TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/17 W195 2180728-1

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Veröffentlicht am 17.11.2020
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Entscheidungsdatum

17.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W195 2180728-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch den Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2017, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.02.2020 und am 09.11.2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Es wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 20.02.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen einer am selben Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung gab er zu seinem Fluchtgrund befragt an, Parteimitglied der Jugendpartei der Bangladesch Nationalist Party (im Folgenden: BNP) zu sein. Die jetzige Regierungspartei habe gewollt, dass der BF zu ihnen wechsle. Nachdem er dies verweigert habe, habe er Morddrohungen erhalten und sei daraufhin geflüchtet. Sonst habe er keine Fluchtgründe. Im Fall einer Rückkehr befürchte er, ermordet zu werden.

I.2. Am 18.09.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.

Der BF führte eingangs aus, keine psychischen und physischen Probleme zu haben. Er sei wegen Bläschen unter seinen Achseln in Behandlung. Die Bläschen habe er letztes Jahr bekommen. Er nehme täglich Tabletten und habe in zwei Monaten wieder einen Kontrolltermin. Er glaube nicht, dass sein Ausschlag in Bangladesch behandelbar sei, da man in Österreich bereits seit einem Jahr versuche, diesen zu behandeln. In Bangladesch würden Menschen ins Ausland gehen, um medizinische Versorgung zu erhalten.

Im Rahmen der Einvernahme legte der BF eine Mitgliedbestätigung der Partei, eine bengalische Geburtsurkunde, zwei ÖSD Bestätigungen (A2 und B1), eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschtraining, Anmeldebestätigungen der Volkshochschule, diverse Deutschkursbesuchsbestätigungen, diverse Empfehlungsschreiben, diverse Bestätigungen für gemeinnützige Arbeit, ein Zeugnis sowie die Anmeldung an einem Abendgymnasium vor.

Zu seinen Verwandtschaftsverhältnissen befragt gab der BF an, dass sein Vater 2006 an Krebs verstorben sei und seine Mutter, seine zwei Brüder und seine fünf Schwestern in Bangladesch leben würden. Außerhalb Bangladeschs habe er keine Verwandten. Zu seiner Mutter und seiner restlichen Familie habe er circa einmal im Monat Kontakt.

Der BF gab zu seinen Verhältnissen in Bangladesch an, in XXXX geboren zu sein. Sein Vater sei ein Geschäftsmann gewesen, seine Mutter sei Hausfrau. Als der Vater des BF verstorben sei, habe die Familie von den Einnahmen der vermieteten Felder und dem Einkommen einer seiner Brüder gelebt. Aktuell besitze die Familie das Familienhaus, ein weiteres Haus und vier bis fünf Grundstücke, welche als Felder verpachtet seien. Finanziell sei es dem BF in Bangladesch gut gegangen.

Der BF habe drei Jahre einen Kindergarten und eine Grundschule und anschließend eine Koranschule besucht und abgeschlossen. Danach habe er eine Ausbildung als Koranübersetzer begonnen, welche er aber nicht abgeschlossen habe, weil er flüchten habe müssen. Neben seiner Ausbildung habe der BF ein wenig in der Landwirtschaft gearbeitet und freiwillig Menschen geholfen.

Zu seiner Flucht befragt, gab der BF an, dass er sich im Juni 2014 dazu entschlossen habe, Bangladesch zu verlassen. Im August habe er sein Heimatdorf verlassen und sei über XXXX nach XXXX gereist. Dort habe er sich circa 15 Tage bei einem Mitarbeiter aufgehalten. Danach sei er nach XXXX gegangen. Dort sei er nach seinem Vorhaben gefragt worden, weshalb er nach XXXX gereist sei, wo er 25-26 Tage aufhältig gewesen sei. Von dort habe der Parteivorgesetzte des BF die Ausreise des BF aus Bangladesch organisiert. Im November 2014 habe er Bangladesch verlassen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF im Wesentlichen an, in Bangladesch von der Polizei gesucht zu werden. Im Jahr 2012, während seiner Ausbildung, sei der BF immer sehr bemüht gewesen, Menschen zu helfen. Ihm sei daher nahegelegt worden, in die Politik zu gehen. Daraufhin sei er Mitglied bei der BNP und für diese Partei tätig geworden. Er habe Menschen über die Partei aufgeklärt und diese dazu bewegt, die Partei zu unterstützen. Sein direkter Vorgesetzter sei der Vorgesetzte einer Union, bestehend aus neun Dörfern, gewesen. Nach dem Beitritt des BF zur BNP hätten Menschen begonnen, gegen den BF zu sein, weil sie seine politische Gesinnung nicht gemocht hätten.

Am 05.01.2014 seien Wahlen gewesen, welche die Awami League gewonnen habe. Der BF habe auch danach seine Tätigkeit fortgesetzt. Im Juni 2014 sei er auf dem Heimweg gewesen, als vier bis sechs Personen auf ihn zugekommen seien und ihn gefragt hätten, weshalb er die BNP unterstütze. Zwei bis drei Wochen später sei er erneut am Heimweg von vermummten, dem BF unbekannten Personen, welche Schläger in der Hand gehabt hätten, verfolgt worden. Der BF sei auf dem Heimweg von einer Versammlung gewesen, wo er Vorträge gehalten habe. Der BF sei nach diesem Vorfall davongelaufen. Zwei Tage später sei er auf der Straße von Personen in einem Minibus aufgefordert worden, in den Bus zu steigen. Es seien auch Polizisten anwesend gewesen. Der BF sei zu einem „Revier“ gebracht worden, wo er aufgefordert worden sei, seine politischen Aktivitäten zu unterlassen. Die Polizei habe ihm gesagt, dass sie einen Auftrag von „oben“ hätten und sie so viele Anzeigen wie möglich gegen den BF erstatten könnten sowie dass sie die Macht hätten, den BF festzuhalten und ihn zu erschießen. Nachdem der BF ihnen 5600 Taka gegeben habe, hätten sie ihn freigelassen.

