TE Bvwg Beschluss 2020/11/23 W132 2227761-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.11.2020
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Entscheidungsdatum

23.11.2020

Norm

BEinstG §14
BEinstG §2
BEinstG §3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W132 2227761-1/14E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzerinnen, über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 13.11.2019, OB 50776835000018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 sowie § 14 Abs. 1 und 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), in Verbindung mit dem Vorlageantrag zur Beschwerdevorentscheidung vom 07.01.2020, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:
1.         Der Beschwerdeführer hat am 22.07.2019 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gestellt.
1.1.         Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 15.10.2019, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH bewertet wurde.
1.2.         Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs wurde vom Beschwerdeführer ohne Vorlage weiterer Beweismittel vorgebracht, dass sich sein Zustand verschlechtert habe und er um neuerliche Überprüfung ersuche.
1.3.         Mit Bescheid vom 13.11.2019 hat die belangte Behörde aufgrund des in Höhe von 40 vH festgestellten Grades der Behinderung den Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 sowie § 14 Abs. 1 und 2 BEinstG abgewiesen.

Als Beilage zum Bescheid wurde das Sachverständigengutachten Dris. XXXX übermittelt.
2.         Gegen diesen Bescheid wurde von der bevollmächtigten Vertretung des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage eines Befundes der Neurochirurgie des Universitätsklinikums St. Pölten vom 19.11.2019 wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten zur Beurteilung des bestehenden orthopädischen und neurologischen Beschwerdebildes keinesfalls ausreichend sei. Aus dem vorgelegten Befund Dris. XXXX gehe hervor, dass eine Pollinose, GERD, Einrisse im Hinterhorn des medialen Meniskus des rechten Knies, SSF beidseits, Fersensporn links, Lumboischialgie, Diskusprolaps der LWS, Kompressionsfraktur 1-5, allergischer Rhinitis, Hypertonie, Meniskusläsion linkes Knie, Psoriasis, Hyperurikämie, allergisches Asthma, Cervikobrachialgie rechts mit radiologischem Syndrom, V.a. infizierte UK Fraktur; Sulcus urnaris Syndrom dext., Zustand nach Fryckholmop. bei Neuroforarmenstenose C7/Th 1 rechts am 24 10.2018, postoperatives Serum C7, Brachialgie rechts dig. 4 und 5, Atrophie interdigitalia 1/2. Men. Med. HH Läsion gen dext, Knorpelfissur med. Femurkondyl gen. Dext., Uncovertebral- und Facettenarthrosen C4-C6, Zustand nach Colonpolyabtragung, Schulterschädigung rechts sowie ein Zustand nach intraepithelialer Neoplasie Colon (2007) vorlägen. Aufgrund der bestehenden Schmerzsymptomatik sei die ständige Einnahme schmerzstillender Medikamente (Opiate, Hydal} erforderlich. Die Einschätzung von Leiden 1 mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH sei daher nicht nachvollziehbar und entspreche keinesfalls dem tatsächlichen Schweregrad. Weiters sei es zu einer Zunahme der Cervicobrachialgie in der rechten oberen Extremität gekommen. Die Schmerzen im Schulterbereich hätten zugenommen und es bestehe ein Faszikulieren der rechten Hand. Die Einholung von Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Orthopädie und Neurologie sei erforderlich.
2.1.         Die belangte Behörde hat in der Folge eine mit 07.01.2020 datierte ergänzende medizinische Stellungnahme vom bereits befassten Sachverständigen Dr. XXXX , basierend auf der Aktenlage, mit dem Ergebnis eingeholt, dass es hinsichtlich der Beurteilung der Funktionseinschränkung zu keiner Änderung komme.
2.2.         Ohne dem Beschwerdeführer das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis zu bringen, hat die belangte Behörde mit dem Bescheid vom 07.01.2020, im Rahmen der rechtzeitig ergangenen Beschwerdevorentscheidung, die fristgerecht eingelangte Beschwerde gegen den Bescheid vom 13.11.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Feststellung der Begünstigteneigenschaft, gemäß § 2, § 3, § 14 und § 19 BEinstG iVm § 14 VwGVG abgewiesen.

