Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei C***** S.A., *****, Brasilien, vertreten durch Knoetzl Haugeneder Netal Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die Gegner der gefährdeten Partei 1. E***** S.A., *****, Brasilien, 2. C***** GmbH, 3. E***** GmbH, beide *****, 4. R*****, Zweit- bis Viertantragsgegner vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, 5. G*****, 6. R*****, beide *****, Brasilien, wegen Unterlassung, über den Revisionsrekurs der Zweit- bis Viertantragsgegner gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Rekursgericht vom 8. September 2020, GZ 1 R 175/20m, 1 R 176/20h-65, mit dem unter anderem der Beschluss des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 8. Juni 2020, GZ 6 C 205/19v-55, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Zum Sachverhalt und zum bisherigen Verfahrensverlauf kann auf die zwischen den Parteien dieses Verfahrens ergangenen Entscheidungen des erkennenden Senats vom 29. 8. 2019 (6 Ob 142/19d) und vom 20. 2. 2020 (6 Ob 239/19v) verwiesen werden.
Über Antrag der Zweit- bis Viertantragsgegner hob nunmehr das Erstgericht seine einstweilige Verfügung vom 16. 4. 2019 in der maßgeblichen Fassung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs vom 20. 2. 2020 gemäß § 399 Abs 1 Z 2 EO infolge Wegfalls des Sicherungsbedürfnisses auf.
Das Rekursgericht wies – in Stattgebung des Rekurses der gefährdeten Partei und Antragstellerin – den Antrag der Zweit- bis Viertantragsgegner zurück, hob das vom Erstgericht über diesen Antrag geführte Verfahren auf und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteigt sowie dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist; die hier zu lösende Rechtsfrage der Antragslegitimation sei angesichts des vom Obersten Gerichtshof erstmals judizierten „Drittverbots sui generis“ strittig.
In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, der Oberste Gerichtshof habe in den Entscheidungen 6 Ob 142/19d und 6 Ob 239/19v durch Einbeziehung der Zweit- bis Viertantragsgegner ohne Anspruch der Antragstellerin gegen diese „im Ergebnis ein dem Drittverbot gemäß § 382 Abs 1 Z 7 EO richterrechtlich nachgebildetes Drittverbot sui generis“ bejaht. Legitimation zur Stellung eines Aufhebungsantrags komme aber nur den Parteien (gemeint: des Provisorialverfahrens), nicht aber Dritten zu, weshalb der mit dem Drittverbot belegte Drittschuldner nicht zur Stellung eines Aufhebungsantrags legitimiert sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Zweit- bis Viertantragsgegner ist zulässig; er ist auch berechtigt.
1. Es entspricht jedenfalls überwiegender Auffassung in Lehre (vgl bloß E. Kodek in Angst/Oberhammer, EO³ § 399 Rz 2; König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren5 Rz 8.1; im hier interessierenden Zusammenhang ebenso G. Kodek in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 399 Rz 5 – alle mit weiteren Nachweisen) und Rechtsprechung (7 Ob 93/97w), dass ein Aufhebungsantrag nach § 399 EO zwar von der gefährdeten Partei und ihrem Gegner, nicht aber von Dritten gestellt werden kann (aA ZBl 1934/246; Hausmaninger, Die Beeinträchtigung Dritter durch einstweilige Verfügungen, JBl 1990, 160 [166]); dies gilt auch für von einem Drittverbot erfasste Personen (vgl 7 Ob 93/97w). Daraus kann aber für die Antragstellerin nichts gewonnen werden:
2. Nach § 382 Abs 1 Z 7 EO ist ein Sicherungsmittel unter anderem das gerichtliche Drittverbot, wenn der Gegner der gefährdeten Partei an eine dritte Person einen Anspruch auf Leistung oder Herausgabe von Sachen zu stellen hat, auf welche sich der von der gefährdeten Partei behauptete oder ihr bereits zuerkannte Anspruch bezieht. Wie nach § 379 Abs 3 Z 3 EO kann dem Dritten nur die Erfüllung von Pflichten, nicht aber die Ausübung von Rechten untersagt werden (König aaO Rz 3.71 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Damit sind aber die hier erlassenen Anordnungen im Sinne der Entscheidung 6 Ob 239/19v nicht vergleichbar.
2.1. Der erkennende Senat hielt in seiner – einen gesellschaftsrechtlichen Fall betreffenden – Entscheidung 6 Ob 38/18h (GesRZ 2018, 303 [Zimmermann] = RdW 2018/473 [Drobnik/Torggler, RdW 2020, 418 und 513]) fest, dass § 42 Abs 4 GmbHG lediglich davon spricht, dass das Gericht die Ausführung des angefochtenen Beschlusses aufschieben kann, trifft aber keine ausdrückliche Aussage darüber, gegen wen die einstweilige Verfügung erlassen werden kann. Wenngleich die Gesellschaft ohnedies nur durch ihre Organe handeln kann, sodass die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen den Geschäftsführer im Regelfall nicht erforderlich sein wird, sei die Verhängung eines entsprechenden Verbots auch gegen den Geschäftsführer nach der zitierten Gesetzesstelle nicht ausgeschlossen. Dadurch werde eine gewisse Verstärkung des Unterlassungsgebots bewirkt und dessen exekutive Durchsetzung vereinfacht, weil der Unterlassungstitel damit jedenfalls auch gegen den Geschäftsführer vollstreckt werden kann. In der Entscheidung 6 Ob 119/19x wiederholte der Oberste Gerichtshof diesen Gedanken. Die beiden Entscheidungen richteten sich zum einen gegen den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung und zum anderen gegen einen Liquidator. König (JBl 2020, 401 – Entscheidungsanmerkung zu 6 Ob 239/19v) bezeichnete diese Rechtsprechung als lebensnah, zwar dogmatisch auf dünnem Eis navigierend, jedoch rechtfertigbar.