Der BF habe diesen Vorfall seinem Vorgesetzten geschildert und dieser habe ihm daraufhin gesagt, dass der erste Vorfall ganz normal wäre. Der zweite und dritte Vorfall hätte nicht passieren sollen, dies sei nicht üblich. Nach dem letzten Vorfall habe sich der BF versteckt gehalten. Am 16.08.2014 habe eine Veranstaltung der Awami League stattgefunden, weshalb der BF das Dorf Richtung XXXX verlassen habe. Der BF habe sich danach an unterschiedlichen Orten in Bangladesch aufgehalten und sei immer gefragt worden, welcher Partei er angehöre. Da sei ihm bewusst geworden, dass er in Bangladesch nirgends in Sicherheit leben könne.

Vor circa eineinhalb Monaten seien nachts Polizisten zur Mutter des BF nach Hause gekommen und hätten zu dieser gesagt, dass sie einen anonymen Anruf bekommen hätten, dass der BF wieder zu Hause sei, weshalb die Polizei das Haus durchsuchen müsse. Die Mutter habe der Polizei gesagt, dass der BF sich im Ausland aufhalte, aber diese habe trotzdem darauf bestanden, das Haus zu durchsuchen und gesagt, dass sie einen Durchsuchungsbefehl hätten. Die Frage der Mutter des BF, ob es eine Anzeige gegen den BF gebe, hätten sie nicht beantwortet.

I.3. Am 27.09.2017 erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA. Darin gab der BF im Wesentlichen ergänzend an, dass es ein großer Unterschied sei, ob man eine große Funktion in der Partei innehabe oder so wie der BF schon länger für die Partei tätig sei, denn dann erfahre keiner, wenn etwas mit einem passiert. Bei den großen Parteimitgliedern würde es jeder erfahren, aber bei den kleinen Mitgliedern wie dem BF spiele es keine Rolle. Der BF sei nicht nur ein einfaches Parteimitglied, sondern sein Rang sei nach dem Vorsitzenden, dem ersten und zweiten Sekretär und dem organisatorischen Sekretär. Der BF arbeite seit 2012 für die BNP, er sei aber kein aktives Mitglied. Der BF sei Sekretär für Kundmachungen gewesen.

Nachdem der BF eingehender zur BNP befragt wurde, gab er auf die Frage, weshalb gerade er ein derartiges Interesse bei der Gegenpartei Awami League hervorrufe, dass er verfolgt werde, an, dass er nicht wisse, warum sie so konzentriert gegen ihn gewesen seien, obwohl er lange darüber nachgedacht habe. Vielleicht weil er für die Werbung der Partei gearbeitet habe. Der BF habe keinen Kontakt zu anderen Kommunikationssekretären gehabt.

Als er das erst Mal in einem Polizeiauto mitgenommen worden sei, habe man ihn auf die Polizeistation in XXXX gebracht. Er sei von Polizisten in Zivilkleidung aus einem Minibus angesprochen worden. Von diesen Personen sei er ins Revier gebracht und dort gefragt worden, weshalb er die BNP mit seinen Vorträgen so unterstütze. Ein Polizist habe gesagt, dass der BF mit seinen Vorträgen ausreichend verdiene, und er nicht noch zusätzlich Politik betreiben müsse. Nachdem der BF den Polizisten 5600 Taka gegeben habe, hätten sie ihn freigelassen und ermahnt, dass er künftig seine Unterstützung für die BNP unterlassen solle. Der BF sei weinend nach Hause gegangen. Die Polizisten hätten dem BF verständlich gemacht, dass sie jederzeit eine Anzeige gegen ihn einbringen und ihn umbringen könnten.

Auf konkrete Nachfrage, weshalb der BF nach der Wahl am 05.01.2014 erneut Parteiwerbung für die BNP gemacht habe, gab er an, dass er nicht gezielt Parteiwerbung gemacht habe. Er sei verängstigt gewesen, weil er immer mehr Probleme bekommen habe. Sein Vorgesetzter habe ihm gesagt, dass es eine neue Wahl geben und die BNP ihr gerechte Ergebnis bekommen würde. Der BF habe im Jahr 2013 viele Vorträge gehalten, nach der Wahl nur mehr sehr wenige. Den letzten Vortrag habe er im April oder Mai 2014 gehalten. Bei diesem Vortrag sei es darum gegangen, dass auf Neuwahlen gehofft werde. Bei den Vorträgen seien jeweils zwischen 15 und 20 Personen anwesend gewesen. Für die Vorträge habe er lediglich nach dem Ermessen der Zuhörer Geld erhalten, er habe dafür kein richtiges Gehalt bekommen. Manchmal habe er seinen Vortrag nur vor einer Person gehalten und manchmal seien sie in einer Gruppe von fünf bis sieben Personen zusammengesessen und hätten über die BNP gesprochen. Es sei die offizielle Position des BF gewesen, Vorträge zu halten. Der Inhalt der Vorträge seien stets die Vorzüge der BNP gewesen. Wenn die BNP an die Macht kommen würde, wäre das ein Fortschritt in Bangladesch. Menschen würden in Freiheit leben können, die Polizei würde anders funktionieren und hätte nicht so viel Macht.

In Österreich mache der BF nichts für die Partei. Er kenne keine anderen Mitglieder der Partei, habe aber gehört, dass es in Wien welche geben solle.

Als sich der BF in anderen Teilen von Bangladesch aufgehalten habe, hätten sich zB in XXXX Personen nach ihm erkundigt. In XXXX seien Menschen auch neugierig geworden und auch in XXXX sei es ihm ähnlich ergangen. Der BF sei überzeugt davon gewesen, dass er Bangladesch verlassen müsse, um in Sicherheit zu sein.

Zum Leben in Österreich befragt, gab der BF zusammengefasst an, als Kochlehrling zu arbeiten und freiwillig beim XXXX zu helfen. Zwei Mal in der Woche besuche er ein Abendgymnasium und daneben einen Deutschkurs B2. Jedes Jahr besuche er zudem für zwei Monate eine Berufsschule. Fünf Monate lang habe er als Hausmeister gearbeitet. Sein Gehalt seien circa EUR 700. Er wohne in dem Hotel, in dem er arbeite; die Miete und Essen seien inkludiert. Er habe einen Deutschkurs B1 mit Prüfung erfolgreich abgeschlossen.

I.4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 22.11.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der vom BF vorgebrachte Sachverhalt in seiner Gesamtheit als nicht glaubhaft und nicht fluchtrelevant zu beurteilen gewesen sei. Der BF habe sich dadurch, dass er bei der Erstbefragung die Bedrohung durch Polizeibeamte nicht erwähnt habe, bereits bei den Kernaussagen seines Fluchtvorbringens selbst widersprochen. Im Vorbringen der zweiten Einvernahme vor dem BFA sei der Versuch einer unzulässigen Steigerung des bisherigen Vorbringens zu sehen.

Es sei dem BF zudem nicht gelungen, die Flagge der BNP zu beschreiben. In den vom BF vorgelegten Parteibestätigungen werde eine genaue Aufstellung, wann der BF begonnen habe und wie er Werbe-Sekretär geworden sei, vermisst. Es sei zudem offensichtlich, dass der BF diese Unterlagen im Nachhinein beschafft habe. Bei einer Parteibestätigung handle es sich nicht um ein staatliches Dokument, welchem man hohe Glaubwürdigkeit zusprechen könne. Der BF habe zudem den Anschein gemacht, dass er nicht wisse und lediglich vermute, dass die BNP nicht im Parlament vertreten sei. Als mehrjähriges und aktives Mitglied sei es ihm zuzumuten, die genaue Position seiner Partei im Parlament zu benennen, zumal er sogar Leute für die Partei angeworben haben soll. Wie aus dem Länderinformationsblatt hervorgehe, sei die BNP nach ihrem Wahlboykott am 05.01.2014 überhaupt nicht mehr im Parlament vertreten. Dies hätte dem BF bekannt sein und nicht auf seinem Glauben fundieren müssen. Weiters sei hervorzuheben, dass der BF nicht in der Lage gewesen sei, eine Schätzung über die landesweiten Mitglieder der BNP zu machen. Letztlich sei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass aufgrund der gehäuften Widersprüche und auftretender Unplausibilitäten die Schilderungen des BF mit der Tatsachenwelt nicht im Einklang stehen.

Es stehe dem BF frei, in seiner Heimat eine Arbeit anzunehmen, um seine Grundbedürfnisse zu sichern. Der BF habe mit seiner Familie zusammengelebt und es werde davon ausgegangen, dass dies auch im Fall einer Rückkehr des BF wieder möglich wäre und er Unterstützung von seiner Familie erhalten würde. Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage würden ebenfalls nicht vorliegen.

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" würden nicht vorliegen und würden zudem die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.5. Mit Schriftsatz vom 14.12.2017 wurde der Bescheid des BFA seitens des – rechtsanwaltlich vertretenen – BF zur Gänze angefochten.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF aufgrund seiner aktiven Tätigkeit einer allgemeinen und direkt seine Person betreffenden Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt gewesen sei. Der BF habe vor dem BFA die Arbeitsweise der BNP und den Aufbau sowie seine Tätigkeit bei der BNP und weshalb er verfolgt worden sei, detailliert geschildert. Es sei möglich und dürfe nicht überbewertet und als Widerspruch aufgezeigt werden, wenn der BF zB die Mitgliederzahl der BNP landesweit nicht wisse. Zwischen den Einvernahmen würden keine Widersprüche vorliegen, sondern nachvollziehbare unwesentliche Abweichungen. Der rote Faden sei bei allen Einvernahmen die politische oppositionelle Aktivität und Verfolgung gewesen. Da die politische Tätigkeit des BF von der belangten Behörde nicht näher erörtert worden sei, sei davon auszugehen, dass die Angaben bezüglich seiner Tätigkeit von der Behörde bejahrt worden seien.

Hinsichtlich der Situation des BF in Österreich wurde zusammengefasst angeführt, dass der BF in einer Lehrausbildung als Koch stehe und keine Unterstützung von der öffentlichen Hand beziehe. Er habe ein Dienstzimmer und erhalte von seinen Lehrherren auch Kost und Pflege. Er habe Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 und besuche seit 11.09.2017 ein Abendgymnasium. Er habe sich sowohl beruflich, sozial, gesellschaftlich und kulturell in Österreich integriert.

