TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/6 W131 2164355-1

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Veröffentlicht am 06.11.2020
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Entscheidungsdatum

06.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W131 2164355-1/36E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard GRASBÖCK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.06.2017, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird XXXX eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

IV.      Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision gegen Spruchpunkt A) I. ist nicht zulässig.

Die Revision gegen Spruchpunkte A) II., III. und IV. ist zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer (= Bf) am 25.03. 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung vom selben Tag gab er an, dass er sich in ein Mädchen aus einer anderen Volksgruppe verliebt, dadurch von ihrer Gruppe verfolgt worden und mit dem Tod bedroht worden sei. Er habe auch Angst vor den Taliban.

2. Im Rahmen einer am 12.05.2017 durch die belangte Behörde durchgeführten Einvernahme machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen folgende Angaben:

Er habe sich circa 2 Monate vor der Flucht in ein Mädchen verliebt, sie habe ihn auch geliebt. Es habe zwar keine sexuelle Beziehung gegeben, sie hätten sich aber oft getroffen und hätten oft telefoniert. Die Familie des Mädchens sei gegen die Beziehung gewesen und habe ihn mehrfach körperlich attackiert. Nach der Ausreise habe man seiner Familie gegenüber gedroht, ihn umzubringen.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz vom yyy hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Weiters sprach sie aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Zuletzt stellte die belangte Behörde fest, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Zu Spruchpunkt I. des Bescheides führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Flucht Geschichte des Beschwerdeführers unglaubwürdig sei, weil ihm das Schicksal des Mädchens egal zu sein scheint, er habe seit der Ausreise nach eigenen Angaben keinen Kontakt mehr zu ihr, auch wisse er nicht, wie es ihr nach seiner Ausreise vergangen sei.

4. Dagegen richtet sich die binnen offener Frist erhobene Bescheidbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, dass die Beweiswürdigung der benannten Behörde nicht nachvollziehbar sei und eine Abschiebung des Beschwerdeführers seine Rechte nach den Art. 3 und 8 EMRK mit sich brächte.

5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.04.2019 und 14.08.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der neben einem Dolmetsch für die Sprache Dari der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen. Dabei wurde der Beschwerdeführer zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinem Gesundheitszustand, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich entsprechend befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer hat den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, seine Muttersprache ist Dari.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat Afghanistan einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt war oder ihm im Falle einer Rückkehr eine Verfolgung aus diesen Gründen droht.

Im Verfahren sind auch keine sonstigen Gründe hervorgekommen, die auf eine drohende Verfolgung des Beschwerdeführers hindeuten. Der Beschwerdeführer wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, wurde dort nie von der Polizei gesucht und hatte dort auch keine Probleme mit Gerichten oder den Behörden.

Es wird jedoch festgestellt, dass der Bf rücksichtlich des aktuellen staatlichen Zustands von Afghanistan und insb rücksichtlich der sozioökonomischen Folgen der COVID - 19 - Pandemie in Afghanistan bei seiner Rückkehr nach Afghanistan zum aktuellen Zeitpunkt dem realen Risiko ausgesetzt ist, in eine ausweglose existenzbedrohende Lage zu geraten.

In Afghanistan ist gemäß dem LIB idF 21.07.2020 mehr als die Hälfte der Bevölkerung armutsbedroht und knapp die Hälfte hungerbedroht.

Der Arbeitsmarkt insb für Gelegenheitsarbeiten ist im Gefolge von COVID-19 stark eingebrochen bzw zusammengebrochen und sind insoweit zB in Herat 150.000 Tagelöhner betroffen. (Eine Analyse des BFA, Staatendokumentation zur Provinz Balkh und damit zu Mazar e- Sharif ergibt nichts Gegenteiliges, da diese selbst angibt, auf Informationen aus 2019 zu beruhen und COVID - 19 nicht zu berücksichtigen.

Zur angespannten Arbeitsmarktsituation in Afghanistan war zudem bereits aus dem LIB idF 21.07 2020 beruhend auf Beurteilungen vor der COVID - 19 _ Kriste festgehalten wie folgt:

Arbeitsmarkt

Schätzungen zufolge sind 44% der Bevölkerung unter 15 Jahren und 54% zwischen 15 und 64

Jahren alt (ILO 2.4.2018). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos – Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000) (BFA 4.2018; vgl. CSO 2018).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen, gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen gaben an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).

Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. (BFA 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (BFA 13.6.2019).

Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in

Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (BFA 4.2018).

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang – als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (BFA 4.2018).

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl.

Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

[...]

Zu Rückkehrern allgemein ist aus dem LIB idF 21.07.2020 festzustellen wie folgt:

[...] Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (BFA 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse – auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. [...]