2.2. Den Gedanken der Verstärkung des Unterlassungsgebots, der die Erlassung einer einstweiligen Verfügung unmittelbar gegen Personen rechtfertigt, die nicht Parteien eines anhängigen Verfahrens sind, übertrugen die Entscheidungen 6 Ob 142/19d und 6 Ob 239/19v auf Tochter- und Enkelunternehmen mit der Begründung, die Gesellschaft selbst könnte das sie treffende Unterlassungsgebot dadurch unterlaufen, dass diese die verbotenen Handlungen und Maßnahmen setzen. Dafür hatte es auch im vom Erstgericht als bescheinigt angenommenen Sachverhalt konkrete Hinweise gegeben, war doch die Durchführung der (zu verbietenden) Emission der Drittantragsgegnerin (Enkeltochter) überbunden worden und trat (unter anderem) die Zweitantragsgegnerin (Tochter) als Garantin der Anleihe auf; der Viertantragsgegner wiederum war bzw ist deren Geschäftsführer.
König (aaO) kritisiert diese Entscheidungen vor allem dahin, dass der Antragstellerin gegen die „anspruchsfremden“ Parteien, also (auch) den Zweit- bis Viertantragsgegnern, die Einleitung eines Rechtfertigungsverfahrens hätte aufgetragen werden müssen. Auch wenn König in seiner Entscheidungsanmerkung diese Parteien bisweilen als „Dritte“ bezeichnet, so geht er doch zutreffend mit keinem Wort davon aus, dass sie als Empfänger eines Drittverbots anzusehen wären. Tatsächlich erfasste die letztlich erlassene einstweilige Verfügung die Zweit- bis Viertantragsgegner als unmittelbare Antragsgegner, um eben das gegen die Erstantragsgegnerin gerichtete Unterlassungsgebot zu verstärken.
2.3. Aus diesen Überlegungen folgt aber – entgegen der vom Rekursgericht vertretenen Auffassung –, dass den Zweit- bis Viertantragsgegnern Antragslegitimation nach § 399 EO zukommt. Das Rekursgericht wird sich deshalb mit den Argumenten der Antragstellerin in deren Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Erstgerichts inhaltlich auseinander zu setzen haben.
3. Der erkennende Senat hat jüngst unter Hinweis auf König (Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren5 Rz 6.83/4) klargestellt, dass aus teleologischen Erwägungen erst die endgültige Ab- oder Zurückweisung des Sicherungsantrags den gewährten einstweiligen Rechtsschutz beseitigt; bloße Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschlüsse bewirkten demgegenüber nicht das Außerkrafttreten der einstweiligen Verfügung. Diese Erwägungen haben auch für die hier gegebene Konstellation zu gelten. Solange nicht rechtskräftig über den Aufhebungsantrag nach § 399 EO entschieden ist, bleibt die einstweilige Verfügung aufrecht (vgl in diesem Sinn auch 3 Ob 50/19b [ErwG II.6.2.] im Zusammenhang mit der Einstellung eines Exekutionsverfahrens).
4. Die Entscheidung 6 Ob 142/19d hat festgehalten, dass der Oberste Gerichtshof dann, wenn das Rekursgericht über den Rekurs nicht meritorisch, sondern formell im Sinne einer Nichtigerklärung und Zurückweisung der Klage entschieden hat, über berechtigten Rekurs dem Rekursgericht nur die meritorische Entscheidung über den Rekurs auftragen, nicht aber selbst in der Sache entscheiden kann; ein vergleichbarer Fall liegt auch hier vor. Der Anregung der Antragstellerin in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, der Oberste Gerichtshof möge die „wesentlichen meritorischen Rechtsfragen [klarstellen]“, kann deshalb nicht gefolgt werden, hieße dies doch ein unzulässiges Übergehen der zweiten Instanz. Im Übrigen hat die Antragstellerin in ihrem Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Erstgerichts zahlreiche Verfahrens- und Feststellungsmängel gerügt, deren Erledigung (ausschließlich) dem Rekursgericht zusteht; der Oberste Gerichtshof ist keine Tatsacheninstanz.
5. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO, §§ 402, 78 EO.
Textnummer
E130291European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00222.20W.1125.000Im RIS seit
23.01.2021Zuletzt aktualisiert am
17.06.2021