Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ArbVG §3 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der Mag. R in W, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. August 1995, Zl. UVS-04/A/40/00297/95, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Beschäftigung der Arbeitnehmer B und E betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin für schuldig erkannt, sie habe es als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufene der H-Gesellschaft m.b.H. zu verantworten, daß diese Gesellschaft als Arbeitgeberin 17 namentlich bezeichnete Arbeitnehmer zu bezeichneten Zeiten entgegen § 9 Arbeitszeitgesetz, BGBl. Nr. 461/1969 in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 446/1994 - AZG, beschäftigt habe. Über die Beschwerdeführerin wurden Geldstrafen verhängt.
Mit der vorliegenden Beschwerde bekämpft die Beschwerdeführerin ausschließlich die Schuldsprüche betreffend die Beschäftigung der Arbeitnehmer B und E und beantragt insoweit die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Unbestritten bleibt dabei, daß die Arbeitnehmerin B am 16. November 1993 11 Stunden 45 Minuten, am 17. November 1993 10 Stunden 45 Minuten, am 18. November 1993 12 Stunden 15 Minuten, am 22. November 1993 12 Stunden 5 Minuten, am 25. November 1993 11 Stunden 30 Minuten, am 30. November 1993 12 Stunden 25 Minuten und am 1. Dezember 1993 11 Stunden 30 Minuten sowie der Arbeitnehmer E am 16. November 1993 13 Stunden 55 Minuten, am 17. November 1993 10 Stunden 55 Minuten, am 18. November 1993 11 Stunden 50 Minuten, am 25. November 1993 11 Stunden 10 Minuten, am 26. November 1993 14 Stunden 25 Minuten, am 29. November 1993 15 Stunden 35 Minuten, am 30. November 1993 13 Stunden 25 Minuten, am 1. Dezember 1993 13 Stunden 5 Minuten, am 2. Dezember 1993 11 Stunden 45 Minuten, am 3. Dezember 1993 13 Stunden 25 Minuten, am 6. Dezember 1993 11 Stunden 14 Minuten, am 4. Jänner 1994 12 Stunden 40 Minuten, am 5. Jänner 1994 14 Stunden 45 Minuten, am 7. Jänner 1994 12 Stunden 35 Minuten, am 8. Jänner 1994 13 Stunden 35 Minuten und am 9. Jänner 1994 19 Stunden (bis 04.00 Uhr des 10. Jänner 1994) in Ungarn bei der Firma H Hungaria (einer nach ungarischem Recht eingerichteten Gesellschaft mit Sitz in Budapest) in Verwendung standen und in den genannten Zeiten teilweise auch Reisezeiten von und nach Budapest enthalten sind. Weiters bleibt unbestritten, daß B und E auch während der Auslandsverwendung im Dienst der H-Gesellschaft m.b.H., deren Geschäftsführerin die Beschwerdeführerin ist, standen und von dieser Gesellschaft bezahlt wurden.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides - soweit hier noch gegenständlich - führt die belangte Behörde aus, die Strafbarkeit in Ansehung von im Ausland entgegen den Bestimmungen des AZG erbrachten Arbeitsleistungen ergebe sich aus § 2 Abs. 2 VStG. Entsprechend dieser Bestimmung sei eine Übertretung im Inland begangen, wenn der Täter im Inland gehandelt hat oder hätte handeln sollen oder wenn der zum Tatbestand gehörige Erfolg im Inland eingetreten sei. Täter sei im konkreten Fall eine zur Vertretung nach außen berufene, der Unternehmensleitung angehörende Person, die an jenem Ort hätte handeln sollen, an dem die Unternehmensleitung ihren Sitz habe, im gegenständlichen Fall somit Wien. Ausgehend von der Tatsache, daß beide Arbeitnehmer im Tatzeitraum solche des österreichischen Unternehmens H-Gesellschaft m.b.H. gewesen seien, sei es ohne Bedeutung, daß die Tätigkeiten dieser beiden Arbeitnehmer in Ungarn entfaltet wurden. Hinsichtlich der Reisezeiten von und nach Ungarn führt die belangte Behörde aus, daß Reisezeiten prinzipiell als Arbeitszeit anzusehen seien, sofern für diese Zeit nicht durch Vereinbarung ein geringeres Entgelt vergütet würde, und verweist hiezu auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 1991, Zl. 90/08/0156.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die zuständige Oberbehörde, der Bundesminister für Arbeit und Soziales, hat eine Stellungnahme erstattet. Die Beschwerdeführerin hat sich hiezu in ihrem Schriftsatz vom 29. Juli 1996 geäußert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerdeführerin bringt vor, § 2 Abs. 2 VStG beinhalte lediglich eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit, sage jedoch nichts darüber aus, ob und in welcher Weise österreichisches Arbeitnehmerschutzrecht bei ausländischem Arbeitsort anzuwenden sei. Nur wenn die Anwendbarkeit des österreichischen AZG grundsätzlich zu bejahen wäre, hätte sie tatsächlich von Wien aus durch entsprechende Anordnungen für eine Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen, wie sie das österreichische AZG enthalte, in Ungarn sorgen müssen. Gelte hingegen das österreichische AZG für die in Ungarn erbrachten Arbeitsleistungen nicht, dann treffe sie keine Handlungspflicht, welche sie verletzt haben könnte. In den gegenständlichen Fällen sei eine Entsendung von Dienstnehmern ins Ausland vorgelegen. Zwar sei der gewöhnliche Arbeitsort der Mitarbeiter in Österreich gelegen und seien diese deshalb dem inländischen Betrieb weiterhin organisatorisch zugeordnet worden und richteten sich auch ihre Gehaltsansprüche weiterhin gegen die H-Gesellschaft m.b.H., von der Anwendung österreichischer Eingriffsnormen als staatliche Lenkungsvorschriften mit Zwangscharakter seien diese Arbeitnehmer aber für die Dauer der Auslandsverwendung ausgenommen gewesen. Bei Arbeitszeitvorschriften handle es sich um sogenannte Eingriffsnormen, sodaß das örtliche Recht zumindest dann anzuwenden sei, wenn die entsendeten Mitarbeiter in das ausländische Unternehmen eingegliedert worden seien (wenn auch nur zeitweise) und sich zwangsläufig den örtlichen Arbeitsbedingungen hätten anpassen müssen. Die öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Rechtsfolgen von Auslandsentsendungen seien zu differenzieren.
