Entscheidungsdatum
20.11.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
W177 1426318-2/34E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Volker NOWAK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3.Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, Außenstelle Innsbruck vom XXXX , Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.10.2020, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG beträgt Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Dem Beschwerdeführer (nunmehr: „BF“), einem Staatsangehörigen Afghanistans, wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (nunmehr: „BVwG“) vom XXXX , Zl. XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten gewährt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
2. Am 04.11.2017 wurde gegen den BF aufgrund des Verdachts der Begehung eines Suchtmitteldelikts die Untersuchungshaft verhängt. Aufgrund dessen wurde gegen den BF am 30.11.2017 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten von Amts wegen eingeleitet.
3. Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nunmehr „BFA“) am 18.12.2017, gab der BF an, dass er gesund sei und er an keinen physischen oder psychischen Problemen leide. In seinem Heimatland würden noch seine beiden Brüder und sein Onkel leben. Zu diesen Personen habe er seit einem Jahr aber keinen Kontakt mehr. Auch zu seinen in Afghanistan lebenden Freunden habe er ebenfalls keinen Kontakt mehr. In Afghanistan habe er als Hilfsarbeiter auf Baustellen gearbeitet. Er habe von seiner Geburt an bis zu seiner Ausreise im Jahr 2011, abgesehen von einem sechsmonatigen bis einjährigen Aufenthalt im Kindesalter in Pakistan, durchgehend in Afghanistan gelebt. Seine Muttersprache sei Paschtu. Er sei ledig und habe keine Kinder, jedoch sei er in Österreich seit 2013 in einer Beziehung. Mit ihm verwandte Personen habe er in Österreich keine.
Vor seiner Inhaftierung habe er ein Lehrverhältnis einvernehmlich gekündigt und sich um eine neue Stelle beworben. Dort habe er bereits Schnuppertage absolviert und ein positives Feedback erhalten. Er habe hier ein paar afghanische und österreichische Freunde und wolle die Lehre beenden. Er habe die Hauptschule und Berufsschule besucht und daher auch entsprechende Deutschkenntnisse. Danach wurden dem BF die Länderfeststellungen zur aktuellen politischen Lage und Sicherheitslage in Afghanistan ausgefolgt und dem BF eine Frist zur Stellungnahme bis 02.01.2018 eingeräumt. Ein sonstiges Vorbringen zum Aberkennungsverfahren habe der BF nicht mehr gehabt.
4. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 23.08.2018 wurde der BF wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 1.Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2.Fall SMG; § 28a Abs. 1 5.Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate unter einer Probezeit von drei Jahren bedingt, verurteilt.
5. Das BFA hat mit Bescheid vom 04.05.2018 den mit Erkenntnis vom XXXX ZI. XXXX zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 und § 7 Abs 1 Z 2 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK aberkannt und zugleich gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung werde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Unter Spruchpunkt VIII. wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm 53 Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Begründend wurde zusammengefasst festgehalten, dass der BF am 23.03.2018 wegen Suchtgifthandels und sohin aufgrund eines besonders schweren Verbrechen rechtskräftig verurteilt worden sei und deshalb ihm der zuerkannte Status des Asylberechtigten zu entziehen gewesen sei. Die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (§ 8 AsylG) begründete die belangte Behörde weitgehend damit, dass der BF eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar sei, weil er sich zuletzt in Kabul aufgehalten habe und er dort noch über verwandtschaftliche Kontakte verfügen würde Sonstige Rückkehrbefürchtungen habe der BF nicht behauptet. Er könne in der Heimat auf die Unterstützung von in Kabul lebenden Familienangehörigen zurückgreifen. Ebenso sei er volljährig und mit der afghanischen Kultur vertraut. Er würde beide Hauptsprachen des Landes sprechen und verfüge mittlerweile über eine Schulbildung und Berufserfahrung. Selbst wenn eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Nangarhar nicht zumutbar sei, stünde ihm mit Kabul eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die Rückkehrentscheidung wurde ebenso wie das Einreiseverbot durch die belangte Behörde mit der schweren strafrechtlichen Delinquenz des BF begründet, sein Verhalten stelle eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Der BF sei wegen Suchgifthandels, der nach der Rechtsordnung ein besonders schweres Verbrechen darstelle, rechtskräftig verurteilt worden, sodass die Erlassung eines auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Einreiseverbotes gerechtfertigt gewesen sei. Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens sei unter der Bedachtnahme auf sein Gesamtverhalten, davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle.
6. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 04.05.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 04.05.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.
7.Gegen diese Entscheidung erhob der BF am 30.05.2018 Beschwerde und regt an, der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. In der Beschwerde wurde ausgeführt, dass bezüglich einer Rückkehr nach Afghanistan auf die schlechte Versorgungs- und Sicherheitslage verwiesen wurde. Sollte das erkennende Gericht nicht dieser Ansicht sein, werde die Einholung eines Gutachtens von Fr. Friederike Stahlmann beantragt, in welchem dargelegt werden würde, dass dem BF eine Rückkehr nicht nur aufgrund der vorherrschenden Sicherheits- und Versorgungslage nicht zumutbar wäre, sondern dieser auch über kein tragfähiges soziales Netzwerk in Afghanistan verfügen würde. Ebenso habe es die belangte Behörde verkannt, dass der BF durch seinen langjährigen Aufenthalt im westlichen Ausland eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar sei, weil dieser eine Verwestlichung und der Abfall vom Islam unterstellt werden würde. Diese Stigmatisierung wäre ihm bei der Eingliederung in die afghanische Gesellschaft hinderlich.
Ebenso habe die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht verletzt, indem die sich bei der Gefährdungsprognose ausschließlich auf die Einvernahme vom 27.12.2017 gestützt habe. Dies habe in weiterer Folge auch zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung geführt, weil dem BF mittlerweile eine positive Zukunftsprognose auszustellen sei, zumal dieser seit seiner Haftentlassung arbeite und auch den Unterlagen der Bewährungshilfe eine positive Zukunftsprognose zu entnehmen sei. Auch wenn das Strafurteil objektiv wegen eines besonders schweren Verbrechens ergangen sei, würden auf der subjektiven Ebene eindeutig Elemente vorliegen, die belegen, dass dem BF eine positive Zukunftsprognose zu attestieren sei und dies die Begehung einer besonders schweren Straftat doch entscheidend abmildern würde. Dass der BF eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle, könne jedenfalls nicht gefolgt werden. Die Rückkehrentscheidung sei aufgrund des siebenjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet und der einhergehenden fortgeschrittenen Integration des BF nicht angemessen. Daher sei ebenso das für die Dauer von fünf Jahren befristete Einreiseverbot unverhältnismäßig. Aufgrund dessen müsse der Beschwerde auch die aufschiebende Wirkung zukommen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
8, Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz „BVwG“) am 30.05.2018 vom BFA vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde angeregt.
9. Mit Erkenntnis des BVwG vom 06.06.2018, Zl. XXXX wurde der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VI. (gemeint wohl: Spruchpunkt VII.) gemäß § 18 Abs. 2 und Abs. 5 BFA-VG stattgegeben und dieser Spruchpunkt behoben. Der Beschwerde wurde sohin die vom BFA aberkannte aufschiebende Wirkung zuerkannt.
10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.09.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der BF, seine rechtsfreundliche Vertretung und ein Vertreter der belangten Behörde persönlich teilnahmen. In dieser gab der BF an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sei. Er sei Moslem sunnitischer Glaubensrichtung und habe in Österreich zweieinhalb Jahre die Hauptschule und im Zuge einer Dachspenglerlehre ein Jahr die Berufsschule besucht. Nach Vorlage eines Konvoluts an Unterlagen wurde der BF zu seinem Asylaberkennungsverfahren gefragt, woraufhin er antwortete, dass er wisse, einen Fehler gemacht zu haben. Da er in Österreich erwachsen geworden sei, sei es offensichtlich, dass er in Afghanistan auffallen würde, weil er sich nicht mehr an die religiösen Regeln halten würde. Er sei in neurologischer Behandlung, weil er seit seiner Ankunft in Österreich an Angstzuständen leide. Mit der Medikation gehe es ihm aber wieder besser. Zwischen 2013 und 2018 sei er nicht in Behandlung gewesen, weil sein Leben geregelt verlaufen sei. Im Strafverfahren sei er nicht näher zu seinen psychischen Problemen gefragt worden.
An sein Heimatdorf habe er keine Erinnerungen mehr, weil er eine Zeit lang in Pakistan gelebt hat. Nachdem er mit seinem Onkel und seinen Brüdern wieder zurück in Afghanistan gegangen sei, habe er in Kabul gelebt. In Österreich habe er eine Freundin gehabt, jedoch hätten sich die beiden nach Erhalt des Abschiebebescheids getrennt. Er habe sich auch von seinem Bekanntenkreis getrennt und sei berufstätig geworden. Seine derzeitigen Freunde seien derzeit ausschließlich Österreicher aus einem Jugendzentrum im Ort seiner Arbeitsstätte. Zu den afghanischen Freunden in Österreich habe er den Kontakt abgebrochen. Seine Lehre habe er noch nicht beenden können, jedoch bemühe er sich, dass er diese einmal abschließen könne. Danach wurden dem BF die Länderfeststellungen unter der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme binnen zwei Wochen ausgehändigt. Die rechtsfreundliche Vertretung hielt abschließend noch einmal fest, dass der BF einmalig verurteilt worden sei, wobei er nur mit weichen Drogen in Berührung gekommen sei. Ebenso sei zu beachten gewesen, dass er in einem sehr jungen Alter nach Österreich gekommen sei, wo er in prägenden Jugendjahren sozialisiert worden sei. Dass ihm eine positive Zukunftsprognose zu attestieren sei, zeige insbesondere sein Verhalten nach der Haftentlassung.
11. Am 18.10.2019 erging eine Stellungnahme der Rechtsvertretung zur aktuellen Situation in Afghanistan und es wurde aktueller ärztlicher Kurzbefund vorgelegt.
12. Die belangte Behörde gab ihrerseits in gegenständlichem Verfahren am 28.10.2019 eine Stellungnahme ab. In dieser führte sie aus, dass dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stünde und diesbezüglich, wie seitens der Rechtsvertretung beantragt, keine Gutachten eingeholt werden müssten. Eine Verwestlichung oder ein Abfall vom Islam seien nicht ersichtlich gewesen, ebenso wie eine nach Art. 3 EMRK zu berücksichtigende Erkrankung. Eine außergewöhnliche Integration sei beim BF ebenfalls nicht ersichtlich gewesen. Für die Erstellung einer positiven Zukunftsprognose sei seit der strafrechtlichen Verurteilung zu wenig Zeit vergangen, um diese dem BF attestieren zu können. Die Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens sei nach wie vor schwerwiegend.
13. Mit Urteil eines Bezirksgerichts vom 17.07.2020 wurde der BF vom Verdacht des Betrugs gemäß § 146 StGB freigesprochen.
14. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.10.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der BF, seine rechtsfreundliche Vertretung und ein Vertreter der belangten Behörde persönlich teilnahmen. Nach Einziehung des Konventionsreisepasses des BF und der Erörterung der dem erkennenden Gericht vorliegenden Informationen über eine vorläufige aktualisierte Beurteilung der politischen und menschenrechtlichen Situation im Herkunftsstaat, die auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, der EASO Guidance und der neuen UNHCR-Richtlinie basieren würden, führte der BF an, dass er gesund sei und seit der letzten Verhandlung bei ihm keine Änderungen eingetreten wären. Sein Bruder habe Afghanistan ebenfalls verlassen, weil er auf facebook ein Foto gepostet habe, dass dieser schon in Frankreich sei. Zu sonstigen Personen in Afghanistan habe er keinen Kontakt mehr. In Österreich arbeite er nach wie vor als angelernter Dachspengler und werde im nächsten Jahr die Lehrabschlussprüfung nachholen. In seinem Freundeskreis habe er sowohl Männer als auch Frauen. Er wolle auch eine Frau näher kennenlernen und mit ihr vielleicht eine Beziehung führen. Da er in Afghanistan weder Arbeit noch Familie noch Freunde habe, könne er es nicht vorstellen, dort zu leben. Er würde nur die afghanischen Sitten kennen, die bis zu seiner Ausreise bestanden hätten. Er könne sich nur an diese bis 2011, zu einer Zeit, wo er noch ein Kind gewesen sei, erinnern.
