550137, Zugriff 23.6.2020

-        DW - Deutsche Welle (21.1.2020): Regierungsbildung - Alles auf Anfang in Tunesien, https://www.dw.com/de/alles-auf-anfang-in-tunesien/a-52080584?maca=de-rss-de-region-afrika-4022-rdf, Zugriff 23.1.2020

-        JA - Jeune Afrique (14.10.2019): Tunisie: Kaïs Saïed élu président, d’après les résultats préliminaires officiels de l’Isie, https://www.jeuneafrique.com/842757/politique/tunisie-kais-saied-elu-president-dapres-les-resultats-preliminaires-officiels-de-lisie/, Zugriff 24.10.2019

-        NZZ - Neue Zürcher Zeitung (27.2.2020): Tunesien: Parlament spricht Regierung Vertrauen aus, https://www.nzz.ch/international/tunesien-parlament-spricht-regierung-vertrauen-aus-ld.1542991, Zugriff 23.6.2020

-        TS - Tagesschau.de (14.10.2019): Entscheidung in Stichwahl Parteiloser wird Präsident Tunesiens, https://www.tagesschau.de/ausland/tunesien-stichwahl-107.html, Zugriff 24.10.2019

Sicherheitslage

Die von den bisherigen Regierungen angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Anti-Terrorkampf bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde und dem schweren Angriff von IS-Milizen auf die tunesische Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 hat sich die Sicherheitslage verbessert. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren aber auch der inneren Sicherheit (AA 17.4.2020). Am 27.6.2019 wurden in Tunis zwei Anschläge gegen die Sicherheitskräfte verübt; eine Person wurde getötet und mehrere verletzt, darunter auch Zivilpersonen (EDA 30.6.2020; vgl. BAMF 1.7.2019).

Laut österreichischem Außenministerium gilt eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile. Am 4.4.2020 töteten tunesische Sicherheitskräfte in der Provinz Kasserine nahe der Grenze zu Algerien zwei Terroristen die mit IS-Terroristen in Verbindung gebracht werden (BAMF 6.4.2020). Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur – Douz – Ksar Ghilane – Tataouine – Zarzis. Mit gewaltsamen Aktionen von Terrororganisationen ist zu rechnen. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt (BMEIA 30.6.2020). Die Behörden haben insbesondere die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land erhöht, vor allem in den Touristenorten (EDA 30.6.2020).

Der nach der Attentatsserie von 2015 verhängte weiterhin andauernde Ausnahmezustand wird regelmäßig verlängert und gilt im ganzen Land (AA 30.6.2020; vgl. BMEIA 30.6.2020) und gewährt den Sicherheitsbehörden einen erweiterten Handlungsspielraum, der von der Zivilgesellschaft durchaus kritisch beobachtet wird (ÖB 11.2019; vgl. FH 4.3.2020). Dies gilt insbesondere für ein entsprechendes Gesetzesprojekt zum „Schutz der Sicherheitskräfte“ (ÖB 11.2019). Mit vermehrten Polizeikontrollen ist landesweit weiterhin zu rechnen (AA 30.6.2020). Der Notstandserlass ermächtigt die Behörden, Streiks oder Demonstrationen zu verbieten, die als Bedrohung der "öffentlichen Ordnung" gelten. Allerdings verfügen die Behörden somit über eine weitreichende Erlaubnis, die Bewegungsfreiheit von Einzelpersonen einzuschränken, ohne formelle Anklage zu erheben, und Tausende von Menschen sind von solchen Verfügungen betroffen (FH 4.3.2020). Nach wochenlangen, friedlichen Protesten in der im Süden des Landes gelegenen Stadt Tataouine, schlugen diese am 21.6.2020 in Gewalt um, nachdem Sicherheitskräfte einen Wortführer der Protestierenden verhaftet hatten. Die Demonstrierenden blockierten Straßen mit brennenden Reifen und warfen Steine auf die Sicherheitskräfte. Diese gingen mit Tränengas vor (BAMF 22.6.2020).

Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, geprägt von täglichen Sicherheitsoperationen von Militär und Polizei und Meldungen über vereitelte Anschläge. Die Sorge der Infiltration aus Libyen und anderen Konfliktzonen zurückkehrenden Islamisten tunesischen Ursprungs ist groß. Auch mit Hilfe ausländischer logistischer Unterstützung wurden die Grenzkontrollen drastisch verschärft und es wird auch im Land nach Rückkehrern gefahndet (ÖB 11.2019). Neben dem IS sind weiterhin Gruppen aktiv, die Al Qaida oder anderen extremistisch-islamistischen Ideologien angehören. Beim mit Algerien seit Jahren geführten gemeinsamen Kampf gegen terroristische Gruppierungen im Grenzbereich besteht ein Pattverhältnis, das die Bewegungsfreiheit der Terrorzellen weitgehend einschränkt, aber nicht verhindert. Dennoch sind die Sicherheitskräfte auch hier bemüht, die Situation zunehmend unter Kontrolle zu bringen, wobei das Gelände den Terrorzellen gute Rückzugsmöglichkeiten bietet. Die Sicherheitslage in Libyen verfolgt die tunesische Regierung mit großer Sorge. Die Sicherheitskräfte an der Grenze zu Libyen, einschließlich Militär, wurden daher erheblich verstärkt (AA 17.4.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (30.6.2020): Tunesien - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/tunesiensicherheit/219024, Zugriff 30.6.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (22.6.2020): Briefing Notes, 22. Juni 2020, Zugriff 30.6.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (20.4.2020): Briefing Notes 20. April 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029411/briefingnotes-kw17-2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (6.4.2020): Briefing Notes 6. April 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027827/briefingnotes-kw15-2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (1.7.2019): Briefing Notes, 1. Juli 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2013142/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_01.07.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 21.10.2019

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (30.6.2020): Tunesien - Reiseinformationen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 30.6.2020

-        EDA - Eidgenössisches Department für Auswärtige Angelegenheiten (30.6.2020): Reisehinweise für Tunesien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/tunesien/reisehinweise-tunesien.html, Zugriff 30.6.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 30.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020; AA 17.4.2020). Im Allgemeinen respektiert die Regierung die richterliche Unabhängigkeit auch in der Praxis (USDOS 11.3.2020). Allerdings schreitet die Justizreform seit der Revolution nur langsam voran (FH 4.3.2020; vgl. AA 17.4.2020; GIZ 6.2020a). Der Oberste Justizrat konnte seine Arbeit als neues Selbstverwaltungsorgan der Justiz erst aufnehmen, nachdem eine Gesetzesänderung die internen Konflikte der Richterschaft neutralisiert hatte. Als nächster Schritt soll die Konstituierung eines ordentlichen Verfassungsgerichts erfolgen; bislang wacht eine provisorische Instanz über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen vor ihrem Inkrafttreten (AA 17.4.2020; vgl. ÖB 11.2019).

Mit dem Tod des ehemaligen Präsidenten Beji Caid-Essebsi wurden das Fehlen eines Verfassungsgerichts deutlich (ÖB 11.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Das führte zu einer fortgesetzten Anwendung repressiver Gesetze ohne die Möglichkeit, ihre Rechtmäßigkeit anzufechten (HRW 14.1.2020).

Auch weiterhin finden sich zahlreiche Richter aus der Ben-Ali-Ära auf der Richterbank und aufeinander folgende Regierungen versuchen regelmäßig, die Gerichte zu manipulieren. Mit den 2016 verabschiedeten Rechtsvorschriften wurde der Oberste Justizrat eingesetzt, der für die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz und die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts zuständig ist. Die Ratsmitglieder wurden 2016 von Tausenden von Juristen gewählt. Das Gericht, das die Verfassungsmäßigkeit von Dekreten und Gesetzen bewerten soll, war jedoch 2018 weder eingerichtet noch formell ernannt. Bis 2019 waren jedoch weder das Verfassungsgericht, noch seine formell ernannten Mitglieder eingerichtet worden (FH 4.3.2020).

