TE Lvwg Erkenntnis 2020/10/7 VGW-107/007/11601/2020

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Veröffentlicht am 07.10.2020
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Entscheidungsdatum

07.10.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
22/02 Zivilprozessordnung

Norm

ZustG §17 Abs2
ZustG §17 Abs3
ZustG §17 Abs4
ZustG §22 Abs2
ZustG §24
ZustG §26 Abs2
ZPO §292 Abs2
AVG §47

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Köhler über die Beschwerde der A. B. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien (Magistratsabteilung 6, Buchhaltungsabteilung 32) vom 25.08.2020, Zl. MA67/..., betreffend Mahnung, Rückstandsausweis und Vollstreckungsverfügung, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25.08.2020 wurde gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß §§ 3 und 10 VVG sowie § 54b VStG Mahnung, Rückstandsausweis und Vollstreckungsverfügung ausgesprochen. Es sei die mit Strafverfügung vom 02.06.2020 (wegen Übertretung des § 24 Abs. 1 lit. a StVO) rechtskräftig verhängte Strafe nicht bezahlt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, rechtzeitig erhobene Beschwerde vom 28.08.2020. Darin wird im Wesentlichen die vorgeworfene Tathandlung (Übertretung des § 24 Abs. 1 lit. a StVO) bestritten.

Mit Schreiben vom 22.09.2020 räumte das Verwaltungsgericht der Beschwerdeführerin schriftlich Parteiengehör ein. Bezugnehmend auf die Eingabe vom 28.08.2020 und das darin enthaltene Beschwerdevorbringen werde zur Kenntnis gebracht, dass die Strafverfügung vom 02.06.2020 am 08.07.2020 versendet und am 13.07.2020 hinterlegt worden sei. Nach der Aktenlage sei innerhalb der Rechtsmittelfrist von 14 Tagen kein Einspruch erhoben worden, sodass die Strafverfügung rechtskräftig sei.

Mit Schreiben vom 22.09.2020 erging ein Stellungnahmeersuchen an die belangte Behörde. Die Behörde habe mit Schreiben vom 17.09.2020 die Beschwerde dem Verwaltungsgericht vorgelegt. Auf Seite 18 (bzw. 19) des Vorlageschreibens sei in den Systemdaten der „Formularabfertigung“ vermerkt, dass der Versand der Strafverfügung vom 02.06.2020 per Rsb und eine Hinterlegung am 13.07.2020 erfolgt sei. Die Behörde werde ersucht, den Zustellnachweis zur Strafverfügung nachzureichen.

Mit Schreiben vom 29.09.2020 teilte die Beschwerdeführerin mit, sie sei überrascht, dass sie am 13.07.2020 ein Schreiben erhalten haben solle. Wäre dies der Fall gewesen, hätte sie genau wie gegen die Anonymverfügung und den angefochtenen Bescheid sofort reagiert.

Mit Schreiben vom 06.10.2020 teilte die belangte Behörde mit, dass die gegenständliche Strafverfügung nicht abgelegt und von der Poststelle entsorgt worden sei. Somit sei das Blatt mit den Systemdaten der einzige Zustellnachweis, der vorhanden sei.

Es steht fest, dass die Strafverfügung vom 02.06.2020 von der Behörde versendet wurde. Die Strafverfügung hat die Beschwerdeführerin nie erreicht. Es hat sie auch keine Verständigung von der Hinterlegung erreicht. Die Beschwerdeführerin konnte somit hiervon keine Kenntnis erlangen. Auf die frühere Anonymverfügung und den nunmehr angefochtenen Bescheid hat die Beschwerdeführerin jeweils unverzüglich der Behörde gegenüber reagiert.

Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Behördenakt und Würdigung des Parteienvorbringens; es wurde der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde schriftliches Parteiengehör eingeräumt. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist glaubwürdig und nachvollziehbar. Die Behörde hat ihre Nachweispflicht nicht erfüllt.