Nach der Erörterung der Rückkehrsituation gab der BF zu seiner außergewöhnlichen Integration befragt an, dass er sich durch den Schulbesuch angepasst hätte und er aus seinen Fehlern gelernt habe. Er stehe auch unter Medikation und dieser Zustand würde sich ach verschlechtern, wenn er diese nicht mehr erhalten würde. Die Arbeit könne er auch nur dank der Medikamente verrichten. Der Vertreter der belangten Behörde berief sich danach auf die bereits eingebrachte Stellungnahme und führte ergänzend aus, dass der BF bei seinem Onkel in Kabul Aufnahme finden könnte oder er von diesem an einem anderen Ort in Afghanistan unterstützt werde. Aufgrund seiner in Österreich erworbenen Qualifikationen hätte er in Afghanistan einen Vorteil in der Berufswelt und in einer globalisierenden Welt seien auch die Sitten und Bräuche in Afghanistan sicher nicht strenger geworden. Der BF habe nicht dargetan, dass er sich radikal gegen den Islam wenden würde. Besondere Bindungen zu Österreich seien nicht ersichtlich und für eine positive Zukunftsprognose sei seit der Verurteilung noch zu wenig Zeit vergangen. Die rechtsfreundliche Vertretung verwies danach darauf, dass der Asylgrund der westlichen Orientierung nach wie vor aufrecht sei und dieser sich im Zuge des zehnjährigen Aufenthaltes manifestiert habe. Laut VwGH müsse auch bei Suchtmitteldelikten immer eine Prognose im Einzelfall gefällt werden und die falle für den BF mittlerweile positiv aus, weil er in den letzten beiden Jahren sein Leben nachhaltig geändert habe.
Danach folgte der Schluss der Verhandlung. Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.
15. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Bericht der Bewährungshilfe
? Bestätigung über die Teilnahme am Jugendcoaching
? Einstellungszusage
? Stellungnahmen zur Situation in Afghanistan
? Psychotherapeutische und neurologische Befundberichte aus dem Jahr 2013
? Ärztliche Unterlagen
? Schulzeugnisse aus den Jahren 2011/12, 2012/13, 2013/14 und 2016/17
? Schulbesuchsbestätigung aus dem Jahr 2013
? Teilnahmebestätigungen an Integrations- und Deutschkursen
? Urkunde eines Fußballturniers
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des BF:
Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er ist muslimischen Glaubens, wobei er der sunnitischen Glaubensrichtung angehört. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er spricht auch ein wenig Dari, Englisch und Deutsch. Er wurde in Afghanistan geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise im Jahr 2011. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan wurde der dort durchgehende Aufenthalt von einem sechsmonatigen bis einjährigen Aufenthalt in Pakistan unterbrochen. Nach der Rückkehr aus Pakistan habe sich der BF bei seinem Onkel in Kabul aufgehalten. Der BF ist generell gesund, arbeitsfähig, ledig und kinderlos. Er ist zwar in ärztlicher Behandlung und befindet sich in einer Psychotherapie, jedoch sind die Krankheitssymptome des BF mit handelsüblichen Medikamenten behandelbar und nicht so schwerwiegend, dass sie unter die von höchstgerichtlich judizierten Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK zu subsumieren wären.
Der BF kam im Jahr 2011 nach Österreich, wo ihm am 26.06.2015 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten gewährt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt wurde, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
Der BF hielt seither durchgängig rechtmäßig in Österreich auf.
Mit Urteil eines Landesgerichts vom 23.08.2018 wurde der BF wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 1.Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2.Fall SMG; § 28a Abs. 1 5.Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate unter einer Probezeit von drei Jahren bedingt, verurteilt.