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen, und die unabhängige Justiz gewährleistet dieses üblicherweise auch in der Praxis. Gemäß Angeklagten sind die gesetzlich garantierten Rechte nicht immer gewährleistet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Angeklagte haben das Recht auf einen öffentlichen Prozess sowie auf einen Anwalt, der notfalls aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden muss. Sie haben das Recht, zu Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und eigene Zeugen aufzurufen. Sie müssen in Beweismittel Einsicht nehmen können und müssen über die gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert werden. Des Weiteren muss ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gewährt werden (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 30.6.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 30.6.2020

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022764.html, Zugriff 27.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026438.html, Zugriff 30.6.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 30.6.2020

Dem Innenministerium untersteht die Polizei (Exekutivfunktion in Städten) und die Nationalgarde bzw. Gendarmerie (Exekutivfunktion in ländlichen Gebieten und Grenzsicherung). Zivile Behörden kontrollieren den Sicherheitsapparat, wie wohl es gemäß NGOs vereinzelt zu Misshandlungen von Häftlingen kommt (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 6.2020a). Es mangelt an effektiven Strafverfolgungs- und Strafmechanismen bei Vergehen seitens der Sicherheitskräfte und diesbezügliche interne Untersuchungen sind von einem Mangel an Transparenz geprägt (USDOS 11.3.2020).

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben-Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes, aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011, vertieften den Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und den Sondereinheiten des Innenministeriums. Die Kluft zwischen den Behörden für Inneres und der Bevölkerung konnte auch durch die Auflösung der Geheimpolizei („police politique“), die Symbol der staatlichen Repression war, nicht wieder geschlossen werden. Die Demonstranten forderten u.a. den Austausch von führenden Mitarbeitern im Innenministerium. Diese Forderung wurde zunächst nicht im erhofften Maße umgesetzt. Erst mit einiger Verspätung zog das Innenministerium personelle Konsequenzen und Verantwortliche auf verschiedenen Ebenen wurden versetzt, entlassen oder in den Vorruhestand versetzt. Eine von allen internationalen Partnern für notwendig erachtete umfassende Reorganisation des tunesischen Innenministeriums einschließlich der nachgeordneten Behörden wurde bislang noch nicht angegangen, es wurde aber im Sommer 2015 ein internationaler Kooperationsmechanismus etabliert, der zu mehr Transparenz und Koordination der Unterstützung führte (AA 17.4.2020).

Das Militär genießt aufgrund seiner zurückhaltenden Rolle während der Revolution 2011 ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, welches bis dato anhält. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren, aber auch der inneren Sicherheit (AA 17.4.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 30.6.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026438.html, Zugriff 30.6.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 30.6.2020

Artikel 23 der tunesischen Verfassung vom 26.1.2014 garantiert den Schutz der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit, verbietet seelische oder körperliche Folter und schließt eine Verjährung des Verbrechens der Folter aus. Mit der Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe am 29.6.2011 hat sich Tunesien zur Einrichtung eines nationalen Präventionsmechanismus verpflichtet. Eine innerstaatliche gesetzliche Grundlage wurde 2013 geschaffen. 2016 schließlich wählte das Parlament die Mitglieder der neuen „Nationalen Instanz zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung“. Zu ihren Hauptaufgaben gehören unangemeldete Besuche an allen Orten des Freiheitsentzugs, das Entgegennehmen und Weiterleiten von Beschwerden an die Justizbehörde, sowie die Abgabe von Empfehlungen zur Behebung von Missständen (AA 17.4.2020).

