TE Vwgh Beschluss 2020/12/14 Ra 2017/08/0137

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Veröffentlicht am 14.12.2020
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §10
ASVG §123
ASVG §123 Abs1 Z2
ASVG §16
ASVG §19a
ASVG §69
ASVG §69 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Strohmayer sowie die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der I B in W, vertreten durch Mag. Bernhard Kispert, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 20/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2017, W198 2136206-1/5E, betreffend Antrag auf Beitragsrückerstattung aus einer Selbstversicherung nach § 19a ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Gebietskrankenkasse; nunmehr Österreichische Gesundheitskasse), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

2.1. Die Revisionswerberin beantragte am 30. Jänner 2015 bei der belangten Behörde die Selbstversicherung (in der Kranken- und Pensionsversicherung) bei geringfügiger Beschäftigung nach § 19a ASVG. Mit Schreiben vom 30. April 2015 kündigte sie die Versicherung (wieder) auf, weil sie (im Zeitraum der Selbstversicherung) auf Grund ihres Studiums ohnehin bei den Eltern in der Krankenversicherung mitversichert gewesen sei. Weiters begehrte sie die Rückzahlung der für Jänner bis April 2015 entrichteten Beiträge von € 229,20. Sie brachte dazu vor, die belangte Behörde habe durch ein Schreiben vom 12. August 2014 bei ihr den Irrtum hervorgerufen, dass sie sich im Zuge ihrer geringfügigen Beschäftigung selbstversichern müsse, weil andernfalls kein Versicherungsschutz bestehe. Sie habe daher die Beiträge unter irrtümlicher Annahme einer Versicherungspflicht und damit zu Ungebühr entrichtet, sodass sie gemäß § 69 Abs. 1 ASVG zur Rückforderung berechtigt sei.

2.2. Die belangte Behörde wies mit Bescheid vom 9. August 2016 den Antrag auf Rückerstattung der Beiträge ab. Die Revisionswerberin sei im betreffenden Zeitraum auf Grund ihrer geringfügigen Beschäftigung zwar in der Unfallversicherung teilversichert gewesen, jedoch weder in der Kranken- noch in der Pensionsversicherung pflichtversichert gewesen. Dem Antrag auf Selbstversicherung nach § 19a ASVG sei daher stattzugeben gewesen. Was die Mitversicherung (bei den Eltern in der Krankenversicherung) betreffe, so sei diese keine Pflichtversicherung; sie schließe eine Selbstversicherung nicht aus und sei auch subsidiär zu einer anderweitigen Krankenversicherung. Gemäß § 69 Abs. 1 ASVG könnten lediglich zu Ungebühr entrichtete Beiträge zurückgefordert werden, was hier nicht der Fall sei.

2.3. Die Revisionswerberin erhob gegen den Bescheid Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen, sie bestreite nicht, dass grundsätzlich die Möglichkeit zur Selbstversicherung bestanden habe. Die belangte Behörde habe aber nicht entsprechend berücksichtigt, dass sie (die Revisionswerberin) auf Grund des behördlichen Schreibens vom 12. August 2014 sowie eines Telefonats mit der zuständigen Sachbearbeiterin (in dem diese nicht auf die Mitversicherung hingewiesen habe) irrtümlich davon ausgegangen sei, dass sie sich zur Gewährleistung eines Schutzes in der Krankenversicherung selbstversichern müsse. Auf Grund dieses von der belangten Behörde veranlassten Irrtums seien die Beiträge zu Ungebühr entrichtet worden und bestehe daher der Anspruch auf Rückerstattung zu Recht.

3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es führte im Wesentlichen aus, die Selbstversicherung nach § 19a ASVG setze voraus, dass keine Pflichtversicherung in der Kranken- oder Pensionsversicherung bestehe. Die Selbstversicherung sei daher subsidiär gegenüber einer Pflichtversicherung und begründe auch selbst keine solche. Was die Mitversicherung betreffe, so sei (auch) diese nicht als Pflichtversicherung zu qualifizieren, wie sich aus § 123 Abs. 1 Z 2 ASVG ergebe. Da somit die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nach § 19a ASVG bestanden hätten, seien die Beiträge nicht zu Ungebühr entrichtet worden und lägen daher die Voraussetzungen für eine Rückerstattung nach § 69 Abs. 1 ASVG nicht vor. Was ein allfälliges Fehlverhalten der belangten Behörde (Falschberatung, dadurch veranlasster Irrtum) und die behauptete ungerechtfertigte Bereicherung der belangten Behörde anlange, so sei die Revisionswerberin auf den Zivilrechtsweg (Amtshaftung) zu verweisen.

3.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung ein Fehlen von Rechtsprechung in den nachstehend näher erörterten Punkten behauptet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

5.1. Die Revisionswerberin releviert, es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob die Mitversicherung nach § 123 ASVG einer Pflichtversicherung gleichzusetzen sei, deren Vorliegen eine Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG ausschließe.

5.2. Die Pflichtversicherung tritt kraft Gesetzes mit der Erfüllung eines bestimmten Tatbestands ein (vgl. VwGH 19.3.2003, 2000/08/0206). Wesentlich ist vor allem, dass eine Rechtspflicht - und keine Freiwilligkeit - zur Versicherung bei Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen besteht (vgl. VwGH 26.5.2004, 2003/08/0096).

Eine „Mitversicherung“ nach § 123 ASVG begründet - wie in der Rechtsprechung bereits klargestellt wurde - keine Pflichtversicherung. Sie vermittelt eine (bloße) Anspruchsberechtigung auf Leistungen im Rahmen der Krankenversicherung eines Versicherten (auch) für bestimmte Angehörige. Die Berechtigung aus der Mitversicherung kommt - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen (vgl. etwa OGH RIS-Justiz RS0113003) - auch nicht den Angehörigen, sondern dem Versicherten selbst zu (vgl. VwGH 6.5.1997, 97/08/0049; 14.9.2005, 2003/08/0055). Die Inanspruchnahme durch den Versicherten ist auch nicht zwingend; ebenso steht es den Angehörigen frei, sich bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen - etwa nach § 16 oder (wie hier) nach 19a ASVG - in der Krankenversicherung selbst zu versichern, womit die Angehörigeneigenschaft im Sinn des § 123 ASVG ex lege erlischt. Ausgehend davon kann aber „keine Rede davon sein, dass der Gesetzgeber [im Rahmen des § 123 ASVG] für Angehörige von Pflichtversicherten eine von der Erwerbstätigkeit losgelöste Pflichtversicherung geschaffen hat“ (vgl. näher VfGH 4.12.2001, B 998/01, VfSlg. 16.381/2001).

5.3 Die Mitversicherung für Angehörige im Sinn des § 123 ASVG ist daher einer gesetzlichen Pflichtversicherung nicht gleichzusetzen. Sie schließt folglich das Eingehen einer Selbstversicherung (hier) nach § 19a ASVG nicht aus. Sie wird - im Gegenteil - selbst gemäß § 123 Abs. 1 Z 2 ASVG durch eine solche ausgeschlossen.

6.1. Die Revisionswerberin releviert, es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob Beiträge, die trotz Bestehen einer Mitversicherung nach § 123 ASVG im Rahmen einer Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG irrtümlich geleistet wurden, nach § 69 Abs. 1 ASVG zurückgefordert werden könnten. Insofern ist die Rechtslage aber klar und eindeutig.

6.2. Gegenstand der Rückforderung von ungebührlich entrichteten Beiträgen nach § 69 Abs. 1 ASVG ist die Differenz zwischen dem für einen konkreten Beitragszeitraum entrichteten und dem für diesen Beitragszeitraum geschuldeten Beitrag. Es ist daher zu prüfen, ob die von der Revisionswerberin entrichteten Beiträge für den betreffenden Zeitraum tatsächlich geschuldet wurden (vgl. VwGH 20.3.2014, Ro 2014/08/0044).

6.3. Die Revisionswerberin war im betreffenden Zeitraum auf Grund ihres Antrags gemäß § 19a Abs. 1 ASVG (in der Kranken- und Pensionsversicherung) selbstversichert. Eine Beendigung der Selbstversicherung im gegenständlichen Zeitraum ist aus dem unstrittigen Sachverhalt nicht ableitbar. Eine solche wäre dann eingetreten, wenn die Voraussetzungen der Selbstversicherung (geringfügige Beschäftigung, keine Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung, Wohnsitz im Inland) weggefallen wären (§ 19a Abs. 3 Z 1 ASVG), was nicht der Fall war. Auch eine Austrittserklärung nach § 19a Abs. 3 Z 2 ASVG ist nicht erfolgt, ein Beitragsrückstand im Sinn des § 19a Abs. 3 Z 3 ASVG ist ebenso nicht vorgelegen (vgl. VwGH 16.11.2011, 2008/08/0255 [zur Selbstversicherung nach § 16 ASVG]).

Im Hinblick darauf bestehen jedoch keine Anhaltspunkte, dass die im betreffenden Zeitraum im Rahmen der Selbstversicherung nach § 19a ASVG geleisteten Beiträge nicht geschuldet worden wären und aus dem Grund gemäß § 69 Abs. 1 ASVG als zu Ungebühr entrichtet rückgefordert werden könnten. Die (zunächst vorgelegene) Mitversicherung nach § 123 ASVG steht dem nicht entgegen (vgl. schon Punkt 5.).