Als Beilage zum Bescheid wurde der eingeholte Sachverständigenbeweis übermittelt.
3.         Ohne Vorlage weiterer Beweismittel hat die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers rechtzeitig die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beantragt. Zusammengefasst wurde vorgebracht, dass die vorliegenden Gesundheitsschädigungen nicht ausreichend gewürdigt und berücksichtigt worden seien. Wie bereits in der Beschwerde eingewendet, sei im Hinblick auf das Beschwerdebild bei bestehenden Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule das Leiden unter Nr. 1 zu gering beurteilt worden. Die Funktionseinschränkungen seien dauernd, erheblich, therapeutisch schwer beeinflussbar, und bestehe die Notwendigkeit einer über sechs Monate dauernden Therapie. Diesbezüglich werde auf die vorgelegten medizinischen Beweismittel verwiesen. Die Cervikobrachialgie habe sich verschlechtert und die Schmerzen im Schulterbereich hätten zugenommen. Wegen der bestehenden Beschwerdesymptomatik sei eine Opiateinnahme über sechs Monate erforderlich. Weiters seien die Schädigungen an Schulter und Kniegelenk bisher nicht beurteilt worden, was aber erforderlich sei, um das negative Zusammenwirken beurteilen zu können. Zwischen dem Wirbelsäulen-, Knie- und Schulterleiden bestehe jedenfalls ein ungünstiges wechselseitiges Zusammenwirken, sodass das führende Leiden 1 jedenfalls auf zumindest 50 vH zu erhöhen sei. Das bis dato eingeholte Sachverständigengutachten der Fachrichtung Allgemeinmedizin sei nicht geeignet das komplexe orthopädisch-neurologische Zustandsbild des Beschwerdeführers zu beurteilen. Es sei daher jedenfalls die Einholung von Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Orthopädie und Neurologie erforderlich.
3.1.         Mit dem im Bundesverwaltungsgericht am 22.01.2020 eingelangten Schreiben selben Datums hat die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde vorgelegt.
3.2.         Mit Schreiben vom 04.02.2020 hat der Beschwerdeführer weitere medizinische Beweismittel in Vorlage gebracht.
3.3.         Im Zuge der Ladung zur persönlichen Untersuchung wurde der Beschwerdeführer im Wege der bevollmächtigten Vertretung darauf hingewiesen, dass gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden dürfen.
3.4.         Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 25.06.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH bewertet wurde. Dazu wurde – auszugsweise – Folgendes ausgeführt:

Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Guter Allgemein- und Ernährungszustand. Thorax symmetrisch.

Wirbelsäule im Lot. HWS in R 45-0-45, F 10-0-10, KJA 3 cm, Reklination 14 cm. Normale Brustkyphose,7 cm Narbe am cervicothoracalen Übergang, bland. BWS-Drehung 30-0-30, FKBA 30 cm, Seitneigung bis 10 cm ober Patella.

Obere Extremitäten: Schultern in S rechts 40-0-140 zu links 40-0-150, F rechts 130-0-50 zu links 135 zu 50, R rechts 60-0-70 zu links 70-0-80, Ellbogen 0-0-130, Handgelenke 50-0- 60, Faustschluß beidseits möglich und seitengleich kraftvoll. Nacken- und Kreuzgriff durchführbar. Bicepsfunktion kräftig und seitengleich, Tricepsfunktion rechts geringst schwächer als links, aber kräftig. Geringe Atrophie in der Zwischenfingerfalte 1/11 rechts streckseits, keine Atrophie des Daumens.

Untere Extremitäten: Hüftgelenke in S 0-0-105, F 30-0-25, R 25-0-10, Kniegelenke in S rechts 0-0-125 zu links 0-0-130, bandfest, reizfrei. Sprunggelenke 15-0-45.

Gangbild/Mobilität: Gang in Straßenschuhen ohne Gehbehelfe gut möglich. Zehenspitzen- und Fersenstand möglich.

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Aufbrauchserscheinungen des Bewegungs- und Stützappartes, hauptsächlich Zustand nach Bandscheibenvorfall C7/Th1 und Neuroforameneinengung untere Halswirbelsäule

Oberer Rahmensatz, da geringgradige Restschwäche von Muskeln, von der Wurzel C7/Th1 versorgt – Speichennerv (Triceps und Adduktor pollicis longus) und Ellennerv (Gefühlsverminderung der Finger 4 und 5 rechts) und Schulterengesyndrom beidseits, rechts mehr als links. Wahl der Position berücksichtigt die belastungsabhängigen Beschwerden, eine über sechs Monate anhaltende Therapie oder dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen finden sich nicht.

02.02.02

40 vH

02

Bluthochdruck

Fixposition. Wahl der Position, da Monotherapie ausreichend.

05.01.01

10 vH

03

Hinweis auf Schlafapnoesyndrom

Fixposition.

06.11.01

10 vH

04

Refluxösophagitis

Unterer Rahmensatz, da guter Ernährungszustand. Wahl der Position, da keine relevante Störung der Nahrungsaufnahme.

07.03.03

10 vH

05

Allergieneigung

Wahl der Position da leicht.

gZ 01.01.01

10 vH

Gesamtgrad der Behinderung

40 vH

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 40vH, weil die Leiden 2- 5 nicht wechselwirksam erhöhend sind.
3.5.         Im Zuge der persönlichen Untersuchung wurde vom Beschwerdeführer ein weiteres medizinisches Beweismittel in Vorlage gebracht.
3.6.         Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG mit Hinweis auf die Neuerungsbeschränkung gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG erteilten Parteiengehörs hat die belangte Behörde keine Einwendungen erhoben.