NGOs kritisierten die Regierung für ihre Anwendung des Antiterrorgesetzes, den Anschein von Straflosigkeit für Täter und für die Zurückhaltung bei der Untersuchung von Foltervorwürfen (USDOS 11.3.2020). Dutzende von Häftlingen gaben an, von der Polizei oder der Nationalgarde gefoltert oder anderweitig misshandelt worden zu sein. In vielen Fällen verweigerte die Polizei den Inhaftierten das Recht, ihren Anwalt oder ein Familienmitglied anzurufen, oder verweigerte ihnen eine ärztliche Untersuchung (AI 18.2.2020). Tunesische und internationale Medien sowie spezialisierte NGOs, wie die Organisation Mondiale contre la Torture (OMCT) oder die Organisation contre la Torture en Tunisie (OCTT), berichten kontinuierlich über entsprechende Einzelfälle sowie Bestrebungen, rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen einzuleiten. Bislang sei es jedoch in keinem einzigen Fall gelungen, eine Verurteilung von Amtspersonen oder ehemaligen Amtspersonen wegen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung zu erreichen. Abstrakte Befürchtungen, dass diese Delikte wieder zunehmen könnten, werden vor allem im Zusammenhang mit Terrorabwehrmaßnahmen geäußert (AA 2.3.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Menschenrechtsorganisationen stellten im Laufe des Jahres einen Rückgang der gemeldeten Fälle von Folter und Misshandlung fest (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025848.html, Zugriff 30.6.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026438.html, Zugriff 30.6.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 30.6.2020

Die tunesische Verfassung vom 26.1.2014 enthält umfangreiche Garantien bürgerlicher und politischer sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte. Tunesien hat die meisten Konventionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte einschließlich der entsprechenden Zusatzprotokolle ratifiziert. Vereinzelt noch bestehende Vorbehalte wurden 2011 größtenteils zurückgezogen. Eine ständige Herausforderung bleibt die Anpassung der nationalen Rechtsordnung an die neue Verfassung (AA 17.4.2020).

Tunesien verfügt über eine Reihe an Institutionen, die sich mit Menschenrechten befassen. Das Land schneidet allerdings auch nach dem Umbruch in den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen regelmäßig schlecht ab. Eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Folter von Häftlingen und Attacken gegen Oppositionelle listet der aktuelle Jahresbericht von Amnesty International auf. Seit dem Sturz Ben Alis hat sich die Situation zwar gebessert, allerdings kommt es nach wie vor zu Menschenrechtsverletzungen, so die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) (GIZ 6.2020a).

Im Vergleich zu den weitreichenden Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit vor der Revolution 2011 haben sich die Bedingungen für unabhängige Medienberichterstattung in den letzten Jahren grundlegend verbessert. Sowohl wurden wichtige rechtliche Grundlagen zum Schutz der freien Presse geschaffen, als auch die offiziellen und informellen Strukturen, die zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung eingesetzt wurden, größtenteils abgeschafft. Die Meinungs- und Pressefreiheit, sowie auch das Recht auf Zugang zu Informationen und Kommunikationsnetzwerken wurden in den Artikeln 31 und 32 der Verfassung von 2014 ausdrücklich gestärkt. Die Medien berichten frei und offen in unterschiedlicher Qualität (AA 17.4.2020). Der Ausnahmezustand wird zur Rechtfertigung willkürlicher Einschränkungen der Bewegungsfreiheit verwendet (AI 18.2.2020).

Die Öffnung der Medienszene hat in den letzten Jahren zum Entstehen einer lebendigen, teilweise wildwüchsigen Medienlandschaft geführt, die Missstände offen thematisiert (AA 17.4.2020). Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit somit gewährleistet und die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, wie wohl es weiterhin Restriktionen gibt (USDOS 11.3.2020). Diese Einschränkungen finden sich z. B. in Bezug auf sicherheitsrelevante Themen. Seit den Ausweitungen der Antiterrormaßnahmen hat sich diese Tendenz verstärkt. Journalisten und Blogger, die Kritik an Sicherheitskräften üben, müssen weiterhin mit Strafen rechnen. Ebenso existieren weiterhin Einschränkungen bei der Kritik an der Religion. Rechtlich verankert ist dies u.a. in Artikel 6 der Verfassung, der den „Schutz des Sakralen“ garantiert. Es kommt immer wieder zu einzelnen Fällen von fragwürdiger Strafverfolgung von Journalisten und freischaffenden Bloggern. Entsprechende Verfahren gegen Zivilisten werden oft von Militärgerichten geführt – eine Praxis, die von tunesischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird (AA 17.4.2020). Während Online- und Printmedien häufig regierungskritische Artikel veröffentlichen, üben Journalisten und Aktivisten dennoch zeitweise Selbstzensur als Resultat von Gewaltakten gegen Journalisten. Meinungsäußerungen, die „die öffentliche Ordnung oder Moral verletzen“ oder „absichtlich Personen stören, auf eine Art und Weise, die den öffentlichen Anstand beleidigen“ stehen weiterhin unter Strafe (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung garantiert das Recht auf friedliche Versammlungen und Demonstrationen (AA 17.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Zu Einschränkungen kommt es mehrfach aufgrund des weiterhin gültigen Ausnahmezustands. Die Übergänge zwischen legitimen Protesten gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits und periodisch auftretenden gewaltsamen Ausschreitungen und Plünderungen andererseits sind oft fließend. Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass die Sicherheitsorgane friedliche Versammlungen und Demonstrationen in der Regel zuverlässig schützen, aber bei Rechtsverletzungen auch entsprechend robust auftreten. Nur vereinzelt kommt es dabei zu unverhältnismäßigem Einsatz polizeilicher Mittel (AA 17.4.2020).

Vereinigungsfreiheit ist gesetzlich gewährleistet (AA 17.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Im Zuge der Bekämpfung von Terrorismus und Geldwäsche wird derzeit eine Reform des Vereinsrechts vorbereitet, die von der tunesischen Zivilgesellschaft sehr kritisch beobachtet wird, hinsichtlich ihrer abschließenden Gestalt aber noch nicht beurteilt werden kann (AA 17.4.2020).

Die primäre Behörde der Regierung zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und zum Kampf gegen Bedrohungen der Menschenrechte ist das Justizministerium. Das Ministerium versagt allerdings dabei, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Innerhalb des Präsidentenbüros ist der Hohe Ausschuss für Menschenrechte und Grundfreiheiten eine von der Regierung finanzierte Agentur, die mit der Überwachung der Menschenrechte und der Beratung des Präsidenten betraut ist. Das Ministerium für die Beziehungen zu den Verfassungsorganen, der Zivilgesellschaft und den Menschenrechten ist für die Koordinierung der Regierungsaktivitäten im Zusammenhang mit den Menschenrechten zuständig. Die Wahrheits- und Würdekommission (IVD) wurde 2014 gegründet, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025848.html, Zugriff 30.6.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 30.6.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026438.html, Zugriff 30.6.2020

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 30.6.2020

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 17.4.2020). Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis sowie wichtige Standortvorteile: Ein hoher Industrialisierungsgrad, gute Infrastruktur, Nähe zu Europa sowie qualifizierte Arbeitskräfte (AA 6.5.2019b) und Steuervorteile für Exportbetriebe ("Offshore-Sektor") (GIZ 6.2020c). Den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (ca. 50% aller Erwerbstätigen), gefolgt von der Industrie (32%) und der Landwirtschaft (ca. 25%) (AA 6.5.2019b; vgl. GIZ 6.2020c). Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft. Im Dienstleistungssektor spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll aufstrebenden jungen Kleinunternehmen v.a. im IT-Bereich den Start erleichtern. Seine Umsetzung wird jedoch kritisiert (GIZ 6.2020c).

Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung zu, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringlichsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst (GIZ 6.2020c).

Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (AA 6.5.2019; vgl. GIZ 6.2020c) und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor (AA 6.5.2019b). Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen 15 und 16%, wobei junge Menschen, Frauen, Akademiker (ca. 300.000) und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind (AA 6.5.2019b; vgl. GIZ 6.2020c, ÖB 11.2019).

Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt (AA 6.5.2019b). Die aktuelle Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu den rückständigeren Regionen vorgenommen (AA 17.4.2020).

Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (umgerechnet knapp 125 Euro) angehoben. Dies genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 6.2020c). Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar (ÖB 11.2019).

Fast ein Viertel der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, lebt in Armut. Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 6.2020b).

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Basis-Schutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für maximal ein Jahr ausbezahlt – allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 11.2019).

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet (AA 17.4.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (9.2019b): Tunesien - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/-/219026, Zugriff 21.10.2019

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020b): Tunesien - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/tunesien/gesellschaft/, Zugriff 30.6.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020c): Tunesien - Wirtschaft & Entwicklung, http://liportal.giz.de/tunesien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 30.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 30.6.2020

Die medizinische Versorgung (einschließlich eines akzeptabel funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens) hat das für ein Schwellenland übliche Niveau (AA 17.4.2020) und ist gewährleistet (BMEIA 30.6.2020). Eine weitreichende Versorgung ist in den Ballungsräumen (Tunis, Sfax, Sousse) gewährleistet; Probleme gibt es dagegen in den entlegenen Landesteilen. Auch die Behandlung psychischer Erkrankungen ist möglich. Die medizinische Behandlung von HIV-Infizierten bzw. AIDS-Kranken ist sichergestellt; es handelt sich jedoch um ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema (AA 17.4.2020). Zwar gibt es in allen Landesteilen staatliche Gesundheitseinrichtungen, diese sind jedoch trotz guter medizinischer Ausbildung der Beschäftigten oft in desolatem Zustand: es mangelt an Ausstattung und Fachärzten, die vor allem in den Großstädten an der Küste angesiedelt sind. Darunter leiden vor allem bedürftige Patienten (GIZ 6.2020b).

In Einzelfällen kann es, insbesondere bei der Behandlung mit speziellen Medikamenten, Versorgungsprobleme geben. Ein Import dieser Medikamente ist grundsätzlich möglich, wenn auch nur auf eigene Kosten der Patienten. In Einzelfällen ist also eine konkrete Nachfrage bezüglich der Verfügbarkeit der benötigten Medikamente erforderlich, in den allermeisten Fällen sind sie vor Ort problemlos erhältlich (AA 17.4.2020). Seit dem Sommer 2018 fehlt es überdies immer häufiger an Medikamenten, die auf Grund von Zahlungsschwierigkeiten der Zentralapotheke nicht mehr eingekauft werden (GIZ 6.2020b).

Darüber hinaus gibt es ein weites Netz an Privatkliniken und niedergelassenen Ärzten von oft deutlich besserer Qualität. Tunesien gibt rund 6% seines Staatshaushaltes für das Gesundheitswesen aus. Die staatliche Krankenkasse CNAM ist für die Versicherung zuständig und erstattet Behandlungen in staatlichen Einrichtungen und teilweise auch Behandlungskosten bei niedergelassenen Ärzten. Ähnlich wie in Deutschland wird dabei ein Hausarzt-Modell praktiziert. Auch Medikamente werden teilweise erstattet (GIZ 6.2020b).

Tunesien hat lange Zeit in das Gesundheitswesen investiert. Ein Großteil der Ärzteschaft ist gut ausgebildet (z.T. auch im Ausland) und das Pflegepersonal ist günstig – die Basis für einen zunehmenden Gesundheitstourismus. Eine stark angestiegene Anzahl an Privatkliniken bedient meist Ausländer, u.a. zahlungskräftigen Libyer und Algerier. Die öffentliche Gesundheitsversorgung ist nach einem dreistufigen System organisiert und dringend reformbedürftig: erweiterte Leistung der Bezirkskrankenhäuser, verstärkte Ausstattung der Regionalkrankenhäuser und Ausbau der Uni-Kliniken. Zwar beträgt der Radius weniger als 5 km zur Erlangung medizinischer Hilfe, jedoch ist die qualitative Ausstattung in den öffentlichen Krankenhäusern katastrophal: fehlende Spezialisten, Überbelegung, lange Wartezeiten, katastrophale sanitäre Zustände, geringe Anfangsgehälter für ausgebildete Ärzte sind Realität. Beim Aufsuchen eines Arztes muss der Behandlungspreis stets sofort entrichtet werden. Je nach Praxis (Krankenhaus, Klinik, Hospital, Fachgebiet) sind das zwischen 20 und 80 Dinar, also etwa 8-30 Euro. 2005 wurden die beiden Krankenkassen (CNSS: Caisse nationale de sécurité sociale und CNRPS: Caisse nationale de retraite et de prévoyance sociale) zur Caisse Nationale d’Assurance Maladie (CNAM) zusammengelegt. Allerdings ist diese Kasse mit ca. 1 Milliarden Dinar hoch verschuldet – fehlende Beitragszahlungen und verteuerte Medikamente sind nur einige der Gründe. Tatsächlich besteht eine Klassengesellschaft innerhalb der medizinischen Versorgung. Nur gut betuchte können sich Privat- und Spezialkliniken oder Ärztezentren leisten, wo die Versorgung hochpreisig, einwandfrei und an westlichen Standards angepasst ist (ÖB 11.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (30.6.2020): Reiseinformationen Tunesien, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 30.6.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020b): Tunesien - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/tunesien/gesellschaft/, Zugriff 30.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

Rückkehr

Letzte Änderung: 30.6.2020

Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Soweit bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in §35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: „Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 und 120 DT (ca. 15 bzw. 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln.“ Soweit bekannt, wurden im Jahr 2019 ausschließlich Geldstrafen verhängt. Die im Gesetz aufgeführten Strafen kommen nicht zur Anwendung bei Personen, die das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten (AA 17.4.2020).

Eine „Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie“ wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. „Bulletin Numéro 3“) beantragt werden (AA 17.4.2020).

Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und limitierten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Sowohl IOM als auch UNHCR übernehmen die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Tunesien. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen der Schweiz und Norwegens. Die Schweiz ist dabei einer der größten Geber und verfügt über zwei Entwicklungshilfebüros vor Ort. Wesentlich für eine erfolgreiche Reintegration ist es, rückkehrenden Migranten zu ermöglichen, eine Lebensgrundlage aufzubauen. Rückkehrprojekte umfassen z.B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben, oder im Bereich der Landwirtschaft. Als zweite Institution ist das ICMPD [International Centre for Migration Policy Development] seit 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sog. „Dialog Süd“ – Programms (EUROMED Migrationsprogramm) (ÖB 11.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

1.3.2. COVID-19-Pandemie

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 21.10.2020 70.997 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 925 Todesfälle (https://coronavirus.datenfakten.at/). In Tunesien wurden bislang 44.450 Infektionen bestätigt, 711 Personen sind gestorben (Stand: 21.10.2020; https://www.worldometers.info/coronavirus/country/tunisia/). In Relation zur Einwohnerzahl Tunesiens mit über 11 Millionen liegt die Infektions- sowie die Sterberate in Tunesien somit prozentual noch deutlich unter jener von Österreich.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie zB Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf. Dass der Beschwerdeführer derzeit an einer COVID-19-Infektion leiden oder im Hinblick auf eine etwaige Vorerkrankung zu einer vulnerablen Personengruppe gehören würde, wurde nicht vorgebracht. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID-19 zudem mit nur geringen Symptomen vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 39 Jahre ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt unter 1% (BMSGPK: Informationen zum Coronavirus, https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html, Zugriff)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in die zitierten Länderberichte zu Tunesien.

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Betreuungsinformation Grundversorgung (GVS) und dem Strafregister (SA) eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest. Der Beschwerdeführer gab an, seinen Reisepass, seinen Personalausweis und seinen Führerschein in Slowenien verloren zu haben.

Dass er am 25.07.2020 nach Österreich eingereist war, ergibt sich ebenso wie sein Reiseweg und die Kosten der Reise aus seinen Angaben in der Erstbefragung.

Dass er in Rumänien einen Asylantrag stellte, ergibt sich aus einem EURODAC-Treffer. Die weiteren Informationen zu diesem Verfahren ergeben sich aus im Akt einliegenden Schreiben des rumänischen Innenministeriums vom 14.08.2020 und vom 28.08.2020 (wobei die Rückübernahme jeweils abgelehnt wurde).

Die Feststellungen zu seiner Volljährigkeit, seiner Herkunft, seinen Lebensumständen, seinen Familienverhältnissen und den finanziellen Verhältnissen seiner Eltern, seiner Ausbildung, seinem Gesundheitszustand, seiner Erwerbsfähigkeit, seiner Staatsangehörigkeit sowie zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor der belangten Behörde, insbesondere in der Einvernahme am 14.09.2020 und am 17.09.2020.

Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit in Österreich ergibt sich aus einer Abfrage im Strafregister der Republik.

2.3. Zu einer Verfolgung und Gefährdung des Beschwerdeführers in Tunesien:

Der Beschwerdeführer erklärte in der Erstbefragung am 06.08.2020, dass er Anfang 2019 beschlossen habe, Tunesien zu verlassen, „weil die Lage in Europa besser als in Afrika ist“. Näher nach seinen Fluchtgründen befragt gab er dann an: „Ich kann in Tunesien nicht leben. Mein Vater hat für die alte Regierung von „Bin Ali“ gearbeitet und nach der Revolution haben wir sehr viele Probleme bekommen. Meine Familie hat die Lage nicht ausgehalten, deswegen haben sich meine Eltern auch getrennt und ich kann auch dadurch in Tunesien kein normales Leben führen.“ Bei einer Rückkehr befürchte er „Probleme mit der Polizei. Weil ich ausgereist bin und wegen den Problemen meines Vaters“.

In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 14.09.2020 wiederholte er, dass sein Vater Mitglied bei der früheren Regierungspartei RCD gewesen sei und deswegen seine Arbeit verloren habe. Der Beschwerdeführer selbst könne keine Arbeit bei den staatlichen Behörden bekommen und habe keine Aussicht auf eine Zukunft. In einer weiteren Einvernahme am 17.09.2020 betonte er, dass er wegen der politischen Tätigkeit seines Vaters keine Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt und im Sozialleben erfahren werde. Zudem sei er 28 Tage in Untersuchungshaft genommen worden, ohne erfahren zu haben, was gegen ihn vorliege.

Alleine aufgrund der Situation in Tunesien ist das Vorbringen des Beschwerdeführers allerdings nicht glaubhaft: RCD, die Staatspartei des gestürzten tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali, wurde im Februar 2011 aufgelöst (vgl. etwa Der Standard, Neue Regierung löst Ben Alis RCD-Partei auf, 07.02.2011, abrufbar unter https://www.derstandard.at/story/1296696565266/neue-regierung-loest-ben-alis-rcd-partei-auf). Die Partei umfasste zweitweise etwa 2 Millionen Mitglieder und damit ein Fünftel der tunesischen Bevölkerung (TAZ, Ben Alis Partei RCD aufgelöst10.03.2011, abrufbar unter https://taz.de/Ben-Alis-Partei-RCD-aufgeloest/!316613/). Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er und seine Familie alleine aufgrund der Mitgliedschaft seines Vaters bei der RCD verfolgt werden würden, ist alleine deswegen schon vollkommen unplausibel.

In einer kanadischen Anfragebeantwortung (Canada: Immigration and Refugee Board of Canada, Tunisie : information sur le traitement réservé aux membres du Rassemblement constitutionnel démocratique (RCD) depuis la chute du président Ben Ali; la

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten