TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/10 W241 2193823-1

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Veröffentlicht am 10.11.2020
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Entscheidungsdatum

10.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W241 2193823-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Pakistan, vertreten durch RA Dr. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.03.2018, Zahl 1072164006/150617973, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.11.2020

A)

I. den Beschluss gefasst:

Hinsichtlich der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides wird das Verfahren wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

II. zu Recht erkannt:

1. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden behoben und die Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan gemäß § 9 BFA-Verfahrensgesetz auf Dauer für unzulässig erklärt.

2. XXXX wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und § 58 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 04.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am 06.06.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus Parachinar, Kurram Agency, Pakistan, sei Paschtune und ledig. Seine Mutter, sechs Schwestern und zwei Brüder würden noch in Pakistan leben, der Vater sei bereits verstorben.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass es in Pakistan durch die Taliban Unsicherheit und Krieg geben würde. Die Taliban würden die Männer zwingen, mit ihnen in den Krieg zu ziehen bzw. sich ihnen als Selbstmordattentäter zur Verfügung zu stellen. Seine zwei Cousins väterlicherseits wären umgebracht worden und sein Onkel mütterlicherseits wäre schwer verletzt worden. Er hätte Angst um sein Leben, aus diesem Grund wäre er aus Pakistan geflüchtet. Weitere Fluchtgründe hätte er nicht.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 07.07.2017 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, gab der BF an, dass seine Mutter zwischenzeitlich verstorben sei. Sein Vater sei 2015 von einem Unbekannten im Heimatdorf ermordet worden. Ferner machte der BF Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen in Pakistan und brachte vor, dass sein Bruder einer Organisation angehöre, welche im Auftrag des Irans Männer für den Syrienkrieg rekrutiert hätte. Der Bruder und andere Dorfbewohner hätten immer wieder verlangt, dass der BF nach Syrien gehen solle, sein Vater hätte jedoch gemeint, er solle die Universität besuchen. Da der Vater allerdings alt und gebrechlich gewesen sei, sei der Druck von Seiten des Bruders immer größer geworden, auch hätte er den BF fünf bis sechs Mal geschlagen. Zwei andere Leute, welche sich ebenfalls geweigert hätten, wären von Unbekannten umgebracht worden. Ob sein Bruder angezeigt worden wäre, wisse er nicht, es gäbe keine Polizeistation in dieser Gegend. Ferner würden die Taliban gegen die Schiiten und gegen die Rekrutierung für Syrien sein, weshalb sie auch Anschläge in Parachinar verüben würden. Sein persönlicher Fluchtgrund sei aber der mit seinem Bruder.

In der Folge legte der BF vor:

-        Wohnsitzbestätigung – Domicile Certificate vom 18.04.2009 samt Übersetzung vom 22.11.2016

-        diverse Dokumente betreffend seinen Schulbesuch in Pakistan

-        ÖSD Zertifikat A1

-        ÖSD Zertifikat A2

-        ÖSD Zertifikat A2/2 Anmeldebestätigung für weitere Prüfung

-        Email Deutschkurs Anmeldung und Absage wegen Platzmangels

-        BFI-Teilnahmebestätigung A2/Teil 1 vom 10.11.2017

-        BFI-Teilnahmebestätigung A2/Teil 2 vom 29.03.2017

-        Arcoboleno-Teilnahmebestätigung und Kursbestätigung AF1 Dom-Stufe 1 vom 31.10.2015

-        Arcoboleno-Teilnahmebestätigung und Kursbestätigung Stufe 2 vom 10.12.2015

-        Arcoboleno-Teilnahmebestätigung und Kursbestätigung Stufe 3 vom 10.03.2016

-        Arcoboleno-Teilnahmebestätigung und Kursbestätigung Stufe A2/2 vom 10.03.2016