Als „Vollstreckungsverfügungen“ sind Verfügungen von Vollstreckungsbehörden anzusehen, die im Zuge des Vollstreckungsverfahrens ergehen und unmittelbar die Durchführung der Vollstreckung zum Gegenstand haben (stRsp; vgl. VwGH 06.06.1989, 84/05/0035). Dabei ist die Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Vollstreckung gemäß § 1 Abs. 1 VVG, dass ein entsprechender Titelbescheid vorliegt, dass dieser gegenüber dem Verpflichteten wirksam geworden ist und dass der Verpflichtete seiner Verpflichtung innerhalb der festgesetzten Frist und bis zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens nicht nachgekommen ist (VwGH 21.11.2012, 2008/07/0235; 16.11.2010, 2009/05/0001).

Der Beweis, dass eine Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, wird durch den
eine öffentliche Urkunde darstellenden Zustellnachweis (Rückschein) erbracht, gegen den jedoch gemäß § 47 AVG in Verbindung mit § 292 Abs. 2 ZPO der Gegenbeweis zulässig ist. Behauptet jemand, es liege ein Zustellmangel vor, hat er diese Behauptung entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, welche die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet sind. Die bloße Behauptung eines Beschwerdeführers, er habe „von der Post keine Verständigung von der Aufhebung des Bescheides“ erhalten, wäre in diesem Fall nicht geeignet diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen, und für die Wirksamkeit der Zustellung wäre es auch ohne Belang, ob ihm die Verständigung von der Hinterlegung in der Folge tatsächlich zugekommen ist oder nicht (vgl. § 17 Abs. 4 ZustG; VwGH 23.11.2016, 2013/05/0175; 24.06.2020, Ra 2020/17/0017).

Die in § 17 Abs. 2 ZustG genannte Verständigung des Empfängers von der Hinterlegung (Hinterlegungsanzeige) ist unabdingbare Voraussetzung einer Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG. Unterbleibt die Hinterlegungsanzeige, tritt eine wirksame Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG nicht ein. Zwar macht ein ordnungsgemäßer Zustellnachweis als öffentliche Urkunde Beweis über die Zustellung; allerdings ist der Gegenbeweis (etwa dass der in der Urkunde bezeugte Vorgang unrichtig ist; vgl. § 292 Abs. 2 ZPO) möglich (VwGH 30.03.2017, Fr 2015/07/0001; 01.02.2019, Ro 2018/02/0014).

Für die Wirksamkeit der Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG kommt es gerade darauf an, ob auf dem Zustellnachweis, der als öffentliche Urkunde Beweis über die Zustellung durch Hinterlegung liefert, Angaben über die erfolgte Verständigung von der Hinterlegung und über die Art und Weise der Verständigung gemacht worden sind. Fehlen derartige Angaben gänzlich und liegt damit keine Beurkundung der Verständigung von der Hinterlegung vor, hat das Verwaltungsgericht Feststellungen zu treffen, ob die Verständigung dennoch erhalten worden ist, um von einer wirksamen Zustellung durch Hinterlegung nach § 17 Abs. 3 ZustG ausgehen zu dürfen. Sofern das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass keine rechtswirksame Zustellung vorliegt, hat es festzustellen, ob das Schriftstück dennoch tatsächlich zugekommen ist (Heilung von Zustellmängeln nach § 7 ZustG; VwGH 01.02.2019, Ro 2018/02/0014).

Die Bestimmung, dass der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen ist, bedeutet, dass eine Hinterlegung ohne schriftliche Verständigung keine Rechtswirkungen entfaltet; diesfalls kommt allenfalls § 7 zur Anwendung, nicht hingegen die Sanierungswirkung des § 17 Abs. 3 ZustG, weil diese den genannten Fehler nicht erfasst. Dies gilt auch für eine fehlerhafte Hinterlegungsanzeige. Will eine Behörde davon ausgehen, dass eine Sendung durch Hinterlegung zugestellt sei, trifft sie von Amts wegen die Pflicht festzustellen, ob auch tatsächlich durch Hinterlegung eine Zustellung bewirkt wurde. Der ordnungsgemäße Zustellnachweis ist eine öffentliche Urkunde. Er macht Beweis über die Zustellung; ein Gegenbeweis nach § 292 Abs. 2 ZPO ist möglich. Fehlen auf dem Rückschein wesentliche Angaben im Sinne des § 17 Abs. 2 ZustG über die Hinterlegung der Verständigung, liegt keine Beurkundung einer erfolgten Verständigung von der Hinterlegung vor. Das Fehlen eines Zustellnachweises (bzw. eines wesentlichen Teils) der in § 24 ZustG iVm § 22 Abs. 2 leg. cit. vorgesehenen Art hat zur Folge, dass die Behörde die Tatsache der Zustellung nachzuweisen hat. Sie darf in einem solchen Fall daher nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass eine Verständigung von der Hinterlegung erfolgt wäre (VwGH 25.04.2002, 2002/07/0009; 24.09.2009, 2008/06/0233).