Der Bf hat rücksichtlich der aktuellen Arbeitsmarksituation in Afghanistan derzeit kein taugliches Unterstützungsnetzwerk, das ihn nach einer Rückkehr unterstützen könnte, nachdem seine Familie nach den unbestrittenen Verhandlungsangaben dazu derzeit nicht in der Lage wäre.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Falls nicht anders angegeben, ergeben sich die Feststellungen aus den diesbezüglich unbedenklichen und im Wesentlichen im gesamten Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren kongruent vorgebrachten Angaben des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zu einer fehlenden asylrelevanten Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan ergeben sich aus folgenden Überlegungen:

Der Beschwerdeführer gibt im Wesentlichen an, sich in ein Mädchen verliebt zu haben, dessen Eltern gegen die Beziehung gewesen sein. Er habe dieses Mädchen so geliebt und seien diese Gefühle auch erwidert worden, dass er nicht in Afghanistan habe bleiben können. Der Beschwerdeführer wisse nicht, wie es dem Mädchen nach seiner Ausreise ergangen sei, er habe seit damals zu ihr keinen Kontakt mehr. Diese Darstellung der Ereignisse ist unglaubwürdig, hätte er das Mädchen nämlich tatsächlich sehr geliebt, dass für ihn die Flucht aus Afghanistan die einzige Alternative gewesen wäre, so hätte er das Mädchen nicht bei Überschreiten der afghanischen Staatsgrenze bereits vergessen, sondern hätte sich für das weitere Fortkommen des Mädchens interessiert, zumindest eine regelmäßige telefonische Kontaktaufnahme nach seiner Flucht wäre zu erwarten gewesen.

Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, dass er von den reichen und mächtigen Eltern des Mädchens aufgrund dieser Beziehung verfolgt worden sei. Es habe zwischen dem Mädchen und ihm jedoch keine sexuelle Beziehung gegeben. Aus diesem Grund ist eine anhaltende Verfolgung des Beschwerdeführers nicht glaubhaft, wurde doch das Delikt Zina nicht begangen. Weiters konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass sich die Gefahr der Verfolgung durch die Familie des Mädchens auf das gesamte Staatsgebiet von Afghanistan bezieht. Umso unlogischer erscheint die Conclusio des Beschwerdeführers, der Verfolgung durch eine Familie in Afghanistan einzig und allein durch Flucht ins Ausland entgehen zu können.

Zuletzt ist beweiswürdigend zu verwerten, dass der Beschwerdeführer vor Gericht zu seinen Befürchtungen für den Fall der Rückkehr befragt die Verfolgung durch die Eltern des Mädchens nicht erwähnt, was den Schluss zulässt, dass er bei Rückkehr nach Afghanistan eine derartige Verfolgung nicht für naheliegend wahrscheinlich hält.

Insgesamt ist für das Gericht weder glaubhaft, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan von der Familie eines Mädchens verfolgt wurde, noch dass diese Verfolgung im Falle seiner Rückkehr weiterhin bestehen würde. Daran vermögen auch die vom Beschwerdeführer aufgezeigten Verletzungen seiner Person nicht zu ändern, diese können auf mannigfaltige Art und Weise entstanden sein.

Die Feststellungen zum real risk ergeben sich aus den unbestritten gebliebenen Verhandlungsangaben des Bf und aus dem LIB der Staatendokumentation zu Afghanistan idF 21.07.2020 im Abgleich zu den Eigenschaften und Merkmalen des Bf; und sind jeweils nicht substantiiert bestritten worden.

Zu A) Zur inhaltlichen Entscheidung

3. Die Sachentscheidung begründet sich wie folgt:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 i.V.m. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung droht.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (VwGH 31.07.2018, Ra 2018/20/0182). Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011).

Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Einer von Privatpersonen und privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; 28.10.2009, 2006/01/0793, mwN). Die Richtlinie (EU) 2011/95 (Statusrichtlinie) sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).

Abgesehen davon, dass einer derartigen, nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. etwa VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551).

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können positive Feststellungen von der Behörde nicht getroffen werden (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, Rz 16).

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative“). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036 und 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist – wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert – nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; VwGH 08.09.1999, 98/01/0614).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322; VwGH 09.03.1999, 98/01/0370;). Dabei reicht für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/20/0089).

Auch aus einer Mehrzahl allein jeweils nicht ausreichender Umstände im Einzelfall kann sich bei einer Gesamtschau die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem oder mehreren von asylrelevanten Gründen ergeben (vgl. dazu VwGH 26.06.1996, 95/20/0423).

3.2. Daraus ergibt sich in der Sache:

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, nicht gegeben. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass der Beschwerdeführer keine persönliche und konkrete Verfolgungsgefährdung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Grund glaubhaft machen konnte:

Sein Fluchtvorbringen, wonach er sich in ein Mädchen verliebt habe und jetzt Verfolgung doch dessen Familie fürchte, wurde für unglaubwürdig befunden.

Sein Vorbringen, wonach er sich dem westlichen Lebensstil angepasst habe und sich nicht mehr vorstellen könne, nach Afghanistan zurückzukehren, ist nicht rechtserheblich, da nach der höchstgerichtlichen Judikatur iZm der „Verwestlichung“ von Männern idR nicht anerkannt wird, dass damit eine reale Gefahr einer Verfolgung bestehen könnte (VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0329). Besondere risikoverstärkende Merkmale über die Bevorzugung der westlichen Lebesweise hinaus sind im Verfahren nicht hervorgekommen, allein der mehrjährige Aufenthalt in einem europäischen Land und die teilweise Anpassung an westliche Verhaltensweisen genügt nicht, um solche risikoverstärkenden Merkmale zu begründen.

Letztlich gilt es festzuhalten, dass auch die allgemeine Lage in Afghanistan nicht dergestalt ist, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkte – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung – zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist.

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten durch die belangte Behörde war im Ergebnis nicht zu beanstanden und war die Beschwerde daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.

3.3. Zur Zuerkennung des Status des susbsidiär Schutzberechtigten samt Folgeaussprüchen ist vorerst festzuhalten, dass die festgestellte sozioökonomische Situation im Gefolge von COVID - 19 in Afghanistan, in welchem die Regierung zusätzlich mit terroristisch agierenden Aufständischen um Frieden verhandeln muss und bereits zumindest 50% des Staatsgebiets nicht mehr unter ihrer Kontrolle hat, dazu führt, dass rücksichtlich der aktuell desolaten Wirtschaftslage davon auszugehen war, dass der Bf bei jetziger Rückkehr nach Afghanistan dem realen Risiko ausgesetzt wäre, in eine ausweglose, existenzbedrohende und damit den Art 2 und 3 MRK widersprechende Lebenssituation zu gelangen.

Da Ausschlussgründe für den Status gemäß § 8 Abs 1 AsylG nicht substantiiert vorgebracht noch sonst bekannt geworden sind, war dieser Schutzstatus zuzuerkennen, gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine einjährige Aufenthaltsberechtigung iSv VwGH Zl Ra 2019/18/0281 auszusprechen; und waren die entgegenstehenden Spruchteile des angefochtenen Bescheids aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis musste gemäß § 39 AVG mit den Verfahrensparteien nicht weiter erörtert werden, ob man evtl zB bei Verwertung des Berichts über die Taliban im Zeitmagazin vom 29.10.2020 "Unter Taliban", wie den Richtern und Richterinnen des BVwG am 04.11.2020 durch das gerichtliche Wissensmanagement zur Verfügung gestellt, zum gleichen Verfahrensergebnis wie bei Verwertung des LIB vom 21.07.2020 kommen würde, wenn im zuletzt genannten Artikel die Taliban nicht mehr nur die Hälfte des Staatsgebiets, sondern 80% desselben beherrschend; und die staatlichen Strukturen Afghanistans als - mit dem LIB korrespondierend - sehr korrupt und ineffektiv dargestellt werden.

Dahingestellt bleiben kann bei diesem Verfahrensstand auch, ob der Bf dz überhaupt sicher an einen bestimmten innerstaatlichen Verweisungsort iSd § 11 AsylG verbracht werden könnte, wenn dem Vernehmen nach derzeit keine zwangsweisen Abschiebungen stattfinden dürften; bzw ob dem Bf allenfalls ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zuzuerkennen gewesen wäre - § 39 AVG.

Zu B) Teilweise Zulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision betreffend die Nichtzuerkennung von Asyl ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Revision betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz samt Folgeaussprüchen war hingegen zuzulassen, weil noch keine gefestigte Rsp des VwGH zum Sachverhalt gemäß LIB zu Afghanistan idF 21.07.2020 vorliegt, ob insoweit bei Fällen wie dem vorliegenden subsidiärer Schutz zuzuerkennen bzw zuerkennbar ist.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung Glaubwürdigkeit mangelnde Asylrelevanz Pandemie private Verfolgung Revision teilweise zulässig Rückkehrsituation Sicherheitslage subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Versorgungslage westliche Orientierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W131.2164355.1.00

Im RIS seit

22.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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