Der Beschwerdeführer hat zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens unter Vorlage weiterer Beweismittel im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer am 06.08.2020 an der linken Schulter operiert worden sei, und im Oktober 2020 eine Operation der rechten Schulter bevorstehe. Auch sei eine Operation am rechten Knie geplant.

Es wurde auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 19b Abs. 1 BEinstG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1.       wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus (vgl. u.a. 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).

Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen bei Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 BEinstG neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden. (§ 19 Abs. 1 BEinstG auszugsweise idF des BGBl. I Nr. 57/2015)

§ 19 Abs.1 BEinstG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 57/2015 tritt mit 1. Juli 2015 in Kraft. (§ 25 Abs. 19 BEinstG)

Da die gegenständliche Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 22.01.2020 vorgelegt worden ist, sind nach diesem Zeitpunkt vorgelegte Beweismittel nicht zu berücksichtigen.

Gegenständlich liegen aufgrund der nachgereichten, der Neuerungsbeschränkung unterliegenden, Beweismittel maßgebende Anhaltspunkte vor, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass betreffend Leiden 1 die Heranziehung der Position 02.02.03 mit einem Rahmensatz von 50 vH bis 70 vH gerechtfertigt sein könnte, eventuell sogar ab dem Datum des Einlangens des Antrages auf Zuerkennung der Begünstigteneigenschaft am 22.07.2019.

Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 3 BEinstG)

Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. (§ 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010 auszugsweise)

Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten. (§ 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010)

Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt die letzte rechtskräftige Entscheidung über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH

a)       eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (der Schiedskommission) bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder der Bundesberufungskommission im Sinne des Bundesberufungskommissionsgesetzes, BGBl. I Nr. 150/2002, oder des Bundesverwaltungsgerichtes;

b)       eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. eines nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, zuständigen Gerichtes;

c)       eines Landeshauptmannes (des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) oder des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen in Verbindung mit der Amtsbescheinigung gemäß § 4 des Opferfürsorgegesetzes;

d)       in Vollziehung der landesgesetzlichen Unfallfürsorge (§ 3 Z 2 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 200/1967).

Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten ( § 2 ) auf Grund der in lit. a bis d genannten Nachweise erlischt mit Ablauf des dritten Monates, der dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung folgt, sofern nicht der begünstigte Behinderte innerhalb dieser Frist gegenüber dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erklärt, weiterhin dem Personenkreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Personen angehören zu wollen. (§ 14 Abs. 1 BEinstG)

Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Menschen mit Behinderung das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung der Entscheidung folgt, mit der der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird. (§ 14 Abs. 2 BEinstG)

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten, ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung, und die Feststellung ab wann dieser anzunehmen ist.

Vor dem Hintergrund des § 2 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung, wonach primär Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung (bzw. der Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen) für die konkrete Bemessung des Grads der Behinderung entscheidend sind, und des § 3 Abs. 1 leg. cit., wonach bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen deren Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer Wechselbeziehungen maßgebend sind, geht der VwGH davon aus, dass eine entsprechende Beurteilung auch bei der Bewertung der einzelnen, in der Anlage zur Einschätzungsverordnung bei einem bestimmten Krankheitsbild genannten und für die Bemessung des Grades der Behinderung innerhalb einer Bandbreite entscheidenden Parameter erforderlich ist. Eine derartige Beurteilung ist gemäß § 4 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung von einem Sachverständigen vorzunehmen. (VwGH vom 11.11.2015, Zl. Ra 2014/11/0109 zum BBG)

Es bedarf einer vergleichenden Darstellung, worin sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers von demjenigen einer Person unterscheidet, welche bereits eine Funktionseinschränkung schweren Grades nach Positionsnummer 02.02.03 erreicht. (idS VwGH vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036)

Insbesondere durch die nach der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 25.06.2020 stattgehabte Operation der linken Schulter, sowie der geplanten Operationen der rechten Schulter und des rechten Knies, kann nicht ausgeschlossen werden, dass dadurch die Beurteilung Dris. XXXX , dass keine dauernden erheblichen Funktionseinschränkungen vorlägen, bzw. keine über sechs Monate anhaltende Therapie erforderlich sei, widerlegt würde.

Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde die aktuellen Befunde, sowie neuerlich ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Orthopädie und zusätzlich ein Sachverständigengutachten der Fachrichtung Neurologie, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, zu den oben dargelegten Fragestellungen einzuholen, und die Ergebnisse unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und der dazu vorgelegten Unterlagen bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann – im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG – nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundene erhöhte Aufwand.

Insbesondere scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass eine rückwirkende Beurteilung des Grades der Behinderung erforderlich ist.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W132.2227761.1.00

Im RIS seit

22.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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