-        Kopie eines Injured Certificate vom 09.05.2015

-        ULF – Abbau von Messeständen vom 13.06.2017

-        ULF – Teilnahmebestätigung am Vorbereitungskurs und Mithilfe bei Veranstaltungen vom 23.06.2017

-        ULF – Teilnahmebestätigung am „Franckviertelfest Geschirrmobil und andere anfallende Arbeiten“ vom 03.07.2017

-        ULF – Teilnahmebestätigung für Unterstützung Ordnerdienst während der Veranstaltung Vielfalt in Concert vom 21.06.2017

-        ULF – Teilnahmebestätigung Workshopreihe für Freiwilligentätigkeit vom 24.06.2017

-        ULF – Teilnahmebestätigung Workshopreihe zu Kultur & Soziales vom 05.07.2017

-        Arcobaleno – Bestätigung für Ehrenamtliche Arbeit vom 16.05.2017

-        Diverse Unterstützungsschreiben

1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 09.03.2018 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF zwei Wochen (richtig: 14 Tage) ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Pakistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Pakistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse – im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen – glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Pakistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Seine Fluchtgeschichte habe der BF aufgrund der vagen und unstimmigen Schilderung nicht glaubhaft machen können. Aus dem Vorbringen ergebe sich weiter keine asylrelevante Verfolgung.

In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung des Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde.

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Pakistan nicht drohe. Es sei dem BF zumutbar, in Pakistan selbstständig durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Kräften für die Deckung der grundlegendsten Bedürfnisse aufzukommen.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde den BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG der Verein Menschenrechte Österreich gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.5. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 13.04.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

In der Beschwerdebegründung versuchte der BF, die im Bescheid aufgezeigten Unstimmigkeiten aufzuklären, und verwies auf seine Integrationsbemühungen in Österreich.

1.6. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 27.04.2018 beim BVwG ein.

1.7. Aufgrund aktuellerer Länderfeststellungen zur Islamischen Republik Pakistan wurde seitens des BVwG mit Schreiben vom 29.04.2020 dem BF das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.05.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 09.08.2019, übermittelt und er aufgefordert, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Gleichzeitig wurde der BF, binnen selbiger Frist, um Bekanntgabe ersucht, ob sich hinsichtlich seines Privat- oder Familienlebens seit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides Änderungen ergeben haben, bzw. aufgefordert, seine derzeitige Lebenssituation in Österreich schriftlich darzustellen und gegebenenfalls durch geeignete Bescheinigungsmittel zu belegen.

1.8. Mit Schreiben vom 02.11.2020 wurden durch den BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen vorgelegt.

1.9. Das BVwG führte am 04.11.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu durch, zu der der BF im Beisein seiner gewillkürten Vertretung persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung.

Im Folgenden legte der BF eine Bestätigung über ein freiwilliges Engagement von März bis November 2020 und einen Frachtvertrag vor. Daraufhin machte er Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und seinen Integrationsbemühungen in Österreich.

Abschließend wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides durch die gewillkürte Vertretung nach Rücksprache mit dem BF zurückgezogen.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

?        Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA sowie die Beschwerde

?        Einsicht in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.05.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 09.08.2019

?        Einsicht in die vom BF vorgelegten Schriftstücke.

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger von Pakistan, Paschtune und bekennt sich zum schiitischen Islam. Er spricht Paschtu und gutes Deutsch.

Der BF stammt aus dem Dorf XXXX , Parachinar, Kurram Agency, Provinz Khyber Pakhtunkhwa in Pakistan. Seine Eltern sind bereits verstorben, in Pakistan sind noch zwei Brüder und sechs Schwestern, von denen vier verheiratet sind, aufhältig. Ferner hat der BF zwei Onkeln mütterlicherseits.

Der BF selbst hat von 1999 bis 2009 die Grundschule und von 2009 bis 2011 die oberen Klassen besucht. Von 2011 bis 2013 hat der BF ein Bachelorstudium absolviert, daneben half er in der elterlichen Landwirtschaft.

3.1.2. Der BF ist gesund, Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten haben sich keine ergeben.

3.1.3. Der BF hält sich seit Juni 2015 in Österreich auf. Er spricht verständliches Deutsch und besuchte Deutschkurse für die Stufen A1, A2 und B1. Er hat die Integrationsprüfung zum Werte- und Orientierungswissen und die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 erfolgreich absolviert (das Prüfungsergebnis der bereits absolvierten B1-Prüfung stand zum Zeitpunkt der Verhandlung noch aus). Er konnte ferner die ihm in der mündlichen Verhandlung in deutscher Sprache gestellten Fragen sofort verstehen und darauf spontan, verständlich und in freier Erzählung auf Deutsch antworten. Der BF verfügt über einen Führerschein der Klasse B und meldete am 09.04.2018 das Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ an. Der BF hat dafür PKWs angekauft, wobei er sich dafür Geld von Freunden ausgeborgt hat, welches er nach eigenen Angaben bereits wieder zurückgezahlt hat. Das obgenannte Gewerbe übt der BF seit 14.03.2019 aus, seitdem bezieht der BF keine Leistungen aus der Grundversorgung mehr. Er hat zwei Frachtverträge abgeschlossen und führt dabei Speisen (wobei er drei Euro pro Essens-Lieferung erhält) bzw. vertretungsweise Zeitungen aus. Er erzielt dabei – wie sich auch aus der vorgelegten Saldenliste vom September 2020 ergibt – Einkünfte in Höhe von ca. 4000-5000 Euro brutto, wobei er abzüglich all seiner Kosten (Miete und Auto) monatlich über ca. 1000-1500 Euro verfügt. Er ist selbsterhaltungsfähig und wohnt privat in einer Mietwohnung.

Der BF ist als junger Mann mit etwa 22 Jahren nach Österreich gekommen. Er hat mittlerweile auch seinen Lebensmittelpunkt, seine Freunde und sein soziales Netz in Österreich. Er pflegt guten Kontakt mit seinen österreichischen Arbeitskollegen und Familien bzw. Personen, die er bereits mehrere Jahre seit seiner Einreise in Österreich kennt, darunter die in der Verhandlung anwesende Vertrauensperson. Ferner engagiert er sich ehrenamtlich und hilft aktuell im Rahmen dieser Tätigkeit in der Corona-Krise älteren Personen und Risikogruppen bei der Besorgung der Einkäufe. Er wird auch – wie den Empfehlungsschreiben entnommen werden kann – als hilfsbereiter, verlässlicher und freundlicher Mensch beschrieben, der sehr um seine Integration bemüht ist.

Der BF ist irregulär in das Bundesgebiet eingereist. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Das Vorliegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen ist nicht bekannt.

4. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

4.1. Zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Identität des BF (Name und Geburtsdatum) ergeben sich aus seinen eigenen Angaben vor dem BFA und der Identifizierung durch die pakistanische Botschaft.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft sowie zu den Lebensumständen des BF stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Paschtu.

Die Identität des BF steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

Die Feststellungen zur Schulbildung des BF beruhen auf seinen eigenen, unbestrittenen Angaben. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand beruhen auf den eigenen Angaben des BF.

4.2. Zur Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung:

Die Abwägung der zu berücksichtigenden Interessen (Lebensumstände des BF, Privat- bzw. Familienleben, öffentliche Interessen) wurde in Beachtung der vorgelegten Belege, der Aussagen des BF und des von ihm in der Beschwerdeverhandlung erweckten persönlichen Eindrucks sowie von Auszügen aus dem Strafregister und dem Grundversorgungssystem vorgenommen.

5. Rechtliche Beurteilung:

5.1. Anzuwendendes Recht:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.       der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

5.2. Rechtlich folgt daraus:

Zu Spruchteil A):

5.2.1. Die gegenständliche, zulässige Beschwerde wurde rechtzeitig beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 27.04.2018 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

5.2.2. Zu den Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides:

5.2.2.1. Zu § 3 und 8 AsylG (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):

Hinsichtlich der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides erklärte der BF in der Verhandlung am 04.11.2020 durch seine ausgewiesene Vertretung ausdrücklich und unmissverständlich, die diesbezügliche Beschwerde zurückzuziehen. Diese Erklärung weist auch keine Hinweise auf das Vorliegen von Willensmängeln auf (vgl. VwGH 17.10.2013, 2011/21/0140; 17.04.2009, 2007/03/0040; 31.05.2006, 2006/10/0075; 11.07.2003, 2000/06/0173).

Die Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I. und II. bewirkt, dass diese Spruchpunkte des gegenständlich angefochtenen Bescheides des BFA in Rechtskraft erwachsen sind, weshalb das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des Bescheides spruchgemäß gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG einzustellen war (vgl. VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

5.2.2.2. Zu Spruchpunkten III. und IV. des angefochtenen Bescheides (Rückkehrentscheidung, Frist für die freiwillige Ausreise):

5.2.2.2.1. Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG. Dieser lautet samt Überschrift:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

5.2.2.2.2. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Abwägung, die durch Art. 8 EMRK vorgeschrieben wird, stehen die Interessen des Fremden an seinem Verbleib im Inland, die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützt sind, dem öffentlichen Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes gegenüber.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR sowie des VfGH und des VwGH jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der VwGH feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der VwGH hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwN). Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Der Aspekt der Bindungen zum Heimatstaat steht in direkter Beziehung zur Integration im Bundesgebiet: Je länger der Aufenthalt im Gastland, desto stärker wird der Verlust an Bindungen zum Heimatland sein. Mit der Abnahme von Bindungen zum Herkunftsstaat wird in der Regel auch der Integrationsgrad im Bundesgebiet zunehmen. [...] (Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 858 f.).

5.2.2.2.3. Vor dem Hintergrund der in § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG normierten Integrationstatbestände, die zur Beurteilung eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sind, ist in der gegenständlichen Rechtssache der Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF nicht durch die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen gerechtfertigt. Dies aus folgenden Gründen:

Der BF hält sich seit Juni 2015 in Österreich auf. Er spricht verständliches Deutsch und besuchte Deutschkurse für die Stufen A1, A2 und B1. Er hat die Integrationsprüfung zum Werte- und Orientierungswissen und die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 erfolgreich absolviert (das Prüfungsergebnis der bereits absolvierten B1-Prüfung stand zum Zeitpunkt der Verhandlung noch aus). Er konnte ferner die ihm in der mündlichen Verhandlung in deutscher Sprache gestellten Fragen sofort verstehen und darauf spontan, verständlich und in freier Erzählung auf Deutsch antworten. Der BF verfügt über einen Führerschein der Klasse B und meldete am 09.04.2018 das Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ an. Der BF hat dafür PKWs angekauft, wobei er sich dafür Geld von Freunden ausgeborgt hat, welches er nach eigenen Angaben bereits wieder zurückgezahlt hat. Das obgenannte Gewerbe übt der BF seit 14.03.2019 aus, seitdem bezieht der BF keine Leistungen aus der Grundversorgung mehr. Er hat zwei Frachtverträge abgeschlossen und führt dabei Speisen (wobei er drei Euro pro Essens-Lieferung erhält) bzw. vertretungsweise Zeitungen aus. Er erzielt dabei – wie sich auch aus der vorgelegten Saldenliste vom September 2020 ergibt – Einkünfte in Höhe von ca. 4000-5000 Euro brutto, wobei er abzüglich all seiner Kosten (Miete und Auto) monatlich über ca. 1000-1500 Euro verfügt. Er ist selbsterhaltungsfähig und wohnt privat in einer Mietwohnung.

Der BF ist als junger Mann mit etwa 22 Jahren nach Österreich gekommen. Er hat mittlerweile auch seinen Lebensmittelpunkt, seine Freunde und sein soziales Netz in Österreich. Er pflegt guten Kontakt mit seinen österreichischen Arbeitskollegen und Familien bzw. Personen, die er bereits mehrere Jahre seit seiner Einreise in Österreich kennt, darunter die in der Verhandlung anwesende Vertrauensperson. Ferner engagiert er sich ehrenamtlich und hilft aktuell im Rahmen dieser Tätigkeit in der Corona-Krise älteren Personen und Risikogruppen bei der Besorgung der Einkäufe. Er wird auch – wie den Empfehlungsschreiben entnommen werden kann – als hilfsbereiter, verlässlicher und freundlicher Mensch beschrieben, der sehr um seine Integration bemüht ist.

Der BF ist irregulär in das Bundesgebiet eingereist. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Das Vorliegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen ist nicht bekannt.

Insgesamt kann im Falle des BF von einer sehr guten Integration ausgegangen werden.

Der BF verfügt somit über ein schützenswertes Privat- bzw. Familienleben in erheblichem Ausmaß.

Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH 01.07.2009, U992/08 bzw. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216; 26.06.2007, 2007/01/0479 u.a.), im gegenständlichen Fall überwiegen aber aufgrund der dargestellten Umstände in einer Gesamtabwägung aller Umstände dennoch die privaten bzw. familiären Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründeten Rechtfertigungen erkennen lassen (vgl. VwGH 22.02. 2005, 2003/21/0096; vgl. ferner VwGH 26.03.2007, 2006/01/0595, sowie VfSlg 17.457/2005).

Die vom BFA im angefochtenen Bescheid erlassene Rückkehrentscheidung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan ist somit unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.

Wie dargestellt, beruhen die drohenden Verletzungen des Privat- und Familienlebens auf Umständen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

Da somit das Interesse an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens des BF im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt, war in Erledigung der Beschwerde die angefochtene Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan für auf Dauer unzulässig zu erklären.

5.2.2.2.4. Zur Aufenthaltsberechtigung:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in der geltenden Fassung ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 des § 10 Abs. 1 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur nachvollziehbar behauptet wurde. Der BF befindet sich seit Anfang Mai 2015 im Bundesgebiet, und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG werden Drittstaatsangehörigen folgende Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt:

1. "Aufenthaltsberechtigung plus", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt;

2. "Aufenthaltsberechtigung", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt;

3. "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. sind diese Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

§ 55 AsylG samt Überschrift lautet (BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch: BGBl. I Nr. 56/2018):

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Der erste Satz von § 5 Abs. 2 ASVG lautet:

"Ein Beschäftigungsverhältnis gilt als geringfügig, wenn daraus im Kalendermonat kein höheres Entgelt als 425,70 € (Anm. 1) gebührt.

[...]

Anm. 1:

gemäß BGBl. II Nr. 339/2017 für 2018: 438,05 €

gemäß BGBl. II Nr. 329/2018 für 2019: 446,81 €

gemäß BGBl. II Nr. 348/2019 für 2020: 460,66 €"

Der BF hat belegt, dass er das Gewerbe der Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt, legal ausübt, wobei mit seinem Einkommen von ca. 4000-5000 Euro brutto pro Monat jedenfalls die monatliche Geringfügigkeitsgrenze von 460,66 Euro nach § 5 Abs. 2 ASVG erreicht wird. Darüber hinaus hat der BF auch das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt.

Da der BF somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 und Z 2 erfüllt, ist spruchgemäß zu entscheiden und ihm eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen Grundlage für die zu treffende Entscheidung war.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Interessenabwägung Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Selbsterhaltungsfähigkeit Teileinstellung teilweise Beschwerderückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W241.2193823.1.00

Im RIS seit

22.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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