TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/19 W159 1424313-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.11.2020
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Entscheidungsdatum

19.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W159 1424313-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.07.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.10.2020, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 8 Abs 4, 9 Abs 1 Z 1, 9 Abs 4, 57, 10 Abs 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und §§ 55 Abs 1-3 sowie 53 Abs 1 und 3 FPG 2005 mit der Maßgabe abgewiesen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von XXXX nach Afghanistan zulässig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsbürger und Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe stellte nach irregulärer Einreise am 11.11.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach einer Erstbefragung am 12.11.2011 erfolgte am 02.01.2012 die Einvernahme durch das Bundesasylamt. Dabei gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er aus der Provinz Baghlan stamme, keine Schule besucht habe, aber dennoch Lesen und Schreiben könne und als Landwirt gearbeitet habe. Zu den Fluchtgründen gab er an, dass es eine jahrelange Fehde mit einer verfeindeten Familie gegeben habe und dass bereits vier Personen seiner Familie getötet worden seien. Dann habe einer seiner Brüder einen der Söhne der gegnerischen Familie getötet und den Beschwerdeführer aufgefordert, die Tat auf sich zu nehmen, während der Bruder selbst ausgereist sei. Der Beschwerdeführer habe dies nicht gewollt und sei in der Folge auch ausgereist.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.01.2012, XXXX wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und dem Beschwerdeführer unter Spruchpunkt II. der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und weiters die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgesprochen (Spruchpunkt III.).

Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, der Beschwerdeführer lapidare und vage Behauptungen aufgestellt habe und überdies widersprüchliche Angaben gemacht habe und es auch nicht nachvollziehbar sei, warum seinem Bruder viele Jahre nach der letzten Ermordung eines Familienangehörigen die Idee gekommen sei, seinerseits die Blutrache auszuüben. Außerdem sei dem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Beschwerdeführer eine inländische Fluchtalternative in Kabul zumutbar.

Aufgrund der fristgerecht eingebrachten Beschwerde führte das Bundesverwaltungsgericht drei mündliche Verhandlungen am 11.09.2014, am 25.11.2014 und am 10.02.2015 durch, zu denen auch ein länderkundlicher Sachverständiger beigezogen wurde. Der Beschwerdeführer gab u.a. an, dass er mehrere Städte Afghanistan, auch Mazar-e Sharif, bereits besucht habe. Vor seiner Ausreise nach Europa sei er ca. 2010 in die Türkei gereist, aber wieder nach Afghanistan zurückgeschoben worden. Nach Vorhalt des länderkundlichen Gutachtens korrigierte der Beschwerdeführer seinen Namen auf XXXX und gab weiters an, dass er nicht mehr in der Türkei, sondern auch zwei Jahre in Pakistan und drei Jahre im Iran gelebt habe. In der Beschwerdeverhandlung vom 10.02.2015 zog der Beschwerdeführervertreter die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. zurück, hielt sie jedoch hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte ausdrücklich aufrecht. Der länderkundliche Sachverständige bestätigte nach Recherchen vor Ort die Herkunft des Beschwerdeführers und hielt fest, dass die Sicherheitslage in der Heimatprovinz Baghlan besonders prekär sei. Die Taliban seien dort überall präsent. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in der Heimatregion des Beschwerdeführers, der keine spezielle Ausbildung habe, werde er dort kaum eine Arbeit finden. Man könnte ihm in seiner Region, laut Informanten, auch nicht wirklich helfen.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.03.2015, Zl. XXXX wurde dem Beschwerdeführer unter Spruchteil I. der Status eines subisidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und unter Spruchpunkt II. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.03.2016 erteilt. In der Begründung bezog sich das Bundesverwaltungsgericht auf die oben im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Ausführungen des länderkundlichen Sachverständigen. Eine inländische Fluchtalternative wurde nicht eigens geprüft.

Der Beschwerdeführer stellte am 06.02.2020 einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

Mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 27.06.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung §§ 15, 202 Abs 1 STGB und des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 STGB zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten, davon zwölf Monate bedingt unter einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt, weil er das namentlich genannte Opfer gewaltsam in die Wohnung zerrte, zu Boden warf, sich auf sie legte, küsste, ihr dabei den Mund zuhielt, um sie dabei am Schreien zu hindern, am Oberkörper und an der Oberschenkelinnenseite streichelte und geschlechtlich zu nötigen versucht habe und im Anschluss daran ihr wieder die persönliche Freiheit entzogen habe, indem er die Tür absperrte und sie zumindest über einen Zeitraum von einer halben Stunde gegen ihren Willen in der Wohnung festgehalten habe. In dem Urteil wurde beweiswürdigend festgehalten, dass das Opfer die Vorfälle glaubhaft geschildert habe und eine überaus glaubwürdige und keinesfalls zur Übertreibung neigenden Eindruck hinterlassen habe, während der Angeklagte sich lediglich leugnend verantwortet habe. So sei die Behauptung, dass er dem Opfer lediglich zwei Finger auf den Mund gelegt habe, um sie zu beruhigen, keineswegs mit der objektiv eingetretenen Verletzung an der Lippe des Opfers im Einklang zu bringen und waren auch die durch die Ambulanzkarte des Landeskrankenhauses XXXX objektivierten Prellungen keineswegs mit einem – wie der Beschwerdeführer behauptet habe – einvernehmlichen Umtrunk zu vereinbaren. Der Umstand, dass die Schwester und die Mutter des Opfers das Opfer beim Nachhausekommen in aufgelöstem Zustand gesehen hätten, wobei diese von einem versuchten sexuellen Übergriff gesprochen habe, seien geeignet gewesen, die Glaubwürdigkeit des Opfers zu unterstreichen. Der Angeklagte habe sogar letztlich zugegeben, dass das Opfer mehrfach den Wunsch geäußert habe, gehen zu wollen und auch geschrien zu haben. Die Verantwortung des Angeklagten, dass der Schlüssel der Wohnung angesteckt gewesen sei und es ihr freigestanden wäre, die Wohnung zu verlassen, sei als lebensfremd zu betrachten gewesen. In der Strafzumessung wurde als erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen sowie die bei der Zeugin eingetretenen Verletzungen im Zuge der Tathandlung, als mildernd leglich der Umstand, dass es bei der geschlechtlichen Nötigung beim Versuch geblieben sei, gewertet. Da eine frühere Verurteilung nicht einschlägig gewesen sei und es bei dem strafbestimmenden Delikt auch beim Versuch geblieben sei, sei die Freiheitsstrafe teilbedingt auszusprechen gewesen.

Der Angeklagte erhob dagegen Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde an den obersten Gerichtshof, welcher mit Beschluss vom 13.11.2019 Zl. XXXX die Nichtigkeitsbeschwerde zurückwies und die Entscheidung über die Berufung an das Oberlandesgericht Graz zurückverwies.

Das Oberlandesgericht Graz gab mit Urteil vom 05.02.2020 der Berufung keine Folge, weil festgehalten wurde, dass von einem längeren Wohlverhalten seit der Tat keine Rede sein könne. Gänzlich bedingte Strafnachsicht stünden spezial- und generalpräventive Gründe entgegen, weil eine solche einen für den Angeklagten abträglichen Bagatellisierung eines Delliktes gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung nach sich ziehen würde.

Mit Schreiben vom 06.03.2020 teilte das Landesgericht Graz der belangten Behörde mit, dass somit das erstinstanzliche Urteil in Rechtskraft erwachsen ist.

Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung wurde von der belangten Behörde dem Beschwerdeführer schriftlich das Parteiengehör mit Schreiben vom 20.06.2020 hinsichtlich der beabsichtigten Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unter Setzung einer Frist von 7 Tagen zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt. Dazu gab der Beschwerdeführer an, dass er gesund und mittlerweile verlobt sei, da seine Familie für ihn eine Frau ausgesucht habe. Er habe aber keine Lebensgefährtin. In Afghanistan habe er nur drei Monate die Schule besucht, in Österreich habe er Deutschkurse und Prüfungen A1 und A2 abgelegt. Er sei selbsterhaltungsfähig und arbeite nunmehr (nach coronabedingter Unterbrechung) seit 10.05.2020 wieder bei der Firma XXXX , wobei er von dieser Firma auch eine Werkswohnung zur Verfügung gestellt bekommen habe. Er sei in Österreich bei keinem Verein oder Organisation tätig, habe aber auch Freunde und Arbeitkollegen, aber keine Angehörigen. Er verfüge über kein Reisedokument, im Herkunftsstaat lebten noch seine Mutter, seine drei Brüder (zwei verheiratet) sowie zwei ebenfalls verheiratete Schwestern und weitere Onkel und Tanten, mit denen er keinen Kontakt habe. Ca. zwei- bis dreimal im Jahr habe er Kontakt mit seiner Mutter und seinen Brüdern. Jene Probleme, die ihn seinerzeit veranlasst hätten, seine Heimat zu verlassen, würden noch immer bestehen. Er habe Angst vor den Dorfleuten und sei vor fünf Jahren sein Bruder umgebracht worden. Das habe er erst vor einem Jahr erfahren. Seine Familie und auch die Familie seiner Schwägerin würden ihn unter Druck setzen, dass er diese heiraten solle. Er wolle diese aber nicht heiraten, sondern habe bereits eine andere Verlobte. In Afghanistan gebe es keine Sicherheit für ihn, er drohe in Armut abzurutschen, während er in Österreich ein schützenswertes Privatleben führe. Der Beschwerdeführer legte eine Bescheinigung über einen Erste-Hilfe-Kurs, einen Arbeitsvertrag der Firma XXXX , ein Deutschzertifikat A2 sowie ein Zeugnis über ein XXXX vor.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 08.07.2020, IFA-Zahl XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen, unter Spruchteil II. der Status des subsidiär Schutzberechtigen von amtswegen aberkannt, unter Spruchteil III. die befristete Aufenthaltsberechtigung als subisidiär Schutzberechtigter entzogen, unter Spruchteil IV. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchteil V. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt VI. die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Afghanistan für unzulässig erklärt, unter Spruchpunkt VII. die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen Frist gelegt und unter Spruchpunkt VIII. ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang wiedergegeben und die Beweismittel aufgezählt, sowie die Länderfestellungen zu Afghanistan getroffen. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die Angaben zur Person glaubwürdig wären, es jedoch nicht glaubhaft sei, dass er verlobt sei, zumal er angegeben habe, dass die Familie eine Frau für ihn ausgesucht habe, er habe jedoch andererseits angegeben habe, dass sein Vater bereits verstorben sei und er zu den männlichen Angehörigen keinen Kontakt habe, zumal diese in seinem Kulturkreis eine Verlobung vereinbaren würden, sei dies nicht schlüssig. Die Gründe für die Aberkennung des subsidiär Schutzberechtigten würden sich aus dem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt ergeben. Aufgrund der volatilen Sicherheitslage im Staat Afghanistan, insbesondere in seiner Heimatprovinz Baghlan könne derzeit eine Gefährdung seiner Person bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht ausgeschlossen werden, außerdem hätte er geringe Schulbildung und geringe Berufserfahrung und könnte seine persönlichen Bedürfnisse nicht selbstständig befriedigen.

Rechtlich begründend wurde Spruchteil I. und II. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer von einem inländischen Gericht wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung verurteilt worden sei. Wenn es bei der Straftat auch „nur“ beim Versuch geblieben sei, so könne festgestellt werden, dass der Bescheidadressat nicht willig sei, die herrschenden Rechtsnormen zu befolgen und könne daher keine positiven Zukunftsprognosen erstellt werden. Zu Spruchteil III. wurde ausgeführt, dass die Aberkennung des Status des subisidär Schutzberechtigten auch mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung zu verbinden sei. Zu Spruchpunkt IV. wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Verhaltens keine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle (?) und kein Opfer von Gewalt sei.

Zu Spruchpunkt V. wurde nach Darlegung der bezughabenden gerichtlichen Bestimmungen ausgeführt, dass die Kernfamilie des Beschwerdeführers nicht im Bundesgebiet aufhältig sei und er Familienangehörige im Herkunftsstaat habe, mit denen ein regelmäßiger Kontakt bestehe. Ein Familienleben in Österreich habe nicht festgestellt werden können. Hinsichtlich eines Privatlebens habe der Beschwerdeführer auch enge Kontakte zu Personen in Österreich, die zu einem Daueraufenthalt in Österreich berechtigt sind, nicht glaubhaft vorgebracht. Er finanziere wohl seinen Lebensunterhalt durch Arbeit, sei aber im Bundesgebiet wiederholt straffällig geworden und es würden daher die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit das Privatinteresse des Beschwerdeführers in Österreich zu bleiben überwiegen und sei daher eine Rückkehrentscheidung zulässig, zumal ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt worden sei.

Zu Spruchpuntk VI. wurde kurz ausgeführt, dass die Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei und der Beschwerdeführer daher im Bundesgebiet geduldet wäre, seine Ausreiseverpflichtung bleibe jedoch unberührt und Gründe für die Verlängerung der freiwilligen Ausreise hätten nicht festgestellt werden können (Spruchpunkt VII.).

Zu Spruchpunkt VIII. wurde insbesondere dargelegt, dass gem. § 53 FPG gegen einen Drittstaatangehörigen, der zu einer bedingt oder teilbedingten nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden sei, ein Einreiseverbot in Dauer von höchstens zehn Jahren verhängt werden könne. Der Beschwerdeführer stelle wegen der Verurteilung aufgrund eines Verbrechens zu einer achtzehnmonatigen Freiheitsstrafe eine massive Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Bei der Dauer des Einreiseverbotes sei der bisherige ordentliche Lebenswandel gewürdigt worden und sei ein Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer notwendig, um die vom Beschwerdeführer ausgehende schwerwiegende Gefahr, Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

