Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §46 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 97/18/0216Betreff
Der Verwaltungsgerichshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über den Antrag des A in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist sowie über die unter einem erhobene Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. Mai 1996, Zl. SD 573/96, betreffend befristetes Aufenthaltsverbot, den Beschluß gefaßt:
Spruch
1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 46 Abs. 1 VwGG nicht stattgegeben.
2. Die Beschwerde gegen den obgenannten Bescheid wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. Mai 1996 wurde gegen den Beschwerdeführer ein befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Innerhalb der Beschwerdefrist beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgerichshof die Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Beschwerde gegen den genannten Bescheid. Mit Beschluß vom 8. Juli 1996, Zl. VH 96/18/0074, wurde dem Antragsteller die Verfahrenshilfe, die unter anderem die Beigebung eines Rechtsanwaltes umfaßte, bewilligt. Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien wurde der oben genannte Rechtsanwalt zum Vertreter für die antragstellende Partei bestellt; der entsprechende Bescheid wurde diesem Rechtsanwalt am 19. September 1996 zugestellt. Die Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde endete demnach mit 31. Oktober 1996.
2. Der vorliegende Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird wie folgt begründet:
Die Beschwerde sei am 22. Oktober 1996 in der Kanzlei des Antragstellervertreters geschrieben und diesem an diesem Tag zur Kontrolle und Unterschrift vorgelegt worden. Der Antragstellervertreter habe den Schriftsatz kontrolliert und ergänzt, "am 23. Oktober 1996 sei ihm dieser in korrigierter und ergänzter Form wiederum vorgelegt" worden. Er habe den Schriftsatz an diesem Tage unterfertigt und ihn "mit dem Auftrag zur rekommandierten Ausfertigung an den Verwaltungsgerichshof der Kanzleikraft" übergeben.
Der Schriftsatz sei in der Folge von der Kanzleileiterin des Antragstellers kuvertiert worden; auf der im Akt verbliebenen Gleichschrift sei ein näher beschriebener Ausfertigungsvermerk angebracht worden. Aus dem Vermerk gehe hervor, daß der Schriftsatz am 23. Oktober 1996 zur rekommandierten Aufgabe kuvertiert und ins Postfach gelegt worden sei.
Weiters sei auch in dem - mit eigens dafür adaptierten Computerprogramm - geführten "elektronischen Terminkalender" des Antragstellervertreters die fristgerechte Ausführung der Beschwerde vermerkt worden.
Aus den Eintragungen im Postbuch der Kanzlei des Antragstellervertreters für den 23. Oktober 1996 gehe hervor, daß alle aus der Kanzlei abgehenden Kuverts mit dem Adressaten im Postbuch vermerkt und mit einer laufenden Nummer versehen worden seien. Die Übergabe der entsprechenden Anzahl von Kuverts werde beim Postamt vom zuständigen Schalterbeamten durch schriftliche Bestätigung der von der Kanzlei angegebenen Zahl, Datum, Stempel und Paraphe bestätigt, sodaß für die im Postbuch eingetragenen Sendungen gewährleistet sei, daß die Anzahl der zur Post gegebenen Poststücke mit der Zahl der in der Kanzlei ausgefertigten Poststücke übereinstimme.
Lediglich für Spätlingssendungen sei bislang - wenn das Postbuch bereits von einem anderen Kanzleimitarbeiter mitgenommen worden sei und daher nicht zur Verfügung stehe - der Weg gewählt worden, Aufgabescheine auszufüllen und diese am nächsten Tag, versehen mit der postalischen Bestätigung, ins Postbuch einzukleben.
Der die Beschwerde beinhaltende Brief sei als "Spätlingssendung" daher nicht in das Postbuch eingetragen worden. Der in Rede stehende Brief müsse "auf nicht mehr nachvollziehbare Weise auf dem Weg zum Postamt oder dort durch ein unglückliches Versehen verloren" gegangen sein. Der Verlust dieses Briefes habe - da nicht in das Postbuch eingetragen - auch am nächsten Tag beim Einkleben der Aufgabescheine ins Postbuch nicht auffallen können.
Es sei auch nicht mehr nachvollziehbar, welche Kanzleikraft am 23. Oktober 1996 die Spätlingssendung zur Post gebracht habe.
"Bis dato" sei noch niemals ein zur Aufgabe als Spätlingspost vorgesehenes Kuvert zwischen der Ausfertigung in der Kanzlei des Antragstellervertreters und der Aufgabe beim Postamt verschwunden, "sodaß die sich ergebende Sicherheitslücke auch noch nie aufgefallen" sei. (Seitens des Antragstellervertreters sei dieser Umstand zum Anlaß genommen worden, nunmehr eigens für die Spätlingspost ein zweites Postbuch anzulegen, sodaß auch für Spätlingssendungen in Zukunft jedenfalls eine numerische Kontrolle der Vollständigkeit der zur Post gegebenen Schriftstücke vorhanden sei.)
Weiters ergebe sich auch aus einem an die Ehefrau des Antragstellers gerichteten Schreiben des Antragstellervertreters aus dem November 1996, "daß die Beschwerde an den Verwaltungsgerichshof tatsächlich ausgeführt" worden sei, wie dies der Aktenlage des Antragstellervertreters entsprochen habe.
Bei einer Nachfrage eines Mitarbeiters des Antragstellervertreters im Verwaltungsgerichshof im April 1997 über den Stand des Verfahrens sei dem Antragstellervertreter bekannt geworden, daß die in Rede stehende Beschwerde am 23. Oktober 1996 "offenbar nach Ausfertigung durch die Kanzleileiterin und vor der Aufgabe verloren gegangen" sei.
Die mit den geschilderten Vorgängen befaßten Personen in der Kanzlei des Antragstellervertreters haben den Antrag "mitunterfertigt" und erklärten mit dieser Unterschrift "an Eidesstatt", daß die Angaben im Antrag richtig seien.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. e VwGG gebildeten Senat erwogen:
3.1. Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ... eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein einem Rechtsanwalt widerfahrendes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Zu beurteilen ist somit das Verhalten des Rechtsanwaltes selbst.
Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. (Vgl. zu dem Ganzen auch den hg. Beschluß vom 13. März 1997, Zl. 97/18/0107, mwH.)
Ein (dem Vertretenen zuzurechnendes) Verschulden des Vertreters, insbesondere eines Rechtsanwaltes, ist auch dann anzunehmen, wenn es der Vertreter unterlassen hat, geeignete organisatorische Vorsorgen im Kanzleibetrieb zu treffen und die Einhaltung dieser Anordnungen entsprechend zu überwachen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichshofes etwa den Beschluß eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Slg. NF Nr. 9226/A, oder den Beschluß vom 27. Jänner 1983, Zl. 82/08/0205). Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwalts ist dem Rechtsanwalt als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat (vgl. aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichshofes etwa die Beschlüsse vom 19. September 1996, Zl. 96/07/0129, und vom 15. Dezember 1988, Zl. 88/08/0278). Insbesondere muß der zur Vertretung berufene Rechtsanwalt den Kanzleibetrieb so organisieren, daß unter anderem auch die fristgerechte Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gesichert erscheint.
3.3. Auf dem Boden dieser Rechtslage ist das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht geeignet, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darzutun. Nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungantrag läßt sich bei der dort näher beschriebenen Vorgangsweise nämlich nicht zurückverfolgen, ob die Beschwerde tatsächlich zur Post gegeben wurde bzw. welche Person dies vorgenommen haben soll. Im Wiedereinsetzungsantrag wird vielmehr dargetan, daß der vorliegende Fall zum Anlaß genommen wurde, in der Kanzlei des Antragstellervertreters zusätzliche Vorkehrungen zur Kontrolle der Postaufgabe einzuführen. Die in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung, daß ein einer geeigneten und verläßlichen Kanzleikraft eines Rechtsanwaltes im Zuge eines rein manipulativen Vorganges - hier: die Abgabe einer Briefsendung bei der Post - unterlaufener Fehler kein Verschulden des Rechtsanwaltes begründe (vgl. etwa den Beschluß vom 23. März 1995, Zl. 95/18/0454), kann (anders als in den im Wiedereinsetzungsantrag zitierten Beschlüssen des Verwaltungsgerichshofes vom 27. Jänner 1983, Zl. 82/08/0205, und vom 18. November 1983, Zl. 83/02/0220) nicht zum Tragen kommen, ist doch nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Person, der im Antragsfall die Postaufgabe anvertraut war, nicht bekannt (vgl. in diesem Sinne den hg. Beschluß vom 29. Jänner 1997, Zl. 96/01/0990).
Dem Antragstellervertreter - und damit dem Antragsteller selbst - ist somit vorliegend ein Versehen zuzurechnen, das nicht minderen Grades ist.
Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher nicht stattzugeben.
4. Bei diesem Ergebnis war die gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingebrachte Beschwerde des Antragstellers gegen den eingangs genannten Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien - deren Erfolg der Sache nach (auch unter Berücksichtigung der Ehe des Antragstellers) die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichshofes entgegensteht (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 24. März 1994, Zl. 94/18/0077, vom 11. Juli 1996, Zl. 95/18/0716, und im Zusammenhang mit der genannten Ehe das Erkenntnis vom 4. April 1997, Zl. 97/18/0121) - wegen Versäumung der Einbringungsfrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG als verspätet zurückzuweisen. Vor diesem Hintergrund erübrigte sich auch ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997180215.X00Im RIS seit
03.04.2001