TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/8 W147 2215997-1

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Veröffentlicht am 08.10.2020
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Entscheidungsdatum

08.10.2020

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W147 2215997-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5 (Mezzanin), 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26. Jänner 2019, Zl. 830935509-181023695, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24. Juni 2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1, 2 und 5 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 138/2017, stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018, nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation wurde am XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren.

2. Der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Juli 2013, Zl. 13 09.355 im Zuge des Familienverfahrens der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

3. Mit am 15. Oktober 2018 bei der belangten Behörde eingelangtem Bericht teilte die Landespolizeidirektion XXXX mit, dass die Mutter der Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte XXXX getrennt leben würden und die Beschwerdeführerin und ihre Schwester XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2215995-1) nach Tschetschenien zurückgekehrt seien.

4. Mit Aktenvermerk vom 26. Oktober 2018 leitete die belangte Behörde gegenständliches Aberkennungsverfahren gegen die Beschwerdeführerin ein.

5. Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 8. Jänner 2019, Regionaldirektion XXXX , führte die gesetzliche Vertreterin und Mutter der Beschwerdeführerin nachdem sie aufgrund ihres unentschuldigten mehrfachen Fernbleibens nach erfolgter Festnahme und zwangsweiser Vorführung aus, sie sei nunmehr traditionell von ihrem Ehegatten geschieden, standesamtlich aber noch verheiratet. Nach einem erneuten Streit mit ihrem Ehegatten sei sie zu ihrem Vater nach XXXX und im Anschluss zu ihrer Mutter nach XXXX gereist. Nachdem sie eine eigene Wohnung bezogen habe, habe sie die Beschwerdeführerin und ihre Schwester zu sich nach XXXX holen wollen. Als sie im Oktober 2018 beim Kindergarten in XXXX angerufen habe, habe man ihr mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin und ihre Schwester nicht mehr in den Kindergarten gekommen seien. Sie wisse nicht seit, wann sich ihre Kinder nicht mehr in Österreich aufhalten würden. Sie habe die Beschwerdeführerin und ihre Schwester zuletzt im Juni 2018 gesehen. Sie habe mit ihrer Tochter per Video über das Handy ihrer Schwiegermutter telefoniert und würden sich die Beschwerdeführerin und ihre Schwester bei ihrer Großmutter väterlicherseits in Tschetschenien befinden. Von der Ausreise der Kinder habe sie nichts gewusst und wäre sie auch nicht einverstanden gewesen. Die Mutter der Beschwerdeführerin habe Anzeige bei der Polizei erstattet, doch sei ihr mitgeteilt worden, weil beide Elternteile das Sorgerecht hätten, könnten sie ihr nicht helfen. Beim Jugendamt habe sie die gleiche Auskunft erhalten. Zu ihren in Österreich lebenden Verwandten befragt, gab die Mutter der Beschwerdeführerin an, dass ihre Eltern und drei Geschwister in Österreich leben würden. In der Russischen Föderation habe sie keine Verwandten mehr. Zu ihren bisherigen beruflichen Tätigkeiten führte die Mutter der Beschwerdeführerin aus, dass sie von 2010 bis 2012 auf Teilzeitbasis gearbeitet habe. Eine Lehre habe sie nicht absolviert und verfüge sie über einen Pflichtschulabschluss. Im Jahr 2009 habe die sie die Schule abgebrochen. Die Mutter der Beschwerdeführerin gab auf Nachfrage des Einvernahmeleiters an, dass sie im Jahr 2016 von August bis November in Weissrussland gewesen sei. Im selben Jahr habe sie für ihre Kinder und sich selbst einen russischen Reisepass während eines Besuchs bei ihrer kranken Tante in XXXX in der Russischen Föderation ausstellen lassen. Diesen habe sie legal erhalten und dieser sei bei ihrem Ehegatten. Im Falle ihrer Rückkehr befürchte die sie vor allem, dass sie wieder von vorne beginnen müsse, zumal sie nach dem Tod ihrer Tante keine Verwandten mehr in der Russischen Föderation habe.

6. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26. Jänner 2019, Zl. 830935509-181023695, wurde der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Juli 2013, Zl. 13 09.355, zuerkannte Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 2 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aberkannt. Gemäß § 7 Absatz 4 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.).

Unter Spruchpunkt II. wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt.

Unter Spruchpunkt III. wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 1 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt V.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VII.).

In der Entscheidungsbegründung wurde seitens der belangten Behörde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Willensbildung zum Aufenthalt in Tschetschenien durch ihren Vater als gesetzlichen Vertreter erfolgen könne. Dies aufgrund des Umstandes, dass die Eltern der Beschwerdeführerin verheiratet seien und der Vater der Beschwerdeführerin gemäß § 167 Abs. 1 AGBG alleine berechtigt und verpflichtet sei, diese zu vertreten. Die Willensbildung sei der Beschwerdeführerin voll zuzurechnen, sei über den Vater erfolgt, weshalb die Freiwilligkeit der Unterschutzstellung fingiert sei. Da es sich bei der Beschwerdeführerin um eine unmündige minderjährige Person handle, sei ein entgegengesetzter tatsächlicher Wille ihrer Person unbeachtlich.

7. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Absatz 1 BFA-VG vom 4. Februar 2019 wurde der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht der „Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5 (Mezzanin), 1090 Wien“ als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

8. Mit Schriftsatz vom 19. Februar 2019 erhob die Mutter der Beschwerdeführerin für die Beschwerdeführerin fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde gegen den genannten Bescheid vom 26. Jänner 2019, Zl. 830935509-181023695, focht diesen wegen rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens in vollem Umfang an. Die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin monierte im Wesentlichen, dass sich die Bedrohungslage für Menschen wie ihren Vater seit der gemeinsamen Ausreise nicht verbessert habe und ihre Rückkehrbefürchtungen aufgrund der derzeitigen Menschenrechtslage und der instabilen Gegebenheiten gerechtfertigt seien. Weiters handle es sich bei ihr um eine Mutter, deren minderjährige Kinder in Österreich geboren seien und hätten diese eine intensive Bindung zu Österreich. Die Zeit des Aufenthalts in der Russischen Föderation ihrer Kinder sei gegen ihren Willen erfolgt. Der Lebensmittelpunkt der gesetzlichen Vertreterin und ihrer Kinder befinde sich in Österreich, ein Einreiseverbot gegen die Mutter der Beschwerdeführerin würde die Aufrechterhaltung mit ihren nahen Angehörigen wesentlich erschweren und sei die Erlassung eines Einreiseverbots jedenfalls aus der Sicht des Kindeswohls unverhältnismäßig.

9. Mit am 2. September 2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangter Stellungnahme der gesetzlichen Vertreterin teilte diese mit, dass die zwei minderjährigen Kinder seit circa März 2019 in Österreich bei ihr aufhältig seien.

10. Am 24. Juni 2020 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin im Beisein ihres Rechtsvertreters zu ihrem Gesundheitszustand, ihrem Fluchtgrund, ihrem Leben im Heimatland sowie ihrem Familienleben in Österreich und Alltag befragt wurde. Die belangte Behörde verzichtete mit Schreiben vom 26. Mai 2020 auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin wurde eine Frist zur allfälligen Stellungnahme zu den aktuellen Länderinformationen binnen 14 Tagen und zur Vorlage des Scheidungsbeschlusses eingeräumt.

11. Den Scheidungsbeschluss vom XXXX samt Scheidungsvergleich übermittelte der Vater der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 10. Juli 2020.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. Ausgeführte Verfahrensgang und Sachverhalt wird den Feststellungen zugrunde gelegt.

1.1. Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin, deren Identität feststeht, ist die gemeinsame Tochter von XXXX (Beschwerdeführer zu GZ W147 1402686-3) und XXXX (Beschwerdeführer zu GZ W147 2215999-1) und in Österreich geboren.

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig und der muslimischen Glaubensrichtung zugehörig.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Juli 2013, Zl. 13 09.355, wurde der Beschwerdeführerin Asyl durch Erstreckung gewährt und festgestellt, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Mutter der Beschwerdeführerin reiste im Februar 2016 gemeinsam mit der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester in die Russische Föderation, wo diese für sich und ihre Kinder Auslandsreisepässe ausstellen ließ. Von Juni 2016 bis Juli 2016 reisten die Mutter der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester abermals in die Russische Föderation.

Die Beschwerdeführerin und ihre Schwester leben, nachdem sie im Zuge der Scheidung ihrer Eltern von ihrem Vater gegen den Willen der Mutter bei ihren Großeltern väterlicherseits ab Kalenderwoche 39 im Jahr 2018 (ab dem 24. September 2018 bis 30. September 2018) gelebt haben, seit März 2019 wieder im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter.

Die Beschwerdeführerin war ab März 2019 aufrecht mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet und ist dies nach wie vor.

Die Ehe der Eltern wurde am XXXX mit Scheidungsbeschluss im Einvernehmen geschieden und teilen sich die Eltern die gemeinsame Obsorge für die gemeinsamen Kinder. Nach islamischen Ritus sind die Eltern bereits seit Sommer 2018 geschieden.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, den Gerichtsakt der Beschwerdeführerin sowie Sichtung der im Laufe des gesamten Verfahrens vorgelegten und eingeholten Urkunden, Dokumente sowie sonstigen Schriftstücke.

2.1. Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, zum Gang des Asylverfahrens, zu den Asylzuerkennungsgründen, zu den persönlichen und familiären Verhältnissen der Beschwerdeführerin im Inland sowie zu den persönlichen und familiären Verhältnissen bzw. zu der individuellen Gefährdungssituation der Beschwerdeführerin im Herkunftsland wurden auf Grundlage des Inhaltes des vorgelegten Aktes des Bundesamtes zur im Spruch genannten Zahl, dabei insbesondere anhand des Einvernahmeprotokolle der Eltern und den Bescheiden hinsichtlich der Asylzuerkennung getroffen.

2.2. Die Feststellung zum Wohnsitz der Beschwerdeführerin ergeben sich aus einer Abfrage im Zentralen Melderegister, woraus hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin seit März 2019 wieder über einen aufrechten Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFAVG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder einzustellen ist

Zu Spruchteil A.I.)

3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.2.1.Gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid der Status eines Asylberechtigten abzuerkennen, wenn

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

Gemäß Abs. 3 leg.cit. kann das Bundesamt einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

Gemäß Abs. 4 leg. cit. ist die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und Z 2 AsylG 2005 mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.

Gemäß Art. 1 Abschnitt C der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), BGBl. Nr. 55/1955 und 78/1974, wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie

1. sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat; oder

2. die verlorene Staatsangehörigkeit freiwillig wieder erworben hat; oder

3. eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des neuen Heimatlandes genießt; oder

4. sich freiwillig in den Staat, den sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder nicht betreten hat, niedergelassen hat; oder

5. wenn die Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist. bestehen und sie daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

6. staatenlos ist und die Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, sie daher in der Lage ist, in ihr früheres Aufenthaltsland zurückzukehren.

3.2.2. Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 verleiht dem Grundsatz Ausdruck, dass die Gewährung von internationalem Schutz lediglich der vorübergehenden Schutzgewährung, nicht aber der Begründung eines Aufenthaltstitels dienen soll. Bestehen nämlich die Umstände, aufgrund derer eine Person als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr und kann sie es daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen, so stellt auch dies einen Grund dar, den gewährten Status wieder abzuerkennen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 AsylG, K8.).

Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK stellt primär auf eine grundlegende Änderung der (objektiven) Umstände im Herkunftsstaat ab, kann jedoch auch die Änderung der in der Person des Flüchtlings gelegenen Umstände umfassen, etwa wenn eine wegen der Mitgliedschaft zu einer bestimmten Religion verfolgte Person nun doch zu der den staatlichen Stellen genehmen Religion übertritt und damit eine gefahrlose Heimkehr möglich ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 AsylG, K9).

Ein in der Person des Flüchtlings gelegenes subjektives Element spielt auch insofern eine Rolle, zumal aus der in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK enthaltenen Wortfolge „nicht mehr ablehnen kann“ auch die Zumutbarkeit einer Rückkehr in das Herkunftsland ein entscheidendes Kriterium einer Aberkennung des Flüchtlingsstatus ist (vgl. Putzer/Rohrböck, aaO, Rz 146).

Die Beschwerdeführerin reiste mehrmals in den Herkunftsstaat aus. Zuletzt lebte sie ab der Kalenderwoche 39 im Jahr 2018 (ab dem 24. September 2018 bis 30. September 2018) im Herkunftsstaat bei ihren Großeltern väterlicherseits und seit März 2019 wieder im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter. Mit der Mutter und ihrer Schwester hielt sich die Beschwerdeführerin von Juni 2016 bis Juli 2016 im Herkunftsstaat auf und ließ die Mutter Reisepässe für sich und ihre Kinder ausstellen.

3.2.3. Gegenständlich ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin ihren Status der Asylberechtigten nicht aufgrund einer individuellen Gefährdung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern im Wege der nationalen Regelungen über die Asylerstreckung – abgeleitet vom Status ihrer Mutter – zuerkannt worden war.

Die Aberkennung des Status der Asylberechtigten wäre aufgrund der „Wegfall der Umstände“-Klausel nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK denkbar, da die Umstände, aufgrund derer der Beschwerdeführerin der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden war, zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr bestehen und die Beschwerdeführerin es daher nicht weiterhin ablehnen könne, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

3.2.4. Doch kann das Bundesamt gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 einem Fremden der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt -wenn auch nicht rechtskräftig -nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs-und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

Der Beschwerdeführerin wurde der Status der Asylberechtigten mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Juli 2013, Zl. 13 09.355 zuerkannt. Das gegenständliche Aberkennungsverfahren leitete die belangte Behörde mit Aktenvermerk vom 26. Oktober 2018 ein. Die belangte Behörde führte in ihrem Aktenvermerk selbst an, dass bereits mehr als fünf Jahre vergangen sind, stellte aber darauf ab, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Entscheidung über keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfüge. Ein Hauptwohnsitz begründete die Beschwerdeführerin nach Bescheiderlassung im März 2019 erneut im Bundesgebiet.

Die Beschwerdeführerin ist nach wie vor unbescholten und hat ihren Hauptwohnsitz jedenfalls seit März 2019 im Bundesgebiet. Zum Zeitpunkt der Einleitung des Aberkennungsverfahrens durch die belangte Behörde am 26. Oktober 2018 war der Beschwerdeführerin bereits über fünf Jahre der Status des Asylberechtigten zugekommen.

Aus dem Verwaltungsakt geht nicht hervor, dass die belangte Behörde vor Bescheiderlassung die Niederlassungsbehörde verständigt hätte.

Daraus folgt, dass die von der belangten Behörde zur Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogenen Voraussetzungen der Aberkennung des der Beschwerdeführerin zuerkannten Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 7 Abs. 3 AsylG 2005 zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht vorliegen, sodass sich die mit Spruchpunkt I. vorgenommene Aberkennung des Status der Asylberechtigten als nicht gerechtfertigt erweist. Da die weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides auf dessen Spruchpunkt I. aufbauen, sind diese in Stattgebung der Beschwerde zur Gänze zu beheben.

Der Beschwerdeführerin kommt aufgrund der Behebung des Bescheides weiterhin der Status des Asylberechtigten zu.

4. Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich stets auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und der europäischen Höchstgerichte stützen; diesbezügliche Zitate finden sich in der rechtlichen Beurteilung. Sofern die oben angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu (zum Teil) alten Rechtslagen erging, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf inhaltlich gleichlautende Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage übertragbar.

Schlagworte

Aberkennungsverfahren Behebung der Entscheidung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W147.2215997.1.00

Im RIS seit

22.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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