Zwischen dem tatsächlichen Akt der Zustellung und dem Nachweis über eine gesetzmäßige Zustellung ist zu unterscheiden. Letzterer kann durch einen Zustellnachweis iSd § 22 ZustG bzw. eine Beurkundung nach § 24 ZustG oder, wenn solches fehlt, auch auf andere Weise nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung geführt werden. Die Vorgänge der Zustellung sind diesfalls von Amts wegen zu ermitteln (VwGH 16.06.2011; 2008/18/0225).

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 26 Abs. 2 ZustG hat die Behörde bei Zustellungen ohne Zustellnachweis die Folge zu tragen, dass der Behauptung der Partei, sie habe ein Schriftstück nicht empfangen, nicht wirksam entgegengetreten werden kann. Bei bestrittenen Zustellungen ohne Zustellnachweis hat die Behörde die Tatsache der Zustellung nachzuweisen. In diesem Fall muss – mangels Zustellnachweises – der Beweis der erfolgten Zustellung auf andere Weise von der Behörde erbracht werden. Gelingt dies nicht, muss die Behauptung der Partei über die nicht erfolgte Zustellung als richtig angenommen werden (VwGH 20.12.2007, 2007/16/0175; 15.05.2013, 2013/08/0032; 12.09.2018, Ra 2017/17/0620). Der bloße Hinweis, die Behauptung der nicht erfolgten Zustellung sei eine „Schutzbehauptung“, vermag den fehlenden Zustellnachweis nicht zu ersetzen (VwGH 20.09.2006, 2004/08/0087; 20.12.2007, 2007/16/0175; 20.09.2012).

Die belangte Behörde hat im Beschwerdefall eine rechtswirksame Zustellung der in Rede stehenden Strafverfügung durch Vorlage geeigneter Beweismittel darzutun. Diesen Nachweis hat sie nicht erbracht. Aus den Systemdaten sind nicht ersichtlich die Daten des Zustellversuches, die Art der Verständigung über die Hinterlegung, der Ort der Hinterlegung sowie die Person des Zustellers.

Die öffentliche Urkunde Zustellnachweis fehlt im Beschwerdefall. Auf dem Zustellnachweis würden Details über einen Zustellversuch und eine schließlich effektiv getätigte Form von Verständigung, Übernahme etc. vermerkt werden. Ist im Akt der Behörde kein Zustellnachweis enthalten – weil eine Aufbewahrung nicht als notwendig erachtet wird oder weil er in Verstoß gerät – geht dies zu Lasten der Behörde, wenn keine anderen Nachweise für eine wirksame Zustellung vorliegen.

Den gegenständlichen Systemeinträgen über vermeintliche Inhalte eines Zustellnachweises kommt nicht dieselbe Beweiskraft zu. Der Ausdruck von Systemdaten ist keine öffentliche Urkunde. Die erforderlichen Anhaltspunkte können aus den vorliegenden Systemdaten nicht erschlossen werden. Aufgrund der festgestellten Tatsachen ist es vielmehr so, dass die zwar versendete Strafverfügung nie der Beschwerdeführerin tatsächlich zugegangen ist und sie auch keine Hinterlegungsanzeige erhalten hat.

Eine ordnungsgemäße Zustellung der Strafverfügung vom 02.06.2020 ist nicht erweisbar. Sie ist auch nicht erfolgt. Dem angefochtenen Bescheid liegt somit kein wirksam zugestellter, rechtskräftiger Titelbescheid zu Grunde.

Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Rechtslage ist aufgrund der Gesetzeslage klar und durch die angeführte Rechtsprechung geklärt. Eine (weitere) Klärung der entscheidungsrelevanten Rechtsfragen durch den VwGH ist nicht erforderlich.

Schlagworte

Zustellung; Zustellnachweis; Hinterlegung; Hinterlegungsanzeige; öffentliche Urkunde; Beweis; Nachweis; Zustellung ohne Zustellnachweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.107.007.11601.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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