Gegen diesen Bescheid erhob der Adressat, vertreten durch den XXXX , fristgerecht gegen alle Spruchpunkte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Insbesondere wurde ausgeführt, dass die Aberkennung des subsidiären Schutzes nach der Judikatur nicht alleine darauf gestützt werden könne, dass der Fremde wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei, sondern sei auf die konkreten Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen gewesen wäre, was die Behörde unterlassen habe. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung erschöpfe sich in einer Aneinanderreihung von floskelhaften Textbausteinen. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer die Gefängnisstrafe bis dato noch nicht habe antreten müssen, auch nicht, dass er sich jahrelang ruhig und rechtskonform verhalten habe. Ein weiteres Indiz, welches eine Gefahr für die Gemeinschaft ausschließe, sei jenes, dass der Beschwerdeführer lediglich zu einer bedingten Haft von achtzehn Monaten verurteilt worden sei und die verhängte Strafe weit unter der möglichen Höchststrafe liege. Durch die Aberkennung des Status des Asylberechtigten würden wesentliche Rechtspositionen, wie der Zugang zum Arbeitsmarkt, verloren gehen, die erfolgte Verurteilung würde diese Konsequenzen nicht rechtfertigen. Der Beschwerdeführer verfüge auch über ein schützenswertes Privatleben in Österreich, zumal er sich elf Jahre im Bundesgebiet aufhalte, er seine Deutschkenntnisse verbessert habe und sich am Arbeitsmarkt integriert habe. Der Beschwerdeführer sei auch seit seiner zweiten Verurteilung im Juli 2019 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er bereue die Tat, sodass ein auf acht Jahre befristetes Einreiseverbot unverhältnismäßig hoch sei.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 13.10.2020 an. Die Ladung konnte dem Beschwerdeführer erst im Wege der Polizei zugestellt werden. Die belangte Behörde ließ sich für die Nichtteilnahme entschuldigen. Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung einer Mitarbeiterin des XXXX . Diese legte einen Arbeitsvertrag mit der Firma XXXX sowie eine Arbeitsbestätigung der genannten Firma vor.

Der Beschwerdeführer hielt die Beschwerde und das bisherige Vorbringen aufrecht, wollte jedoch korrigieren, dass in den letzten Einvernahmen der Name falsch geschrieben worden sei und zusätzlich angeben, dass er bereits seit sechzehn Jahren kaum Kontakt zu seiner Familie habe. Er habe hart gearbeitet und das Geld für die Ausreise schwer erkämpft. Sei richtiger Name sei XXXX . Er habe darüber keine Dokumente, aber dieser Name stehe auch auf seinem (Asyl-)Bescheid. Gefragt, warum er im Asylverfahren einen falschen Namen angegeben habe, gab er an, dass er Angst gehabt habe hier von irgendjemanden verraten oder aufgedeckt zu werden. Dr. RASULY sei Zeuge, dass sein Bruder getötet worden sei, das sei ihm viele Jahre verheimlicht worden. Erst nach einer Frage der Dolmetscherin sei er skeptisch geworden und habe seine Familie angerufen. Diese habe ihm gesagt, dass sein Bruder getötet worden sei. Er gehöre außer Afghanistan keinem Staat an, sei sunnitischer Moslem und Tadschike. Er bete zwar, aber zur Zeit sei er aber nicht streng religiös. Bis zu seiner Ausreise habe er in Afghanistan gewohnt. Bei der Durchreise sei er auch im Iran, in der Türkei und in Griechenland gewesen. Mit ungefähr sechzehn Jahren habe er Afghanistan verlassen. Gefragt, ob er nicht auch einmal in Pakistan gewesen sei, gab er an, dass er nicht nach Afghanistan zurückgekehrt sei und auch sonst keine Ausflüge in andere Länder gemacht habe. Er habe im Jahr 2016 einen Fremdenpass erhalten, aber trotzdem Österreich nicht verlassen. In Afghanistan habe er in der Provinz Baghlan im Destrikt XXXX gelebt. Sonst habe er sich nirgends in Afghanistan aufgehalten. In Afghanistan habe er nur ungefähr zwei bis drei Monate die Schule besucht, er habe sich aber selbst das Lesen und Schreiben beigebracht und habe dort als Taglöhner gearbeitet. Gefragt, ob seine Familie eine Landwirtschaft gehabt habe, verneinte er dies. Sie hätten nur ein Haus gehabt. Sie hätten auch wirtschaftliche Probleme in Afghanistan gehabt. Seit 11.11.2011 halte er sich in Österreich auf. Außer seiner Familie habe er in Afghanistan niemanden mehr. Seine Brüder seien schon verheiratet und lebten getrennt in ihren eigenen Familien. Sein Vater sei am ersten Ramadan verstorben, ungefähr eineinhalb Jahre vor seiner zweiten Einvernahme, am 21. Ramadan im gleichen Jahr sei dann sein Bruder getötet worden, seine Mutter lebe noch. Sein Bruder habe einer Person 20.000 Afghani geborgt, welcher er zurückhaben wollte und sei vor der Haustüre erschossen worden. Er habe zu seiner Mutter und seinem Bruder indirekten Kontakt. Seine Mutter wohne derzeit mit der Frau seines verstorbenen Bruders und seinen Kindern zusammen, auch ein anderer Bruder, der psychisch krank geworden sei, wohne mit ihnen gemeinsam. Er habe zwei verheiratete Schwestern und drei Brüder, die noch am Leben seien. Es gehe ihnen nicht gut. Gefragt, ob er das näher ausführen könne, gab er an, dass es seiner Mutter gesundheitlich ziemlich schlecht gehe, sie höre kaum noch etwas und sehe fast nichts mehr. Seinem Bruder gehe es auch psychisch nicht gut. Er müsse für zwei Familien finanziell aufkommen. Er gehe in der Früh hinaus und komme erst spät am Abend nachhause. Seine Brüder könnten sich in Afghanistan nur selbst schwer über Wasser halten, sie könnten ihm daher bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan nicht helfen.

Er habe keine organischen oder psychischen Probleme, es gehe ihm gut. Er habe in Österreich zuerst für zwei Jahre in einem Hotel gearbeitet, dann in einer Baufirma, er sei jetzt bei der dritten Firma namens XXXX . Er habe 2014/2015 den A1- und den A2-Kurs gemacht und die diesbezüglichen Diplome auch erworben. Seit 2016 arbeite er regelmäßig. Einen Pflichtschulabschluss habe er nicht gemacht. Er sei nicht verheiratet, aber seit seiner Kindheit verlobt. Seine Verlobte lebe in Afghanistan und studiere das letzte Jahr Rechtswissenschaften. Sowohl seine Familie als auch er stünden stark unter Druck, dass sie unbedingt heiraten sollten. Er habe Angst um sie, denn sie wohne in einer Gegend, die stark von den Taliban besetzt werde, ungefähr eine Stunde Fußweg von seinem Heimatdorf entfernt. Das Leben dort sei durch die Taliban sehr schwer. Seine Verlobte habe zwei Brüder, die von der Früh bis am Abend arbeiten gehen würden, um die Familie über Wasser zu halten, es gehe ihnen aber finanziell nicht gut. Seine Verlobte habe auf der Universität WLAN, er könne mit ihr dort sprechen und finanziere er ihr Studium.

Er habe keine Kinder in Österreich und sei auch nicht in irgendwelchen Vereinen oder Institutionen Mitglied, habe aber 2013/2014 neun Monate lang bei einer Firma gearbeitet und dort kaputte Fahrräder und Motorräder repariert, die nach Bangladesh oder Afrika geschickt worden seien. Er habe österreichische Freunde und nannte diese auch mit dem Namen. Zum Vorhalt, dass im Strafregisterauszug eine Verurteilung wegen Hehlerei, sowie eine Verurteilung wegen geschlechtlicher Nötigung und Freiheitsentziehung aufscheine, gab er an, dass er in einer guten und ehrenvollen Familie aufgewachsen sei und so etwas nie machen würde. Das Opfer sei auch gar nicht befragt worden. Hinsichtlich der Hehlerei erzählte er, dass er ein Fahrrad von einem angeblichen Italiener, der Geld für die Rückfahrt gebraucht habe, gekauft habe, mit dem Fahrrad ungefähr eineinhalb Jahre gefahren sei, dann wären zwei Menschen auf ihn zugekommen und hätten gesagt, dass das ihr Fahrrad sei und sei er dann selbst zur Polizei gegangen. Er habe in den besten Restaurants von Velden gearbeitet und dort nie Probleme gehabt.

Gefragt, in welcher Beziehung er zu Frau XXXX gestanden sei, gab er an, dass er sie nicht persönlich gekannt habe und auch nicht mit ihr befreundet gewesen sei. Er habe sie durch einen Freund kennengelernt. Sie habe ihn viel über seinen Freund ausgefragt. Sie haben oft Schimpfworte benutzt und auch ihr Bruder habe kein Benehmen gehabt. Gefragt, wie alt das Opfer im Zeitpunkt der Tat am 25.06.2018 gewesen sei, gab er an, dass jedesmal, wenn sie sich getroffen hätten, er nicht länger als fünfzehn Minuten mit ihr gesprochen hätte. Sie hätte viel über sich geredet und ihn über einen Freund ausgefragt. Bei der Verhandlung sei ihm auch aufgefallen, dass sie sowohl sein Geburtsdatum als auch seinen Namen und seine Adresse gewusst habe, was er ihr persönlich nicht gesagt habe. Er habe ihren Bruder oft angesprochen und darum gebeten, dass er sie zur Verhandlung mitnehme und sie dem Richter die Wahrheit sage. Er sei in Wahrheit unschuldig und sie habe gelogen. Sein Bruder habe gesagt, dass wenn sie die Beschwerde zurückziehen würde, würden alle Gerichtskosten auf sie fallen, deswegen bleibe sie bei ihrer Aussage. Sie habe ihrem Bruder aber auch gesagt, dass sie nicht den Mumm dazu habe, vor dem Richter zu lügen. Er sei ungerecht behandelt worden und das angebliche Opfer sollte befragt werden. Gefragt, wann er seine Haftstrafe antreten werde, gab er an, dass er eine Beschwerde eingereicht habe und um eine weitere Verhandlung gebeten habe. Er warte auf den nächsten Termin. Er habe auch Papiere aus XXXX und XXXX zuhause.

Gefragt, was mit ihm geschehen würde, wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde, gab er an, dass er seit sechzehn Jahren nicht mehr in seiner Heimat gewesen sei und die Hälfte seines Lebens in Europa verbracht habe. Er habe sich hier der Kultur angepasst, arbeite hier, habe Freunde, er möchte hier in Frieden leben und sich eine gute Zukunft aufbauen. In Afghanistan lebe seine Familie in ärmlichen Verhältnissen. Ein Bruder sei getötet worden, der andere leide unter psychischen Problemen. Er wäre eine zusätzliche Last für sie. Das Leben hätte in Afghanistan keinen Wert für ihn, er kann sich nur ein Leben hier in Österreich vorstellen. Über Vorhalt, dass er relativ jung, gesund und arbeitsfähig sei und Berufserfahrung habe, ob er sich nicht in Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen könne, gab er an, dass der einzige Zufluchtsort für ihn in ganz Afghanistan eine Moschee wäre, doch dort wäre er auch nicht sicher. Die Taliban würden vor allem dort hingehen und würden sich junge Männer holen. Es herrsche dort Krieg und Elend. Er werde dort nicht als Mensch gesehen und habe keine Rechte.

Über Befragung der Beschwerdeführervertreterin gab der Beschwerdeführer an, dass er sowohl seine Kernfamilie als auch seine Verlobte unterstütze und dass er einen Kredit aufgenommen habe und diesen zurückzahle. Abschließend führte der Beschwerdeführer aus, dass er um eine Chance bitte, denn die Anklagen seien alles Missverständnisse und ungerecht. Er werde diese eines Tages aufklären und beweisen, dass es nicht so gewesen sei. Er könne vor dem Tod nicht weglaufen, denn dieser werde ihn entweder treffen durch Corona oder durch einen Autounfall, aber er wisse, dass er in Afghanistan auf jeden Fall getötet werde und bat nicht dorthin zurückgeschickt zu werden.

Den Verfahrensparteien wurde eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme zu den relevanten Teilen des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation eingeräumt.

Die Vertreterin des Beschwerdeführers machte von diesem Recht Gebrauch und führte zunächst hinsichtlich des Aberkennungstatbestandes des § 9 Abs 2 Z 3 AsylG aus, dass dieser eine Einzelfallprüfung, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne der Statusrichtlinie vorliege, erfordere. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles könne eine derartige schwere Straftat im Falle des Beschwerdeführers nicht angenommen werden, denn es handle sich um die erste Haftstrafe, die bis dato nicht angetreten worden sei, die Straftat liege schon zweieinhalb Jahre in der Vergangenheit, eine Allgemeingefährdung der Sicherheit der Republik Österreich sei daher nicht erkennbar. Außerdem liege bei einem Strafrahmen des Deliktes des § 202 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten, davon zwölf Monaten bedingt nachgesehen, am unteren Ende der Skala und sei ein weiteres Indiz, dass keine Gefahr mehr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit vom Beschwerdeführer ausgehe.

Zu einer eventuellen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs 1 Z 1 Fall 2 AsylG wurde darauf hingewiesen, in dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.03.2015, mit dem dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei, auf die äußerst schlechte Sicherheitsfrage in der Provinz Baghlan, der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, hingewiesen worden sei. Daraus wurde gefolgert, dass aufgrund der volatilen Sicherheitslage und der fehlenden Ausbildung des Beschwerdefühers eine Abschiebung unzulässig sei. Eine grundlegende Änderung dieser Umstände habe sich aufgrund der zur Verfügung stehenden Länderberichte nicht ergeben und sei Baghlan weiterhin eine der volantilen Provinzen Afghanistans.

Zu der individuellen Situation des Beschwerdeführers sei anzumerken, dass er seit sechzehn Jahren nicht mehr in Afghanistan gewesen sei und dass auch seine Familie finanziell schlecht gestellt sei. Zur ausgesprochenen Rückkehrentscheidung wurde darauf hingewiesen, dass der unbescholtene Beschwerdeführer (?!) neun Jahre durchgehend im österreichischen Bundesgebiet lebe und sich um eine umfassende Integration bemühe, selbsterhaltungsfähig sei und sich eine private Wohnung leisten könne. Es würden daher die privaten Interessen des Beschwerdeführers für einen Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen. Es sei ihm daher angesichts der Länderberichte und der individuellen Lage eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, wurde am XXXX in der Provinz Baghlan geboren, gehört der tadschikischen Volksgruppe an und ist sunnitischer Moslem.

Er hat in Afghanistan nur drei Monate die Schule besucht und dort als Gelegenheitsarbeiter gearbeitet. Seine Mutter, drei Brüder und zwei Schwestern leben nach wie vor in Afghnistan. Er steht mit seiner Mutter und einem Bruder in Kontakt. Weiters ist der Beschwerdeführer verlobt. Seine Verlobte studiert im letzten Abschnitt Rechtswissenschaften und ist er mit dieser in ständigem Kontakt. Die Familien drängen auf eine Heirat. Der Beschwerdeführer unterstützt von Österreich sowohl seine Kernfamilie als auch seine Verlobte. In Österreich führt der Beschwerdeführer kein Familienleben, er ist vollständig gesund. Der Beschwerdeführer befindet sich seit 11.11.2011 ununterbrochen in Österreich.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich wie folgt rechtskräftig verurteilt:

1.       Mit Urteil des BG Klagenfurt vom 02.12.2015 wegen § 164 Abs 1 StGB, Zl. XXXX eine Strafe von vierzig Tagessätzen und

2.       Mit Urteil des LG Klagenfurt vom 27.06.2019 Zl. XXXX , wegen § 99 Abs 1 StGB und § 15 iVm § 202 StGB zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten, davon zwölf Monate bedingt auf drei Jahre.

In diesem Urteil wurde als erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen und einem Vergehen sowie die Verletzungen des Opfers im Zuge der Tathandlung, als mildernd nur der Umstand gewertet, dass es bei der geschlechtlichen Nötigung beim Versuch geblieben ist. Der Beschwerdeführer leugnet nach wie vor die Tat und ist in keiner Weise schuldeinsichtig. Der Beschwerdeführer ist selbsterhaltungsfähig, er arbeitet bei der Firma XXXX und hat ein Deutschdiplome A1- und A2 erworben. Er hat österreichische Freunde.

Zu Afghanistan wird verfahrensbezogen Folgendes festgestellt:

1. Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

Quellen:

-        AnA – Andolu Agency (19.7.2020): Turkey suspends Iran and Afghanistan flights, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/turkey-suspends-iran-and-afghanistan-flights-/1915627, Zugriff 20.7.2020

-        AnA – Andolu Agency (18.7.2020): Afghanistan: Virus cases hit low as testing declines, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-virus-cases-hit-low-as-testing-declines/1914895, Zugriff 20.7.2020

-        Arab News (10.7.2020): Coronavirus-hit Afghanistan gets $200 million World Bank grant, https://www.arabnews.com/node/1702656/world, Zugriff 20.7.2020

-        BBC – News (30.6.2020): Coronavirus overwhelms hospitals in war-ravaged Afghanistan, https://www.bbc.com/news/world-asia-53198785, Zugriff 20.7.2020

-        DS – Daily Sabah (19.7.2020): Turkey suspends flights to Iran, Afghanistan amid COVID-19 outbreak, https://www.dailysabah.com/business/transportation/turkey-suspends-flights-to-iran-afghanistan-amid-covid-19-outbreak, Zugriff 20.7.2020

-        FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (16.7.2020): Afghanistan Revised humanitarian response Coronavirus disease 2019 (COVID-19) May–December 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-revised-humanitarian-response-coronavirus-disease-2019-covid-19-may, Zugriff 20.7.2020

-        JHU - John Hopkins Universität (20.7.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 20.7.2020

-        Mangalorean (19.7.2020): Afghanistan launches new COVID-19 relief package, https://www.mangalorean.com/afghanistan-launches-new-covid-19-relief-package/, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (16.7.2020): Strategic Situation Report COVID-19, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Afghanistan%20-%20Strategic%20Situation%20Report%20-%20COVID-19%2C%20No.%2062%20%2816%20July%202020%29.pdf, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (15.7.2020): COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 15 July 2020, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/operational_sitrep_covid-19_15_july_2020.pdf, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (8.7.2020): Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 8 July 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-covid-19-multi-sectoral-response-operational-situation-report-8-july, Zugriff 20.7.2020

-        PT – Pakistan Today (17.9.2020): Trade with Afghanistan increased 25pc despite Covid-19, NA told, https://profit.pakistantoday.com.pk/2020/07/17/trade-with-afghanistan-increased-25pc-despite-covid-19-na-told/, Zugriff 20.7.2020

-        RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (16.7.2020): Antwortschreiben, per Mail

-        TN – Tolonews (19.7.2020): Afghan Goods Enter India Through Wagah Border, https://tolonews.com/business/afghan-goods-enter-india-through-wagah-border, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (18.7.2020a): Afghan Govt Launches New COVID-19 Relief Package, https://tolonews.com/afghanistan/afghan-govt-launches-new-covid-19-relief-package, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (18.7.2020b): Health Ministry’s COVID-19 Strategy Questioned, https://tolonews.com/health/health-ministry%E2%80%99s-covid-19-strategy-questioned, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (12.7.2020): Afghanistan Faces Catastrophe if Health Measures Not Heeded: AIMA, https://tolonews.com/health/afghanistan-faces-catastrophe-if-health-measures-not-heeded-aima, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (14.7.2020): Herat Health Dept Warns of Second Wave of COVID-19, https://tolonews.com/afghanistan/herat-health-dept-warns-second-wave-covid-19, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (20.7.2020): Turkey Suspends Flights to Afghanistan and Iran, https://tolonews.com/business/turkey-suspends-flights-afghanistan-and-iran, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolo News (5.4.2020): 300-Bed Hospital Opened for COVID-19 Patients in Herat, https://tolonews.com/health/300-bed-hospital-opened-covid-19-patients-herat, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolo News (19.3.2020): Govt Builds 100-Bed Hospital in Herat for COVID-19 Patients, https://tolonews.com/health/govt-builds-100-bed-hospital-herat-covid-19-patients, Zugriff 20.7.2020

-        WB – World Bank (10.7.2020): World Bank: $200 Million for Afghanistan to Protect People, Support Businesses Amid COVID-19, https://reliefweb.int/report/afghanistan/world-bank-200-million-afghanistan-protect-people-support-businesses-amid-covid, Zugriff 20.7.2020

-        WFP – World Food Programme (15.7.2020): Afghanistan: Countrywide Weekly Market Price Bulletin, Issue 9 (Covering 2nd week of July 2020), https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-countrywide-weekly-market-price-bulletin-issue-9-covering-2nd-week, Zugriff 15.7.2020

-        WFP – World Food Programme (5.2020): WFP Afghanistan Country Brief May 2020, https://docs.wfp.org/api/documents/WFP-0000116792/download/, Zugriff 20.7.2020

-        WHO – World Health Organization (20.7.2020): Coronavirus disease (COVID-19) Dashboard, https://covid19.who.int/?gclid=EAIaIQobChMIjryr5qHb6gIVkakYCh3mbwOQEAAYASABEgIpyPD_BwE, Zugriff 20.7.2020

-        WHO – World Health Organization (o.D.): Afghanistan - Hospital and laboratory services http://www.emro.who.int/afg/programmes/hospital-and-laboratory-services.html, Zugriff 20.7.2020

-        UNICEF (19.4.2020): Female-headed households bear the brunt of Covid-19 as livelihood gaps increase, https://www.unicef.org/afghanistan/stories/female-headed-households-bear-brunt-covid-19-livelihood-gaps-increase, Zugriff 20.7.2020

Stand 29.6.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Quellen:

AF - Asia Foundation (24.6.2020): Afghanistan’s Covid-19 Bargain, https://asiafoundation.org/2020/06/24/afghanistans-covid-19-bargain/, Zugriff 26.6.2020

AJ - al-Jazeera (8.6.2020): Afghan schools, universities to remain closed until September, https://www.aljazeera.com/news/2020/06/afghan-schools-universities-remain-closed-september-200608062711582.html, Zugriff 26.6.2020

AnA – Andolu Agency (24.6.2020): Afghanistan resumes international flights amid COVID-19, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-resumes-international-flights-amid-covid-19/1888176, Zugriff 26.6.2020

GN – Gulf News (9.6.2020): COVID-19: Emirates to resume regular passenger flights to Kabul from June 25, https://gulfnews.com/uae/covid-19-emirates-to-resume-regular-passenger-flights-to-kabul-from-june-25-1.71950323, Zugriff 26.6.2020

HRW - Human Rights Watch (18.6.2020): School Closures Hurt Even More in Afghanistan, https://www.hrw.org/news/2020/06/18/school-closures-hurt-even-more-afghanistan, Zugriff 26.6.2020

JHU -John Hopkins Universität (26.6.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 26.6.2020

RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (19.6.2020): Antwortschreiben per Mail, liegt bei der Staatendokumentation auf.

TN – Tolonews (15.6.2020): Govt Will Resume Bread Distribution: Palace, https://tolonews.com/afghanistan/govt-will-resume-bread-distribution-palace, Zugriff 29.6.2020

TN – Tolonews (15.6.2020): Poor Claim ‘Unjust’ Bread Distribution in Jawzjan, https://tolonews.com/afghanistan/poor-claim-%E2%80%98unjust%E2%80%99-bread-distribution-jawzjan, Zugriff 29.6.2020

UNHCR – (20.6.2020): Border Monitoring Update COVID-19 Response 14-20 June 2020, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/77302, Zugriff 26.6.2020

WHO – World Health Organization (25.3.2020): Coronavirus disease 2019 (COVID-19) Situation Report –65, https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200325-sitrep-65-covid-19.pdf?sfvrsn=2b74edd8_2, Zugriff 16.4.2020

WP -

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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