TE Lvwg Erkenntnis 2020/11/3 VGW-031/088/11328/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.11.2020
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Entscheidungsdatum

03.11.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG §49 Abs1
VStG §49 Abs2
ZustG §7
ZustG §26a

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Dr. Kalteis über die Beschwerde des Herrn Mag. A. B. gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C. für die Bezirke ..., vom 3.8.2020, Zl. VStV/..., mit welchem der Einspruch vom 29.6.2020 gegen die Strafverfügung vom 2.3.2020, Zl. VStV/..., gemäß § 49 Abs. 1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) als verspätet zurückgewiesen wurde,

zu Recht:

I. Gemäß § 50 iVm § 38 VwGVG iVm § 49 Abs. 1 und Abs. 2 VStG wird der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Zurückweisungsbescheid behoben.

II. Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist für den Beschwerdeführer eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof wegen Verletzung in Rechten unzulässig. Im Übrigen ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für alle Verfahrensparteien eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Zum wesentlichen Verfahrensverlauf und zum Sachverhalt:

1. Mit Strafverfügung der belangten Behörde vom 2.3.2020 wurde dem Beschwerdeführer eine am 20.11.2019, um 13:22 Uhr, in Wien, G.-straße Höhe H., Richtung stadteinwärts, begangene Übertretung gemäß § 20 Abs. 2 StVO zur Last gelegt und wurde hierfür eine Geldstrafe von EUR 80,-- (bei Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 13 Stunden) verhängt.

2. Diese Strafverfügung wurde am 25.5.2020 in der Brieffachanlage der Abgabestelle in Wien, D.-Straße, zurückgelassen. Der Zustellnachweis der Strafverfügung weist eine "Übernahme durch den Empfänger" am 25.5.2020 aus. Die Beurkundung der Übernahme erfolgte "i.A." durch den Zusteller, die Form der Verständigung von der Zustellung enthält der Zustellnachweis nicht.

3. Der Beschwerdeführer war von 20.7.2007 bis 4.8.2020 in Wien, D.-Straße, per Hauptwohnsitz behördlich gemeldet, seit 4.8.2020 ist er an dieser Adresse per Nebenwohnsitz gemeldet. Er war jedoch im Zeitraum von März 2020 bis einschließlich 20.6.2020 von der Abgabestelle in Wien, D.-Straße, abwesend, weil er sich für diesen Zeitraum – angesichts der COVID-19-Situation – aufgrund einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung auf seinen (damaligen) Nebenwohnsitz in Wien, E.-Straße, zurückgezogen hatte. Am 21.6.2020 kehrte der Beschwerdeführer an die Abgabestelle in Wien, D.-Straße, zurück und gelangte ihm an diesem Tag die Strafverfügung vom 2.3.2020 erstmals zur Kenntnis.

4. Mit E-Mail vom 29.6.2020 erhob der Beschwerdeführer Einspruch gegen die Strafverfügung vom 2.3.2020, in welchem er die Tatbegehung im Wesentlichen nicht bestritt, sondern vor dem Hintergrund seiner aktuell schwierigen Lebenssituation um Verständnis und um Erledigung mittels Ermahnung, gegebenenfalls aufgrund seines Einkommens um Festsetzung eines Strafbetrages in einer Höhe unterhalb des in der Anonymverfügung verhängten Betrages, ersuchte.

5. Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgericht Wien in Beschwerde gezogenen Zurückweisungsbescheid vom 3.8.2020 wies die Landespolizeidirektion Wien den Einspruch des Beschwerdeführers vom 29.6.2020 gemäß § 49 Abs. 1 VStG als verspätet zurück. Begründend wurde hierzu ausgeführt, dass die Strafverfügung vom 2.3.2020 dem Beschwerdeführer laut Zustellnachweis am 25.5.2020 zugestellt worden sei, sodass die Einspruchsfrist am 25.5.2020 begonnen und am 8.6.2020 geendet habe. Da die Einspruchserhebung erst am 29.6.2020 erfolgt sei, sei der Einspruch als verspätet zurückzuweisen gewesen.