Es ist der Beschwerdeführerin darin zuzustimmen, daß die Frage der Behördenzuständigkeit von der Frage des Geltungsbereiches der Norm grundsätzlich zu unterscheiden ist.
§ 1 Abs. 1 AZG erklärt die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes für die Beschäftigung von Arbeitnehmern für maßgeblich, ohne jedoch eine Aussage über seinen örtlichen Geltungsbereich zu treffen. Unter Beschäftigung im Sinne dieser Bestimmung ist die vom Arbeitnehmer dem Arbeitgeber tatsächlich aufgrund des Arbeitsverhältnisses erbrachte Tätigkeit zu verstehen (vgl. Grillberger, Arbeitszeitgesetz, S. 21). Aus dem für den verwaltungsstrafrechtlichen Bereich geltenden Territorialitätsprinzip ergibt sich - mangels einer abweichenden speziellen Anordnung im AZG -, daß das genannte Gesetz auf alle im Inland gesetzten Sachverhalte anzuwenden, auf im Ausland gesetzte Sachverhalte jedoch grundsätzlich nicht anzuwenden ist (vgl. Grillberger, Arbeitszeitgesetz, S. 22). Nur wenn für einen im Inland ansässigen Arbeitgeber teilweise im Ausland erbrachte Arbeitsleistungen in einem engen Zusammenhang mit den im Inland erbrachten Arbeitsleistungen stehen, gelten die arbeitszeitrechtlichen Vorschriften ausnahmsweise über das Bundesgebiet hinaus (vgl. Cerny, Arbeitszeitrecht, S. 17, und Grillberger, Arbeitszeitgesetz, S. 22). Von so einem Zusammenhang kann nur ausgegangen werden, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, die zum Teil im Inland und zum Teil im Ausland erbracht wird, wie etwa bei der Beschäftigung von Fernfahrern mit Fahrten ins Ausland (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. Oktober 1983, Zl. 1181/80, VwSlg. 11.177, vom 29. Jänner 1987, Zlen. 86/08/0172, 0173, vom 21. November 1984, Zl. 81/11/0077, und vom 22. Februar 1983, Zl. 872/79).
Im vorliegenden Fall setzte sich die Beschäftigung der Arbeitnehmer über zwei Wochen (B) bzw. mehrere Monate (E) fort, wobei eine teilweise Einbindung in die Organisation der H Hungaria gegeben war. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von den zitierten Fernfahrerfällen.
Weiters bringt die Beschwerdeführerin vor, daß die Fahrtzeiten zwischen Wien und Budapest und zurück keine Arbeitszeiten im Sinne des § 9 AZG seien. Dem stehe auch nicht entgegen, daß die Reisezeiten bezahlt worden seien, da auch hier wieder zwischen öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Rechtsfolgen zu differenzieren sei. In den vorliegenden Fällen seien die Reisezeiten nicht als Arbeitszeit zu werten, da die Entscheidung für den Zeitpunkt des Reiseantritts von den Dienstnehmern autonom getroffen habe werden können, ebenso sei die Wahl des Beförderungsmittels den betroffenen Dienstnehmern freigestanden.
Diesem Vorbringen ist folgendes zu erwidern: Zu Recht bestreitet die Beschwerdeführerin nicht, daß die Fahrtzeiten von Wien nach Budapest und zurück als Reisezeiten zu beurteilen sind, und nicht als - keinesfalls zur Arbeitszeit zählende - Wegzeiten, weil der vereinbarte Arbeitsort (laut im Akt erliegenden Dienstzettel bzw. Dienstvertrag) Wien war. Reisezeiten gelten grundsätzlich als Arbeitszeiten. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß Reisezeiten zur normalen bedungenen Arbeitsleistung gehören, wie z.B. bei Monteuren, die zur Durchführung von Servicearbeiten von Kundschaft zu Kundschaft fahren, bei einem Angestellten, der im Durchschnitt dreimal wöchentlich Außendiensttätigkeit verrichtet (vgl. Urteil des OGH vom 8. November 1989, 9ObA 281/89) oder bei Fernfahrern, auch wenn es sich gerade nicht um Lenkzeiten handelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. April 1991, Zlen. 90/08/0156, 0157). Ebenso zählt es zur Arbeitszeit, wenn Arbeitnehmer vom Betrieb zu einer auswärts gelegenen Arbeitsstelle gebracht werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1990, Zlen. 90/19/0293, 0300). Da auf die Beschäftigung in Budapest die Strafbestimmungen des AZG nicht anzuwenden sind, gilt Gleiches auch für die einen unselbständigen Annex dieser Beschäftigung darstellenden Fahrten zwischen Wien und Budapest.
Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995110409.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
20.11.2015