Der Beschwerde wurden unter anderem ein Arbeitszeugnis als Kochlehrling, diverse Deutschkursbestätigungen sowie Prüfungsbestätigungen für Deutsch A2 und B1, eine Bestätigung des XXXX über die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs, eine Anmeldebestätigung für das Abendgymnasium, eine Bestätigung über die Durchführung einer freiwilligen und ehrenamtlichen Tätigkeit des BF, ein Kulturpass, Kopien einer E-Card, einer Mitgliedskarte des XXXX von 2017, einer Karte der Stadtbücherei sowie einer Lehrlingskarte, sowie diverse Empfehlungsschreiben beigelegt.

I.6. Am 22.12.2017 legte das BFA die Beschwerde und den Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.7. In der Stellungnahme des anwaltlich vertretenen BF vom 12.07.2019 wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der BF bereits bei der Erstbefragung den wesentlichen Aspekt seines Vorbringens zu Protokoll gegeben habe. Vor dem Hintergrund des eingeschränkten Zwecks der Erstbefragung würden die in der Beweiswürdigung thematisierten Widersprüche geradezu konstruiert erscheinen. Der BF habe in der Einvernahme eine Mitgliedsbestätigung der BNP, ausgestellt am 13.08.2017, vorgelegt und angegeben, dass er seit 2012 in der Partei aktiv gewesen sei. Der BF habe sich am 13.08.2017 bekanntermaßen bereits in Österreich befunden, weshalb er die Ausstellung einer Bestätigung beantragt habe. Mitgliedsbestätigungen der BNP würden nur auf Ersuchen der jeweiligen Person ausgestellt, daher vermöge das Ausstellungsdatum nichts über die Dauer der Mitgliedschaft des BF auszusagen. Da die Erlangung der Bestätigung mit erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten verbunden gewesen sei, habe nur eine Urkunde ohne Stempel vorgelegt werden können. Eine Urkunde mit Stempel sei dem BF erst vor einem Monat übermittelt worden und werde mit dem gegenständlichen Schriftsatz in Kopie in Vorlage gebracht. Eine nähere Begründung, warum die Richtigkeit der vorgelegten Urkunde in Zweifel gezogen werde, sei dem Bescheid nicht zu entnehmen. Das BFA habe es unterlassen, sich näher mit der Echtheit der vorgelegten Urkunde auseinanderzusetzen. Das BFA hätte weitergehende Ermittlungen, beispielsweise durch Kontaktaufnahme mit Vertretern der BNP im Herkunftsstaat dazu anstellen müssen, ob es sich um eine authentische Mitgliedsbestätigung handle.

Zu einem vorgelegten Polizeiprotokoll aus Bangladesch wurde im Wesentlichen näher ausgeführt, dass die Mutter des BF Anfang Mai von Polizeibeamten kontaktiert und nach dem Aufenthaltsort des BF befragt worden sei. Der BF habe in Erfahrung bringen können, dass gegen ihn strafgerichtliche Ermittlungen geführt werden. Konkret werde dem BF angelastet, am 19.04.2019 einen bewaffneten Überfall verübt zu haben. Zum Zeitpunkt des Überfalles habe sich der BF jedoch bereits seit Jahren in Österreich aufgehalten, weshalb es sich offensichtlich um eine falsche Anschuldigung handle. Der BF bemühe sich, über Bekannte im Herkunftsstaat genauere Informationen zu erlangen, habe bis dato aber nichts über den weiteren Verlauf des Verfahrens in Erfahrung bringen können.

Zum Privat- und Familienleben des BF wurde auf die außergewöhnlichen Integrationsleistungen des bereits seit mehr als vier Jahre in Österreich aufhältigen BF, wie unter anderem die vorliegende Beschäftigungsbewilligung, die durch ÖSD Zertifikate nachgewiesenen Sprachkenntnisse auf Niveau B1 sowie zahlreiche Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten und Empfehlungsschreiben belegen, verwiesen. Der BF könnte sich aufgrund seiner Ausbildung als Koch bei einem weiteren Verbleib in Österreich selbst erhalten.

Es wurde zudem auf einige Länderberichte zur Lage von Anhängern der BNP verwiesen und der Stellungnahme ein Protokoll der Polizei in Bangladesch inklusive Übersetzung, eine Mitgliederliste der BNP inklusive Übersetzung, eine Mitgliedsbestätigung der BNP, eine Mitgliedsbestätigung des Vereins XXXX , ein Zeugnis eines Dienstgebers des BF, ein Schreiben eines weiteren Dienstgebers des BF, eine Beschäftigungsbewilligung vom AMS, ein Arbeiter-Dienstvertrag, eine Anmeldung zum Vorbereitungskurs für die Lehrabschlussprüfung beim WIFI, eine Bestätigung über die Teilnahme am römisch-katholischen Religionsunterricht, eine Urkunde einer Fachberufsschule über die hervorragenden sozialen Leistungen des BF, eine Schulungsteilnahmebestätigung, ein Jahreszeugnis der XXXX , sowie ein Empfehlungsschreiben von „ XXXX “ beigelegt.

I.8. Am 06.02.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Im Zuge der Verhandlung wurde der BF erneut ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Bangladesch befragt.

Eingangs wurden dem BVwG zusätzliche Unterlagen vorgelegt, insbesondere die Bestätigung der XXXX über die erfolgreiche Absolvierung der Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Koch vom XXXX und ein Arbeiterdienstvertrag der XXXX vom XXXX hinsichtlich eines befristeten Dienstverhältnisses bis XXXX .

Der – grundsätzlich gesunde – BF gab in der Verhandlung vor dem BVwG eingangs an, dass er „seit vielen Tagen“, seit „ein paar Monate“ keinen Kontakt zu seiner Familie habe. Erst durch präzises Nachfragen und nochmaligen Hinweis auf die Wahrheitsverpflichtung gab der BF zu, dass er regelmäßigen Kontakt hat. Er spreche mit seinen zwei Brüdern alle 1,5 bis zwei Monate, mit seinen 5 Schwestern so alle drei bis vier Wochen, auch zu seiner Mutter. Insgesamt, unter Beachtung dieser geänderten Angaben, erschien die Kontaktnahme auf Grund der Vielzahl der Familienangehörigen durchaus ein wöchentlicher zu sein. Der Familie dürfte es finanziell durchschnittlich gehen.

In Österreich hat der BF weder eine Beziehung noch Kinder. Er habe auch österreichische Freunde, mit denen er, soweit es die Arbeit zulässt, gerne Ausflüge und Wanderungen unternehme. Im Winter versuche er Schifahren zu lernen.

Festgestellt werden konnte, dass mit dem BF eine Konversation in deutscher Sprache relativ gut möglich ist. Der Sprachwortschatz ist ausreichend vorhanden und, wenn auch die Antworten nicht immer in vollen Sätzen erfolgte, konnte man den Antworten ohne geringe Aufmerksamkeit folgen.

Hinsichtlich seiner Selbsterhaltungsfähigkeit wurde festgestellt, dass der BF erfolgreich eine Lehre absolviert hat und die Lehrabschlussprüfung im Jänner 2020 absolvierte. Er sei in einem Sporthotel in XXXX befristet angestellt bis XXXX und erhalte für 54 Arbeitsstunden pro Woche monatlich brutto 2.450,17 €; dazu würde er im Hotel noch zusätzlich Verpflegung bekommen und könne benachbart zum Hotel in einer Dienstwohnung gratis leben.

Hinsichtlich seiner Fluchtgründe befragt gab der BF vor dem BVwG an, dass er Mitglied der BNP gewesen und aus politischen Gründen verfolgt worden sei. Genauer befragt gab der BF an, dass er „Werbesekretär“ gewesen sei, musste jedoch zugeben, keine Votar Card besessen zu haben.

Um die politische Verfolgung des BF und deren genauen zeitlichen Verlauf nachvollziehen zu können wurde der BF zuerst noch zu seinem Ausbildungsweg befragt. Dabei gab der BF an, dass er nach Abschluss der Grundschule in eine Koranschule ging, welche 2011 beendet wurde. Danach habe er bis 2013 die „Maulana“ Ausbildung gemacht, hätte diese jedoch nicht abgeschlossen, weil er politische Probleme bekommen habe. In diesem Punkt musste das BVwG feststellen, dass sich der BF gegenüber seinen Aussagen vor dem BFA, nämlich Abbruch der Maulana Ausbildung 2011, widersprach. Der BF sagte sodann auch aus, dass die Angaben in der Verhandlung vor dem BFA, Seite 180 des Verfahrensaktes, nicht der Wahrheit entsprechen würden, obwohl er diese Angaben auf der genannten Seite auch unterschrieben habe.

In die Politik sei er Mitte 2012 eingestiegen und hätten die Schwierigkeiten nach der Wahl 2014 begonnen. Diese Wahl sei von der BNP boykottiert worden, was – nach Diskussion vor dem BVwG – auch vom BF nicht als demokratischer Akt gewertet wurde. Gefragt, ob die Teilnahme der BNP bei der nächsten Wahl 2018 zu einer Verbesserung des demokratischen Geschehens in Bangladesch geführt habe, äußerte sich der BF allerdings dahingehend, dass es noch schlechter geworden sei, weil die Wahl nicht ordnungsgemäß abgelaufen sei.

Hinsichtlich seiner persönlichen politischen Verfolgung gab der BF an, dass sein fluchtauslösender Grund ein Überfall gewesen sei. Er sei von einer religiösen Sitzung auf der Rückkehr in sein Dorf gewesen. Es sei Nacht gewesen und er sei von „Führern der Awami-League angegriffen“. Worden. Er konnte zwar weglaufen und ihnen entfliehen, aber da habe er den Entschluss gefasst, Bangladesch zu verlassen.

Genauer zu diesem Vorfall befragt erklärte der BF, dass dieser Vorfall gegen Mitternacht in der Nähe zum Bananenwald erfolgte. Eine Straßenbeleuchtung gäbe es dort nicht und seien die Angreifer, zwei oder drei Personen, vermummt gewesen. Befragt, woher er denn wisse, dass die Angreifer Führer der Awami-League gewesen seine, meinte der BF, dass davor schon eine andere Person seiner Partei angegriffen worden sei. Er selbst sei mit niemandem verfeindet, „also kann das nur wegen der Partei sein.“

