Entscheidungsdatum
12.11.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
W195 2169746-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat seinen Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2017, XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 und 5 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Feststellungen:
I.1. Dem Beschwerdeführer (im Folgenden BF), einem Staatsangehörigen von Bangladesch, wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom 07.10.2011 (erlassen am selben Tag), XXXX , der Status des Asylberechtigten zuerkannt, weil den Fluchtgründen des BF, homosexuell zu sein und deshalb Bangladesch verlassen zu haben, Glaube geschenkt wurde.
I.2. Am 25.08.2014 stellte die Ehefrau des BF für sich und ihren minderjährigen Sohn beim österreichischen Honorarkonsulat in XXXX Anträge auf Erteilung von Einreisetiteln gem. § 35 AsylG 2005.
I.3. Seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde nach Prüfung der vorgelegten Unterlagen und der Einvernahmen des BF mitgeteilt, dass die Gewährung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten oder Asylberechtigten im Rahmen des Familienverfahrens nicht wahrscheinlich sei. Das BFA führte dazu aus, dass die Bezugsperson den Asylstatus aufgrund Verfolgung wegen seiner homosexuellen Neigung und Kontakte erlangt habe. Die Ehe sei laut Erstbefragung vom 12.12.2010 nur aus Gefälligkeit den Eltern gegenüber eingegangen worden. Die Ehe sei arrangiert und keine Liebesheirat gewesen. Auf keinen Fall sei an eine Fortsetzung der Beziehung gedacht. Ein letztes Treffen mit der Gattin habe am 06.11.2010 stattgefunden. Die Gattin habe ihn gezwungen mit ihm zu schlafen, was er verweigert habe. Sie sei am nächsten Tag zu den Eltern gezogen. Einen weiteren Kontakt habe es nicht gegeben (Niederschrift vom 23.09.2011). Das Kind sei im Jahre 2007 nur der Frau zu Liebe zur Welt gekommen (Erstbefragung 12.12.2010). In zweiter Instanz wurden die Anträge auf Erteilung von Einreisetiteln gem. § 35 AsylG 2005 mit hg. Erkenntnissen vom 10.02.2016, XXXX abgewiesen.
I.4. Das Bundesverwaltungsgericht legte diese Erkenntnisse dem BFA mit E-Mail vom 25.03.2016 vor und führte darin folgendes aus:
„Der Ordnung halber wird dem BF folgender Sachverhalt zur weiteren Veranlassung übermittelt.
Das Bundesverwaltungsgericht ist im o.a. Fall der Ansicht, dass, wenn dies nicht bereits nach Erstellung der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose am 08.04.2015 durch das BFA erfolgt ist, ein Aberkennungsverfahren nach § 7 Abs. 1 lit. 2 AsylG zu prüfen wäre.
Herr XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 12.12.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.10.2011, XXXX , wurde dem Asylantrag stattgegeben und dem Antragsteller der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Am 27.02.2014 stellten Frau XXXX und der Minderjährige XXXX beide Staatsangehörige von Bangladesch, beim österreichischen Honorarkonsulat XXXX einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG 2005. Die Erstantragstellerin führte aus, dass sie Ehefrau von Herrn XXXX , geb. XXXX , StA: Bangladesch, sei. Sie seien seit 06.05.2006 verheiratet und sie wolle nun zu ihrem Ehemann nach Österreich, da der gemeinsame Sohn sich nichts sehnlicher wünsche als mit beiden Elternteilen zusammenzuleben.
Seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, RD Wien, vom 08.04.2015, XXXX ) wurde nach Prüfung der vorgelegten Unterlagen und Einvernahme der Bezugsperson mitgeteilt, dass die Gewährung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten oder Asylberechtigten im Rahmen des Familienverfahrens nicht wahrscheinlich sei. Das BFA führt dazu aus, dass die Bezugsperson den Asylstatus aufgrund Verfolgung wegen seiner homosexuellen Neigung und Kontakte erlangt habe. Die Ehe sei laut Erstbefragung vom 12.12.2010 nur aus Gefälligkeit den Eltern gegenüber eingegangen worden. Die Ehe sei arrangiert und keine Liebesheirat gewesen. Auf keinen Fall sei an eine Fortsetzung der Beziehung gedacht. Ein letztes Treffen mit der Gattin habe am 06.11.2010 stattgefunden. Die Gattin habe ihn gezwungen mit ihm zu schlafen, was er verweigert habe. Sie sei am nächsten Tag zu den Eltern gezogen. Einen weiteren Kontakt habe es nicht gegeben (Niederschrift vom 23.09.2011). Das Kind sei im Jahre 2007 nur der Frau zu Liebe zur Welt gekommen (Erstbefragung 12.12.2010).
Nunmehr hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren die negative Entscheidung der österreichischen Botschaft bestätigt und die Beschwerde als unbegründet abgewiesen (Entscheidung vom 10.02.2016 beiliegend).“
I.5. Am 19.07.2017 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er soweit wesentlich zu Protokoll, seitdem seine Eltern in den Jahren 2013 oder 2014 verstorben seien, keine homosexuellen Gefühle mehr zu haben. Er sei nicht mehr homosexuell. Seine Frau sei ihm auch nicht mehr böse aufgrund seiner homosexuellen Neigung in der Vergangenheit. Er habe Angst um seine Frau, weil diese mit dem Kind alleine sei.
I.6. Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen und im Spruch bezeichneten Bescheid erkannte das BFA den dem BF mit Bescheid vom 07.11.2011 XXXX , zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab, stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1?3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
Begründend führte das BFA aus, im Falle des BF sei § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erfüllt, weil keine asylrelevanten Fluchtgründe mehr bestünden. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.
I.7. Mit Schriftsatz vom 01.09.2017 erhob der BF durch XXXX gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin führt er im Wesentlichen aus, das BFA sei mit seiner Rechtsansicht nicht im Recht. Es habe den Sachverhalt nicht umfassend ermittelt und zudem falsch beurteilt. Der BF sei homosexuell gewesen, was in Bangladesch strafbar sei. Es sei zu keiner Verjährung gekommen. Daher hätte das BFA die Flüchtlingseigenschaft nicht aberkennen dürfen. Wenn das BFA die Ansicht vertrete, der BF sei nie homosexuell gewesen, hätte es die Wiederaufnahme des Verfahrens anstreben müssen. Auch das wäre jedoch nicht zulässig. Dem BF hätte zumindest ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werden müssen, weil er seit über sieben Jahren im Bundesgebiet sei und sozial und kulturell integriert sei. Er sei auch der deutschen Sprache hinreichend mächtig und verwaltungsstrafrechtlich und strafgerichtlich unbescholten.
In der Beschwerde werden die Anträge gestellt, den Bescheid zur Gänze zu beheben, in eventu, dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu, dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, in eventu, den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückzuverweisen, sowie, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
I.8. Festgestellt wird, dass der BF in Österreich strafrechtlich unbescholten ist und er im Zeitpunkt der Bescheiderlassung seinen Hauptwohnsitz in Bundesgebiet hatte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:
II.1. Beweiswürdigung:
Die Ausführungen oben zum Verfahrensgang und den Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich stützen sich auf einen aktuellen Strafregisterauszug.
Die Feststellungen zum Familien- und Privatleben einschließlich allfälliger Aspekte einer Integration in Österreich ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers.
Die Feststellung zum Wohnsitz des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung ergeben sich aus einer Abfrage im Zentralen Melderegister ( XXXX ), woraus hervorgeht, dass der Beschwerdeführer seit 04.09.2013 seinen Hauptwohnsitz in XXXX hat.
II.2. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA. Somit ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
II.2.1. Zu Spruchteil A ? Stattgabe:
Der mit „Aberkennung des Status des Asylberechtigten“ überschriebene § 7 AsylG 2005 lautet:
„(1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;
2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder
3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.
(2) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 wahrscheinlich ist.
(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt – wenn auch nicht rechtskräftig ? nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.
(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.“
Gemäß Art. 1 Abschnitt C GFK wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie
„1. sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat; oder
2. die verlorene Staatsangehörigkeit freiwillig wieder erworben hat; oder
3. eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des neuen Heimatlandes genießt; oder
4. sich freiwillig in den Staat, den sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder nicht betreten hat, niedergelassen hat; oder
5. wenn die Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, bestehen und sie daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.
6. staatenlos ist und die Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, sie daher in der Lage ist, in ihr früheres Aufenthaltsland zurückzukehren.“
Im konkreten Beschwerdefall ging das BFA ging von einem Endigungsgrund und somit von § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus. Begründet hat das BFA seine Entscheidung damit, dass der BF nunmehr heterosexuell sei und daher keine Gefahr mehr im Herkunftsstaat bestünde.
Dabei hat das BFA die Bestimmung des § 7 Abs. 3 AsylG 2005 übersehen.
Gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 kann das BFA einem Fremden der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das BFA ? wenn auch nicht rechtskräftig ? nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem NAG zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem BFA mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt werden.
Der BF ist nach wie vor unbescholten und hatte seinen Hauptwohnsitz jedenfalls bereits zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung des BFA im Bundesgebiet. Dem BF wurde der Status des Asylberechtigten mit Bescheid des BAA vom 07.10.2011, XXXX zuerkannt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFA am 11.08.2017 war dem BF bereits über fünf Jahre der Status des Asylberechtigten zugekommen.
Aus dem Verwaltungsakt geht nicht hervor, dass das BFA vor Bescheiderlassung die Niederlassungsbehörde verständigt hätte.
Auch im öffentlichen Recht ist bei einer Interpretation nach jenen grundlegenden Regeln des Rechtsverständnisses vorzugehen, die im ABGB für den Bereich der Privatrechtsordnung normiert sind. § 6 ABGB verweist zunächst auf die Bedeutung des Wortlautes in seinem Zusammenhang. Dabei ist grundsätzlich zu fragen, welche Bedeutung einem Ausdruck nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukommt. Dafür müssen die objektiven, jedermann zugänglichen Kriterien des Verständnisses statt des subjektiven Verständnishorizonts der einzelnen Beteiligten im Vordergrund stehen (vgl. dazu Bydlinski in Rummel, ABGB I § 6 Rz 1). In diesem Sinne vertreten auch Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (1996) 101 f., die Auffassung, dass die Bindung der Verwaltung an das Gesetz nach Art. 18 B-VG einen Vorrang des Gesetzeswortlautes aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Legitimation der Norm bewirke und den dem Gesetz unterworfenen Organen die Disposition über das Verständnis möglichst zu entziehen sei. Dies bedeute bei Auslegung von Verwaltungsgesetzen einen Vorrang der Wortinterpretation in Verbindung mit der grammatikalischen und der systematischen Auslegung sowie äußerste Zurückhaltung gegenüber der Anwendung sogenannter „korrigierender Auslegungsmethoden“.
Der Wortlaut des § 7 Abs. 3 AsylG 2005 ist eindeutig („Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt ? wenn auch nicht rechtskräftig ? nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat.“). Die strikte Bindung der Vollziehung an den Wortlaut der Gesetze auf Grund des Gesetzmäßigkeitsgebotes des Art. 18 Abs. 1 B-VG bewirkt einen Vorrang der Wortinterpretation vor anderen Auslegungsmethoden. Der Wille des Gesetzgebers findet dabei nur soweit Berücksichtigung, als er aus dem geschriebenen Gesetzestext hervorgeht. Nach Ansicht des Obersten Gerichthofes ist es nicht Aufgabe der Gerichte, durch zu weitherzige Interpretation rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen oder unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern (vgl. OGH 01.07.1992, 2 Ob 6/92).
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die vom BFA zur Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogenen Voraussetzungen der Aberkennung des dem BF zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 7 Abs. 3 AsylG 2005 zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht vorlagen, sodass sich die mit Spruchpunkt I. vorgenommene Aberkennung des Status des Asylberechtigten als nicht gerechtfertigt erweist. Da die weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides auf dessen Spruchpunkt I. aufbauen, ist dieser in Stattgabe der Beschwerde zur Gänze zu beheben (vgl. zu dem Ganzen auch das hg. Erkenntnis vom 22.06.2020, W147 1259498-2/12E).
Abschließend wird idZ festgehalten, dass das Bundesverwaltungsgericht das BFA mit E-Mail vom 25.03.2016 auf die Prüfung der Einleitung eines Aberkennungsverfahrens hingewiesen hat und das BFA bis zum Ablauf des 07.10.2016 die Möglichkeit gehabt hätte, einen diesbezüglichen Aberkennungsbescheid, der tatsächlich jedoch erst am 11.08.2017 erging, zu erlassen.
II.2.2. Absehen vom Durchführen einer mündlichen Verhandlung:
Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ist im vorliegenden Fall geklärt.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG konnte das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall von einer mündlichen Verhandlung absehen, weil die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Die gegenständliche Entscheidung war nach dem unbestrittenen Sachverhalt somit lediglich als Rechtsfrage zu beurteilen.
II.2.3. Zu Spruchteil B ? Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei den gegenständlichen Rechtsfragen – nämlich der Aberkennung des Asylstatus des BF - auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides ausführlich wiedergegeben.
Schlagworte
Aberkennung des Status des Asylberechtigten Asylaberkennung Aufenthaltsdauer Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Frist Fristablauf Hauptwohnsitz Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung behoben Unbescholtenheit VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W195.2169746.1.00Im RIS seit
22.01.2021Zuletzt aktualisiert am
22.01.2021