6. Gegen diesen Zurückweisungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 31.8.2020. In dieser führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, die Strafverfügung sei nicht "mittels Zustellnachweis" ergangen, sondern – "corona bedingt" – mittels Hinterlassens in der Brieffachanlage ohne Verständigung von der Zustellung. Er habe sich während des "corona bedingten Ausgangsverbotes" und der darauffolgenden "Corona-Beschränkungen" von März bis Juni nicht an der Abgabestelle (gemeint offenkundig: Abgabestelle in Wien, D.-Straße) aufgehalten, sondern habe durchgehend an seinem Nebenwohnsitz in F. gewohnt. Erstmals sei er am 21.6.2020 an die Abgabestelle in Wien zurückgekehrt. Aus diesem Grund sei die Zustellung nicht am 25.5.2020 bewirkt worden, sondern mit dem Tag seiner Rückkehr an die Abgabestelle. Die zweiwöchige Einspruchsfrist habe daher am 6.7.2020 geendet und sei sein Einspruch vom 29.6.2020 innerhalb offener Frist eingelangt.

7. Diese Beschwerde samt dem Bezug habenden Verwaltungsakt wurde dem Verwaltungsgericht Wien (einlangend am 10.9.2020) zur Entscheidung vorgelegt. Von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung wurde seitens der belangten Behörde Abstand genommen.

8. Mit hg. Schreiben vom 23.9.2020 (hg. ON 2) wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, Nachweise für die von ihm behauptete Ortsabwesenheit und deren Dauer samt erörternder Stellungnahme binnen Frist zu übermitteln.

9. Der Beschwerdeführer teilte bezugnehmend auf die Aufforderung vom 23.9.2020 fristgerecht und unter Verweis auf seine Beschwerdeausführungen mit, dass er leider keine konkreten Belege vorlegen könne, zumal er in seinem eigenen Haus gewohnt habe, in welchem er noch immer wohne. Er schaue nur sehr sporadisch an seiner alten Hauptwohnsitzadresse vorbei. Er sei zum fraglichen Zeitpunkt in F. auch per Nebenwohnsitz gemeldet gewesen. Für seine durchgehende Abwesenheit von der Abgabestelle in Wien verweise er darauf, dass zum fraglichen Zeitpunkt seine namentlich und mit Geburtsdatum genannte Tochter ebenfalls in F. gemeldet gewesen sei und als unmündige Minderjährige von einem Erwachsenen betreut werden habe müssen. Sie besuche auch in F. die Schule, sodass der Beschwerdeführer durchgehend mit ihr im Haus gelebt habe.

II. Zur Beweiswürdigung:

1. Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde und Würdigung des Beschwerdevorbringens. So stützen sich die Ausführungen zur kontaktlosen Zustellung der Strafverfügung auf den im Akt einliegenden Zustellnachweis (AS 8; dass die Beurkundung der Übernahme durch den Zusteller erfolgte, ergibt sich aus der diesbezüglichen Unterschrift des Zustellers "i.A.", somit "im Auftrag"). Die Einspruchserhebung vom 29.6.2020 per E-Mail ergibt sich ebenso aus dem Akteninhalt (AS 9; der Beschwerdeführer brachte in seiner Beschwerde überdies selbst vor, den Einspruch am 29.6.2020 erhoben zu haben) wie die Feststellungen zum Zurückweisungsbescheid (AS 10 ff) und zur dagegen erhobenen Beschwerde (AS 14).

2.1. Die Feststellungen zur behördlichen Meldung des Beschwerdeführers gründen auf dem vom Verwaltungsgericht Wien eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.2. Die Feststellungen zur Abwesenheit des Beschwerdeführers von der Abgabestelle in Wien, D.-Straße, im Zeitraum von März 2020 bis einschließlich 20.6.2020 und dessen Rückkehr an die Abgabestelle erst am 21.6.2020 gründen sich auf die glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Beschwerde (AS 14) und seine Stellungnahme vom 24.10.2020 (hg. ON 4). Es ist gerichtsbekannt, dass beim Beschwerdeführer tatsächlich eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung in Form einer Krebserkrankung hervorgetreten ist und besteht und erscheint es vor diesem Hintergrund nachvollziehbar und keineswegs lebensfremd, dass sich der Beschwerdeführer in Ansehung seiner schweren Erkrankung anlässlich der nicht abschätzbaren Situation im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und den in diesem Zeitraum in Geltung stehenden Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 auf einen verfügbaren Nebenwohnsitz in Wien, E.-Straße, zurückgezogen hatte und erst am 21.6.2020 wieder an die Abgabestelle in Wien, D.-Straße, zurückkehrte. Dies auch vor dem Hintergrund der ebenfalls glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers betreffend die ihm zukommenden Obsorge- und Betreuungspflichten gegenüber seiner minderjährigen Tochter, die einem hg. eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister zufolge ebenso seit 11.6.2019 an der Adresse Wien, E.-Straße, gemeldet ist und laut dem Beschwerdeführer in Wien die Schule besucht.

2.3. Dem Umstand, dass der Beschwerdeführer vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen die an ihn gerichtete Strafverfügung vom 2.3.2020 tatsächlich nicht am 25.5.2020 empfangen hat, steht auch nicht die auf dem Zustellnachweis ausgewiesene Übernahme der Strafverfügung "durch den Empfänger" am 25.5.2020 entgegen, als die für den Zusteller im fraglichen Zustellzeitpunkt anzuwendende Bestimmung des § 26a ZustG, außer Kraft getreten am 30.6.2020, für die Zustellung mit Zustellnachweis der von Gerichten bzw. von Verwaltungsbehörden zu übermittelnden Dokumente bestimmte Erleichterungen für die Zustellung vorsah und damit ein auf dem Zustellnachweis ausgewiesenes Übernahmedatum vom 25.5.2020 nicht zwingend auf eine persönliche Übernahme oder einen regelmäßigen Aufenthalt des Empfängers an der Abgabestelle schließen lässt. Dies umso mehr, da auf dem Zustellnachweis kein Hinweis auf eine durch den Zusteller vorgenommene Verständigung über die Zustellung durch eine schriftliche, mündliche oder telefonische Mitteilung an den Empfänger oder an Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, ersichtlich ist.

III. Rechtsgrundlagen:

1. § 49 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) lautet in der hier maßgeblichen Fassung wie folgt:

"§ 49. (1) Der Beschuldigte kann gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat.

(2) Wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht und nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, ist das ordentliche Verfahren einzuleiten. Der Einspruch gilt als Rechtfertigung im Sinne des § 40. Wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, dann hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, darüber zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch, soweit er nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, die gesamte Strafverfügung außer Kraft. In dem auf Grund des Einspruches ergehenden Straferkenntnis darf keine höhere Strafe verhängt werden als in der Strafverfügung.

(3) Wenn ein Einspruch nicht oder nicht rechtzeitig erhoben oder zurückgezogen wird, ist die Strafverfügung zu vollstrecken."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Zustellgesetzes (ZustG) lauten in der hier jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt:

„Heilung von Zustellmängeln

§ 7. Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

Hinterlegung

§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde.

Zustellrechtliche Begleitmaßnahmen zu COVID-19

§ 26a. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten für die Zustellung mit Zustellnachweis der von Gerichten bzw. von Verwaltungsbehörden zu übermittelnden Dokumente sowie die durch die Gerichte bzw. die Verwaltungsbehörden vorzunehmende Zustellung von Dokumenten ausländischer Behörden (§ 1) folgende Erleichterungen:

1. Das Dokument wird dem Empfänger zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird; die Zustellung gilt in diesem Zeitpunkt als bewirkt. Soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich ist, ist der Empfänger durch schriftliche, mündliche oder telefonische Mitteilung an ihn selbst oder an Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Zustellung zu verständigen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.

2. Ist das Dokument anderen Personen als dem Empfänger zuzustellen oder kann es diesen zugestellt werden (§ 13 Abs. 1 zweiter Satz und Abs. 2 bis 4 und §§ 14 bis 16), ist Z 1 sinngemäß anzuwenden.

3. Die Zustellung, die Form der Verständigung von der Zustellung sowie gegebenenfalls die Gründe, aus denen eine Verständigung niht möglich war, sind vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden. Der Zustellnachweis ist dem Absender unverzüglich zu übersenden; § 22 Abs. 2 ist nicht anzuwenden. § 22 Abs. 4 ist mit folgenden Maßgaben anzuwenden:

a) Die elektronische Beurkundung hat anstatt durch den Übernehmer durch den Zusteller zu erfolgen.

b) Die Beurkundung der Form der Verständigung von der Zustellung sowie gegebenenfalls der Gründe, aus denen eine Verständigung nicht möglich war, kann, wenn sie aus technischen Gründen nicht auf dem Zustellnachweis elektronisch erfolgen kann, auch auf andere elektronische Weise erfolgen; auch diese Daten sind dem Absender unverzüglich zu übermitteln.“

IV. Rechtliche Erwägungen:

1. Vorauszuschicken ist, dass im Falle der – hier vorliegenden – Zurückweisung eines Rechtsmittels (hier: Einspruch gegen eine Strafverfügung) Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Rechtsmittels ist. Das Verwaltungsgericht kann daher nicht über die zugrundeliegende Verwaltungsübertretung (hier: Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO) entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa VwGH 19.12.2018, Ra 2016/06/0063; 30.1.2019, Ro 2018/10/0045; uva.).

2.1. Im Zuge der Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 wurde auch das Zustellgesetz vorübergehend mit der Bestimmung des § 26a ZustG um eine weitere Möglichkeit der Zustellung erweitert. Diese Bestimmung stand zum Zeitpunkt der fraglichen Zustellung vom 25.5.2020 in Geltung.

Gemäß § 26a Z 1 ZustG wurde demnach ein Dokument einem Empfänger zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2 ZustG) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wurde; die Zustellung galt in diesem Zeitpunkt als bewirkt. Soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich war, war der Empfänger durch schriftliche, mündliche oder telefonische Mitteilung an ihn selbst oder an Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Zustellung zu verständigen. Die Zustellung wurde nicht bewirkt, wenn sich ergab bzw. ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wurde die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.

2.2. In der Beschwerdesache steht fest, dass hinsichtlich der vormaligen Strafverfügung vom 2.3.2020 beim Beschwerdeführer am 25.5.2020 ein kontaktloser Zustellversuch erfolgte, indem sie in der Brieffachanlage der Abgabestelle in Wien, D.-Straße, zurückgelassen wurde.

Die Zustellung wurde jedoch aufgrund folgender Erwägungen nicht am 25.5.2020 bewirkt:

Behauptet jemand, es liege ein Zustellmangel vor, so hat er diese Behauptung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, welche die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet sind. Jedoch reicht etwa die bloße Behauptung einer Ortsabwesenheit ohne konkrete Angabe über Zeitraum und Grund der Abwesenheit nicht aus (vgl. VwGH 27.4.2011, 2011/08/0019 zur Ersatzzustellung nach § 16 ZustG und 27.2.2001, 2000/13/0077, zur Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 ZustG; nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Wien sind die darin getroffenen Überlegungen zweifellos auf § 26a ZustG übertragbar).

Dem Beschwerdeführer ist es im gegenständlich Fall aufgrund des glaubhaften und nachvollziehbaren – in Anbetracht der Anführung des genauen Zeitraumes und Grundes der Abwesenheit letztlich im Sinne der obzitierten Rechtsprechung auch hinreichend substantiierten – Vorbringens, wonach er von März 2020 bis einschließlich 20.6.2020 von der Abgabestelle in Wien, D.-Straße, abwesend gewesen sei, weil er sich für diesen Zeitraum – angesichts der COVID-19-Situation – aufgrund einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung an seinen (damaligen) Nebenwohnsitz in Wien, E.-Straße, zurückzogen habe, gelungen, glaubhaft einen Zustellmangel – konkret eine Abwesenheit von der Abgabestelle aufgrund derer er nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte – darzulegen. Auf Grund der Ortsabwesenheit des Beschwerdeführers konnte mit dem am 25.5.2020 an der Abgabestelle in Wien, D.-Straße, vorgenommenen Zustellversuch somit eine wirksame Zustellung der Strafverfügung vom 2.3.2020 nicht bewirkt werden.

Den getroffenen Feststellungen zufolge kehrte der Beschwerdeführer sodann am 21.6.2020 an die Abgabestelle in Wien, D.-Straße, zurück und gelangte ihm an diesem Tag die Strafverfügung vom 2.3.2020 durch Entnahme aus der Brieffachanlage erstmals zur Kenntnis. Der im Verfahren der Zustellung unterlaufene Zustellmangel ist damit durch die tatsächliche Übernahme durch den Beschwerdeführer am 21.6.2020 gemäß § 7 ZustG geheilt.

2.3. Der Fristenlauf für die Erhebung eines Einspruchs begann daher erst am 21.6.2020 (Sonntag; vgl. § 33 Abs. 1 AVG) und endete gemäß § 33 Abs. 2 AVG mit Ablauf des 6.7.2020 (Montag).

Der am 29.6.2020 per E-Mail eingebrachte Einspruch des Beschwerdeführers gegen die Strafverfügung vom 2.3.2020 erweist sich somit als rechtzeitig.

2.4. Daraus folgt, dass der Einspruch vom 29.6.2020 nicht als verspätet zurückgewiesen werden hätte dürfen. Auch sonst sind hg. keine Gründe für eine Zurückweisung dieses Einspruches ersichtlich, sodass der verfahrensgegenständliche Zurückweisungsbescheid spruchgemäß zu beheben war. Die belangte Behörde wird daher in der Verwaltungsstrafsache des Beschwerdeführers gemäß § 49 Abs. 2 VStG das ordentliche Verfahren einzuleiten und in weiterer Folge ein Straferkenntnis zu erlassen haben. Unvorgreiflich für das weitere Verfahren vor der belangten Behörde wird lediglich der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer allfälligen Beschwerde gegen das noch zu erlassende Straferkenntnis – in Anbetracht der nicht erfolgten Bestreitung der Tatbegehung sowie der mit EUR 80,-- bereits am unteren Rand des Strafrahmens verhängten Geldstrafe und eingedenk soweit ersichtlich fehlender Milderungsgründe – dem Beschwerdeführer überlassen bleiben.

3. Gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG konnte eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war. Zudem wurde die Durchführung einer Verhandlung von keiner Verfahrenspartei beantragt.

4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfasst der Begriff der "Verwaltungsstrafsache" im Sinne des § 25a VwGG auch rein verfahrensrechtliche Entscheidungen (wie Zurückweisungen), die in einem Verwaltungsstrafverfahren ergehen (vgl. VwGH 24.2.1993, 93/02/0016; daran anknüpfend zur Frage der Zulässigkeit der Revision etwa VwGH 10.10.2014, Ra 2014/02/0093). Daher ist § 25a Abs 4 VwGG für die Zulässigkeit der Rechtsmittel auch im konkreten Zusammenhang relevant, in dem nur über die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Einspruchs gegen eine Strafverfügung zu entscheiden ist. Weil in der zugrundeliegenden Verwaltungsstrafsache lediglich eine Geldstrafe bis zu EUR 726,-- und keine (primäre) Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und nur eine Geldstrafe in Höhe von EUR 80,-- verhängt wurde, ist eine Revision des Beschwerdeführers an den Verwaltungsgerichtshof wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG iVm § 25a Abs. 4 VwGG) nicht zulässig.

Den übrigen revisionslegitimierten Parteien steht die ordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht offen, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (obzitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche, über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung der hier zu lösenden Rechtsfrage vor. Zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist der Verwaltungsgerichtshof im Allgemeinen nicht berufen (vgl. VwGH 24.3.2014, Ro 2014/01/0011; 28.4.2015, Ra 2014/19/0177).

Schlagworte

Strafverfügung; Einspruch; Zurückweisung; Verspätung; Zustellung; Mangel; Heilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.088.11328.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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