Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Jänner 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Strafsache gegen ***** A***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 110 Hv 29/20h des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über Vorlage gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO durch das Oberlandesgericht Graz, AZ 8 Bs 382/20t, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Sache wird dem Oberlandesgericht Graz zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.
Text
Gründe:
Mit Anklageschrift vom 14. Oktober 2020 (ON 130) legt die Staatsanwaltschaft Graz ***** A***** und ***** K***** den Verbrechen des Suchgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (1/A und B) und der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (2/A und B) sowie weiteren Vergehen (nach dem SMG und dem WaffG) subsumierte Taten zur Last.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen erhob K***** Einspruch, inhaltlich ausgeführt aus dem Grund des § 212 Z 6 StPO (ON 138).
Mit Beschluss vom 12. November 2020, AZ 8 Bs 382/20t, legte das Oberlandesgericht Graz – nach Verneinen der Einspruchsgründe der Z 1 bis 5, 7 und 8 des § 212 StPO – die Akten nach § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist im Fall gleichzeitiger Anklage mehrerer beteiligter Personen (§ 12 StGB) oder einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig, wobei das Gericht, das für einen unmittelbaren Täter zuständig ist, das Verfahren gegen Beteiligte an sich zieht (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO). Im Übrigen kommt das Verfahren im Fall mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO).
Nach dieser Gesetzessystematik normiert der dritte Satz des § 37 Abs 2 StPO eine Ausnahme zum zweiten, nicht jedoch zum ersten Satz dieser Bestimmung (RIS-Justiz RS0124935).
Für die Frage der örtlichen Zuständigkeit ist hier die strafbare Handlung (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) maßgeblich, die sachlich in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fällt, also der dem Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG subsumierte Anklagevorwurf (1/A und B). Nach dem Anklagesachverhalt hätten die beiden Angeklagten das dazu inkriminierte Verhalten jeweils im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit gesetzt (vgl ON 130 S 8 f).
Da nach der Anklage K***** (durchwegs) als unmittelbarer, A***** als unmittelbarer und als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) gehandelt hätten, somit beide Angeklagte in Bezug auf diese (die objektive Konnexität herstellende) strafbare Handlung (zumindest auch) als unmittelbare Täter angeklagt sind, scheidet – entgegen der Meinung des Oberlandesgerichts Graz – eine Zuständigkeitsanknüpfung nach § 37 Abs 2 erster Satz dritter Fall StPO hier aus.
Vielmehr kommen die Regelungen des § 37 Abs 2 zweiter und dritter Satz StPO zum Tragen, weil jedem Angeklagten in Bezug auf diesen Anklagevorwurf eine Straftat zur Last liegt, dieser insgesamt also mehrere Straftaten umfasst (vgl RIS-Justiz RS0098487; Lewisch, WK-StPO § 262 Rz 22 [zum Begriff der Tat im prozessualen Sinn als strafrechtliche Beziehung eines Menschen zu einem bestimmten Geschehen im Hinblick auf die Geltendmachung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit] sowie RIS-Justiz RS0106089; 15 Os 30/19d; Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 39 [zur Konsequenz der funktionalen Einheitstäterschaft, dass jeder Mitwirkende an einem – unter dem Aspekt des § 12 StGB zusammengefassten – Gesamtgeschehen eine eigene strafbare Handlung begeht]).
Indem § 37 Abs 2 dritter Satz StPO an die Begehung einer der angeklagten strafbaren Handlungen (nicht wie § 36 Abs 3 StPO an die Ausführung einer Straftat) anknüpft, stellt – ähnlich wie nach § 67 Abs 2 StGB – neben dem Ort des (gebotenen) Handelns auch jener des Erfolgseintritts einen Begehungsort dar (13 Ns 94/20g). Liegt nur einer von mehreren (auch in Form von Handlungsorten) in Betracht kommenden Begehungsorten im Sprengel der anklagenden Staatsanwaltschaft (vgl 14 Ns 60/15g), gibt dies nach § 37 Abs 2 dritter Satz StPO den Ausschlag für die Zuständigkeit (vgl [zu § 67 Abs 2 StGB] RIS-Justiz RS0092155, RS0092073; Salimi in WK2 StGB § 67 Rz 24). Da vorliegend nach Anklagesachverhalt (ON 130 S 4 ff) und Akteninhalt (ON 123 S 3 ff) A***** und K***** das ihnen jeweils angelastete Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG auch im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Graz begangen haben, ist dieses – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – für das Hauptverfahren zuständig.
Ergänzend wird hinzugefügt:
Der vom Oberlandesgericht Graz ins Spiel gebrachten (zu § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO ergangenen) Rechtsprechung, derzufolge bei einem Dauerdelikt an das frühere kriminelle Handeln anzuknüpfen ist (RIS-Justiz RS0126604), kommt vorliegend auch deshalb keine Bedeutung zu, weil das hier inkriminierte Verhalten der beiden Angeklagten tatbestandliche Handlungseinheiten im weiteren Sinn darstellen, während Dauerdelikte als tatbestandliche Handlungseinheiten im engeren Sinn (näher zur Unterscheidung RIS-Justiz RS0122006; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89) dadurch gekennzeichnet sind, dass durch die Straftat ein rechtswidriger Zustand geschaffen wird, den der Täter in der Folge aufrecht erhält, wodurch die Rechtsgutbeeinträchtigung (anders als bei den Zustandsdelikten) intensiviert wird (RIS-Justiz RS0076137; Fuchs/Zerbes, AT I10 10/62 f; Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 9.27 ff). Von einem Dauerdelikt kann jedoch beim hier angeklagten Überlassen von Suchtgift in einer das 25-Fache der Grenzmenge übersteigenden Menge in zahlreichen Einzelakten mit einem von vornherein auf Tatbildverwirklichung in Teilmengen und den mit der kontinuierlichen Tatbegehung über einen längeren Zeitraum verknüpften Additionseffekt gerichteten Vorsatz (ON 130 S 8 f) keine Rede sein. Erstreckt sich die den gesetzlichen Tatbestand – solcherart in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit im weiteren Sinn – erfüllende Verhaltensweise über mehrere Orte, gibt (nach der primär zu § 36 Abs 3 StPO ergangenen Rechtsprechung) jener den Ausschlag, an dem die die deliktische Handlung beendende Tätigkeit, also in der Regel die letzte Ausführungshandlung, stattgefunden hat (RIS-Justiz RS0130107; vgl Nordmeyer, WK-StPO § 25 Rz 1).
Textnummer
E130372European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0140NS00078.20M.0114.000Im RIS seit
25.01.2021Zuletzt aktualisiert am
25.01.2021