Es kann kein strafrechtliches Wohlverhalten des BF festgestellt werden. Das Motiv der Tat ist verwerflich gewesen, weil der BF bei der Begehung des Verbrechens des Suchtgifthandels die Grenzmenge mehrfach überschritten, er dieses an Minderjährige weitergegeben und er über einen langen Zeitraum Tatwiederholungen begangen habe. Er stellt daher eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar.
Ein Abhängigkeitsverhältnis zu in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen aus gesundheitlichen oder anderen Gründen besteht Sonstige Familienangehörige bzw. Verwandte des BF sind nicht in Bundesgebiet aufhältig.
Im Herkunftsstaat verfügt der BF noch über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seines Onkels und eines Bruders. Auch wenn er zu diesen derzeit keinen Kontakt hat, so ist es ihm möglich in Afghanistan in einer größeren Stadt wieder Fuß zu fassen. Er ist in Afghanistan aufgewachsen und sozialisiert worden und hat sich in Österreich auch jahrelang in einem afghanischen Freundeskreis aufgehalten. Er hat im Bundesgebiet eine Ausbildung erhalten und Arbeitserfahrung gesammelt, die ihm in Afghanistan beim Finden eines Arbeitsplatzes nützlich ist. Er kann Kontakt zu seinen in Kabul lebenden Verwandten aufnehmen, die den BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat, so wie sein in Frankreich lebender Bruder, unterstützen würden.
Nicht festgestellt werden kann, dass der BF zuletzt in Österreich eine Lebensgemeinschaft bzw. eine eheähnliche Beziehung führt. Eine tiefergehende soziale Integration des BF konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. Der BF arbeitet als angelernter Dachspengler. Er hat die Pflichtschule abgeschlossen und bemüht sich, die Lehrabschlussprüfung nachzuholen.
Zur Situation im Falle der Rückkehr nach Afghanistan:
Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (in der aktuellen Fassung vom 21.07.2020, bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
Länderspezifische Anmerkungen
COVID-19:
Stand 21.7.2020
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan
Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).
Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).
Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe
Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).
Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).
Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).
Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).
Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).
Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).
Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans
Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).
In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).
In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).
In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).
In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).
Wirtschaftliche Lage in Afghanistan
Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).
Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).
Einreise und Bewegungsfreiheit
Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).
Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).
Stand 29.6.2020
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).
In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).
In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).
Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).
Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen
In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).
Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).
Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung
Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).
Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).
Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan
Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).
Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).
Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran
Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).
Stand: 18.5.2020
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).
Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).
Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an CO-VID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).
Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).
Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung
Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).
Taliban und COVID-19
Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).
Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).
Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Län-der tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
• Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
• Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)
Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).
Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).
0. Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. §3 Abs 4a AsylG
Erläuterung
Bei der Erstellung des vorliegenden LIB wurde die im §3 Abs 4a AsylG festgeschriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse „wesentlicher, dauerhafter Veränderungen der spezifischen, insbesondere politischen Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind“, berücksichtigt. Hierbei wurden die im vorliegenden LIB verwendeten Informationen mit jenen im vorhergehenden LIB abgeglichen und auf relevante, im o.g. Gesetz definierte Verbesserungen hin untersucht.
Als den oben definierten Spezifikationen genügend eingeschätzte Verbesserungen wurden einer durch Qualitätssicherung abgesicherten Methode zur Feststellung eines tatsächlichen Vorliegens einer maßgeblichen Verbesserung zugeführt (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt II). Wurde hernach ein tatsächliches Vorliegen einer Verbesserung i.S. des Gesetzes festgestellt, erfolgte zusätzlich die Erstellung einer entsprechenden Analyse der Staatendokumentation (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt IV) zur betroffenen Thematik.
Verbesserung i.S. §3 Abs 4a AsylG:
Ein Vergleich der Informationen zu asylrelevanten Themengebieten im vorliegenden LIB mit jenen des vormals aktuellen LIB hat ergeben, dass es zu keinem wie im §3 Abs 4a AsylG beschriebenen Verbesserungen in Afghanistan gekommen ist.
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.
In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).
Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).
Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an CO-VID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).
Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).
Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung
Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausend