Entscheidungsdatum
21.11.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W228 2190419-1/55E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter in der Beschwerdesache des XXXX , geboren am XXXX 1998, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Dr. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.02.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß §§ 46, 52 Abs. 9, 55 Abs. 1 bis 3 FPG stattgegeben und es wird festgestellt, dass die Abschiebung des XXXX nach Afghanistan nicht zulässig ist.
II. Der Aufenthalt des XXXX im Bundesgebiet ist gemäß § 46a Abs. 1 FPG zu dulden.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 27.10.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.10.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass der Onkel seines Vaters ein Unterstützer des jetzigen Machthabers Dr. Abdullah Abdullah gewesen sei und aus diesem Grund von unbekannten Personen getötet worden sei. Der Vater des Beschwerdeführers habe in der Folge entschieden, den Beschwerdeführer nach Europa zu schicken.
Der Beschwerdeführer wurde am 05.01.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er in der Provinz Kapisa geboren sei. Im Alter von zwei Jahren sei er mit seiner ganzen Familie in den Iran gegangen und habe sich seitdem nicht mehr in Afghanistan aufgehalten. Seine Eltern und Geschwister sowie mehrere Onkel und eine Tante würden nach wie vor im Iran leben. Er habe keine Angehörigen in Afghanistan. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass sein Großvater eine Waffe gehabt habe, die er dem Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers gegeben habe. Eine Person namens XXXX habe dem Onkel die Waffe abkaufen wollen. Der Onkel habe abgelehnt und sei daraufhin von XXXX getötet worden. Der Vater des Beschwerdeführers habe in der Folge XXXX getötet. Bei der Familie des XXXX handle es sich um einen großen und mächtigen Stamm und habe der Großvater des Beschwerdeführers in der Folge entschieden, dass die ganze Familie in den Iran flüchte, damit niemand aufgrund dieser Feindschaft getötet werde. Befragt, warum der Beschwerdeführer den Iran verlassen habe, gab er an, dass er religiöse Probleme gehabt habe, weil er Sunnit sei, die Mehrheit im Iran jedoch Schiiten seien. Er habe nicht zur Schule gehen können. Außerdem sei er mehrmals attackiert und geschlagen worden. Befragt, warum der Beschwerdeführer nicht nach Afghanistan zurückkehren könnte, gab er an, dass die Feinde ihn überall aufspüren würden. Vor fünf Jahren sei einer seiner Onkel väterlicherseits nach Afghanistan gereist und sei nach einer Woche getötet worden. Die Personen, die den Onkel getötet hätten, hätten auch gedroht, die Cousins des Beschwerdeführers umzubringen und hätten die Cousins daher auch den Iran verlassen. Seine Eltern seien im Iran attackiert und geschlagen worden und sein Bruder sei für kurze Zeit verschwunden gewesen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer getötet werden.
Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 13.02.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer könne eine Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden. Auch wenn die Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz Kapisa volatil sei, stehe dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat offen.
Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 14.03.2018 Beschwerde erhoben. Darin wurde ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich sehr intensiv um Integration bemühe und beantrage er zum Beweis seiner Integrationsbemühungen die zeugenschaftliche Einvernahme seiner Patin, Frau XXXX . Der Beschwerdeführer habe Afghanistan im Alter von zwei Jahren verlassen und habe daher bereits jetzt mehr Zeit seines Lebens in Österreich verbracht als in Afghanistan. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre er dem Blutfehdeproblem, aufgrund dessen seine Familie Afghanistan verlassen habe, erneut ausgesetzt. Er habe konkrete Angaben zu dem Blutfehdeproblem gemacht und hätte die belangte Behörde überprüfen müssen, ob seine Angaben der Wahrheit entsprechen. Er beantrage entsprechende Erhebungen im Heimatland, gegebenenfalls die Einholung eines länderkundigen Sachverständigengutachtens. Im Falle einer Rückkehr wäre der Beschwerdeführer akut bedroht und seien er und seine Familie auch im Iran angegriffen worden. Ergänzend zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen wolle er darauf hinwiesen, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan als „westernized person“ angesehen werden würde. Abschließend wurde ausgeführt, dass, soweit die belangte Behörde auf das Gutachten von XXXX Bezug nehme, dessen Ausführungen als unrichtig angezweifelt werden.
Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 26.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Am 12.04.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein mit 12.04.2018 datierter Schriftsatz der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ein. Darin wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer Opfer eines Blutfehdeproblems sei und er im Falle einer Rückkehr in ganz Afghanistan aufgespürt werden würde. Der Stellungnahme wurde eine Anfragebeantwortung vom Amnesty International an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 05.02.2018 beigelegt und wurde ausgeführt, dass durch dieses Dokument die unrichtigen Ausführungen XXXX eindeutig belegt seien.
Am 24.05.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein mit 23.05.2018 datiertes Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ein, mit welchem eine ärztliche Bestätigung vom 06.04.2018 sowie das Gutachten von XXXX vom 28.03.2018 zum Beweis dafür, dass eine Rückkehr für den Beschwerdeführer nach Afghanistan völlig ausgeschlossen sei, vorgelegt wurde.
Am 14.06.2018 übermittelte die belangte Behörde einen Bescheid des AMS vom 08.06.2018 mit welchem dem Beschwerdeführer eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Tischler (Lehrling/Auszubildender) für die Zeit vom 01.07.2018 bis 31.12.2021 erteilt wurde.
Am 03.08.2018 langte ein mit 02.08.2018 datiertes Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welchem ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer seit 02.07.2018 eine Tischler-Lehre absolviere und wurde eine Kopie des Lehrvertrags übermittelt.
Am 24.08.2018 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Bescheinigung über die Ableistung eines Erste Hilfe Grundkurses betreffend den Beschwerdeführer.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 13.11.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung, sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari und zwei Zeuginnen durchgeführt. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben.
Am 04.12.2018 langte ein mit 03.12.2018 datiertes Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welchem auf die Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers verwiesen wurde. In einem wurde eine Bestätigung des Dorfvorstehers aus der Provinz Kapisa, der zu entnehmen sei, dass der Onkel des Beschwerdeführers in Afghanistan ermordet worden sei, ein ergänzendes Unterstützungsschreiben sowie eine Anfragebeantwortung von ACCORD übermittelt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 19.12.2018, Zl. W228 2190419-1/12E, im Spruchpunkt I. die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen, im Spruchpunkt II. die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und im Spruchpunkt III. die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Im Spruchpunkt IV. des Erkenntnisses wurde der Beschwerde gegen die Spruchpunkt IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG in Verbindung mit § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. Im Spruchpunkt V. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
Gegen die Spruchpunkte IV. und V. des Erkenntnisses vom 19.12.2018 hat die belangte Behörde die außerordentliche Amtsrevision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 10.04.2019, Ra 2019/18/0049, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2018, Zl. W228 2190419-1/12E, im angefochtenen Umfang, sohin hinsichtlich seiner Spruchpunkte A. IV. und V. betreffend die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die Erteilung eines Aufenthaltstitels, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Folge mit Erkenntnis vom 29.04.2019, Zl. W228 2190419-1/22E, die Beschwerde gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.
Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers hat mit Schriftsatz vom 08.05.2019 gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.04.2019 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 24.02.2020, E 1697/2019-15, der Beschwerde teilweise stattgegeben und zu Recht erkannt, dass der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.04.2019, soweit damit seine Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden ist. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.04.2019 wurde insoweit aufgehoben. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung richtet, wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers hat mit Schriftsatz vom 05.05.2020 gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.04.2019 betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 16.07.2020, Ra 2020/21/0165, die Revision zurückgewiesen.
Am 16.09.2020 langte eine Eingabe der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welcher Ausführungen zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich getätigt wurden.
Am 23.09.2020 wurde seitens der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ein Empfehlungsschreiben sowie eine psychologische Stellungnahme vom 10.09.2020 betreffend den Beschwerdeführer an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 12.10.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung, sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführt. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben. Im Zuge der Verhandlung wurde eine Zeugin einvernommen.
Am 23.10.2020 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ein Dokument an das Bundesverwaltungsgericht. Diese Eingabe ist nach Schluss des Ermittlungsverfahrens beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt und daher nicht zu berücksichtigen.
Am 04.11.2020 langte eine Eingabe der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein. Diese Eingabe ist nach Schluss des Ermittlungsverfahrens beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt und daher nicht zu berücksichtigen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, geboren XXXX 1998. Er wurde in der Provinz Kapisa geboren, verließ im Alter von zwei Jahren gemeinsam mit seiner Familie Afghanistan und hat fortan im Iran gelebt. Die Eltern, die Geschwister sowie mehrere Onkel und eine Tante des Beschwerdeführers leben nach wir vor im Iran. Der Beschwerdeführer hat keine Angehörigen in Afghanistan.
Der Beschwerdeführer ist volljährig und ledig. Er ist arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer ist Tadschike, ist sunnitischer Moslem und spricht Dari und Farsi. Der Beschwerdeführer hat keine Schule besucht. Er hat im Iran mehrere Jahre lang als Motorradmechaniker gearbeitet. Nebenbei hat er seinem Vater, welcher als Fliesenleger gearbeitet hat, bei der Arbeit geholfen.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit 03.07.2019 in psychotherapeutischer Behandlung.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit spätestens 27.10.2015 in Österreich. Er ist illegal in das Bundesgebiet eingereist. Es halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich auf.
1.2. Zur Situation im Falle der Rückkehr:
Dem Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Kapisa aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Dem Beschwerdeführer ist auch eine Neuansiedlung in einer anderen Region Afghanistans, etwa in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif, aufgrund seiner individuellen Umstände in Verbindung mit der aktuell wegen der COVID-19-Pandemie angespannten Beschäftigungs-, Wohn- und Versorgungsituation derzeit nicht zumutbar.
In den Großstädten Afghanistans sind die Möglichkeiten, eine Arbeit, insbesondere Gelegenheits- und Tagelöhnertätigkeiten, zu finden aufgrund der Corona-Krise nach wie vor niedrig. Die Lebensmittelpreise sind nach wie vor überdurchschnittlich hoch. Resultierend aus diesen beiden Umständen (weniger Möglichkeiten, ein Einkommen zu erwirtschaften in Verbindung mit höheren Lebensmittelpreisen) besteht für die Städte in Afghanistan bis mindestens Jänner 2021 IPC Phase 3, was bedeutet, dass Ersparnisse aufgebraucht werden müssen.
Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger junger Mann. Er verfügt jedoch über keine Schulbildung und keine abgeschlossene Berufsausbildung und hat noch nie in den Städten Mazar-e Sharif und Herat gelebt. Er hat Afghanistan im Alter von zwei Jahren verlassen und hat seitdem im Iran gelebt; er verfügt sohin über keine Kenntnisse über die Gegebenheiten in Afghanistan. Zudem hat er kein familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan, zumal seine Familie nach wie vor im Iran lebt. Er wäre daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan und Ansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif zur Sicherung seines Lebensunterhaltes auf Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten angewiesen. Gerade diese stehen aber in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie in den Großstädten derzeit nur in sehr eingeschränktem Ausmaß zur Verfügung. Dasselbe gilt auch für die Unterkunftssituation. Auch die Nahrungsmittelpreise sind in den letzten Monaten massiv gestiegen. Es wäre dem geringqualifizierten Beschwerdeführer, der keine Schule besucht und keine abgeschlossene Berufsausbildung aufweist und in Afghanistan über kein familiäres oder soziales Netzwerk verfügt, daher in der aktuellen Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich, eine Arbeit und eine für ihn leistbare Unterkunft zu finden.
Die beim Beschwerdeführer vorgenommene Einzelfallprüfung ergibt, dass aufgrund der oben dargelegten individuellen und allgemeinen Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihm möglich ist, in Afghanistan bei einer Neuansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif dort Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedlung liefe der Beschwerdeführer vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat/ maßgebliche Situation in Afghanistan:
Kapisa:
Die Provinz Kapisa liegt im zentralen Osten Afghanistans, umgeben von den Provinzen Panjshir im Norden, Laghman im Osten, Kabul im Süden und Parwan im Westen. Kapisa ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Alasai, Hissa-e-Awali Kohistan, Hissa-e-Duwumi Kohistan, Koh Band, Mahmood Raqi, Nijrab und Tagab. Mahmood Raqi ist die Provinzhauptstadt von Kapisa.
Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kapisa für den Zeitraum 2019-20 auf 479.875 Personen. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in Kapisa sind Tadschiken, Paschtunen und Nuristani, wobei die Tadschiken als größte Einzelgruppe hauptsächlich im nördlichen Teil der Provinz leben.
Eine Hauptstraße verbindet die Provinzhauptstadt Mahmood Raqi mit Kabul.
Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Kapisa 2018 nicht zu den zehn wichtigsten afghanischen Provinzen, die Schlafmohn anbauen. Die Größe der Anbaufläche verringerte sich 2018 im Vergleich zu 2017 um 60%. Schlafmohn wurde hauptsächlich in den Distrikten Tagab und Alasai angebaut.
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Kapisa hat strategische Bedeutung: für Aufständische ist es einfach, die Provinzhauptstadt von Kapisa und die benachbarten Provinzen zu erreichen. Die Taliban sind in entlegeneren Distrikten der Provinz aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung oder Sicherheitskräfte durchzuführen; wie z.B. im zentral gelegenen Distrikt Nijrab. Im März 2019 konnten sie beispielsweise drei Dörfer – Afghania, Pachaghan und Ghin Dara – in Kapisa erobern.
Aufseiten der Regierungskräfte liegt Kapisa in der Verantwortung des 201. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird.
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 124 zivile Opfer (49 Tote und 75 Verletzte) in der Provinz Kapisa. Dies entspricht einem Rückgang von 11% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Luftangriffe.
Kapisa zählt zu den relativ volatilen Provinzen. Die Regierungstruppen führen, teils mit Unterstützung der USA, regelmäßig Operationen in Kapisa durch. Auch werden Luftangriffe ausgeführt – in manchen Fällen werden dabei auch hochrangige Taliban getötet oder Dörfer von den Taliban zurückerobert. Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften.
Mazar-e Sharif:
Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst.
In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist.
Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften.
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.
Herat-Stadt:
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt.
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden. Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala. Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt.
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Talibankämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban.
Im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 wurden in der Provinz 145 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 2.095.117 geschätzt.
Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan
Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).
Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).
Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe
Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).
Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).
Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).
Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).
Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).
Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).
Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans
Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).
In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).
Wirtschaftliche Lage in Afghanistan
Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).
Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).
Einreise und Bewegungsfreiheit
Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).
Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Zum festgestellten Geburtsdatum ist auszuführen, dass aus dem Gutachten zur Volljährigkeitsbeurteilung vom 29.04.2016 hervorgeht, dass das behauptete Geburtsdatum ( XXXX 1998) mit dem festgestellten Mindestalter vereinbar ist und war daher das vom Beschwerdeführer angegebene Geburtsdatum XXXX 1998 festzustellen.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zur Abstammung aus der Provinz Kapisa, zum Aufenthalt im Iran sowie zum Aufenthaltsort seiner Angehörigen stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde, sowie in den Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari.
Die Feststellung zur psychotherapeutischen Behandlung ergibt sich aus der psychologischen Stellungnahme vom 10.09.2020.
2.2. Zur Situation im Falle der Rückkehr:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 13.11.2019), den EASO-Richtlinien (Country Guidance Afghanistan) von Juni 2019 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Kapisa ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten.
Die Feststellungen zu der Situation in den Städten Afghanistans (geringe Möglichkeiten, ein Einkommen zu erwirtschaften in Verbindung mit höheren Lebensmittelpreisen) und der dort bestehenden IPC Phase 3, ergeben sich aus dem Dokument FEWS NET – Afghanistan Food Security Outlook Update von August 2020.
Die Grundversorgung vor der COVID-19-Pandemie war in Afghanistan generell – und so auch in den Städten Mazar-e Sharif und Herat – grundlegend gesichert. Aus den oben angeführten aktuellen Informationen ergibt sich jedoch, dass derzeit aufgrund der erschwerten Importsituation und der höheren Nachfrage die Lebensmittelpreise steigen. Insbesondere steigen die Kosten für Grundnahrungsmittel um hohe Prozentsätze, sodass die Versorgungssituation der Bevölkerung dadurch, verglichen mit der Situation vor COVID-19, noch einmal deutlich verschärft wird.
Der Beschwerdeführer hat keine Schule besucht und verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er hat sich seit seinem zweiten Lebensjahr nicht mehr in Afghanistan aufgehalten und verfügt in Afghanistan über kein soziales oder familiäres Netzwerk.
In den Städten Afghanistans herrscht, besonders für Geringqualifizierte wie den Beschwerdeführer, der auf Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten angewiesen ist, eine eingeschränkte Möglichkeit einen Arbeitsplatz zu finden. Auch das Fehlen eines sozialen Netzwerks in Afghanistan erschwert für den Beschwerdeführer den Zugang zum Arbeitsmarkt. Es wäre dem Beschwerdeführer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit derzeit nicht möglich, eine Arbeit zu finden. Wie festgestellt, bedeutet die in den Städten Afghanistans bestehenden IPC Phase 3, dass Ersparnisse aufgebraucht werden müssen. Es ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als Rückkehrer keine Ersparnisse hat und daher nicht auf solche zurückgreifen kann.
Durch die Inanspruchnahme der nach den vorliegenden Länderinformationen grundsätzlich verfügbaren Rückkehrhilfe könnte der Beschwerdeführer höchstens sehr kurzfristig das Auslangen finden und wird insbesondere nur für Kabul berichtet, dass etwa Unterkünfte speziell für Rückkehrer verfügbar sind.
Dass diese Folgewirkungen der COVID-19-Pandemie durch die (an)laufenden internationalen Hilfs- bzw. Unterstützungsprogramme zur Gänze abgewendet werden könnten, ist nicht ersichtlich, zumal sich diese Programme vorwiegend auf die Unterstützung in medizinischer/gesundheitlicher Hinsicht konzentrieren.
Im gegenständlichen Verfahren nahm das Bundesverwaltungsgericht für den Beschwerdeführer eine individuelle Einzelfallprüfung vor, wie sie sowohl von EASO als auch von UNHCR für die Annahme einer Rückkehrmöglichkeit oder einer innerstaatlichen Flucht- und Schutzalternative gefordert werden. Das erkennende Gericht kommt in einer Gesamtbetrachtung zu dem Schluss, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner individuellen Umstände in Verbindung mit der aktuell angespannten Beschäftigungs-, Wohn- und Versorgungsituation eine Rückkehr nach Afghanistan derzeit nicht zumutbar ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Letztere Variante traf unter Berücksichtigung der in ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG vertretenen Ansicht über den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auf die gegenständliche Konstellation zu (vgl. dazu etwa VwGH 28.07.2016, Zl. Ra 2015/01/0123).
Zu Spruchpunkt A) I.: Zur Rechtskraft der Spruchpunkte I., II., III. und IV. des angefochtenen Bescheides
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 19.12.2018, Zl. W228 2190419-1/12E, im Spruchpunkt I. die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen, im Spruchpunkt II. die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und im Spruchpunkt III. die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Im Spruchpunkt IV. des Erkenntnisses wurde der Beschwerde gegen die Spruchpunkt IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG in Verbindung mit § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. Im Spruchpunkt V. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 10.04.2019, Ra 2019/18/0049, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2018, Zl. W228 2190419-1/12E, im angefochtenen Umfang, sohin hinsichtlich seiner Spruchpunkte A. IV. und V. betreffend die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die Erteilung eines Aufenthaltstitels, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Folge mit Erkenntnis vom 29.04.2019, Zl. W228 2190419-1/22E, die Beschwerde gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 24.02.2020, E 1697/2019-15, der Beschwerde teilweise stattgegeben und zu Recht erkannt, dass der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.04.2019, soweit damit seine Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden ist. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.04.2019 wurde insoweit aufgehoben. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung richtet, wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers hat mit Schriftsatz vom 05.05.2020 gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.04.2019 betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 16.07.2020, Ra 2020/21/0165, die Revision zurückgewiesen.
Die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten ist daher gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 rechtskräftig. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ist gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 rechtkräftig und die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen ist gemäß § 57 AsylG 2005 rechtskräftig. Die gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG ist ebenfalls rechtskräftig.
Soweit die Argumentation im Schriftsatz vom 15.09.2020 in Richtung einer Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gem. § 55 AsylG geht, ist daher auf die Rechtskraft zur erlassenen Rückkehrentscheidung zu verweisen und liegt res iudicata vor.
Eine Durchbrechung dieser Rechtskraft durch wesentliche Änderungen im Sachverhalt ist im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht – mangels behördlicher Erstentscheidung – nicht vorgesehen. Sollte daher eine solche im Schriftsatz vom 15.09.2020 intendiert gewesen sein, ist das Vorbringen mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückzuweisen.
Hinsichtlich der Eingaben vom 23.10.2020 und 04.11.2020 ist auf den am Ende der Verhandlungsschrift festgehaltenen Schluss des Ermittlungsverfahrens gemäß § 39 Abs. 3 AVG zu verweisen. Diese Eingaben sind nach Schluss des Ermittlungsverfahrens beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt und daher nicht zu berücksichtigen.
Spruchpunkt V. und VI. des angefochtenen Bescheides - Unzulässigkeit der Abschiebung
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Gemäß § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist eine Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG).
Im gegenständlichen Fall sind Gründe hervorgekommen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG ergibt:
Im Fall des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Feststellungen zur seiner persönlichen Situation vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses der Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan.
Die Herkunftsprovinz Kapisa des Beschwerdeführers ist auf Grund der dort herrschenden allgemeinen Sicherheitslage volatil. Aus diesem Grund könnte eine Rückführung des Beschwerdeführers in diese Region für ihn mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden sein, weshalb ihm eine Rückkehr dorthin nicht möglich ist.
Festzuhalten ist, dass gemäß den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 eine innerstaatliche Schutzalternative in Kabul angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul derzeit grundsätzlich nicht verfügbar ist (so auch VfGH 30.11.2018, E 3870/2018). Dasselbe gilt für Jalalabad. Dieser Einschätzung schließt sich das erkennende Gericht im gegenständlichen Verfahren an, sodass Kabul und Jalalabad nicht als innerstaatliche Schutzalternativen in Betracht kommen.
Hinsichtlich der in den Städten Herat und Mazar-e Sharif bestehenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist aus den oben angeführten Länderberichten auf das Wesentliche zusammengefasst abzuleiten, dass derzeit die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist und dass v. a. Personen, die sich ohne jegliche familiäre Bindung, Berufsausbildung und Geldmittel in diesen Städten ansiedeln, mit sehr großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein werden.
Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN). Dabei hat sich das Bundesverwaltungsgericht auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 42 ff, mwN).
Im vorliegenden Fall ist - wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt - aufgrund der derzeit bestehenden besonderen Vulnerabilität des Beschwerdeführers aufgrund seiner individuellen Umstände in Verbindung mit der angespannten Beschäftigungs-, Wohn- und Versorgungsituation in den Städten Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar.
Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten bzw. kein sonstiges soziales Netzwerk in Afghanistan. Er ist zwar ein junger arbeitsfähiger Mann, hat jedoch keine Schule besucht und verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Zudem ist er mit den Gegebenheiten in Afghanistan nicht vertraut, zumal er im Alter von zwei Jahren Afghanistan verlassen hat und seitdem durchgehend im Iran gelebt hat.
Aufgrund dessen ist von einer individuellen Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen. Unter Berücksichtigung der dargelegten allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und der aufgezeigten persönlichen Umstände des Einzelfalls des Beschwerdeführers erscheint es insgesamt nicht möglich, dass der Beschwerdeführer in Herat oder Mazar-e Sharif Fuß fasst und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen kann, wie es auch andere Landsleute führen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001). Auch eine drohende Verletzung seiner Rechte unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Überlegungen ist zu bejahen, da der Beschwerdeführer aufgrund einer Zurückführung in eine ausweglose Situation geraten würde.
Dem Beschwerdeführer würde daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der ihn betreffenden individuellen, exzeptionellen Umstände bei einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen, wobei eine innerstaatliche Fluchtalternative aus den dargelegten Erwägungen nicht zumutbar ist. Es ist damit dargetan, dass seine Abschiebung eine Verletzung in seinen Rechten nach Art 3 EMRK darstellen würde.
Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist sohin nicht gegeben.
Zu Spruchpunkt A) II.:
Gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 FPG ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet zu dulden, solange deren Abschiebung gemäß §§ 50, 51 oder 52 Abs. 9 Satz 1 FPG unzulässig ist, vorausgesetzt die Abschiebung ist nicht in einen anderen Staat zulässig.
Im gegenständlichen Fall ist die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet ist daher zu dulden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs.1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Abschiebung Abschiebungshindernis Abschiebungsschutz Ausreise Duldung Frist individuelle Verhältnisse Sicherheitslage VersorgungslageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W228.2190419.1.00Im RIS seit
22.01.2021Zuletzt aktualisiert am
22.01.2021