7.1. Die Revisionswerberin macht geltend, die Bestimmung des § 69 Abs. 1 ASVG, wonach zu Ungebühr entrichtete Beiträge zurückgefordert werden könnten, lasse mehrere Auslegungsvarianten zu und bedürfe daher einer näheren Klärung.

7.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Auslegung des § 69 Abs. 1 ASVG bereits eingehend Stellung genommen. Demnach sind unter zu Ungebühr entrichteten Beiträgen, die nach der genannten Bestimmung zurückgefordert werden können, Beiträge zu verstehen, deren Entrichtung von Gesetzes wegen nicht zulässig gewesen wäre bzw. die von jemandem entrichtet wurden, der dazu gesetzlich nicht verpflichtet war (vgl. VwGH 21.11.2001, 97/08/0413; 3.10.2002, 97/08/0625). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits klargestellt, dass § 69 Abs. 1 ASVG nicht weiter nach den Gründen, aus denen ein Beitrag ungebührlich entrichtet wurde, differenziert. Vielmehr sind alle Ursachen ungebührlicher Beitragsentrichtung nach dem Gesetz gleichwertig und darauf gestützte Rückforderungsansprüche immer nach § 69 ASVG zu behandeln (vgl. VwGH 20.9.2000, 97/08/0535).

7.3. In Anbetracht dessen sind entscheidungswesentliche offene Auslegungsfragen in Bezug auf die Regelung des § 69 Abs. 1 ASVG nicht zu sehen. Die Revisionswerberin legt auch nicht näher dar, inwieweit mehrere Auslegungsvarianten bestünden, die einer näheren Klärung durch den Verwaltungsgerichtshof bedürften.

8.1. Die Revisionswerberin releviert, nach der Rechtsprechung führe zwar ein durch Falschberatung entstandener Irrtum über die Auswirkungen von Beitragszahlungen nicht zur Ungebührlichkeit gemäß § 69 Abs. 1 ASVG. Vorliegend gehe es aber nicht um einen derartigen Irrtum, sondern um einen solchen über die Notwendigkeit einer Selbstversicherung nach § 19a ASVG bei aufrechtem Bestehen einer Mitversicherung.

8.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar ausgesprochen, dass es im Zusammenhang mit der Ungebührlichkeit von Beitragszahlungen gemäß § 69 Abs. 1 ASVG nicht von Bedeutung sei, ob und aus welchen Gründen sich der Versicherte über die Auswirkung der Beitragszahlungen auf künftige Versicherungsleistungen in einem Irrtum befunden habe. Er hat aber ebenso festgehalten, dass das Gesetz auf die Motive für die Entrichtung der Beiträge zu einer Selbstversicherung (oder einer anderen freiwilligen Versicherung) nicht abstellt, sowie dass - wenn die für die betreffenden Zeiträume entrichteten Beiträge den gesetzlichen Voraussetzungen entsprochen haben - diese nicht im Sinn des § 69 Abs. 1 ASVG zu Ungebühr entrichtet worden sind (vgl. neuerlich VwGH 2008/08/0255; 97/08/0413).

Damit hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch klargestellt, dass jeglicher Irrtum - sei es über die Notwendigkeit einer Selbstversicherung (oder einer anderen freiwilligen Versicherung), sei es über die Auswirkungen von Beitragszahlungen auf künftige Leistungen im Rahmen einer solchen Versicherung - in Bezug auf die Ungebührlichkeit von Beitragszahlungen gemäß § 69 Abs. 1 ASVG unerheblich ist, sofern nur die vom Versicherten für die betreffenden Zeiträume entrichteten Beiträge den gesetzlichen Voraussetzungen entsprochen haben.

8.3. Vorliegend bestehen - wie schon gesagt (vgl. Punkte 5., 6.) - keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die im betreffenden Zeitraum im Rahmen der Selbstversicherung nach § 19a ASVG geleisteten Beiträge nicht geschuldet und daher im Sinn des § 69 Abs. 1 ASVG ungebührlich entrichtet worden wären. Schon im Hinblick darauf scheidet - unbeschadet eines allfälligen Irrtums der Revisionswerberin - die Möglichkeit einer Rückforderung von Beiträgen nach der genannten Bestimmung jedenfalls aus.

9. Insgesamt werden daher in der (gesonderten) Zulässigkeitsbegründung keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 14. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017080137.L00

Im RIS seit

15.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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