Ein zweiter Vorfall habe sich auf einer Polizeistation abgespielt. Er wollte sich wegen einer Stromrechnung beschweren und sei deshalb in einem „Microbus“ zur Polizeistation gefahren. Damit widersprach der BF widerum seinen Ausführungen vor dem BFA. (er habe „in XXXX ein paar Erledigungen [gemacht]. Auf dem Heimweg ging ich die Straße entlang. Ein Minibus hielt neben mir an. Zwei Menschen sprachen mich an. Der Eine fragte, wie ich heiße. Ich verriet ihm meinen Namen. Sie sagten ‚Du bist von XXXX Sie fragten mich, ob ich bei der Jamaat E Islami Partei sei. Ich verneinte und gab an, dass ich bei der BNP sei. Sie baten mich ins Auto zu steigen, wo ich gesehen habe, dass auch Polizisten anwesend waren. Wir sind nach XXXX , zum Revier XXXX gefahren“; AS 184). Im Laufe der polizeilichen Einvernahme sei er auch gefragt worden, welcher Partei er nahe stünde. Danach hätten die Polizisten ihn aufgefordert, sich lediglich der Religion zu widmen und nicht der von ihm genannten Partei. Sie hätten „Anweisung von oben“. Es liege zwar keine Anzeige gegen ihn vor, aber sie hätten gesagt, dass „sie mich jetzt sofort umbringen oder mehrere Anzeigen wegen mindestens 10 Tatbeständen anhängen könnten“. Danach habe einer der Polizisten dem anderen gesagt, er möge nachschauen, „was er alles bei sich hat“. Der BF führte sodann aus, dies sei „das … in unserem Land das übliche Bestechungsgeld, was sie immer nehmen“. Es sei ihm damals alles weggenommen worden, was er bei sich hatte. Er hätte Angst gehabt, dass ihm die Polizei noch eine Anzeige anhänge oder er ohne Anzeige entführt und getötet werde. Er habe daraufhin nach Rücksprache mit einem Vorgesetzten der BNP das Land verlassen.

Nunmehr würde, seit 25.04.2019, eine Anzeige gegen ihn vorliegen. Nachgefragt gab der BF, der Österreich seit seiner Ankunft im Jahr 2015 nicht verlassen hat, an, dass er dadurch auch beweisen könne, dass dies eine falsche Anzeige sei. Er habe jedoch keinen Anwalt in Bangladesch mit der Angelegenheit betraut, weil er ja nicht in Bangladesch sei.

Kleinere Korrekturen und Richtigstellungen konnten sodann nach der Rückübersetzung im Protokoll durchgeführt werden.

In weiterer Folge erließ das BVwG das Erkenntnis vom 26.02.2020, mit welchem der Beschwerde keine Folge gegeben wurde. Dieses Erkenntnis behob der Verfassungsgerichtshof mit Entscheidung vom 18.06.2020, E 1045/2020-11, und führte darin zusammengefasst aus, dass die vom BVwG aufgewiesene Widersprüchlichkeit in den Aussagen des BF nicht dem Akteninhalt zu entnehmen sei.

In weiterer Folge hat das BVwG am 09.11.2020 eine weitere mündliche Verhandlung durchgeführt, an der der BF, sein Rechtsanwalt sowie eine Dolmetscherin teilnahmen. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

Im Zuge der Verhandlung wurde der BF zu weiteren Details seines Vorbringens befragt. Er gab dazu an, dass keine „Votar-card“, welche zur Teilnahme an einer Wahl berechtige, bekommen habe, weil die regierende Partei in Bangladesch dies unterbunden habe, damit die gegnerischen Parteien weniger Stimmen erhalten. Er selbst sei Werbesekretär der oppositionellen BNP gewesen und habe versucht, neue Mitglieder für seine Partei zu werben.

Hinsichtlich des konkreten fluchtauslösenden Vorfalles gab der BF zu Protokoll, dass er unter Zwang zur Polizeistation gebracht worden sei; seine Aussage in der vorhergehenden Verhandlung, nämlich der freiwilligen Anwesenheit bei der Behörde, habe sich auf das „Stromamt“ bezogen, weil er sich über zu hohe Stromrechnungne beschweren wollte. Erst danach sei er mit einem Kleinbus unfreiwillig zur Polizei gebracht worden. Er sei dann in der Polizeistation bedroht und eingeschüchtert worden. Man habe ihm unrechtmäßiger weise auch 5.600 Taka abgenommen, danach habe man ihn entlassen.

Hinsichtlich des Überfalls im Bananenwald gab der BF nunmehr an, dass ihn bereits sein politischer Führer auf die Gefahr hingewiesen habe, dass er überfallen werden könnte. Da der BF sonst keine Feinde hätte können es nur die Mitglieder der gegnerischen Partei gewesen sein; er habe dafür keinen Beweis, aber das Indiz, dass auch andere seiner Parteikollegen gezielt überfallen worden seien. Es seien definitiv keine Diebe gewesen, die ihn überfallen hätten, da sie weder Geld noch sonst etwas verlangt hätten.

In weiterer Folge wurde noch das aktuelle Länderinformationsblatt und die Auswirkungen der Corona-Pandemie angesprochen. Der BF meinte zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie, dass das Problem weltweit existieren würde und alle hoffen, dass wir von dem Problem erlöst werden.

Zu seiner aktuellen Integration befragt gab der BF zu Protokoll, dass er keine Kinder und keine Beziehung habe. Er arbeite weiterhin in der Gastronomie und mache seine Ausbildung; sein guter Sprachwortschatz ermöglicht eine Unterhaltung in deutscher Sprache ohne große Probleme. Er habe manche Freunde unter den Arbeitskollegen, seine Freizeit sei spärlich. Er habe weiterhin regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie.

Da die belangte Behörde an der Verhandlung nicht teilnahm hat sie den vorgebrachten Argumenten des BF und seinen Ausführungen nichts entgegengesetzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali.

Der BF hat in Bangladesch eine Grundschule und anschließend eine Koranschule besucht. Nach dem Abschluss der Koranschule hat der BF eine Ausbildung als Koranübersetzer begonnen. Daneben arbeitete er in der Landwirtschaft und engagierte sich ehrenamtlich.

Das BVwG hält fest, dass der BF ein widersprüchliches Bild zu seiner religiösen Ausrichtung vermittelte. Zum einen sei er in einer Koranschule gewesen und habe eine Ausbildung zum Koranübersetzer abgebrochen. Zum anderen legte er eine „Teilnahmebestätigung“ der XXXX hinsichtlich der „erfolgreichen Teilnahme“ am römisch-katholischen Religionsunterricht vor, wobei im Jahreszeugnis keine Beurteilung im Gegenstand Religion, des mit „Religionsbekenntnis islam.“ ausgewiesenen BF erfolgte. Vor dem BVwG bestätigte der BF jedoch, „ein sehr religiöser Mensch“ zu sein.

Der Vater des BF ist 2006 an Krebs verstorben. Die Mutter, die zwei Brüder und die fünf Schwestern des BF leben in Bangladesch. Die Familie des BF besitzt ein Familienhaus und ein weiteres Haus sowie vier bis fünf Grundstücke, welche als Felder verpachtet werden. Die wirtschaftliche Situation der Familie des BF ist durchschnittlich bis gut. Der BF hat, wenn auch erst nach wiederholter Wahrheitserinnerung, ausgesagt zumindest einmal im Monat, wahrscheinlich sogar wöchentlich, Kontakt zu seinen Verwandten in Bangladesch.

Der BF absolvierte in Österreich in einem Hotel von Oktober 2016 bis Mai 2019 eine Lehre als Koch ohne Lehrabschlussprüfung und arbeitet seit Juni 2019 in einem Hotel als Koch. Der BF verfügte im Zeitraum 19.07.2016 bis 18.10.2019 über eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Koch (Lehrling/Auszubildender) und im Zeitraum 07.06.2019 bis 31.10.2019 eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Koch. Am 11.09.2017 meldete sich der BF an einem Abendgymnasium für Berufstätige an. Der BF hat an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen, mehrere Deutschprüfungen, zuletzt Niveau B1, erfolgreich absolviert und sich in Österreich regelmäßig ehrenamtlich engagiert.

Der BF hat im Jänner 2020 eine Lehrabschlussprüfung erfolgreich bestanden und einen befristeten Arbeitsvertrag bis XXXX vorgelegt. Er verdient für 54 Arbeitsstunden pro Woche monatlich brutto 2.450,17 €; dazu würde er im Hotel noch zusätzlich Verpflegung bekommen und könne benachbart zum Hotel in einer Dienstwohnung gratis leben.

Der BF bildet sich weiter in seinem Beruf fort.

Von Oktober 2015 bis Februar 2016 übte der BF eine ehrenamtliche Tätigkeit als Hausmeister aus. Er ist Mitglied beim österreichischen XXXX und Mitglied des Vereins XXXX . Der BF hat Freunde und Bekannte in Österreich.

Im Bundesgebiet befinden sich keine Familienangehörigen des BF.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF ist arbeitsfähig und gesund.

II.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Der BF behauptet als Werbesekretär für die BNP tätig gewesen zu sein; er habe jedoch eine Votar-card, welche notwendig ist, um zur Wahl zu gehen, erhalten, weil dies die regierende Partei unterbunden habe.

Es wird festgestellt, dass der BF eine politische Verfolgung gegen seine Person behauptet, weil er eines Nachts von „Führern der Awami – League“ angegriffen worden sei. Dieser Vorfall in der Nacht, ohne Straßenbeleuchtung, durchgeführt von zwei bis drei vermummten Personen, schreibe er den politischen Gegnern zu, weil der BF „sonst keine Feinde habe“. Dazu befragt gab der BF an, dass auch andere Mitglieder seiner Partei bewusst von Mitgliedern der gegnerischen politischen Partei überfallen worden seien, um sie einzuschüchtern.

Festgestellt wird, dass der BF behauptet aus politischen Gründen von Polizisten verfolgt zu werden. Der BF schilderte in der letzten Verhandlung vor dem BVwG, dass er unter Zwang zur Polizeistation gebracht worden sei, er bedroht und eingeschüchtert wurde und man ihm unrechtmäßigerweise Geld abgenommen habe.

Dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes folgend wird festgestellt, dass der BF aus politischen Gründen in seinem Herkunftsland einer konkret gegen seine Person gerichteten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen ist oder ihm im Falle seiner Rückkehr eine solche droht.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

1.       Politische Lage

Letzte Änderung: 19.8.2020

Bangladesch – offizielle Bezeichnung Volksrepublik Bangladesch (People's Republic of Bangladesh/Ga?apraj?tantr? B??l?de?) ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² (CIA 13.3.2020) leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 13.3.2020; vgl. GIZ 3.2020, AA 6.3.2020a). Bangladesch ist mit 1.127 Einwohnern pro Quadratkilometer der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt (zum Vergleich: Österreich 104 Einwohner pro km²) (WPR o.D.; vgl. AA 6.3.2020a).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 92 Landkreise bzw. Großstädte (Upazilas / City Corporations), über 4.500 Gemeindeverbände (Union Councils / Municipalities) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 8.2019). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 8.2019). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300, in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 8.2019) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei, unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB 8.2019).

Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 8.2019).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 8.2019; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020).

Seit 2009 ist Sheikh Hasina Wazed von der AL Premierministerin (GIZ 11.2019a; vgl. ÖB 8.2019). Im Jänner 2019 wurde sie für ihre vierte Amtszeit – die dritte Amtszeit in Folge – als Premierministerin angelobt. Im Februar 2019 gab sie bekannt, dass sie nach dieser Amtszeit an die „junge Generation“ übergeben wolle (DW 14.2.2019).

