TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/9 W171 2218826-1

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Veröffentlicht am 09.09.2020
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Entscheidungsdatum

09.09.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
VwGVG §35 Abs2
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W171 2218826-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA, als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.05.2019, XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 FPG i.V.m. § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und die Anhaltung in Schubhaft vom 08.05.2019 bis 12.06.2019 für rechtswidrig erklärt.

II. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

III. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer (in Folge: BF) stellte erstmals am 15.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2.         Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 03.03.2016 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Es wurde ihm auch kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt; weiters wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung getroffen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise wurde ihm eine Frist von zwei Wochen eingeräumt.

3.       Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.06.2018 abgewiesen und erwuchs die Entscheidung in Rechtskraft.

4. Am 26.07.2018 wurde der BF im Rahmen einer Kontrolle aufgegriffen und am 27.07.2018 über ihn das gelindere Mittel der täglichen Meldung bei einer Polizeiinspektion verhängt. Diesem gelinderen Mittel kam der BF kein einziges Mal nach.

5. Seit 03.08.2018 lag eine Zusage zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats für den BF vor. Am 06.08.2018 erging ein Festnahmeauftrag und konnte der BF schließlich am 05.05.2019 aufgegriffen werden.

6. Der BF wurde am 06.05.2019 zur geplanten Verhängung der Schubhaft einvernommen und gab im Wesentlichen an, es gehe ihm gut und sei er bei XXXX gemeldet. Er habe Angst vor der Polizei und dem Botschafter gehabt, da er Christ sei. Er habe bei Freunden im Flüchtlingsquartier Unterkunft gefunden und sei vom Verein XXXX versorgt worden. Er habe keine Sorgepflichten und keine Familienangehörigen in Österreich. Er habe kein Geld und werde von XXXX mit Lebensmittel unterstützt. Er habe auch viel in Parks übernachtet.

7. Mit Bescheid vom 06.05.2019 wurde über den BF die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass der BF durch sein Verhalten die Tatbestandsmerkmale des § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 5, 7 und 9 erfüllt habe und die Behörde daher von gegebenem Sicherungsbedarf ausgehe. Aufgrund der bestehenden Wohn- und Familiensituation des BF im Verhältnis zu dem Bestreben eines geordneten Fremdenwesens sowie der öffentlichen Ordnung und des wirtschaftlichen Wohls des Staates sei sowohl eine Verhältnismäßigkeit, als auch eine Notwendigkeit der Schubhaft zu bejahen. Der BF sei haftfähig. Die Verhängung einer periodischen Meldeverpflichtung im Sinne eines gelinderen Mittels sei nicht sinnvoll, da der BF nicht vertrauenswürdig sei. Das gelindere Mittel könne daher im vorliegenden Fall zu keinem gesicherten Erfolg führen, da die evidente Gefahr des Untertauchens bestehe. Die Verhängung der Schubhaft sei daher rechtmäßig.

8. Der BF stellte am 08.05.2019 aus dem Stande der Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz wobei er angab, dass die bisherigen Fluchtgründe weiterhin aufrecht seien. Hinzu komme jedoch die Tatsache, dass der BF zum Christentum konvertiert sei.

9. Am 08.05.2019 erging seitens des BFA der Aktenvermerk nach § 76 Abs. 6 FPG hinsichtlich der weiteren Aufrechterhaltung der Schubhaft. Die Übernahmebestätigung durch Unterschrift wurde durch den BF verweigert.

10.      Am 14.05.2019 erfolgte die Beschwerdeerhebung durch den BF. In der Beschwerdeschrift wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Fluchtgefahr sowie die Voraussetzungen gemäß § 76 Abs. 6 FPG nicht gegeben seien. Darüber hinaus sei die Verhängung auch unverhältnismäßig, zumal ein gelinderes Mittel rechtswidriger Weise nicht zur Anwendung gekommen sei. §76 Abs. 3 Z 3 FPG sei nicht heranzuziehen, da dieser Tatbestand nur jene Fälle umfasse, bei denen eine (neuerliche) Asylantragstellung vor Verhängung der Schubhaft erfolgt sei. Darüber hinaus habe der BF weder seine Abschiebung umgangen, noch habe er sie behindert. Der BF besuche seit 8 Monaten regelmäßig die Kirche und sei dort jeden Freitag und Sonntag anzutreffen und somit für die Behörde greifbar. Er sei in der Gemeinde sozial verankert und spreche dies deutlich gegen ein Untertauchen. Hiezu werde die zeugenschaftliche Einvernahme eines namentlich genannten Funktionärs einer Kirchengemeinde in Österreich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung beantragt. Beantragt wurde weiters der Ersatz der gesetzmäßig vorgesehenen Verfahrenskosten.

11. Im Rahmen einer weiteren Befragung seitens des BFA am 15.05.2019 wurde der faktische Abschiebeschutz des Asylantrags gemäß § 12a Abs. 2 AsylG bescheidmäßig aufgehoben.

12. Ebenso am 15.05. erfolgt die Vorlage des gegenständlichen behördlichen Schubhaftaktes sowie eine Stellungnahme des BFA. Darin wurde ausgeführt, dass über den BF bereits einmal das gelindere Mittel erfolglos angewandt worden sei. Statt seiner Meldeverpflichtung nachzukommen sei der BF bereits am ersten Tage untergetaucht und war in weiterer Folge für die Behörde nicht greifbar. Ein Heimreisezertifikat werde durch die afghanische Botschaft ausgestellt und sei beabsichtigt, den BF mit einem Charterflug am 28.05.2019 in seinen Herkunftsstaat abzuschieben. Beantragt wurde der Ersatz der geltend gemachten Kosten.

13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.05.2019, XXXX , wurde die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid vom 06.05.2019 gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG i.V.m. § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG i.V.m. § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG wurde festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlagen.

14. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.05.2019, XXXX , wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes vom 15.05.2019 gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-VG für rechtmäßig erklärt.

15. Der BF wurde am 12.06.2019 nach Afghanistan abgeschoben.

16. Die gegen das Erkenntnis vom 20.05.2019 gerichtete außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Entscheidung vom 24.10.2019, XXXX , soweit sie sich gegen die erfolgte Abweisung der zugrunde liegenden Schubhaftbeschwerde in Bezug auf den Schubhaftbescheid vom 06.05.2019 und die auf diesen Bescheid gegründete Anhaltung bis zur Stellung des Antrags auf internationalen Schutz am 08.05.2019 richtete, zurückgewiesen. Im Übrigen wurde die Abweisung der Schubhaftbeschwerde in Bezug auf die Anhaltung ab 08.05.2019 wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass es bei der Prüfung der Frage der Zulässigkeit einer Aufrechterhaltung der Anhaltung nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz einer Grobprüfung des Antrags bedurft hätte, als sich daraus Schlüsse auf die Motivation für die Antragstellung ableiten ließen. Es hätte daher der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und der Einvernahme von Zeugen bedurft.

17. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 13.02.2020, XXXX , wurde der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.05.2019 wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

18. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.05.2020, XXXX , wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 für nicht rechtmäßig erklärt und der mündlich verkündete Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 12.05.2019 (richtig: 15.05.2019) aufgehoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF stellte am 08.05.2019 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 15.05.2019 wurde der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.05.2020, XXXX , wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 für nicht rechtmäßig erklärt und der mündlich verkündete Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 12.05.2019 (richtig: 15.05.2019) aufgehoben.

Dem BF kam daher ab dem Zeitpunkt der Stellung des Folgeantrags am 08.05.2019 bis zu seiner Abschiebung am 12.06.2019 der faktische Abschiebeschutz zu.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes sowie und den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Abschiebung des BF am 12.06.2019 ergibt sich aus der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. – Anhaltung in Schubhaft:

3.1.1. Gesetzliche Grundlage:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

3.1.2. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 24.10.2019, XXXX , wurde die Revision gegen das hg. Erkenntnis vom 20.05.2019, soweit sie sich gegen die Abweisung der zugrundeliegenden Schubhaftbeschwerde in Bezug auf den Schubhaftbescheid vom 06.05.2019 und die auf diesen Bescheid gegründete Anhaltung bis zur Stellung des Antrags auf internationalen Schutz am 08.05.2019 richtete, zurückgewiesen.

Dieser Teil des Erkenntnisses vom 20.05.2019 gehört daher weiterhin dem Rechtsbestand an. Gegenständlich ist nur über die Anhaltung in Schubhaft vom 08.05.2019 bis 12.06.2019 abzusprechen.

3.1.3. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Im gegenständlichen Fall kam dem BF aufgrund seiner Eigenschaft als Asylwerber ab Stellung des Folgeantrags am 08.05.2019 ein faktischer Abschiebeschutz zu. Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes am 15.05.2019 erwies sich als rechtswidrig.

Bereits aus diesem Grund erwies sich die Anhaltung in Schubhaft vom 08.05.2019 bis 12.06.2019 als rechtswidrig. Auf weitere Punkte der Beschwerde muss aus diesen Gründen nicht mehr eingegangen werden.

Zu Spruchpunkt II. und III. – Kostenbegehren

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren wurde gegen den Schubhaftbescheid vom 06.05.2019 als auch gegen die Anhaltung in Schubhaft Beschwerde erhoben. Der BF beantragte auszusprechen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft nicht vorliegen, das Bundesamt beantragte den Ausspruch, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft vorliegen. Sowohl der BF als auch das Bundesamt haben einen Antrag auf Kostenersatz im Sinne des § 35 VwGVG gestellt.

Der Beschwerde wurde nunmehr teilweise stattgegeben und die Anhaltung in Schubhaft ab dem 08.05.2019 für rechtwidrig erklärt. Hingegen wurde die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid vom 06.05.2019 und die Anhaltung in Schubhaft vom 06.05.2019 bis 08.05.2019 abgewiesen. Sowohl der BF als auch das Bundesamt sind somit hinsichtlich eines Teiles der zu beurteilenden Schubhaft als endgültig unterlegen zu betrachten. Das steht einem Kostenersatz nach dem gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG auch im Schubhaftbeschwerdeverfahren anwendbaren § 35 VwGVG entgegen (vgl. VwGH vom 26.04.2018, Ra 2017/21/0240). Die Anträge auf Kostenersatz des BF sowie des Bundesamtes waren daher abzuweisen.

Zu Spruchpunkt B. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Kostenersatz Rechtsanschauung des VwGH Rechtswidrigkeit Schubhaft Schubhaftbeschwerde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2218826.1.00

Im RIS seit

22.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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