Wahlen und Willensbildungsprozess

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen Erdrutschsieg mit 96 % der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. BN24 31.12.2018, DT 27.1.2019, DW 14.2.2019), wobei in zwei Wahlkreisen aufgrund von Gewalt (DS 10.1.2019) bzw. dem Tod eines Kandidaten Nachwahlen notwendig waren (DT 27.1.2019).

Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen. Die Regierungspartei wies die Manipulationsvorwürfe und Neuwahlforderungen zurück und nannte die Wahl „völlig frei und unabhängig“ (BBC 31.12.2018). In einer vorläufigen Bewertung erklärten Wahlbeobachter der SAARC (South Asian Association for Regional Cooperation), dass die Wahl „viel freier und fairer“ ablief als die vorherigen (Hindu 1.1.2019). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 30.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden mindestens 17 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet (Reuters 1.1.2019).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist (GIZ 11.2019a). Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

1.       Quellen:

2.       AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.3.2020a): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 1.4.2020

3.       AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020

4.       BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 6.4.2020

5.       BN24 - Bangla News 24 (31.12.2018): Grand alliance wins 288 seats, https://www.banglanews24.com/english/national/article/73191/Grand-alliance-wins-288-seats, Zugriff 7.3.2019

6.       BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 5.8.2020

7.       CIA – Central Intelligence Agency (13.3.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 1.4.2020

8.       DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls,https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 6.4.2020

9.       DT – Dhaka Tribune (8.12.2018): EC rejects Khaleda Zia’s candidature by majority decision, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2018/12/08/khaleda-zia-s-appeal-remains-pending, Zugriff 7.3.2019

10.      DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 6.4.2020

11.      DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereintern Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 2.4.2020

12.      FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

13.      GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 24.3.2020

14.      GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 24.3.2020

15.      Guardian, The (30.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 6.4.2020

16.      Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 6.4.2020

17.      HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 1.4.2020

18.      HRW - Human Rights Watch (13.12.2018): Bangladesh: Crackdown as Elections Loom, https://www.ecoi.net/de/dokumet/n1454483.html, Zugriff 6.4.2020

19.      ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (8.2019): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail

20.      Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 6.4.2020

21.      USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 24.3.2020

22.      WPR – World Population Review (o.D.): World Countries by Population Density 2020, http://worldpopulationreview.com/countries/countries-by-density/. Zugriff 6.4.2020

2.       Sicherheitslage

Letzte Änderung: 19.8.2020

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch die nachhaltige Einschüchterung der Opposition, wie auch der mit ihr verbündet geltenden Kräfte, sowie der kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft ausgebaut (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere Opposition, Islamisten, Studenten) geht nach wie vor in vielen Fällen Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 27.7.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 29.3.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). 2017 kam es zu fünf Selbstmordattentaten mit Todesfolge, zu denen sich der Islamische Staat bekannte (BMEIA 18.3.2020; vgl. SATP 2.4.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna. Am 29.2.2020 erfolgte ein Anschlag auf die Polizei in Chittagong, bei welchem auch improvisierten Sprengkörper (IEDs) eingesetzt worden sind. Einige Operationen gegen mutmaßliche Militante haben ebenfalls zu Todesfällen geführt (UKFCO 29.3.2020b). Extremistische Gruppen führen Angriffe auf Angehörige vulnerabler Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; AA 21.6.2020). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für die Vorfälle sind. Sicherheitsbehörden reagieren manchmal nicht zeitnah auf religiös motivierte Vorfälle (AA 21.6.2020).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben. Es gibt Berichte über Sicherheitsprobleme, Protestkundgebungen sowie Gewalttätigkeiten und Unruhen sowohl in der örtlichen Bevölkerung als auch unter den Bewohnern der Lager, nachdem ein lokaler politischer Führer ermordet worden ist (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019).

Im März 2019 wurden bei den Kommunalwahlen im Gebiet Baghicahhari im Norden des Distrikts Rangamati mehrere Wahl- und Sicherheitsbeamte getötet (UKFCO 29.3.2020a).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzwächtern. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 29.3.2020a).

Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 263 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2018 waren es 135 solcher Vorfälle und 2019 wurden 104 Vorfälle registriert. Bis zum 15.8.2020 wurden im Jahr 2020 58 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 17.8.2020).

23.      Quellen:

24.      AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 5.8.2020

25.      AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020

26.      AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 2.4.2020

27.      ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 6.3.2019

28.      AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 2.4.2020

29.      BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (27.7.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 5.8.2020

30.      FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

31.      HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 4.2.2020

32.      SATP – South Asia Terrorism Portal (17.8.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 17.5.2020

33.      TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 15.1.2020

34.      UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (29.3.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 4.2.2020

35.      UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (29.3.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 4.2.2020

36.      USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 24.3.2020

3.       Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 19.8.2020

Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem „Scharia Recht“. Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen „Common Law“. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem „High Court“, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem „Appellate Court“, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 8.2019).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 8.2019). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).

Auf Grundlage mehrerer Gesetze („Public Safety Act“, „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, „Women and Children Repression Prevention Act”, „Special Powers Act“) wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese „Speedy Trial“-Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zum Tode verurteilt (ÖB 8.2019).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom 30.12.2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019).

37.      Quellen:

38.      AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020

39.      FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

40.      FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020

41.      ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (8.2019): Asylländerbericht Bangladesch

4.       Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 19.8.2020

Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat, die innere Sicherheit sowie Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regier

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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